40 Jahre Friedrich-Hölderlin-Preis in Bad Homburg
Ein Fest für herausragende Literatur
Leif Randt erhält die Auszeichnung für sein Gesamtwerk und der Förderpreis geht in diesem Jahr an Anna Yeliz Schentke. Ein Novum bei der Preisverleihung ist die Kooperation mit Lehrern und Schülern des Bad Homburger Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums. Die Preisverleihung findet am 4. Juni 2023 statt.
Hölderlin-Preisträger im Januar 2023: Leif Randt, Foto: von der Stadt Bad Homburg zur Verfügung gestellt
Nun ist es amtlich. Die Hölderlin-Preis-Jury hat sich für Leif Randt entschieden, die Laudatio wird Prof. Dr. Moritz Baßler, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, halten. Die Jury begründet ihre Entscheidung für Leif Randt folgendermaßen: Dessen literarisches Werk formiere eine der konsequentesten Ästhetiken der Gegenwart. Randts Texte schrieben die Tradition des Schönen unter den Bedingungen des Heute weiter, eines Heute, in dem das Schöne, wie in seinem Roman „Schimmernder Dunst über Coby County“ nicht nur durchweg von „Räumen des Konsums umgeben“, sondern auch „mit diesen verstrickt“ sei.
Sein Science Fiction-Roman „Planet Magnon“ wiederum imaginiere eine Zukunft, die von einer künstlichen Intelligenz dirigiert werde, die Individuen dennoch mit dem Druck konfrontiere, stets kreativ und leistungsbereit zu sein. Seine „hochartifizielle Ästhetik erinnere ebenso an den Spacepop“ wie an Harry Potter oder an Aldous Huxleys Klassiker „Brave New World“, befand die Jury. Und weiter.
Randts 2020 vorgelegter Roman „Allegro Pastell“ erzähle eine Liebesgeschichte, die von den Style-Geboten der Gegenwart bestimmt werde und zu großen Teilen aus WhatsApp-Kommunikation bestehe. Das sei „nie unmittelbar und naiv“, sondern „vielfältig gebrochen“, dabei jedoch nie „parodistisch“, sondern auf „wundersame Weise ebenso gegenwartsdiagnostisch und intelligent wie anrührend“.
v.l.n.r.: OB Dr. Bettina Genzcke (Kultur und Bildung), Schuldirektor Jochen Henkel, Michael Lembach und Nina Salus-Flohr .Foto: Petra Kammann
FeuilletonFrankfurt-Autorin Simone Hamm schrieb zur Jahreswende 2020/2021 über den Autor: „Leif Randt hat das Denken und Fühlen einer ganzen Generation in „Allegro Pastell“ knapp und lakonisch auf den Punkt gebracht. Einen ,gegenwärtigeren‘ Roman kenne ich nicht.“
Diese Argumente haben die Stadt, hier in Person der Fachbereichsleiterin für Kultur und Bildung Bettina Gentzcke, wohl auch dazu bewogen, mit einer Bad Homburger Schule zu kooperieren, Schüler in die Preisfeier miteinzubeziehen. Weshalb wohl auch zwei Lehrkräfte des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums, Nina Salus-Flohr und Michael Lembach wie auch der Schuldirektor Jochen Henkel zur Pressekonferenz erschienen waren, um ihrer Freude Dank für diese fruchtbare Zusammenarbeit auszudrücken.
Es ist keine Selbstverständlichkeit mehr, dass die tägliche Fronarbeit, die Schule auch bedeutet, in die Gesellschaft einbezogen wird. Die Lehrenden erläuterten, auf welch begeisternde Weise die Schüler und Schülerinnen mit den Texten der Autoren experimentierten, ChatGPT inklusive. Man konnte sich im Gespräch unmittelbar vom Engagement der Lehrkräfte überzeugen, die wiederum begeistert von der Motivation der Lernenden waren.
Da Randt ein Vertreter der Millenial-Generation sei, der das Internet als ästhetischen Gestaltungsraum begreife und für den die sozialen Medien zum selbstverständlichen Diskursinventar seiner Bücher gehöre, böten sich seine Texte förmlich zu Sprachexperimenten mit Schülern an und motivierten sie. So hätten diese sich sowohl im Vorfeld nicht nur intensiv mit Hölderlins Lyrik als auch mit dem 4o-jährigen Millenial-Autor auseinandergesetzt. Hinzukomme, dass Hölderin eh‘ auf dem Lehrplan stehe und nicht zuletzt deshalb auch für sie attraktiv sei.
