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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Paulskirche Plus? Einspruch, werte Kommission – so nicht!

Anmerkungen zu den Empfehlungen von zwölf renommierten Experten

Von Uwe Kammann

Eigentlich, ja eigentlich hätte zum jetzigen 175. Jubiläum der Nationalversammlung in der Paulskirche alles fertig sein sollen. Was vornehmlich bedeutet hätte: dieses berühmte – und innen wie außen so schöne Ur-Haus der deutschen Demokratiegeschichte – wäre baulich so instand gesetzt gewesen, dass es allen heutigen Bestimmungen und Erfordernissen genügt hätte, von den Brandschutzauflagen bis zur Beschallung des Saals. Doch daraus ist nichts geworden.

Paulskirche in bester Tradition. Friedenspreis 2022 an den ukrainischen Schriftsteller Zheri Zhadan, Foto: Petra Kammann

Ein Geldbittgang von Ex-OB-Feldmann zur Bundesregierung und der daraufhin geweckte Ehrgeiz der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters haben die unmittelbare, auf das Jubiläum ausgerichtete Sanierung/Renovierung verhindert und stattdessen eine Kombination von hochfliegenden Plänen hervorgerufen, welche das Deutsche Architekturmuseum vor vier Jahren zu einer Ausstellung mit einem sprechenden Titel veranlasste: „Ein Denkmal unter Druck“.

Ist dieser Druck nun verflogen, seit eine zwölfköpfige, hochrangig besetzte Expertenkommission jetzt Ende April einen fünfzehnseitigen Bericht vorgelegt hat, unter dem Titel „Paulskirche und Haus der Demokratie“, gekennzeichnet als „Empfehlungen“? Nein, das ist nicht zu erwarten, ganz und gar nicht. Denn schon aus dem Doppeltitel geht hervor, dass die Paulskirche nur noch eine Parallelrolle spielt, dass ihr gleichgewichtig ein „Haus der Demokratie“ zur Seite gestellt wird. Das ursprüngliche Denkmal in jeglichem Sinne – eben die Paulskirche mit ihrer überragenden auch räumlichen Stellung und Bedeutung in Frankfurt – soll in direkter Verbindung mit einem architektonisch herausragenden Gebäude ergänzt werden.

Hauptziel: ein markanter didaktischer Rucksack für die Paulskirche

Auratische Ausstrahlung ist nichts Schlimmes wie bei der Friedensspreisverleihung  an den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado, Foto: Petra Kammann

Pontiert gesagt: Der Paulskirche soll mit einem prominenten Bau ein didaktischer Rucksack angehängt werden. Und dies an prominenter Stelle: dem Paulsplatz.

Der Expertenkommission (die Stadt Frankfurt machte daraus auf ihrer Website sofort eifrig und eilfertig eine „Expert:innenkommission“) hat die Tragweite dieser Empfehlung nicht übersehen. Denn ganz am Schluss heißt es, sie sei sich „bewusst, dass ein Neubau den Charakter des Paulsplatzes verändern wird“. Und schlägt verschiedene Maßnahmen vor, „um diese Konsequenz abzumildern“. Abmildern, ja, also den Kollateralschaden verkleinern. Mit anderen Worten: … denn sie wissen, was sie tun.

Aber die Kommission besteht unmissverständlich auf ihrer Doppelvorgabe: Um die „hochgesteckten Ziele“ der vorher beschriebenen vielfältigen Mittel der Demokratievermittlung erreichen zu können und um „Zukunftsdebatten einen offenen Raum zu geben“, halte sie einen „Neubau“ des Hauses der Demokratie (warum Neubau – es gibt doch noch gar keines) „nicht nur für unbedingt notwendig“, sondern sie rege auch „einen symbolisch repräsentativen Entwurf im Sinne einer ‚Signature Architecture’ an.“ Aus ihrer „Sicht“ biete sich der Paulsplatz als Standort an.

Damit liegen die Karten offen auf dem Tisch. Ein eigenes Haus für die Demokratieerziehung: ein absolutes Muss. Der Paulsplatz, jedenfalls ein signifikanter Teil davon (unter Abholzung der dortigen Platanen): ja, das ist in Kauf zu nehmen. Dass das Frankfurter Stadtparlament sich bislang dagegen ausgesprochen hat: Na gut, die 20 Millionen Euro, die der Bund versprochen hat (einiges wird wohl obendrauf kommen), die werden die Lokalparlamentarier wohl überzeugen …

Die Standortfrage: Wird Frankfurt den Paulsplatz aufgeben?

