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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Marseille 2023 – 10 Jahre nach der Auszeichnung als Kulturhauptstadt

Marseille – ein Palimpsest der Extra-Klasse

Von Petra Kammann

Zehn Jahre sind es nun her, dass Marseille 2013 als europäische Kulturhauptstadt gefeiert wurde. Das Kulturhauptstadtjahr hat der alten Hafenstadt einen gewaltigen Innovationsschub verpasst. So konnte das kühne, von Rudy Riciotti erbaute Museum MuCEM (Musée des Civilisations d’Europénnes et de la Méditerranée) inzwischen schon mehr als 10 Millionen Besucher empfangen. Ein Besuch dort ist für Architekturafficionados ebenso ein Muss wie ein Besuch der berühmten, vor etwas mehr als 70 Jahren entstandenen utopischen Cité Radieuse des Architekten Le Corbusier. Einen kleinen Abstecher wert ist auch das nahegelegene frisch restaurierte MAC (Musée d’art contemporain), das Marseille Museum für zeitgenössische Kunst von 1994. Und ein Knaller am „Vieux Port“ bleibt der überraschende so offene wie publikumswirksame Pavillon „Ombrière“ des britischen Architekten Norman Forster, der uns einen ganz neuen Imaginationsspiegel vorhält.

Gang durch das 2013 entstandene MUCEM von Architekt Rudy Ricciotti, Foto: Petra Kammann

Dabei gehört die multikulturelle Hafenstadt Marseille nicht etwa zu den ,New Big Cities‘, sondern vielmehr zu den ältesten Städten der Welt. Das wissen wir seit den 90er Jahren, als nämlich der französische Tiefsee- und Profi-Taucher Henri Cosquer beim Tauchen in den Calanques de Morgiou in 37 Meter Tiefe auf eine unglaubliche prähistorische Höhle (27 000 Jahren v. Chr.) stieß und dabei 500 paläolithische (altsteinzeitliche) Funde machte. Dabei fand er u.a. das Abbild einer menschlichen Hand. Repliken der weiteren kostbaren Funde aus der „Grotte de Cosquer„, wie diese Höhle nach ihm genannt wurde und die aus konservatorischen Gründen nicht zugängig ist, lassen sich heute in der Villa Méditerranée unmittelbar neben dem MuCEM anschauen bzw. das Abenteuer der Entdeckung im Film nachvollziehen.

Blick auf die Villa Méditerrannée, Foto: Petra Kammann

Über die wechselhaft abenteuerliche Geschichte von Marseille ließe sich mühelos ein Buch oder gar mehrere schreiben. Bekannter als diese Prähistorie ist im Bewusstsein vieler jedoch, dass die Stadt im 6. Jahrhundert v. Chr. aus der griechischen Siedlung Massilia hervorging. (Griechen und Kelten gründeten gemeinsam die Siedlung „Massalia“ – aus „Mas“- provenzalisch Haus / Siedlung und „salia“ Keltenstamm der damals dort ansässigen Salier). Im Verlauf ihrer Geschichte wurde die attraktive Hafenstadt Marseille immer wieder von Machtbestrebungen anderer Völker attackiert und – oft genug durch feindlich-kriegerische Angriffe teilweise auch zerstört. Dann wiederum wurde die Bevölkerung einer zeitweilig stabilen Stadtbevölkerung durch die Pest dezimiert und geschwächt.

Nicht zuletzt hatten die Deutschen 1943 große Teile des Hafenviertels, in dem sich Juden und Widerständler versteckt hielten, dem Erdboden gleichgemacht (übrigens durchaus mit Zustimmung der Vichy-Regierung). Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg dann wurden auf der zerstörten Fläche in Windeseile moderne Apartmenthäuser errichtet. Dennoch setzte die Stadt Marseille nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg sehr bald schon ein sichtbares Zeichen der Aussöhnung mit Deutschland und ging bereits 1956 mit Hamburg die erste deutsch-französische Städtepartnerschaft überhaupt ein.

Heute ist die moderne Hafenstadt mit etwa 870.000 Einwohnern und damit nach Paris die zweitgrößte Stadt Frankreichs und trotz der hier scheinbar oder real herrschenden Kriminalität wieder attraktiv. Von der Seinemetropole aus erreicht man heute in knapp vier Stunden mit dem TGV die Stadt am Mittelmeer. Von Frankfurt aus fährt ebenfalls der Hochgeschwindigkeit TGV InOUI in knapp acht Stunden direkt den Marseiller Hauptbahnhof Gare St. Charles an.

