„Inflation 1923 – Krieg, Geld, Trauma“ im Historischen Museum Frankfurt
Die Hyper-Geldentwertung und das „Wunder“ der Rentenmark
Von Hans-Bernd Heier
Erstmals in Deutschland nimmt eine Sonderausstellung das Schreckensjahr der Hyperinflation in den Blick. Die spannende Präsentation „Inflation 1923 – Krieg, Geld, Trauma“ im Historischen Museum Frankfurt ergründet die Begleiterscheinungen und die vielfältigen Folgen der großen Geldentwertung von 1914 bis 1923 im Deutschen Reich und stellt die Frage nach dem Zusammenhang von Krieg und Inflation – ein Thema mit hochaktuellen Bezügen. Die konkreten, leidvollen Inflationserfahrungen der Menschen in jener Zeit werden am Beispiel der Stadt Frankfurt skizziert und anhand von künstlerischen und literarischen Zeugnissen anschaulich ergänzt.
„Inflationskleid“ aus Inflationsgeld, um 1923, Foto: Museen der Stadt Hanau, Schloss Philippsruhe, Kai Jakob
Den Kuratoren war es dabei wichtig, die Zusammenhänge und den Kontext dieser historischen Geldentwertung aufzuzeigen. So fehlen in der Ausstellung weder die Vorgeschichte der gewaltigen Staatsverschuldung während des Ersten Weltkriegs noch das, was danach passierte, etwa der Aufstieg Hitlers oder die Entwicklung der deutschen Währung nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Währungsreformen von 1948, 1990 und 2001. Ebenso thematisiert die umfangreiche Schau, in der rund 1.200 Exponate – darunter viele Banknoten, Münzen sowie Notgeld von Städten und Unternehmen – zu bestaunen sind, was eine Inflation überhaupt ist, wer und was diese auslöst.
Inflationen hat es in der Geldgeschichte immer wieder gegeben. Eine Inflation ist ein ökonomisches Phänomen, das mit steigenden Preisen das Sinken der Kaufkraft des Geldes anzeigt. Inflationen im heutigen Sinn wurden in historischer Zeit als „Teuerung“ erfahren. Teuerungen hatten verschiedene Ursachen. Zumeist bewirkten naturbedingte Phänomene, wie Missernten, Dürren, Überflutungen oder kriegsbedingte Katastrophen Geldentwertungen mit erheblichen Unterschieden in Höhe und Tempo – von schleichend über trabend (bis 50 Prozent Entwertung im Jahr) über galoppierend (mehr als 50 Prozent pro Jahr) bis hin zur Hyperinflation 1923 (mit mehr als 50 Prozent im Monat). „Das war dann die völlig absurde Phase, in der niemand mehr Geld annehmen wollte, weil es schon am nächsten Tag kaum noch etwas wert“, so Kurator Frank Berger.
500 Mark-Münze aus Aluminium, 1923, Historisches Museum Frankfurt
Auch betrügerische Tricks der Herrschenden waren nicht selten Auslöser des rapiden Geldwertverfalls. So gab es schon seit der römischen Antike Teuerungen, die in der Manipulation des Münzwertes begründet waren. Dies beleuchtet die Schau in dem Kapitel „ Kurze Geschichte der Inflation“. Bekannt ist beispielsweise die sogenannte „Kipper- und Wipperinflation“ – eine Phase betrügerischer Münzentwertung in Mitteleuropa im 17. Jahrhundert. Dabei wurde der Kupfergehalt der Silbermünzen zu Lasten des Edelmetalls erhöht.
Im Zentrum der in sieben Kapiteln gegliederten Ausstellung stehen jedoch das Krisenjahr der Hyperinflation 1923, die Kriegsjahre zuvor sowie das „Wunder der Rentenmark“. Bereits 1914 hatte sich die Geldmenge durch die kriegsbedingte Finanzpolitik des Deutschen Reichs und der Reichsbank entscheidend vermehrt. Staat und Banken warben mit eindringlichen Plakaten und frühen Filmaufnahmen für Kriegsanleihen, die mit 3,5 Milliarden Mark überdurchschnittlich stark in Frankfurt am Main gezeichnet wurden, weil die Bewohner laut Kuratoren „wohlhabend und patriotisch waren“. Die Kampagne unter dem Motto „Gold gab ich für Eisen“ appellierte besonders an das vaterländische „Gewissen“ der Bürgerinnen und Bürger.
Eisenbratpfanne mit der Aufschrift „Gold gab ich für Eisen“, Frankfurt um 1916, Historisches Museum Frankfurt
Seit 1915 gab es schon erste Mangelerscheinungen, die zu Preiskontrollen und zur Einführung von Geldersatzmitteln wie Lebensmittelmarken führten. Die durch die Aufgabe der Goldwährung und die Kriegsfinanzierung ausgelöste Inflation wurde jedoch erst nach der Niederlage deutlicher spürbar, als Privatpersonen und Unternehmen ihr in Kriegsanleihen angelegtes Kapital verloren. Der Staat hatte den Ersten Weltkrieg, der schätzungsweise 153 Milliarden Mark gekostet hat, mit Anleihen und Darlehen finanziert, die er aber nie zurückzahlte. Das führte zu einem enormen Vertrauensverlust des Staats und erwies sich auch als eine schwere Hypothek für die junge Weimarer Republik.
