Ausstellung „Volker Schlöndorff. Von Wiesbaden in die Welt“
„Biebrich war mein Schicksal.“ Was für ein Lebenswerk!
von Renate Feyerbacher
Aus Paris war er angereist, um bei der Pressekonferenz in der Wiesbadener Caligari FilmBühne zur Ausstellungserföffnung und der Sammlungsübernahme im Kunstverein Bellevue-Saal dabei zu sein.
Ausstellungsplakatplakat, Foto: Renate Feyerbacher
Nach den Lobesreden von Axel Imholz, scheidender Stadtkämmerer und Kulturdezernent der hessischen Landeshauptstadt, von Ellen Harrington, Direktorin des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum Frankfurt, von Karin Wolff, Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung, und Hans-Peter Reichmann, Initiator, Kurator der Ausstellung mit faktischen Informationen, erzählte Volker Schlöndorff lebendig, sehr persönlich, ohne Promigehabe von sich, seiner Arbeit, seinen Filmen, seinen Begegnungen.
Der heute 84-jährige Volker Schlöndorff, in Wiesbaden geboren, wohnte mit den Eltern in der Nähe von Schloss Biebrich, dem heutigen Sitz der Filmbewertungstelle, die 1951 gegründet wurde. Die Mutter starb bei einem Küchenbrand, als er 5 Jahre alt war: Der Vater, ein Hals-Nasen-Ohrenarzt, versuchte immer wieder, ihn von seinem Wunsch, sich mit Film zu beschäftigen, abzubringen. Volker Schlöndorffs Brüder wurden Mediziner.
Vater und Söhne zogen 1944 ins ‚Wochenendhaus’ nach Schlangenbad, das die Eltern errichtet hatten. Besuch der Diltheyschule in Wiesbaden, die 1955 in Gutenbergschule umbenannt wurde und Französisch als Schulfach anbot. Schlöndorff erzählt, dass er nach dem Krieg dem Mief in Wiesbaden entfliehen wollte, weil ihn das erdrückte. Anregungen oder gar Ideen wurden ihm in seiner Heimatstadt damals nicht vermittelt. Aber er war aktiv und pfiffig, schlich sich in den Vorführraum des Kinos ins Biebricher Schloss, grub im Schlangenbadener Wald Kriegsmunition aus und verkaufte sie amerikanischen Soldaten.
Durch einen Schüleraustausch kam er 1956 ins jesuitische Internat nach Frankreich, wo er durch Pater Arnaud de Solages gefördert wurde. Mit dem Pater, der einer altfranzösischen Adelsfamilie entstammte, Widerstandskämpfer gegen die Nazis war, sich aber nach dem Krieg für die Versöhnung einsetzte, war Schlöndorff ein Leben lang befreundet. Sein Abitur – das Baccalauréat – machte er in Paris an der Eliteschule Lycée Henri IV. und besuchte danach das Institut des Hautes Etudes Cinématographiques, wo er den Regisseur Louis Malle kennenlernte. Regelmäßig war er in der Cinémathèque française, wo er Zwischentitel deutscher Stummfilme übersetzte.
1964 kehrte er nach Deutschland zurück. Ein Jahr später begann er mit den Dreharbeiten seines ersten Spielfilms: „Der junge Törless“ (Originaltitel: „Les Désarrois de l’élève Törless“). An der Produktion waren Franz Xaver Seitz junior (1921-2006) – auch Produzent „Der Blechtrommel“ – sowie Louis Malle beteiligt. Die Musik dazu schrieb der Komponist Hans Werner Henze. Vorlage war Robert Musils Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“. Mit Herbert Asmodi schrieb der Regisseur das Drehbuch, das, wie die Regie in Cannes und auf weiteren Filmfestivals ausgezeichnet wurden. Darin geht es um Mobbing in der Schule und um die Schuld des Mitwissers. Was heute in Social Media abläuft, hält Schlöndorff allerdings für schlimmer.
Volker Schlöndorff im Ohrensessel, der in der Ausstellung steht, Foto: Renate Feyerbacher
Immer wieder widmet er sich Verfilmungen von Literatur: Heinrich von Kleist „Michael Kohlhaas – Der Rebell“ -1969, Bertolt Brechts Bühnenstück „Baal“ mit Rainer Werner Fassbinder, Hanna Schygulla und Margarethe von Trotta, die zunächst Schauspielerin in seinen Filmen, ab 1971 seine Frau wurde. Erste gemeinsame Regie führten sie bei dem Film „Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ (1975).