Luftbild Paulskirche und Paulsplatz mit einer Bepflanzung nach einem  Entwurf von ASPLAN,   Foto: DAM, Department Studios 2016

Nun, das ist mit größter Wahrscheinlichkeit ein Irrtum. Bislang steht der Paulsplatz per Beschluss nicht zur Disposition. Und die Bürger? Auch sie werden sich mehrheitlich und massiv gegen diese Okkupation einer grünen Insel wehren, nicht zuletzt, weil mit den gutgewachsenen Platanen viele gesunde Bäume zu verteidigen sind. Nicht unbedingt aus ökologischer Überzeugung oder wegen der neuerdings kursierenden klimapolitischen Gründe. Sondern, weil ihnen der Paulsplatz ans Herz gewachsen ist, gerade so wie er ist.

Die Platanen des Paulsplattzes sind inzwischen gut gewachsen, Foto: privat

Das Baumkarree war ja einst eher eine Notlösung gewesen. In den 1980er Jahren wurde eine Bebauung des Areals in einem Wettbewerb eruiert, allerdings verworfen. Seither sind die Platanen zu einem architektonischen Element herangewachsen, mit klarer Struktur. Der Platz ist belebt, im Sommer heiter, auch im Winter einladend. Dass die Randmöblierung durch die Gastronomie dem üblichen Frankfurter Hässlichkeitsdrang entspricht: geschenkt. In der Summe ist der Platz ein Gewinn, der Verlust der alten Straßenstruktur und der engen Vorkriegsbebauung ist zu verschmerzen. Mithin: Der jetzige Platz hat seine eigene Tradition entwickelt, ist identitätsstiftendes Element der Stadt geworden.

Ohnehin, Frankfurt hat nur vier großzügige Plätze, der Paulsplatz ist einer davon. Die übrigen: Opernplatz, das Ensemble Rossmarkt/Goetheplatz/Rathenauplatz, Römerberg. Sie alle haben eigene Qualitäten, der Opernplatz und der Römer sind die schönsten und offensichtlich begehrtesten (obwohl ihnen von aktuellen Öko-Zeitgeistern die Qualitäten abgesprochen werden: sind sie doch steindominiert). Nein, den Paulsplatz werden die Frankfurter nicht aufgeben, auch wenn nur drei oder vier der jetzigen sechs Platanenreihen geopfert werden müssten. Und beim Zauberwort signature architecture werden sofort Abwehrreflexe aktiviert werden, zu oft war und ist zu sehen, wie daraus Selbstverwirklichungs-Albträume hervorgehen – die phasenweisen Modeströmungen lassen sich weltweit besichtigen.

Die Kämmerei links der Paulskirche: möglicher Standort für ein Haus der Demokratie, Foto: Uwe Kammann

Natürlich, wenn überhaupt ein Haus der Demokratie, dann gäbe es auch Standort-Alternativen. Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM), hatte in der Frühphase aller Diskussionen einen genannt, bei einem Symposion des DAM Ende 2019. Und zwar die Kämmerei an der Westseite der Paulskirche. Eine phantasievolle Transformation mit einem Glasaufsatz konnte er sich damals vorstellen. Das jetzt von der  Expertenkommission veranschlagte Raumprogramm hätte bei einem Umbau locker dort seinen Platz.

Und wenn es tatsächlich um weithin sichtbare Symbol-Architektur gehen sollte: Einer wie Frank Gehry würde sich nicht lumpen lassen, in Richtung Berliner Straße einen spektakulären Glaskeil in das Gebäude zu treiben, so wie in Dresden beim militärhistorischen Museum. Die Uralt-Eiche auf dem vorgelagerten, ziemlich verwahrlosten Grün-Dreieck (mitsamt einer Parkreihe) könnte bestimmt bewahrt werden. Ansonsten sind freie Bauplätze rund um die Paulskirche nicht in Sicht. Die Räume der leergezogenen Bethmann-Bank hätten sich noch angeboten (ohne signature). Doch die sind inzwischen Heimat für Massif Central, eine ‚interaktive Begnungsstätte’ (na, immerhin …).