Lebensmittelmarken der Stadt Frankfurt am Main aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, 1915, Historisches Museum Frankfurt, Foto: Horst Ziegenfusz
Die Belastungen der Friedensbedingungen und der alliierten Reparationsforderungen sowie die Versorgung von Kriegsopfern und Hinterbliebenen verschärften noch die Situation. Politische Morde und die Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Truppen infolge nicht geleisteter deutscher Reparationszahlungen führten schließlich zum völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Reichs. Mit der Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau im Juni 1922 brachen alle Dämme, und der Dollar stieg von 320 Mark auf 7.300 Mark zum Jahresende.
Zerstörte Schaufensterfront eines geplünderten Geschäfts Ende März 1919; Foto: Leonhard Kleemann, Historisches Museum Frankfurt
Wie die Schau mit eindrücklichen Fotos, Karikaturen und Berichten dokumentiert war das auch eine äußerst bewegte Zeit für Frankfurt, das 1919 an der Grenze zu den französisch besetzen Gebieten lag, zu denen auch Höchst, Nied und Griesheim gehörten. Die in den folgenden Jahren zunehmende Nahrungsmittel- und Wohnungsverknappung, der Schwarzhandel und die Plünderungen, Streiks und gewaltsamen Krawalle in der Mainmetropole – wie auch in vielen anderen Städten – prägten sich tief im kollektiven Gedächtnis der Menschen ein.
Geldtransportwagen einer Bank um 1922, Historisches Museum Frankfurt
Mit Beginn des „Ruhrkampfs“ stürzte die deutsche Währung seit Frühjahr 1923 ins Bodenlose. Wer Geld besaß, verlor alles. Einzig der Staat blieb schuldenfrei zurück. Natürlich gab es auch Inflationsgewinner. „Während die einen Hausrat und Wertgegenstände verkaufen mussten, um über die Runden zu kommen, kauften andere alles auf und legten ihr Geld wertsteigernd an – eine gigantische Vermögensumverteilung“, so Kurator Berger.
„Papiergeld! Papiergeld!“, Karikatur von Karl Arnold, „Simplicissimus“ vom 11. Juni 1923; Foto: Herzogin Anna Amalia Bibliothek
Ab Sommer 1923 durften auch die Stadt Frankfurt und die dort ansässigen Firmen eigenes Geld drucken. Denn für den Kauf von Gütern und Lebensmitteln wurde die Annahme von Geld der Reichsbank verweigert. Löhne und Gehälter konnten der Entwertung nicht folgen. Es gab weitere Krawalle und Streiks. Hunger und Elend herrschten angesichts von Waschkörben voll mit wertlosem Geld.
Reichsbanknote über 10 Billionen Mark vom1. November 1923, Historisches Museum Frankfurt
Im Herbst erreichte die Hyperinflation ihren Höhepunkt. Bevor die politische und wirtschaftliche Lage mit Massenprotesten und Ausschreitungen vollends eskalierte, bekam der Staat die Währung wieder in den Griff. Der Regierung des wirtschaftsliberalen Politikers Gustav Stresemann gelang es, mit der Einführung der „Rentenmark“ im November 1923 eine Stabilisierung der deutschen Währung zu erreichen. Das „Wunder“ der neuen Rentenmark, eingeführt mit einem Wechselkurs gegen 1 Billion Papiermark, beruhigte die Situation. Die nachhaltige Stabilisierung der Währung erfolgte durch einen rigiden Kurs von Entlassungen von Mitarbeitern und Lohnkürzungen in den Unternehmen, aber auch mit einem ausgeglichenen Staatshaushalt.
20 Mark-Geldschein der Bank Deutscher Länder nach der Währungsreform von 1948, Historisches Museum Frankfurt
Und wie ging‘s dann weiter? Der NS-Staat erhöhte ab 1933 mit verdeckten Schulden zur staatlichen Arbeitsbeschaffung und vor allem zur Rüstungsfinanzierung die Geldmenge. Daraus resultierte bis 1945 ein neuerlicher erheblicher Geldüberhang. Die Reichsmark wurde wertlos, es herrschten Schwarzmarkt und Tauschhandel, wobei sich die Zigarette als Leitwährung herausstellte. Mit einem Währungsschnitt erfolgte im Juni 1948 die Einführung der DM in den Westzonen. Jeder Bürger erhielt ein sogenanntes „Kopfgeld“ von 20 Mark.
Was trotz Wirtschaftsaufschwung und Geldwertstabilität überlebte, waren Währungsängste: 1990 beim Anschluss der ehemaligen DDR, 1999/2002 bei der Einführung des Euro und 2022 bei steigender Inflationsrate mit einem Jahresdurchschnitt von 7,9 Prozent.
Die sehenswerte Ausstellung „Inflation 1923. Krieg, Geld, Trauma“, die bis zum 10. September 2023 im Historischen Museum Frankfurt zu sehen ist, wird begleitet von einem profunden, gut bebilderten Katalog, herausgegeben von Frank Berger und Nathalie Angersbach, ISBN 978-96320-071-7, 166 Seiten, 24,95 €.
Kooperationspartner und finanzieller Unterstützer der Ausstellung ist die Bundesbank zusammen mit dem Bankhaus Metzler und der Frankfurter Sparkasse. Ein Glossar zur Sonderausstellung sowie weitere Informationen gibt es unter: https://www.historisches-museumfrankfurt.de/de/ausstellung/inflation