Die Handlung basiert auf der gleichnamigen Erzählung des Nobelpreisträgers Heinrich Böll (1917-1985) Im Film spielte die großartige Angela Winkler die Hauptrolle. Er beteiligte sich auch am Drehbuch. Böll verstand dessen Erzählung im Zusammenhang mit dem Terrorismus der Roten Armee Fraktion (RAF)als Pamphlet gegen den Sensationsjournalismus. „Die Gewalt von Worten kann manchmal schlimmer sein als die von Ohrfeigen und Pistolen“, hatte Böll 1974 in einem Gespräch gesagt.
Das politische Klima in der Bundesrepublik war in den 1970er Jahren mehr als angespannt. Linksorientierte, vor allem kritische Künstler wurden schnell als Sympathisanten der RAF verdächtigt, so Heinrich Böll wie auch das Ehepaar Schlöndorff-Trotta, welche die Filme ‚Die verlorene Ehre der Katharina Blum‘, ‚Deutschland im Herbst‘ oder ‚Die bleierne Zeit‘ gedreht hatten, deren Thema Terrorismus, Radikalisierung und Gewalt der Protestgeneration waren. (s. Dokumentation 2018 in der ARD :„Sympathisanten – Unser deutscher Herbst“ von Historiker und Regisseur Felix Moeller, dem Sohn Margarethe von Trottas, dessen Stiefvater Volker Schlöndorff war)
Volker Schlöndorff vor der großen Filmplakatwand, Foto: Renate Feyerbacher
Nobelpreisträger Günter Grass (1927-2015) hatte 1959 den ersten Teil der Danziger Trilogie, den Roman „Die Blechtrommel“, vorgelegt. Der meist gelesene Roman der Nachkriegszeit diente als Vorlage für den deutsch-französischen Film „Die Blechtrommel“. Das Drehbuch verfassten der Schriftsteller Jean-Claude Carrière (1931-2021), der 2015 den Ehrenoscar erhielt, und Franz Xaver Seitz junior. Grandios war die schauspielerische Besetzung unter anderem mit David Bennent, Mario Adorf, Angela Winkler und Katharina Thalbach.
Der Film wurde mit Preisen überschüttet und gewann als erster deutscher Film die „Goldene Palme“ in Cannes (1979) und ein Jahr später den „Oscar“ in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film. Diese Auszeichnung für einen deutschen Film hatte es in Hollywood zuletzt 1927 gegeben. Zusammen mit Produzent Eberhard Junkersdorf war er in Hollywood und hatte die Produktionsfirma Bioskop gegründet.
Volker Schlöndorff und Eberhard Junkersdorf 1980 mit der Oscar-Trophäe in Hollywood, Foto:DFF
1983 /1984 folgte die Verfilmung des ersten Bandes „Eine Liebe von Swann“ aus dem Jahrhundertroman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ des französischen Schriftstellers Marcel Proust (1871-1922) mit internationaler Starbesetzung wie Jeremy Irons, Ornella Muti, Alain Delon und Fanny Ardant.
Und dann zog 1985 es den Hessen nach New York – immer Hollywood im Auge. Dort drehte er mit Dustin Hoffman, John Malkovich und Kate Reid den Fernsehbeitrag „Death of a Salesman“ („Tod eines Handlungsreisenden“ ) nach dem Drama des amerikanischen Schriftstellers, Drehbuchautors und Pulitzerpreisträger) Arthur Miller (1921-2005). Die Schauspieler erhielten bedeutende Auszeichnungen.
Hervorzuheben sind seine späteren Literaturverfilmungen von „The Hanmade’s Tale“ („Die Geschichte der Dienerin“) nach dem Roman „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood (1989 /1990) oder auch Max Frischs „Homo Faber“ (1990/1991). Dieser Film kam März 1991 ins deutsche Kino. Die Kritiken waren sehr verhalten. Frisch starb wenige Tage später in Zürich. Noch einmal widmete sich Volker Schlöndorff dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch und realisierte die autobiografisch geprägte Erzählung „Montauk“ (1975), unter dem Titel „Rückkehr nach Montauk“ mit Nina Hoss und Stellan Skarsgard.
Immer war und ist Volker Schlöndorff aber auch am politisch-gesellschaftlichen Leben interessiert. So beginnt er, nun mit 82 Jahren, seinen ersten Dokumentarfilm n Afrika zu drehen. Dabei hatte er bislang mit Bäumen nichts am Hut. Er sei kein Aktivist und habe auch keinen Dokumentarfilm drehen wollen.
