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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

6. Skulpturen-Triennale Bingen „HIER UND JETZT“ eröffnet

Kunst, Mensch und Umwelt en passant reflektieren

Ein „Highlight der rheinland-pfälzischen Kulturlandschaft“ (Ministerpräsidentin Malu Dreyer)

Von Hans-Bernd Heier

Bereits zum 6. Mal findet die Skulpturen-Triennale der Gerda und Kuno Pieroth Stiftung in Bingen entlang des Rheinufers und an ausgewählten Orten im Stadtzentrum statt.Der Ausstellungsparcours soll eine Verbindung zwischen dem Rheinufer und der Innenstadt Bingens schaffen. Den beiden Kuratoren Lutz Driever und André Odier ist es erneut gelungen, 19 spannende künstlerische Positionen zu vereinen, die sich mit sehr unterschiedlichen Ansätzen aktuellen Fragen des diesjährigen Ausstellungsthemas „HIER UND JETZT“ nähern.

Mia Florentine Weiss „LOVE HATE“, Stahl, 2019; Foto: Hans-Bernd Heier

Die meist figurativen Positionen zeitgenössischer Skulpturen und Installationen der nationalen und internationalen Künstlerinnen und Künstler beleuchten aktuelle, brisante Themen, wie den verschwenderischen Umgang mit Ressourcen unserer Erde, die unübersehbaren Folgen des Klimawandels sowie Krieg und die immensen Herausforderungen im Makrokosmos einer globalisierten Weltordnung. Ebenso setzen sich die teilweise eigens für die Skulpturenschau geschaffenen Werke eindringlich mit Alltagsfragen wie soziale Gerechtigkeit, Wohnungsknappheit und das gesellschaftliche Zusammenleben in lokalen Strukturen auseinander.

Initiator der Triennale Kuno Pieroth und seine Nachfolgerin Maria Gleichmann-Pieroth; Foto: Hans-Bernd Heier

Die aufwendig inszenierte Kunstmeile bietet, so die Kuratoren, „erneut die Möglichkeit, sich am Rheinufer und in der Innenstadt ‚en passant‘ Fragen zum „HIER UND JETZT“ zu stellen, Ansichten zu überdenken und Raum für neue Ideen zu schaffen“. Zum ersten Mal werden Performances im Rahmen des vielfältigen Kunst-Events geboten.

Käthe Kollwitz „Mutter mit totem Sohn“ 1937/1938; Sammlung Fritsch; Foto: Alamy Fotos

Zu sehen sind auch Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die schon seit vielen Jahren eine herausragende Rolle in der internationalen Kunstwelt spielen, beispielsweise die tief beeindruckende Skulptur „Mutter mit totem Sohn“ der 1945 verstorbenen Bildhauerin Käthe Kollwitz oder die aus Cola-Dosen, Elektroschrott und Plastikmüll bestehenden „Trash People“ von 1996 des prominenten Kölner Aktionskünstlers HA Schult, der mit seinen Werken seit über 20 Jahren ein warnendes Mahnmal gegen die Ausbeutung der Umwelt setzt.

Schwerpunkt der Skulpturenschau vor der Traumkulisse des Rheingaus bilden allerdings jüngere Positionen, wie die zweiteilige Arbeit von Anina Brisolla. Die 1976 in Hamburg geborene Künstlerin setzt sich mit den Themen Natur, Weltraum und auch Machtgefügen auseinander. Ihre Installation „control (abundance)“ hält dem Betrachter vor Augen, dass wir unsere knappen Rohstoffe, zum Beispiel das lebensnotwendige Wasser, kontrollieren, aber auch portionieren müssen. „Daneben geht es ihr aber auch um unsere „kontrollierte“ Position im Machtgefüge großer Tech-Unternehmen, die die von uns zur Verfügung gestellten Daten – Rohstoffe – kontrollieren“, so die Kuratoren.

Anina Brisolla „control (abundance)“, 2019 / 2023; Leihgabe der Künstlerin; Foto: Hans-Bernd Heier

Mia Florentine Weiss – 1980 in Würzburg geboren, lebt und arbeitet in Berlin, Frankfurt und Los Angeles – verbreitet mit ihrer Stahlskulptur „LoveHate“ eine einfache Botschaft in Form eines Ambigramms, ein Wort, das in verschiedenen Richtungen gelesen werden kann. Durch eine Veränderung der eigenen Position kann die Leserin bzw. der Leser Hass in Liebe umwandeln. Die Skulptur in Regenbogenfarben soll Frieden, Toleranz und Akzeptanz verschiedener Lebensformen symbolisieren.