Gelungene Verbindung zur Geschichte, von MUCEM und Fort St. Jean, Foto: Petra Kammann

Marseille ist das Tor zur Welt, Marseille ist die Schwelle der Völker. Marseille ist Okzident und Orient“, beschrieb schon 1925 der Schriftsteller Joseph Roth sehr treffend den Melting Pot.  Die Tradition der benachbarten nordafrikanischen und multinationalen Einwanderer ist bis heute ungebrochen. Und so urvital und resilient, wie die Stadt seit Jahrhunderten ist, hat sie sich bis ins 21. Jahrhundert hinein immer wieder neu erfunden und auch Denkmäler gesetzt, wie zuletzt auf der alten Mole J4 mit dem Museum MuCEM, das nun die herrlichsten Ausblicke aufs Mittelmeer bietet, gerahmt von der Struktur seiner Außenhaut, durch die man auf einen anderen Erdteil zu blicken scheint. Das Fort Saint-Jean steht an der Stelle der ersten griechischen Siedlung aus dem sechsten Jahrhundert vor Christus und wurde ab dem 12. Jahrhundert erbaut. Die Attraktion ist seit 10 Jahren, als das mit ihm verbundene Museum eröffnet wurde, ungebrochen.

Vom MuCEM aus immer wieder neue Blicke aufs Mittelmeer, Foto: Petra Kammann

Denn dieses nationale Museum mit seinen Dauer- und Wechselausstellungen über die Zivilisationen Europas und des Mittelmeers ermöglicht einen Zugang zu beiden Sehenswürdigkeiten: zum architektonischen J4-Gebäude wie auch zur Festung Fort Saint-Jean aus dem Jahre 1660 am Eingang zum Hafen von Marseille, einem der wichtigsten Handelshäfen Frankreichs, wo einst  die großen Galeeren und Frachter ausliefen, die mit den Ländern des Mittelmeerraums Handel trieben und die Güter aus den französischen Kolonien nach Frankreich mitbrachten. Mit dem Fokus auf den Zivilisationen des Mittelmeerraums werden im MuCEM daher die verschiedenen Völker zwischen Portugal und Syrien, zwischen Triest und Tunis bis in unsere Tage und über die verschiedenen Ozeane hinweg in Themen wie Archäologie und Kultur, Religion, Politik, Wissenschaft und Kunst eingebettet und auf insgesamt 3.600 m2 Ausstellungsfläche dargestellt.

Der Museums-Neubau des MuCEM, Foto: Petra Kammann

So wird dort ein Mix aus Göttern und Religionen bis hin zur Entwicklung der Demokratie präsentiert, gegenübergestellt und reflektiert. Dieses faszinierende Museum MuCEM, ein exakt quadratischer Komplex, wurde als Neubau von dem algerisch-italienisch-französischen Architekten Rudy Ricciotti ersonnen und in einer bemerkenswerten Museumsarchitektur aus „Stein, Wasser und Wind“ realisiert. Dabei ist der 72m lange Kubus mit großen Glasfenstern von einem filigranen Netz aus bruch- und risssicherem Faserbeton, einer transparenten Schutzschicht,  umhüllt, die bei Sonnenschein Schattenspiele und dekorative Muster auf den jeweils dahinter liegenden Gang oder Boden wirft.

Das Muster der Außenhaut gewährt besondere Blicke auf das weite Mittelmeer, Foto: Petra Kammann 

Außerdem ist dem musealen Gesamtkomplex eine phantastische Verzahnung mit der Geschichte gelungen, weil sich die gesamte Anlage über zwei Standorte erstreckt und diese miteinander geschickt verschränkt, über das Fort Saint-Jean und die Mole J4. Eine 130 m lange überragende Fußgängerbrücke verbindet die Festung mit dem zeitgenössischen Museum. Auf der anderen Seite des Hafenbeckens ermöglicht eine weitere Fußgängerbrücke den direkten Zugang zum Fort von der Esplanade aus.

Der idyllische „Jardin des Migrations“, ein Garten mit typisch mediterranen und teils exotischen Pflanzen, der die Festung umgibt, übt beim Durchqueren einen zusätzlichen Reiz aus. Auf dem Geh- bzw. Verbindungsweg stößt man auf emblematische mittelmeerische Gewächse wie weiße und grüne Eichen, Orangenbäume, Myrten, Safran und Kräutern wie Rosmarin, Thymian und Salbei usw. Sie verströmen einen entsprechenden Duft und wirken beim Flanieren und Schauen zwischen den alten und neuen Mauern entspannend, zumal man sich in freier Natur bewegt und dabei auch von Wind und Sonne begleitet wird.