So findet am Sonntag, den 4. Juni 2023, zusätzlich zum Festakt der feierlichen Verleihung der Friedrich-Hölderlin-Preise von 17 bis 19 Uhr (Eintritt 10 Euro) bereits am Mittag von 14.30 bis 16 Uhr die Veranstaltung „Die Hölderlin-Preisträger 2023 im Gespräch“ in der Schlosskirche statt, bei freiem Eintritt wohlgemerkt. Da werden die Schülerinnen und Schüler die beiden Preisträger interviewen, moderiert von Feuilleton-Chefin Sandra Kegel und Dr. Bettina Gentzcke. Aber auch im anschließenden Festakt werden die Schülerinnen und Schüler eine wichtige Rolle spielen, Sie werden Zitate aus den Dankesreden der bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger aus den vergangenen 40 Jahren vortragen und im Gespräch auf ihre Aktualität überprüfen. Musikalisch begleitet wird der Festakt von Schülerinnen und Schüler des KFG ebenfalls.
Anna Yeliz Schentke, Foto: Robert Schitt
Aber nicht minder interessant ist sie Autorin Anna Yeliz Schentke, die in diesem Jahr den Förderpreis erhält. Für ihren Debütroman „Kangal“ wurde sie von der Kritik hoch gelobt. In der FAZ war es Alexander Jürgs, der den Roman als „Pageturner“ bezeichnete und von der „klaren, starken Sprache“ der Autorin angetan war. Auf Zeit Online urteilte Christoph Schröder, Schentke habe nicht etwa einen „identitätspolitischen Thesenroman“ verfasst, „sondern eine in Sprache und Form reflektierte Identitätserkundung“. Die Relevanz des Romans ergebe sich nicht aus dem Inhalt – die politische Situation nach dem Putschversuch 2016 in der Türkei -, sondern durch Schentkes Erzählweise, befand Anke Dörsam in der TAZ.
Anna Yeliz Schentke wurde 1990 in Frankfurt geboren, ist dort aufgewachsen und lebt nach wie vor in der Main-Metropole. Sie studierte an der Frankfurter Goethe-Universität Literaturwissenschaft und erwarb einen Abschluss im Masterstudiengang Ästhetik. 2020 erhielt sie einen Platz in der Schreibwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung und arbeitete dort mi so renommierten Schriftstellern wie Joachim Helfer und Judith Kuckart an ihren Texten.
In „Kangal“ (2022) zeichnet Schentke ein sehr aktuelles, sensibles und vielstimmiges Generationenporträt junger deutsch-türkischer Menschen – unter den Bedingungen einer immer repressiver werdenden Gesellschaft in der Türkei und alt eingeschliffenen Klischees in der Bundesrepublik. In schnell geschnittenen, sich gegenseitig kommentierenden und facettierenden Perspektiven der Protagonisten Dilek, Tekkin und Ayla entsteht auf diese Weise ein Bild der Lebensbedingungen in der Türkei nach 2016, dem Putschversuch gegen das Erdogan-Regime, die mit der Verfolgung kritischer Oppositioneller einherging, und einer Bundesrepublik zwischen Türkei-Traumurlaub, realer Diskriminierung und Erdogan-Nostalgie unter in Deutschland lebenden, türkischstämmigen Menschen. Mithin eine hochpolitische Literatur, die in unaufgeregtem Ton und mit genauen Bildern ganz auf der Höhe der Zeit erzählt.
Der frühere Bürgermeister Assmann, der den besonderen Hölderlin-Preis, ins Leben gerufen hat, der in diesem Jahr zum 40. mal verliehen wird, wollte mit einem Literaturpreis, der Hölderlin im Namen trägt, die Erinnerung an den Dichter und das kulturelle Erbe, das der Dichter in Bad Homburg hinterlassen hat, anknüpfen. Dabei erhoffte sich das damalige Stadtoberhaupt von dem Preis einen Schub für die „geistige Stadtentwicklung“.
„In der Tat hat der Literaturpreis eine solche Entwicklung genommen. Die Preisverleihung ist ein Fest für die Literatur geworden“, sagte hochzufrieden und strahlend Oberbürgermeister Alexander Hetjes. Allerdings solle der Preis nach dem Jubiläum nur noch alle zwei Jahre verliehen werden. Aus Geldmangel? Hetjes konterte, nein, das mache den Preis in dieser digitalen schnellebigen Zeit nur noch kostbarer. Es wird sich weisen, sagt die Zeit, die noch andere Taktvorgaben im Gepäck hat.
Petra Kammann
Die Jury
Sandra Kegel (Vorsitzende): Feuilleton FAZ,
Prof. Heinz Drügh, Universität Frankfurt,
Prof. Thomas Boyken, Universität Oldenburg,
Prof. Anne Bohnenkamp-Renken, Freies Deutsches Hochstift,
Alf Mentzer, Hessischer Rundfunk sowie
Alexander Hetjes, Oberbürgermeister der Stadt Bad Homburg