Dagmar Vogt „Upside Down – Die Welt mit anderen Augen sehen“, Bronze, 2018; Leihgabe der Künstlerin; Foto: David von Becker

Die geistige und körperliche Neuausrichtung von Betrachtungsweisen ist auch ein Thema der 1960 bei Köln geborenen Dagmar Vogt. Mit der farbigen Bronzeskulptur „Upside Down“ hinterfragt die Künstlerin, welche Stellung Frauen in der heutigen Gesellschaftsordnung haben. Die dem Yoga entstammende Haltung fördert kreatives Denken, Mut, Konzentration und Gleichgewicht. „Ein Gleichgewicht, das in der kleinen Bronzeskulptur „Fliegen“ von Lothar Seruset eindrücklich ins Wanken geraten kann, wenn wir als Mensch die Balance zwischen unserer Erde und unseren Erfindungen aus den Augen verlieren. Die Verantwortung für diesen Balanceakt und die damit verbundenen Fragilität der Konstruktion macht uns sichtlich Angst“, erläutert Lutz Driever.

Stella Hamberg „Das ist das“, Bronze 2015; Sammlung Wemhöner; Foto: David von Becker

Die 1975 Friedberg geborene Künstlerin Stella Hamberg setzt sich in ihrer Arbeit „Das ist das“ mit dem aktuellen Thema der Meeresverschmutzung auseinander. Die Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt/Natur wird bei dem matten, mit dunkler Schwarzbrandpatina versehenem Haifischmaul drastisch deutlich: Den Betrachterinnen und Betrachtern dürfte sich die Frage stellen: Sind nicht letztlich wir die Ungeheuer der Ökosysteme, weil wir sie mit unserer Öl-Verschmutzung zerstören?

Michael Beutler „Gelbes Loch“, 2020, Pecafil (mit PE-Folie umschrumpftes Metallgitter), Kabelbinder; Leihgabe des Künstlers; Foto: David von Becker

Ein anderes vordringliches gesellschaftspolitisches Thema spricht der 1976 in Oldenburg geborene Michael Beutler mit seiner leuchtend gelben Installation „Gelbes Loch“ an: die Wohnungsknappheit. Ist der an einen Iglu erinnernde Rundbau eine Lösung für die Frage nach der Zukunft unseres Wohnens und nach ökonomischer Raum- und Materialnutzung? „Das verwendete, bereits produzierte und abgenutzte Material wirkt experimentell und lässt den ausgewählten Ort in einem neuen Kontext erscheinen“, so André Odier.

Auch der 1950 in Maribor/Slowenien geborene Bogomir Ecker, der inzwischen in Hamburg lebt, nutzt vertraute öffentliche Schauplätze, um eine neue Interaktion zwischen Betrachter*innen und dem alltäglichen Leben herzustellen. Seine zwanzig rotlackierten Objekte schmücken einen großen Baum wie bekannte Nistkästen, aber beim genaueren Hinsehen sind sie von ihrer Funktionalität losgelöst. Sie sind nicht mehr das, was sie scheinen.

Günter Meyer „Ich bin Cowboy weil ich`s bin“, Kiefer, 2022 / 23; Leihgabe des Künstlers; Foto: Hans-Bernd Heier

Cowboys haben für viele etwas Faszinierendes – bis heute. Jedes Jahr verkleiden sich unzählige Kinder über die Faschings- und Karnevalstagetage als Cowboys oder Cowgirls. „Was und wer man sein will, das ist man einfach – egal wie es auch scheinen mag. Der Begriff eines neuen Selbstverständnisses und Selbstbewusstseins entkoppelt vom herkömmlichen Kontext wird in der überdimensionalen Holzfigur von Günter Meyer „Ich bin Cowboy weil ich’s bin“ präsent“, sagen die Kuratoren. Günter Meyer, hinter dem Namen verbirgt sich das Künstler-Duo Clemens Meyer & Uwe-Karsten Günther, „plädiert für ein entschlossenes Auftreten, dass jede:r ihre/seine eigene Existenz, Figur und Position in unserer Gesellschaft vertritt“. Natürlich dürfe dies nicht auf Kosten anderer gehen.