Auch ein mediterraner Kräutergarten ist angelegt, Foto: Petra Kammann

Daneben fungiert die trutzige Festung Saint-Jean am Eingang zum Hafen von Marseille heute als herrlicher Aussichtspunkt in verschiedene Richtungen: auf Zivilisationen und Zeitebenen. Wurde zur Zeit Ludwig XIV. von der Festung Saint-Jean aus jedes Schiff, welches in Marseille einlief, wahrgenommen, so mutierte es während der Französischen Revolution zum Gefängnis für französische Herzöge und so manchen Jakobiner. Im 19. und 20. Jahrhundert wiederum wurde es dann zur letzten Station für das französische Militär auf dem Weg nach Afrika, während es im Zweiten Weltkrieg von deutschen Truppen als Munitionslager verwendet wurde, wodurch nach einer Explosion schwere Schäden entstanden, deren Narben trotz der späteren Renovierung  in den 1960er Jahren noch immer sichtbar sind. So trägt das heutige MuCEM zu einer weiteren Tiefenschicht an historisch prominenter Stelle bei, nämlich an einem Pier, der zu früher „J4“ genannt wurde und der die Einfahrt zum Hafen von Marseille bis heute markiert.

Besuch der „Wohnmaschine“ Cité Radieuse

Blick auf die Cité Radieuse von Le Corbusier im Parc Borély, Foto: Lamy OMTCM

Weiter im Süden der Stadt inmitten des Parc Borély am Boulevard Michelet liegt das imposante Gebäude der Cité Radieuse des Schweizer Avantgarde-Architekten Le Corbusier (1887–1965) – eine 138 Meter lange, 25 Meter breite und 56 Meter hohe, 18-stöckige vertikale Stadt, die an einen transatlantischen Luxusliner erinnert. Diese „Wohnmaschine“, wie der Architekt selbst das Gebäude aus Sichtbeton genannt hat, thront über einem freien Erdgeschoss auf mächtigen Betonstützen.

Gleich hinter dem Eingang  befinden sich die Aufgänge und Fahrstühle. Markiert mit farblich klaren Akzenten transportieren sie einen in eine kleine „utopische Stadt“. So etwas muss zur Zeit der Entstehung dieses urbanen Gebäudes zwischen 1947 und 1952 ultramodern gewirkt haben. Etliche empfanden damals dieses Wohnhochhaus als Bauwerk eines „Durchgeknallten“. Heute beherbergt diese Cité 1600 Bewohner, eine Schule, ein Schwimmbad, ein paar Hotelzimmer und sowohl Geschäfte wie auch ein Zentrum für zeitgenössische Kunst und gilt als angesagt.

Der Eingangsbereich als Verteiler, Foto: Petra Kammann

Die Wohnungen, ursprünglich als Mietwohnungen geplant, sind nach insgesamt 23 verschiedenen Grundtypen gestaltet und heute weitestgehend in Eigentumswohnungen umgewandelt. Jede Wohnung läuft von einer Fassade zur nächsten und von Ost nach West, so dass alle Wohneinheiten optimal belüftet werden können und vor allem lichtdurchflutet sind. Zur Zeit der Entstehung für größere Wohnanlagen durchaus keine Selbstverständlichkeit. Außerdem waren die Wohnungen komfortabel mit Zentralheizungen und fließendem warmen Wasser ausgestattet, dazu mit einem Extra-Bad für Kinder, zwei nebeneinander liegenden Kinderzimmern und zahlreichen eingebauten Wandschränken, was seinerzeit ebenfalls einen ungeheuren Komfort darstellte.

Die Cité Radieuse war also zu Beginn der 1950er Jahre in vielfacher Hinsicht innovativ: nicht nur wegen der gewaltigen Größe und der verwendeten Materialien, sondern auch wegen des äußeren Eindrucks eines Schiffes. Völlig neuartig war eben auch die innere Organisation des Gebäudes als Versuch eines neuen „Wohnsystems“, das wie ein Hochseedampfer organisiert war, auf dem in den einzelnen Stockwerken unterschiedliche Funktionen untergebracht sind. Eine im Gebäude befindliche Straße bot dazu Geschäfte, kleine Praxen etwa für Physiotherapie, ein Hotel und Restaurant soll bis heute Nutzung auch zur kollektiven Nutzung des Gebäudes anregen.