Haus der Demokratie: ein absolutes Muss?

Doch die Standortfrage, die nach der künftigen Gestalt des Modells Paulskirche Plus – also der Kirche selbst plus eines direkt angeflanschten Hauses der Geschichte – ist ja nur ein (allerdings sehr gewichtiger) Faktor des Expertenpapiers (das sich ein schickes Paulskirche 2.0 lobenswerter Weise verkneift). Der zweite, als Ausgangspunkt eigentlich noch bedeutender, betrifft diese Einrichtung selbst. Kann sie den „hochgesteckten Erwartungen“, mit denen sie von der Kommission bedacht wird, tatsächlich gerecht werden? Oder ist und bleibt diese Vorstellung von der baulich hervorgehobenen, in jeder Hinsicht beflügelnden demokratischen Musterwerkstatt lediglich eine reine Illusion? Sprich: Handelt es sich vor allem um eine schön zu beschreibende und das zivilbürgerliche Gewissen beruhigende Projektion der eigenen hehren Vorstellungen, wie sich Demokratie darstellen lässt, mit lehrreichem Charakter für die Gesamtgesellschaft?

Nun, zum Praktischen lässt sich da beispielsweise eine ganz aktuelle Frage stellen. Werden sich Umweltaktivisten, welche – tief durchdrungen von apokalyptischen Endzeit-Visionen – als zivilen Ungehorsam deklarierte Aktionen exekutieren, sich demnächst vorher im Haus der Demokratie über Formen der demokratischen Teilhabe informieren, über abgestufte Institutionswege und regelbasierte Entscheidungsprozesse? Werden die Leitungsgremien der evangelischen Kirche sich durch Labordiskussionen davon abhalten lassen, sich auch mit militanten selbsternannten und selbstermächtigten Klimaschützern zu solidarisieren?

Das umlaufende Wandbild von Johannes Grützke, Der Zug der Volksvertreter (1991),  in der unteren Wandelhalle der Paulskirche, Foto: Petra Kammann

Weiter: Wie steht es mit sich immer wieder formierenden radikalen Gruppierungen – welcher Richtung auch immer zwischen links und rechts –: Sind sie zugänglich für die Formen, Wege und Regeln, welche eine demokratiekonforme Gesellschaft als Grundmuster des Aushandelns vorsieht und versteht? Die sie aber anscheinend über ihre Institutionen immer weniger durchzusetzen vermag?

Zweifel sind erlaubt, sehr große sogar. Hätten sie Bestand: Dann erwiese sich das Haus der Demokratie als zwar repräsentative, aber letztlich bloß rudimentäre Hervorbringung einer Vernunftgesellschaft, die auf Aufklärung und produktiven Austausch setzt. Und dabei schon lange auf jede Menge an Einrichtungen zählen kann und auch weiterhin setzt, welche dieses so notwendige Gesellschaftsgespräch in immer neuen Formen führen und weitertreiben.

Das reicht von den Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung, von den öffentlich-rechtlichen Medien über renommierte Akademien wie Tutzing und Loccum bis hin zu vielen privaten Organisationen und Initiativen. Das alles eingebettet in eine vielfältige publizistische Landschaft, angefangen von Zeitungen und Zeitschriften bis zu all jenen Buchverlagen, die in ihren Programmen politische Aufklärung betreiben (allein im vergangenen Jahr sind Dutzende einschlägiger Titel erschienen).

Für die Kommission ist diese Orgel zu groß, Foto: Petra Kammann

All das kann sich in der Summe aber nicht einer Erscheinung entziehen, welche als sich stets noch beschleunigender Strukturwandel der Öffentlichkeit diagnostiziert werden muss. Altmeister Jürgen Habermas hat das jüngst im Ansatz beschrieben. Effektive und überzeugende Antworten auf das, was auch als Erosion der früheren Konsistenz zu klassifizieren ist, hat allerdings auch er, der Klassiker einer kommunikationsorientierten Gesellschaftstheorie, weder gefunden noch gegeben.

