home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Ausstellung PRIX PICTET FIRE zu Gast im Fotografie Forum Frankfurt (FFF)

Zünde(l)nd, lodernd, brennend und brandaktuell

von Petra Kammann

Der weltweit bedeutendste Preis für Fotografie und Nachhaltigkeit, der Prix Pictet, ist bis zum 7. Mai 2023 mit der Ausstellung PRIX PICTET FIRE  mit den 12 Finalisten zu Gast im Fotografie Forum Frankfurt (FFF). Das Thema Feuer ist angesichts verheerender Waldbrände weltweit, Kriegsbombardements oder gesellschaftspolitischer Konflikte, die sich zu Flächenbränden ausweiten, von aktueller Bedeutung. Mit ihren aufrüttelnden Bildern reagieren die Fotokünstler auf ihre je individuelle Weise darauf: in Form von Dokumentationen, Porträts, Landschaften, Collagen, auch in Studien über Licht und Prozesse. Ihre Bilder verdeutlichen, welche Ambivalenz vom Element Feuer ausgeht. Es kann zerstören, erhellen oder auch erwärmen. Der mit 100 000 Schweizer Franken hochdotierte Preis wird seit 2008 in 9. Folge vergeben und will auf existenzielle Nachhaltigkeitsfragen aufmerksam machen. FeuilletonFrankfurt hat ein paar Beispiele herausgepickt. 

Carla Rippey, Fire, 2010. Aus der Serie Immolation, 2009–19 © Carla Rippey, Prix Pictet

Es klingt banal, und ist doch so wahr, dass Bilder oft mehr als 1000 Worte sagen, vor allem, wenn Menschen in ganz unterschiedlichen Sprachen reden, wie es in den verschiedenen Ländern unserer Erde nun einmal geschieht. Ein Bild erfasst und „beschreibt“ ein Problem oft ganz unmittelbar. Und wie sollte man auch international verständlich über Brände reden, sind sie doch allgegenwärtig, gleich, ob es sich um Brände wie den Brand von Notre-Dame handelt oder um Buschbrände in Australien. Feuer, darauf machte Sabine Königs, Pressechefin des FFF, aufmerksam, ist doch auch die erste Lichtquelle, man denke nur an die Höhlenmalereien.

Manche der Fotoarbeiten der 12 nominierten Künstler für den Prix Pictet sind auf den ersten Blick nicht ein immer als Fotografien erkennbar. Beispielsweise die herausragenden Arbeiten der 1950 in USA geborenen Künstlerin Carla Rippey, die in die dritte Dimension und damit in die Tiefe des genauen Sehens vordringt, indem sie die Grenzen von Zeichnung und Grafik auf der Basis ihrer Archivsammlungen (Bilder von Fotografien, Postkarten, aus Familienalben, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und Internetquellen) durch zusätzliche Elemente erweitert.

Blick in die Ausstellung und auf die bewegten Silhouetten in Mac Remissas Serie Left 3 Days, 2014, Foto: Petra Kammann

So begann sie ihre Serie Immolation, die zwischen 2009 und 2019 entstand, mit einer Reihe von Kunstbüchern, die aus Bildern von Feuern bestehen, und mit Abbildungen, die sie in Zeitschriften, Zeitungen und im Internet vorfand: Bilder von Vulkanen, von Menschen, die in Brand gesetzt werden wie im Falle der Lynchmorde in Mexiko, solche, auf denen Palästinenser Feuer schleudern oder solche von Menschen, die sich aus Verzweiflung selbst in Brand setzen. Wie entstehen ihre Collagen? Rippey überträgt ihre Fotokopien mit Hilfe von Lösungsmitteln und einer Radierpresse auf Japanpapier, welche die Basis für ihre Collagen bilden.

Besonders eindrucksvoll sind auch die Arbeiten des 1970 geborenen kambodschanischen Fotojournalisten Mak Remissa, der derzeit als Fotojournalist sehr präsent ist und für die European Pressphoto Agency (EPA) arbeitet. Seine Serie Left 3 Days aus dem Jahr 2014 – die künstlerisch bearbeiteten Fotos mit den huschenden Silhouetten nehmen im Frankfurter Fotografie Forum als Serie gewissermaßen eine Wand ein und vermitteln auf höchst eindrucksvolle Weise, was für ein Albtraum es für das Kind Mak gewesen sein muss, als am  17. April 1975  die Truppen der Roten Khmer die Kontrolle über die Stadt Phnom Penh übernahmen und sie besetzten.

