home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

goEast – 23. Festival des mittel- und osteuropäischen Films

Bedrückende Filme, freundschaftliches Zusammensein

Von Renate Feyerbacher

Beim 23. goEast Festival 2023 in Wiesbaden konnte nach Corona das Publikum wieder in die Caligari FilmBühne kommen. Am Eröffnungsabend am 26. April 2023 blieben dennoch viele Plätze frei. Zunächst mehrere Reden und Appelle, in denen die Solidarität mit der Ukraine beschworen wurde.

Logo auf Leinwand, Foto: Renate Feyerbacher

goEast-Festivalleiterin Heleen Gerritsen, seit 2017 im Amt, hatte ein hochinteressantes Film-Programm zusammengestellt und bedeutende Filmschaffende eingeladen. „Osteuropa auf Augenhöhe – das ist seit der 1. Festivalausgabe das Motto von goEast. Es gilt, nicht nur ÜBER Osteuropa, sondern MIT Osteuropa zu reden. In Zeiten von Krieg und kulturellen Missverständnissen sind Dialogforen wie das unsere wichtiger denn je.“

Heleen Gerritsen, Foto: Renate Feyerbacher

Außergewöhnlich war der Eröffnungsfilm „Aurora’s Sunrise“ der Regisseurin Inna Sahakyan. Die 1977 im armenischen Eriwan geborene und aufgewachsene Filmemacherin erzählt die Geschichte von Aurora Mardiganian (1901-1994) – geboren als Arshaluys Mardigian, die als junges Mädchen den Völkermord an den Armeniern durch die Regierenden des osmanischen Reichs überlebte. Sie verliert ihre Familie. Zwischen 1915  und 1916 sterben 1,5 Millionen Menschen. Es gelingt ihr die Flucht in die USA und sie schreibt über ihre Erlebnisse. Ihr Buch wurde 1919 in Hollywood als Stummfilm mit ihr verfilmt – Titel des Films „Auktion der Seelen“. Er wurde ein regelrechter Kassenschlager. Aber dann verschwinden die Filmrollen. Erst nach dem Tod von Mardiganian tauchen nur 18 Minuten des Films wieder auf.

Inna Sahakyan recherchierte im Zoryan Institute mit Sitz in den Vereinigten Staaten und Kanada und fand die fünfstündige Zeugenaussage von Aurora Mardiganian. Sie erzählt, dass sie ihr Trauma überwand, um ihrem Land und vor allem den vielen Waisenkindern zu helfen. Die Erlebnisse waren bekannt, aber sie von einer Überlebenden zu hören, war schockierend und motivierte die Regisseurin, Auroras Biografie zu verfilmen. Sie möchte erreichen, dass außer den 33 Ländern, die den Genozid anerkennen, auch die Türkei diesem Schritt folgt. Armenien hatte den Animationsfilm „Aurora’s Sunrise“ für die Teilnahme an der Oscar-Verleihung in der Kategorie für den besten internationalen Film eingereicht. Auf dem Filmfestival in Genf bekam er die Auszeichnung Human Rights. Es folgten viele weitere Auszeichnungen.

Originales Filmmaterial, Ausschitte aus dem Interview von Aurora 1984 und Animation werden kombiniert. Die Musik, komponiert von der in Basel geborenen Komponistin und Pianistin Christine Aufderhaar, gibt den Szenen Tiefe. Das Ausmaß des Terrors ist unbeschreiblich. Im Publikum saß bei der Eröffnung von goEast der Komponist und Dirigent Frank Heckel, der in Frankfurt zu Hause ist. Er hatte für den Film das große Prager Orchester dirigiert.

Frank Heckel (re.) mit einem Vertreter der armenischen Filmproduktion in Wiesbaden, Foto: Renate Feyerbacher

Am 2. Mai ging goEast zu Ende. 110 Filme aus 18 osteuropäischen Ländern, darunter 16 Wettbewerbsfilme, wurden gezeigt. Es gab Workshops, Diskussionen, Vorträge, Ausstellungen, eine Schifffahrt mit Lesungen. Gefeiert wurde im Festival-Zentrum Museum Wiesbaden. 350 internationale Filmschaffende waren gekommen, unter anderen der rumänische Filmemacher Radu Jude, immer wieder bei goEast und bei der BERLINALE zu Gast, und Jasmila Žbanics. Ihr wurde eine umfassende Retroperspektive ihrer Filme gewidmet und ein Werkstattgespräch. Die Regisseurin gehört zu den wichtigsten Filmschaffenden Bosnien-Herzogowinas.