Per Zufall hatte er in Berlin – im Hinterzimmer eines italienischen Restaurants – den Vortrag des australischen Agrarwissenschaftlers Tony Rinaudo vernommen, der gerade aus Stockholm zurückkehrt war, wo er 2018 den Alternativen Nobelpreis erhalten hatte. Dieser sprach davon, dass die Wurzeln von gefällten Bäumen unter der Erde jahrzehntelang lebendig bleiben und aus den Wurzeln Sprösslinge hochgezogen werden können. In den trockenen Gebieten ist es so gut wie unmöglich, Bäume zu pflanzen. Rinaudo hatte es in Niger versucht und war gescheitert. Schlöndorff wollte nun von ihm wissen, wie seine Idee unterstützt und publik gemacht werden könnte. Rinaudo: durch einen Film. Sechs Wochen später war Schlöndorff mit dem Agrarwissenschaftler in Mali.Da er die afrikanischen Frauen als treibende Kraft für Veränderung sieht, sind sie im Film auch stark vertreten.
Ehren-Lola 12.Mai 2023, Foto: Renate Feyerbacher
Über 30 Filme hat Volker Schlöndorff gedreht, dazu kommen Filmgespräche, Beteiligungen an Gruppenfilmen, Co-Regie, Opern- und Theaterinszenierungen, fünf Jahre lang war er Geschäftsführer der Studio Babelsberg, Lehraufträge und er schrieb 2008 seine Autobiografie. Die Liste der Ehrungen ist ellenlang. Am 12.Mai 2023 wurde ihm die Ehren-Lola der Deutschen Filmakademie überreicht.
Alles hatte für ihn bereits als Schüler in Frankreich begonnen. Mit 28 Jahren wurde er zum Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres ernannt, 2016 erhielt er den französischen Filmpreis für sein Gesamtwerk. Bis heute ist seine französische Bindung eng und prägend.
Hans-Peter Reichmann mit Volker Schlöndorff in der Wiesbadener Ausstellung, Renate Feyerbacher
1992 kam der erste Wagen mit Volker Schlöndorffs Vorlass im Deutschen Filminstitut& Filmmuseum (DFF) in Frankfurt an und es folgte immer mehr. 2014 wurde die Sammlung Schlöndorff multimedial präsentiert (schloendorff.dff.film). Verwaltet, gehütet, gepflegt wird alles von Filmhistoriker Hans-Peter Reichmann, der 1979 ins DFF kam. Er ist die Archivseele des Filminstituts. Aus den Vorlass-Beständen hat er die Ausstellung kuratiert mit Briefen, die den Austausch mit internationalen Grössen der Film-, Literatur- und Theatergeschichte dokumentieren, mit Skripten, mit Requisiten, mit Fotografien und aussagekräftigen Notizen.
Zu sehen ist ein Zusammenschnitt aus den wichtigsten Filmen in der Videoinstallation des DFF. Reichmann hatte mit dem Regisseur wichtige Stationen seiner Jugend aufgesucht. Daraus war eine Videoinstallation entstanden: „Biebrich war mein Schicksal.“ Es reiche nicht aus, Filme nur abzuspielen. Die Film-Vorstellung müsse zu einem Ereignis werden, indem diskutiert werde mit Regisseuren, Schauspielerinnen, Schauspielern und Produzenten. So könne das Publikum auch ins Kino gelockt werden.
Die Ausstellung im Kunstverein Bellevue-Saal Wilhelmstraße 32 in Wiesbaden kann bis zum 18. Juni besucht werden und ist außer montags täglich geöffnet. Parallel dazu gibt es vom Regisseur ausgewählte, für ihn wichtige Filme gepaart mit eigenen Produktionen.
Schlöndorff-Filme sind zu sehen:
in Wiesbaden
Caligari FilmBühne
3.06. „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“
15.06. Werkstattgespräch mit Volker Schlöndorff und Film „Die Fälschung“ (1981)
28.06. „Die Blechtrommel“ (1979)
12.07. „Die Stille nach dem Schuss“ (2000)
23.07. „Rückkehr nach Montauk“ (2016 /2017)
Murnau- Filmtheater
15.07 und 16.07. „Der Waldmacher“ (2021)
in Frankfurt
Kino des DFF
29.06. „Nur zum Spass- nur zum Spiel. Kaleidoskop Valeska Gert“ (1977)
in Weiterstadt
Kommunales Kino
07.06. „Die Blechtrommel“
Zur Ausstellung ist der Katalog „“Volker Schlöndorff – Von Wiesbaden in die Welt“ mit vielfältigem Bildmaterial erschienen – kuratiert von Hans-Peter Reichmann.