Finja Sander „Für Morgen“, performative Reihung, 2023; Foto: Hans-Bernd Heier

Für die 1996 in Hildesheim geborene Performancekünstlerin Finja Sander, die jetzt in Berlin lebt, sind Denkmäler Objekte der Erinnerung. Deren Starrheit hinterfragt die Künstlerin mit ihrer performativen Reihung „Für Morgen“, während der sie – in Anlehnung an die Bronzeskulptur „Der Schwebende“, 1927 von Ernst Barlach – horizontal, reglos und mit geschlossenen Augen in einer skulpturalen Vorrichtung hängt – beeindruckend.

Wilhelm Klotzek „An der Ecke“, pulverbeschichteter Stahl, 2017; Sammlung Leinemann; Foto: David von Becker

Das Thema der deutsch-deutschen Vergangenheit greift die Arbeit „An der Ecke“ von Wilhelm Klotzek auf. Verwurzelt in seiner eigenen Geschichte lädt das „Denkmal“ dazu ein, an der Straßenecke zweier heute unbekannter Biografien über den Übergang von einem Gesellschaftssystem in ein anderes nachzudenken.

Auch die beindruckenden Arbeiten von Fritz Bornstück, Emma Jääskeläinen, Vera Kox, Rainer Mang, Christiane Möbus, Simon Mullan und des Performancekünstlers Christian Falsnaes laden die Flanierenden zum Verweilen und zu einem intensiven Meinungsaustausch ein. Mit der Fahne „Alles wird gut“ will Simon Mullan Hoffnung machen, für alle Probleme eine Lösung zu finden.

Die erste Skulpturenausstellung wurde anlässlich der Landesgartenschau 2008 gezeigt. Damals wie heute wird die international beachtete Schau am Ufer des Weltkulturerbes Mittelrhein durch die Gerda und Kuno Pieroth Stiftung gefördert. Der Initiator Kuno Pieroth und seine Nachfolgerin Maria Gleichmann-Pieroth freuen sich nicht nur über höhere Besucher-Zahlen, sondern auch über das steigende Interesse von Stadt, Land und Wirtschaft an dem einzigartigen Kunst-Projekt. Es konnten nicht nur die Stadt Bingen als Kooperationspartner gewonnen werden, sondern auch viele private Förderer und Unternehmern aus der Region, die sich finanziell an der Triennale beteiligen.

Malu Dreyer, Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz, im Gespräch mit Maria Gleichmann-Pieroth und dem Initiator der Triennale Kuno Pieroth; Foto: ©Staatskanzlei RLP/ Dinges

„Die Skulpturen-Triennale macht Kunst hautnah und unmittelbar erlebbar“, sagte Ehrengast Malu Dreyer, Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz, bei der feierlichen Eröffnung. „Die Ausstellung und damit auch die zeitgenössische bildende Kunst gehören zum kulturellen Profil der Stadt Bingen und sind ein Highlight in der rheinland-pfälzischen Kulturlandschaft“. Ausdrücklich lobte sie das private Engagement der Gerda und Kuno Pieroth Stiftung.

Ein vielseitiges Rahmenprogramm mit Führungen und Veranstaltungen begleitet auch die diesjährige Skulpturen-Triennale über die gesamte Laufzeit bis zum 8. Oktober 2023. Wie bereits in den vergangenen Jahren werden die JUNGEN KUNSTVERMITTLER – Schüler*innen der Kunst-Leistungskurse der Hildegardisschule, des Stefan-George-Gymnasiums in Bingen sowie der IGS in Ingelheim – an Wochenenden vor Ort interessierten Besucher*innen die Kunstwerke persönlich näherbringen. Die Initiative wurde bereits in den Jahren zuvor von den Besucher*innen gut angenommen und zugleich von den Schüler*innen als eine bereichernde Erfahrung angesehen. „Die Akzeptanz der Triennale in der Stadt Bingen haben wir auch durch die Miteinbeziehung der Jugend erreicht“, betonte Kuno Pieroth.

 

Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen; Preis 10 €. Außerdem führen QR-Codes an den Kunstwerkbeschilderungen zu den ausführlichen Katalogtexten auf der Website: www.skulpturen-bingen.de

Die sehr sehenswerte Skulpturen-Triennale Bingen ist bis zum 8. Oktober 2023 eintrittsfrei zu besichtigen Alle weitere Informationen unter:

www.skulpturen-bingen.de

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