Diese erste von 1947 bis 1952 verwirklichte „vertikale Stadt“ des TypUnité d’Habitation ist heute als Vorläufer der Plattenbauten anzusehen, die auch in den Folgejahren etliche Diskussionen auslösten. Den Kern der Idee dazu hatte Le Corbusier allerdings schon mit seinem Pavillon de l’Esprit Nouveau, den er 1925 in Paris vorgestellt hatte. Bereits in seinem damaligen Gebäudeentwurf sah er eine ideale Lösung für künftige Wohnanlagen, die man an verschiedenen Orten würde verwirklichen können, so wie es später auch in Berlin und Nantes zum Beispiel dann auch geschah.

Blick in eine Musterwohnung mit Prouvé-Treppe. Foto: Petra Kammann

Le Corbusiers Ziel war es damals, wegen der, mit dieser Bauweise verbundenen standardisierten Serienproduktion, ein hohes Maß an Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Solche Projekte eigneten sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem dann auch dazu, den Wohnungsmangel zu lindern.

Die Appartements waren als doppelstöckige Maisonette-Wohnungen angelegt und jeweils in Nord-Süd-Richtung verschränkt. In der einen Hälfte der Wohnungen geht eine Treppe nach oben in die Schlafräume, in den anderen führt sie nach unten ins Wohnzimmer. Während die Wohnzimmerfenster der einen Seite der Wohnungen auf die Hügelseite ausgerichtet waren, wurden die Wohnungen mit herabgehenden Wohnzimmern durch den Blick aufs Mittelmeer entschädigt. So können die Bewohner die Morgen- und Abendsonne nutzen.

Isabelle Durant erläutert die Einbauküche, Foto: Petra Kammann

Auch was das Innendesign der Wohnungen betrifft, so war das sehr effizient gestaltet, z.B. mit einer breiten Schwelle zur Terrasse hin, was als Sitzplatz genutzt werden kann oder auch mit durchgehenden Fensterbänken, die als Ablage dienen. Und die Küche war ausgesprochen praktisch angelegt. In den für sie vorgesehenen entsprechenden Einbauten finden Kochtöpfe hängend ihren Platz. Und die Speisen können unmittelbar von der Küchenzeile aus ins Esszimmer durchgereicht werden. Die offene Kochzeile bezieht außerdem die Hausfrau ins das Geschehen außerhalb der Küche ein. Eine Parallelität zur sogenannten Frankfurter Küche der späten 1920er Jahre lässt sich hier durchaus erkennen.

Blick in die Ladenstraße der Cité Radieuse, Foto: Petra Kammann

Alle Maße der Unité d’Habitation von Marseille waren nach dem von Le Corbusier entwickelten Maßsystem „Modulor“ bestimmt worden, das auf dem Goldenen Schnitt basiert und natürliche, beim Menschen auftretende Maßrelationen (1,90m ) berücksichtigt wie die Deckenhöhe. Der Modulor stellte den Versuch dar, der Architektur eine am Maß des Menschen orientierte mathematische Ordnung zu geben.

Die Effizienz wie auch die weite Verbreitung dieser Grundeinsicht sollte einer breiten Bevölkerungsschicht einen erhöhten Wohnkomfort ermöglichen. Eine Idee, die durchaus an „das Neue Frankfurt“ zwischen 1925 bis 1930 des Frankfurter Städteplaners Ernst May (1886 – 1970) erinnert oder an die, unter der künstlerischen Leitung von Ludwig Mies van der Rohe (1886 -1969) entstandenen Stuttgarter WeißenhofsiedlungSeit 2016 gehören übrigens sowohl das Doppelhaus wie auch das Einfamilienhaus von Le Corbusier in der Weißenhofsiedlung zum Welterbe der UNESCO, natürlich die Cité Radieuse ebenfalls.

Der Modulor, eingemeißelt in die Fassade als Maß aller Dinge, Foto: Petra Kammann 

Indem Le Corbusier verschiedene Einrichtungen des täglichen Bedarfs in die Wohnsituation integrierte, versuchte er, den menschlichen Anforderungen und Bedürfnissen gerecht zu werden. Er stapelte also nicht einfach nur das Wohnen in verschiedene Etagen , sondern integrierte auch andere Funktionen der herkömmlichen Stadt in seinem Leitbild der „vertikalen Stadt“, so erfand er eine interne Ladenstraße, einen Buchladen, einen Kindergarten, eine Bäckerei für die 337 Apartments, die er mit den vorher berechneten Modulen nach einem strikten Raster schuf. Zu den Gemeinschaftseinrichtungen zählt in der siebten und achten Etage nicht zuletzt eine Wäscherei.