Ihr Dokumentarfilm „Rote Gummistiefel“ lief im Forum der BERLINALE und war 2000 bei goEast im Programm. Er erinnert an die Entführung zweier Kinder durch serbische Soldaten. Massengräber werden später geöffnet, um die toten Kinder zu finden. Ein Kind hatte rote Gummistiefel an. Ziel von Jasmila Žbanics ist es, Verbrechen aufzudecken. Ihr internationaler Durchbruch gelang mit dem Film „Esmas Geheimnis“ 2005, der in Sarajewo spielt. Sie versteht ihre Arbeit als feministischen Auftrag.

Mit der feierlichen Verleihung der Preise – 27.500 Euro standen zur Verfügung – endetedas Festival goEast 2023.

Mit dem 1. Preis, der Goldenen Lilie (dotiert mit 10.000 Euro), wurde der litauische Debütfilm „Remember to Blink“ („Per Ari / Zu Nah“) – ein psychologisches Adoptionsdrama von Austeja Urbaite ausgezeichnet. Es ist der erste Spielfilm der 1991 in der Nähe von Vilnius geborenen Regisseurin, die zunächst mir ihren Kurzfilmen Aufmerksam erregte. Auch die internationale Filmkritik FIPRESCI gab diesem Werk ihren Preis.

Der Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie ging erneut an einen litauischen Debütfilm. Titas Laucius, der auch das Drehbuch schrieb, konnte 7.500 Euro für seine schwarz-humorige Komödie „Paradas“ („Parade“) in Empfang nehmen. Die Möglichkeit, die katholisch geschlossene Ehe für ungültig zu erklären, steht darin zur Debatte.

Die ukrainische Filmregisseurin und Kamerafrau Alissa Kovalenko begeisterte mit ihrem Dokumentarfilm „We will not fade away“ („Wir werden nicht verschwinden“), eine ukrainisch-französisch-polnische Produktion; sie wurde mit dem CEEOL- Preis ausgezeichnet, ausgelobt von Central and Eastern European Online Library. Dotiert war er mit 4.000 Euro und erzählt von einer Gruppe Jugendlicher, die im Donbass aufwachsen. Ihre Hoffnungen und Träume lassen sie sich durch den Krieg nicht zerstören.

Der schwedisch-ukrainisch-norwegische Beitrag „Motherland“ („Mutterland“) von Alexander Mihalkovich und Hanna Dadziaka – ein dokumentarisches Gesellschaftsporträt – zeichneten die Internationalen Filmkritiker aus. Swetlana glaubt nicht an den Suizid ihres Sohnes, sondern dass er den Schikanen in der belarussischen Armee zum Opfer fiel. „Wem dient das Militär? Und Welche Rolle hat es in der Gesellschaft?“ fragen sich die Freunde.

Schließlich gab es noch eine Reihe weiterer Preise und Belobigungen.

Im Caligari-Kino: in der vorderen Reihe (v.re.) Heleen Gerritsen, Festivalleiterin, Ellen M. Harrington, Direktorin des Deutschen Filminstituts (DFF), Staatssekretärin Ayse Asar vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK), Wiesbadens scheidender Kulturdezernent Axel Imholz sowie Karin Wolf, Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt-RheinMain, Foto: Renate Feyerbacher

Die Gewinner-Filme „We will not fade away“ und „Remember to Blink“ werden am Donnerstag, 18. Mai 2023 um 18 Uhr beziehungsweise um 20.30 Uhr im Kino des Deutschen Filminstitut und Filmmuseum (DFF) gezeigt. „Parade“ kommt am 19. Mai um 20.30 Uhr ins DFF-Kino.

www.dff.film

Kinokasse /Informationen: Tel.: +49 69 961 220 – 220

Comments are closed.