Es ist eben ein fundamentaler Wandel, der die alten Autoritäten und Hierarchien erschüttert oder erodieren lässt, angefangen bei früher fest gefügten Institutionen wie Kirchen und Gewerkschaften bis hin zu den früheren Hauptgefäßen der medialen Vermittlung, welche sich einer wachsenden Zahl von individuellen ‚Sendern’ gegenübersehen. Und einer Strömung, einer scheinbar unumkehrbaren Entwicklung, in der Partikulares – also Gruppen- und Einzelinteressen – einen immer stärkeren Vorrang gewinnen gegenüber dem übergeordneten Gemeinwohl, gegenüber der res publica.

Dies zu sehen, dies zu wissen darf und muss überhaupt nicht zur bloß staunenden Passivität oder gar zur völligen Resignation führen. Aber es ist sehr genau zu überlegen, welche Formen geeignet sind – zumindest in der Perspektive –, um ein produktives Gesellschaftsgespräch zu führen. Dass hier eine zentrale Einrichtung wie ein Haus der Demokratie – hochsymbolisch aufgeladen und baulich markant repräsentiert – eine geeignete oder gar die beste Antwort ist, darf mehr als bezweifelt werden. Ebenso wie von der Kommission angeführte praktische Erwägungen. Kein Saal in Frankfurt für 250 Besucher, deshalb brauche es das neue Haus? Einen Steinwurf entfernt gibt es das Stadthaus in der Altstadt – bislang eher Stiefkind.

Zahlreiche Institutionen der Vermittlung

Nein, all’ diese hochgespannten Erwartungen wird das Modell Paulskirche Plus nicht erfüllen können, nicht erfüllen werden. Da kann noch so oft das Wort Labor buchstabiert werden: Es würde die Werkstatt einer winzigen Minderheit installiert werden, sicherlich im besten wohlmeinenden Sinne ausgestattet – doch weit entfernt von jener Wirkungsmacht, welche sich die Befürworter davon versprechen. So werden sie jene, die sich vom demokratischen Prozedere immer weiter entfremden und die es teilweise auch offensiv bekämpfen, mit Sicherheit nicht erreichen.

Die Hauptantwort auf diesen Prozess des Auseinanderstrebens kann nur sein: vor allem die Schulen zu stärken, ihren Bildungsauftrag in jeder Hinsicht auch wahrnehmen zu können. Dass dazu die gesellschaftlich-politische Bildung im Kern gehören muss, sollte unbestritten sein. Rund 11 Millionen Schüler gibt es in Deutschland, davon jedes Jahr 50.000 ohne jeden Abschluss.

Wie viele von ihnen könnten vom Haus der Demokratie profitieren, dort per Anschauung etwas für ihr eigenes politisches Wissen und Bewusstsein lernen? Die Antwort kann nicht anders als ernüchternd ausfallen: verschwindend wenige. Das Haus würde eine Frankfurter Insel bleiben. Und ein Anschauungsort der vorwiegend Einvernehmlichen. Ein Haus, von den Verantwortlichen als Lehrbeispiel beschworen und gerühmt, von den Gemeinten in der großen Republik hingegen übersehen, und, ganz praktisch, über die üblichen Distanzen nicht zu erreichen. Wie viele Besucher – und welche? – sollen denn nur durch den gemeinsamen Eingang strömen, um Demokratie zu lernen?

Und die Paulskirche selbst? Was soll sich ändern?

Und damit ist schon der dritte Punkt des Expertenberichts angesprochen, die Gestalt der Paulskirche selbst, sowohl außen als auch innen. Das Äußere, völlig klar, würde durch das Haus der Demokratie in hohem Maße beeinträchtigt. Die Ostseite des Ovalbaus würde verstellt, ihre prägende Form mit der eindrucksvoll dargebotenen Fassade verschwände hinter dem Neubau, dem auch noch „Signature Architecture“ abverlangt wird (die Paulskirche unter Konkurrenzdruck?!). Zudem müsste die jetzige Wand aufgebrochen werden zugunsten des verlangten gemeinsamen Eingangs mit dem Haus der Demokratie. Sprich: Ein Verbindungsstück müsste her.

Zeigt die Struktur des schlichten Raums mit den Fahnen der Bundesländer, Foto: Moritz Bernoully / Stadt Frankfurt

Welche Rolle der jetzige Haupteingang durch das Turmportal künftig spielen soll, geht aus dem Bericht nicht klar hervor. Dabei ist der auf dieses Portal ausgerichtete jetzige baumfreie Vorplatz eine wichtige Bühne fürs Sehen und Treffen bei den repräsentativen Veranstaltungen, sowohl vorher als auch nachher.