Frei zugängig ist heute das Dach, das in der Form an das Deck eines Hochseeschiffs erinnert. 

Auf der begehbaren Dachlandschaft wurden ein Kindergarten, eine eigene Grundschule, ein Freilufttheater und eine Sporthalle angesiedelt. Auf dem Umlauf in frischer Luft konnte man damals schon unbekümmert joggen. Auch wurden die Spiele und Betätigungen der Kinder bedacht, wovon das Planschbecken, die Spielbereiche und eine Bühne für Aufführungen zeugen. In der obersten Etage befindet sich sich das gewölbte „Gymnase“, eine riesige Turnhalle, die seit 2013 ein Zentrum für zeitgenössische Kunst (MaMo) beherbergt.

Das „Gymnase“ auf der begehbaren Dachlandschaft, Foto: Petra Kammann

So entstand auch nach der Renovierung inmitten der Großstadt Marseille aus der Wohneinheit wieder ein eigenes autarkes „Dorf“, dessen Bewohner heute die Abende auf der Dachterrasse genießen können. Natürlich treffen sich heute hier vorzugsweise diejenigen, die auf Französisch Bobos (Abkürzung für: bourgeois und bohémien) genannt werden, also die urbanen wohlhabenden Genießer der Großstädte, die zwar ökologisch wählen, sich für das Gute engagieren, vor allem aber bürgerlich leben.

Blick ins das Restaurant „Au ventre de l’architecte“ , Foto: Petra Kammann

Inzwischen bietet unter dem beziehungsreichen Titel „Le ventre de l’architecte“ (Peter Greenaway lässt grüßen) ein über zwei Etagen gehendes Restaurant mit etwa 30 Plätzen kulinarische, stets frisch angerichtete Köstlichkeiten an. Und das mit großem Erfolg. Das Restuarant ist en vogue mit den zusammengetragenen Vintage-Möbeln der Designer Charlotte Perriand und Jean Prouvé sowie mit den Lampen von Laroche aus den 1950er Jahren. Hier sind nicht nur die Wohnungseigentümer der Anlage und deren Besucher willkommen, sondern auch an der utopischen Wohnanlage Interessierte. Zum Restaurant gehören außerdem ein paar Hotelzimmer, in denen man das gute Leben der dort vor allem ständig lebenden Wohnungseigentümer nachvollziehen kann. Andere wiederum nutzen inzwischen diesen angenehmen Ort mit bester Aussicht auch für kleine Seminare oder für geschäftlich intime Besprechungen, weil sie sich hier ungestört und frei bewegen können..

Täglich frisch und natürlich wird hier das Essen zubereitet, Foto: Petra Kammann

Die Dachterrasse auf der obersten Etage mit dem 360 Grad-Blick ist heute ebenfalls frei zugänglich. Hier eröffnete 2013 zum Kulturhauptstadtjahr der in Marseille geborene Designer Ora-ïto sein Kulturzentrum MaMo (Marseille Modulor). Bislang haben dort verschiedene so bekannte Künstler wie Xavier Veilhan, Daniel Buren, Dan Graham oder Felice Varini auf den großflächigen und fast skulpturalen Plattform besondere Akzente gesetzt, um die Idee der sich dahinter verbergenden Architektur sichtbar zu machen und damit den direkten Dialog mit dem bis heute anhaltenden Charisma der Cité Radieuse aufzunehmen.

Nur allzu gern würde man dort ein paar Tage verbringen, um ein angemessenes Gefühl für das Leben in der Wohnmaschine auch im Alltag mitzubekommen und darüber ein abschließendes Urteil zu fällen, ob es tatsächlich eine lebbare architektonische Utopie ist.