Mak Remissa, Cyclo was the best for transportation. Aus der Serie: Left 3 Days, 2014© Mak Remissa, Prix Pictet

Der entsetzliche Völkermord in Kambodscha, vor dem die Menschen mit ihren wenigen Mitteln wie auf Fahrrädern versuchten zu entkommen, hat sich in sein Gedächtnis gegraben. Mak Remissa gilt als einer der erfolgreichsten Khmer-Fotografen seiner Generation. Er hat inzwischen seine Fotokunst in Kambodscha, Frankreich, Kanada, den USA, Australien, Schweden, der Schweiz, Spanien, China, Japan, Singapur und Myanmar ausgestellt. Schon seine Fotoausstellung von 2005 mit dem Titel The fish eats the ant wurde in Galerien in Phnom Penh, 2013 beim Angkor Photo Festival in Kobe, Japan, und 2014 beim GETXOPHOTO Festival im spanischen Bilbao gezeigt.

Isabelle von Ribbentrop, Executive Director beim Prix Pictet, vor einem der Werke der Preisträgerin Sally Mann, Foto: Petra Kammann

Sally Mann, die 1951 in den USA geborene amerikanische Fotografin, wurde mit ihrer zwischen 2008 und 2012 entstandenen Serie Black water Gewinnerin des PRIX PICTET FIRE. Den Preis nahm sie im Dezember 2021 im Londoner Victoria & Albert Museum entgegen. Die Serie erkundet hintergründig die verheerenden Waldbrände, die den Great Dismal Swamp, ein seit 1973 staatlich geschützten Sumpfgebiet in der Küstenebene der Bundesstaaten Virginia und North Carolina, verhüllten. Just dort dockten auch die ersten Sklavenschiffe in Amerika an, erläutert Isabelle von Ribbentrop, Executive Director beim Prix Pictet, was Sally Mann nicht ruhen ließ. 

Die jüngsten Feuer im Great Dismal Swamp schienen den Rassenkonflikt zu verkörpern, der wie ein Flächenbrand das Land überzieht – den Bürgerkrieg, die Emanzipation, die Bürgerrechtsbewegung, an der meine Familie beteiligt war, die Rassenunruhen der späten 1960er-Jahre und zuletzt den Sommer 2020. Irgendetwas im amerikanischen Charakter scheint die Apokalypse als Lösung geradezu herbeizusehnen”,  kommentierte Sally Mann selbst ihre Arbeit, in der sie eine Parallele zwischen den alles verzehrenden Waldbränden, denen sie begegnete, und den Rassenkonflikten in Amerika, zieht. 

Sally Mann ist bekannt für ihre mit einer großformatigen Kamera entstandenen Fotografien, von beunruhigenden intimen und vertrauten Motiven. Die in Virginia geborene Künstlerin, die in den 1960er-Jahren zunächst eine fundierte Ausbildung in Fotografie gemacht hatte und 2001 vom Time Magazine zu America’s Best Photographer ernannt wurde, besuchte darüberhinaus sie qualifizierende Workshops und erweiterte ihre fotografische Arbeit über einen MA-Abschluss in kreativem Schreiben.

Seitdem erforscht sie die Identität des amerikanischen Südens und ihre eigene Beziehung zu ihrem Herkunftsort. In ihrer Autobiografie Hold Still: A Memoir with Photographs (Little, Brown, 2015) wurde sie nicht nur von der Kritik hoch gelobt, 2005 wurde sie auch Finalistin bei den National Book Awards und gewann die Andrew Carnegie Medal for Excellence in Nonfiction.