Auch im Inneren der Kirche soll nicht alles bleiben wie es ist. Bis auf die Grundidee: den schlichten Raum ohne die frühere Empore aus der Zeit der Nationalversammlung. Das Ergebnis überzeugt noch heute, die Klarheit und Strenge des Raums verleihen beeindruckende Konzentration und Würde. Am stärksten würde nun der vorgeschlagene  Eingriff wirken, die großen, senkrecht angebrachten Länderfahnen zu entfernen. Sie bilden jetzt ein auffälliges optisches Element. Die Kommission empfindet sie als zu „gravitätisch“ und „staatsnah“.

Ob das vielleicht ein Widerspruch ist zur großen Absicht, die inneren Voraussetzungen und Konstruktionslinien eines demokratiebasierten Staat – eben des unseren – vor- und darzustellen? War es nicht ein schönes Zeichen unserer föderalen staatlichen Grundordnung, als nach der Wiedervereinigung die Fahnen der neuen Bundesländer in das leicht ovale Rund aufgenommen wurden? Und was ist mit der sonst allfälligen Denkmalschutzvorgabe, „Zeitschichten“ zu zeigen und zu bewahren?

Weiter: Was soll es bringen, die jetzige Orgel – immerhin weithin sichtbares Zitat der früheren Kirchenfunktion – gegen ein kleineres Instrument auszutauschen? Ist das Kosmetik zugunsten des Säkularen? Überlegenswert ist sicherlich, wie jetzt vorgeschlagen, über eine flexiblere Anordnung der Sitze nachzudenken, um verschiedene Veranstaltungsformen zu ermöglichen. Allein, auch hier stellt sich die praktische Frage: Was wird damit gewonnen, welche Nachteile handelt man sich ein (Verankerung, Strukturklarheit, Lagerung, Geräusche). Das gilt auch für die vorgebrachte Option zur Verdunkelung, um Projektionen zu ermöglichen. Die klaren Fensterfassungen, so oder so, würden beeinträchtigt werden.

Immerhin, die „Sprechstelle“ (ja, so hieß das in der Nachkriegsplanung) soll bleiben. Gerade sie war ja Ex-OB Feldmann ein Dorn im Auge, weil sie die berühmte „Augenhöhe“ aller Akteure, inklusive des Publikums, verhindere. Weil er auch Gruppen wie Attac einladen wollte, hatte das natürlich eine innere und äußere Logik. Dabei erfüllt das schon über die Bühnenstufen erhöhte Rednerpult eine wichtige dramaturgische Funktion: Es verleiht dem dort gesprochen Wort ein besonderes Gewicht, in jeder Richtung. „Wow“, so sehe das also von oben aus, benannte Friedenspreisträgerin Carolin Emcke diesen Effekt zum Auftakt ihrer Dankesrede. Darin steckt immer auch ein Auftrag: Die besondere Wirkung der Paulskirchen-Präsenz darf nicht verramscht werden für alle möglichen Veranstaltungen – sonst verliert sie ihre immer wieder beeindruckende, bewegende Feststimmung. Und ihre Einzigartigkeit.

Das (sicherlich provokative) Wandgemälde zum Einzug der Volksvertreter von Johannes Grützke in der unteren Wandelhalle – die ja schon vom alten Vitrinenmuff befreit wurde, zugunsten einer digitalen Darstellung der wichtigsten Paulskirchen-Stationen –, es darf/soll bleiben. Aber auch das geht nach Kommissionsauffassung nicht ohne zusätzliche Belehrungselemente; wo doch vielleicht ein genereller Leitfaden per QR-Code reichen würde.

Was ist aus den bisherigen Vorgängen zu lernen?