Besuch der Cité radieuse

Adresse:
280 Boulevard Michelet, 13008 Marseille

Anfahrt:
Bus-Linien 21,22, 521, 22S ab Gare Saint-Charles bis zur Haltestelle „Le Corbusier“ (verkehren im 6 Minutentakt, Fahrtzeit ca. 20 Minuten)

Und ein Abstecher ins MAC- Musee d’Art Contemporain…

Außenansicht des MAC (Musée d‘Art Contemporain Marseille)

Hätte man ein paar Tage Zeit für die Erkundung der quirligen Hafenstadt Marseille, so lohnte sich für die Liebhaber zeitgenössischer Kunst durchaus auch ein Abstecher ins frisch renovierte MAC (Musee d’Art Contemporain), das zwar in der Nähe der Cité radieuse, aber trotzdem etwas abseits liegt und daher nicht so leicht zu erreichen ist. Die Räumlichkeiten aus den 1990er Jahren mit den separaten Beton-Pavillons mit Spitzdach und Oberlicht sind schlicht und funktional, rücken aber die dort ausgestellten zeitgenössischen Werke von durchaus international nicht ganz unbekannten Künstlern wie u.a. von Jean-Michel Basquiat, Daniel Buren, Yves Klein, Niki de Saint-Phalle, Annette Messager oder Christo –  in ein entsprechendes Licht.

Rampe seitlich des Hauptgebäudes, Foto: Petra Kammann

Zwar ist das Museum nicht vergleichbar mit den Museen in anderen europäischen Großstädten, aber es ist auf besondere Weise in die Natur eingebunden. Kinder können sich hier auch durchaus frei bewegen, wenngleich es insgesamt an der nötigen Kommunikation fehlt, was die Kunst selbst betrifft. Aber ein Atout des Hauses bleibt: Über eine seitliche Rampe neben dem Haupteingang gelangt man auf eine Art Hochplateau oder Deck, in eine Art Urwald, auf dem auch so manches Fest stattzufinden scheint …

Musée d‘Art Contemporain Marseille. 69 Avenue de Haïfa FR-13008 Marseille

Zurück zum Alten Hafen

L’ombrière von Norman Forster – verkehrte Welt im Spiegel, Foto: Petra Kammann

Zurück zum Vieux Port. Da wird zwar gerade gebaut, umgebaut und gewerkelt, damit die Stadt die anstehenden großen Sportereignisse wie die Segel-Regatten während der nächsten Olympiade wahrnehmen und bewältigen kann und der überall sich gegenseitig blockierende Verkehr von Autos, Fußgängern, Fahrrädern und Motorrollern auch in Zukunft wieder fließt. Trotz des derzeitigen Chaos tobt hier wie eh und je aber das pralle Leben. Verstärkt wird die Lebendigkeit am alten Hafen vor allem am Abend, wenn man eines der vielen Straßencafés oder Restaurants besucht hat und auf dem Heimweg in den offenen Spiegel-Pavillon „L’ombrière“ von Norman Foster tritt. Da steht die Welt förmlich auf dem Kopf, man schaut verblüfft auf einen neuen, sich auftuenden virtuellen Raum und entdeckt dabei sich selbst als Punkt an der oben liegenden Spiegelfläche.

Blick auf den Vieux Port vor Tag und Tau, Foto: Petra Kammann

Wie gut, dass mein Hotel, ästhetisch mit Corbusier-Elementen ausgestattet, nicht so weit entfernt ist und ich nach einem strapaziösen Tag noch einmal in aller Ruhe beim Blick aus dem Fenster die Kulisse von Marseille auf Notre-Dame-de la Garde ruhig auf mich wirken lassen und genießen kann:

Ein Hotel-Tipp:

Résidence du Vieux Port
18 Quai du Port,
13002 Marseille

https://www.hotel-residence-marseille.com/www.hotel-residence.com

Restaurant-Tipps:

Au Ventre de l’architecte 
Restaurant in der Cité radieuse
280 Boulevard Michelet
13008 Marseille

https://www.marseille-tourisme.com/decouvrez-marseille/culture-et-patrimoine/sites-et-monuments/cite-radieuse-le-corbusier/

Les Arcenaulx
Restaurant in der Nähe des Alten Hafens
25 Cours Honoré d’Estienne d’Orves
13001 Marseille
www.les-arcenaulx.com

Vorteile des City Pass Marseille im Überblick:

Sehr günstig kann man sich in Marseille bewegen mit dem City-Pass (z.B. 24 Stunden: 22€)

Freier Eintritt zu den Museen von Marseilles
Bootsfahrt zum Château d’If oder oder zu den Frioul-Inseln
Zugfahrt zur Notre-Dame de la Garde oder der Altstadt (le Panier)
Verkostungen und Rabatte in ausgewiesenen Geschäften
Freie Fahrt mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln von Marseille

 

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