Diskussionsrunde zum Thema Paulskirche: v.l.n.r.: Ex-OB Peter Feldmann, DAM-Direktor Peter Cachola Schmal, Moderatorin Rebecca C. Schmidt, Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Brigitte Geißel,  Architekturwissenschaftler Prof. Dr. Carsten Ruhl (beide Goethe-Universität)

Und was ist aus all’ dem zu lernen? Nun, vielerlei. Zuallererst, dass der Alleingang von Ex-OB Feldmann nach Berlin, um Geldtöpfe für die Paulskirchen-Renovierung zu öffnen, eine unglückliche Kettenreaktion ausgelöst hat. Ganz nach der Grundregel: Wer zahlt, schafft an. Damit hat die Stadt Frankfurt, Herr:in der Paulskirche, Gestaltungsmacht aus der Hand gegeben. Monika Grütters hat sofort zugeschlagen, nach einer Intervention des Bundespräsidenten, der im Sommer 2020 zu einer größeren Erörterungsrunde eingeladen hatte. In dieser Frühphase wurde mit dem Berliner Politologen Herfried Münkler ein Denkgenosse gewonnen, der – uneitel? – die Chance zum großen Coup witterte und publizistisch eine steile Vorlage lieferte, mit dem Befund: der Paulskirche fehle die „Aura“. Die genannten Mitautoren des so aufreißenden FAZ-Artikels, DAM-Direktor Peter Cachola Schmal und Hans Walter Hütter, bis 2021 Chef des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, werden sich angesichts der Münkler-Redaktion ihres vorherigen Referate-Austausches in einer Dreierrunde eher düpiert gefühlt haben.

Inzwischen ist Münkler (unter welchen Umständen?) aus dem damals vom Bundespräsidenten auf den Weg gebrachten, bei Monika Grütters angesiedelten Beratungskomitee ausgeschieden, wurde der Ex-CDU-Bundestagsabgeordnete Volker Kauder zum primus inter pares (sprich: Vorsitzenden) der Kommission ernannt. Die 20 Millionen-Beigabe des Bundes zur Frankfurter Institution stehen dabei immer noch zur Disposition. Dazu müssten mindestens drei Millionen jährlich kommen, um den mit 30 Köpfen veranschlagten Personalapparat des auf Stiftungsbasis geplanten Hauses der Demokratie zu finanzieren. Das Land Hessen, mit eingebunden, zeigt sich natürlich „sehr stolz“ auf diesen Status. Und die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat mit der ihr eigenen und angemessenen Emphase die schönen Beschwörungsformeln der Kommission aufgenommen.

Wer je für eine Kulturinstitution sich um Fördergelder der öffentlichen Hand bemüht hat, der wird in dem in ungewöhnlich gutem Deutsch geschriebenen Text mit seinen eindeutigen Empfehlungen allerdings auch eines als Grundstruktur erkennen: das, was gemeinhin (und meist mit ironischem Unterton) als Antragsprosa bezeichnet wird. Bei der man immer auch den Zeitpunkt (mithin: den Zeitgeist) erkennen kann, über die Schlüsselbegriffe. Hier: von „Repräsentation“ über „Partizipation“ und „Vernetzung“ bis zum „Labor der demokratischen Praxis“, das alles natürlich „niedrigschwellig“.

Ex-Kulturdezernentin Monika Grütters diskutierte nach dem Friedenspreis auf dem Paulsplatz, Foto: Petra Kammann

Ob die Frankfurter Mitglieder der Kommission – neben DAM-Direktor Peter Cachola Schmal auch Evelyn Brockhoff (Ex-Direktorin des Instituts für Stadtgeschichte), Rainer Forst (Politikwissenschaftler und Philosoph der Goethe-Universität), Achim Knecht (Stadtdekan und Vorsitzender des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt), Mirjam Wenzel (Direktorin Jüdisches Museum) – mit dem für die Stadtgestalt so einschneidenden Doppelpack Paulskirche/Haus der Demokratie am und auf dem Paulsplatz so ohne weiteres einverstanden waren?

Nun, sie haben dem Bericht nicht widersprochen, nach außen herrscht Einverständnis. Obwohl beispielsweise der DAM-Direktor vor dreieinhalb Jahren im eigenen Haus bei einem Symposion sehr viel Wasser in den damals vor allem von Peter Feldmann ausgeschenkten Haus-der-Demokratie-Wein gegossen hatte. Auch Rainer Forst war damals als Vertreter der veranstaltenden Bürgeruniversität über allgemeine Beschwörungsformeln kaum hinausgekommen.

Frankfurt muss schnell entscheiden: pro oder contra

Aber in Frankfurt, das ist sicher, wird die Diskussion jetzt erst richtig losgehen. Natürlich auch unter dem Aspekt: Wollen wir eine so einschneidende Weichenstellung einfach durchwinken, wo doch ein anderes Schlüsselprojekt schon alle Debatten-Energien bis zum äußersten strapaziert: die Frage nach der baulichen Zukunft der städtischen Bühnen? Dort steht inzwischen eine Zahl von 1,3 Milliarden am Horizont; beim Haus der Demokratie (wie immer der Finanzierungsschlüssel zwischen Stadt, Land und Bund aussehen soll) werden nach heutigen Erfahrungen leicht die Hundert-Millionen-Schritte aufeinander folgen. (Nicht zu vergessen, ein anderes höchst unglücklich verlaufendes Projekt nach Maßgabe von Monika Grütters, die vielgeschmähte Museums-‚Scheune’ in Berlin, wird die ursprünglich veranschlagte Bausumme von 200 Millionen Euro mindestens um das Dreifach überschreiten, derzeit geht das Bundesfinanzministerium von 650 Millionen Euro aus.)

Vielleicht, nein: bestimmt kann zum jetzigen Zeitpunkt als beste Empfehlung an die Stadtverordneten nur gelten: bewahrt auf jeden Fall den Status des Paulsplatzes, uneingeschränkt; beschließt in Sachen Haus der Demokratie ein Moratorium, wenn überhaupt, Wiedervorlage in fünfzehn Jahren. In der Zwischenzeit lassen sich auf vielfältigste Art die jeweils modernsten digitalen Möglichkeiten nutzen, um über einen attraktiven Internet-Auftritt mit grenzüberschreitender Ausstrahlung und Nutzung alle Facetten demokratischer Modelle und Praktiken aufzuzeigen – selbstredend interaktiv, so wie es die Kommission als ‚Beiboot’ ausmalt. Die so gewonnenen Erfahrungen lassen sich dann auswerten – im Pro und Contra.

Zum Moratorium gehört das allgemeine Bewusstsein einer nicht nur vordergründig aufgerufenen Bescheidenheit. Das soll und muss überhaupt für alles gelten, was die Stadt unternimmt, von der Verkehrswende (derzeit ein die Stadtgesellschaft spaltender rigider Selbstläufer der Verwaltung) bis zu den Bühnenbauten (wo jetzt, nicht unplausibel, auch die Sanierung der bestehenden Doppelanlage immer mehr Befürworter findet, zuletzt in einem gemeinsamen Papier eines schwarzen und eines grünen Kulturpolitikers).

Im vergangenen Herbst noch Planungsdezernent und nun der neue OB beim Highrise Award in der Paulskirche: Mike Josef, Foto: Petra Kammann

Der neue Oberbürgermeister, Mike Josef, hat kürzlich in einer Akademie-Diskussion anlässlich dieses Themas sehr überzeugend angemahnt, eines sei – bei aller argumentativen Vorbereitung – notwendig: Entscheidungen zu treffen. Dies sei lange, viel zu lange versäumt worden. Wie richtig das klang und klingt, und wie wohltuend. Deshalb: Eine schnelle Entscheidung auch zum Modell Paulskirche Plus ist so sinnvoll wie notwendig, mit klarer Richtung, dafür oder dagegen.

In der Paulskirche fand 1950 die Buchmesse statt, Foto: Ursula Assmus

Beruhigend ist dabei vor allem eines: Die Paulskirche hat auch den schrecklichen letzten Krieg überstanden, ist daraus hervorgegangen wie es die Legende beschreibt, also wie ein Phoenix aus der Asche. Mit einer vom Architekten Rudolf Schwarz geprägten (inneren) Gestalt, deren Ziel vor allem ein geistiger Prozesses ist: Aus dem Dunkel ans Licht. Aber das, so darf als sicher gelten, wird Frankfurt nicht aufgeben. Oder?

Der Bericht der Expertenkommission als PDF

Bericht Expertenkommission Paulskirche

Diskussion mit Mitgliedern der Expertenkommission

um die beiden Hauptpunkte ‚Umgang mit der Paulskriche‘ und ‚Sinn und Zweck undLlage des Hauses der Demokratie‘ am
Dienstag 16.Mai, ab 16:00 Uhr im Haus am Dom

Frühere Artikel:

>Frankfurt feiert mit Paulskirchenfest 175 Jahre Demokratiegeschichte

>Paulskirche – vom Paulus zum Saulus?

> Die Paulskirche und ein Wolkenkuckucksheim

 

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