Sally Mann, Blackwater 5, 2008–2012, Aus der Serie „Blackwater, 2008″–12 © Sally Mann, Gagosian

Völlig anders die Arbeiten des 1998 geborenen österreichisch-nigerianischen Fotografen David Uzochukwu, der in Belgien und den Niederlanden aufwuchs und sich ab dem Alter von 13 mit Porträts von sich selbst auseinandersetzte. Das führte dann zu einer intensiven Zusammenarbeit mit den Künstler*innen FKA twigs und Iris van Herpen sowie zu einem Auftrag für den World Wildlife Fund. Seine Selbstporträtserie A FAMILIAR RUIN war 2016 Teil der Gruppenausstellung Dey Your Lane! im BOZAR, dem dynamischen, hochkarätigen Kultur- und Kunstzentrum in Brüssel.

Der österreichisch-nigerianische Fotografen David Uzochukwu war anwesend, Foto: Petra Kammann

Mit seiner im FFF ausgestellten Serie Wake wurde der 25-Jährige für den Prix Pictet nominiert. Da ist die Fotografie für ihn lediglich der Ausgangspunkt einer Serienarbeit, die er in seiner digitalen Dunkelkammer perfekt neu komponiert. Auf seinen Bildern zeigt er die Verwundbarkeit marginalisierter Personen, die eine Allianz mit den ausgebeuteten Landschaften eingehen. So entstand eine Serie von Porträts in einer brennenden Landschaft, aus der sowohl die historischen als auch geografischen Bezugspunkte entfernt sind. Vielmehr wirken seine Körper als Teil der Landschaft und befreit von den Grenzen ihrer sozialen Realität. 

David Uzochukwu, Wildfire, 2015. Aus der Serie In The Wake, 2015–20 © David Uzochukwu, Galerie Number 8, Brussels, Prix Pictet

Das geheimnisvolle Keyvisual der FIRE-Ausstellung stammt übrigens auch von David Uzochukwu. Er wurde von  Celina Lunsford, der künstlerischen Leiterin des FFF, für diesen neunten Prix-Pictet-Vergabezyklus vorgeschlagen. 

Inzwischen hat sich die Experimentierlust des Künstlers zum Filmischen hin  erweitert. So wurde Uzochukwus erster Kurzfilm GÖTTERDÄMMERUNG 2021 beim Max-Ophüls-Preis uraufgeführt. Darin verlässt eine Trauergemeinde den Hafen bei leichtem Wellengang und warmem Sonnenschein. Der Tag scheint also perfekt für eine Seebestattung im Mittelmeer, als sich zwischen frischer Brise und den edlen letzten Abschiednehmenden irritierende Omen verdichten…

Sabine Senn, (Head of Photography, Prix Pictet) Blick in die Ausstellung auf die Serie „The prophecy“, Foto: Petra Kammann

Berührend ist auch die Serie The Prophecy, die der 1972 in Belgien geborene Nachkomme brasilianischer Sklaven, der im westafrikanischen Benin mit dem portugiesischen Namen Fabrice Monteiro aufwuchs. Er hatte etliche Jahre in der Modebranche als Model gearbeitet, bevor er Fotograf, auch Modefotograf, wurde, was ihn zu seinen heutigen Bildern antrieb.

Als er nach vielen Jahren nach Afrika zurückkehrte, wurde er der verheerenden Umweltverschmutzung gewahr, von Waldbränden über Plastikmüll und Ölverschmutzung. Dieses  Thema wird in den zwischen 2013–2020 im Senegal entstandenen Fotos von verschiedenen Figuren verkörpert, die von westafrikanischen Maskeraden und vom Animismus inspiriert sind, zwar königlich Haltung zeigen und doch wegen der umgehängten Lumpen verstörend wirken. Sie entstanden in Zusammenarbeit mit der senegalesischen Modedesignerin Doulsy, die Couture-ähnliche Kostüme aus Müll und Naturmaterialien entwarf. 

Mark Ruwedel, La Tuna Canyon Fire/Beekeeper, 2017, Aus der Serie LA Fires, 2017–20 © Mark Ruwedel, Gallery Luisotti, Los Angeles; Large Glass,, London; Prix Pictet

Fast klassisch muten auf den ersten Blick die Schwarzweiß-Fotografien des 1954 in Pennsylvania geborenen amerikanischen Landschaftsfotografen Mark Ruwedel an, der heute in Long Beach in Kalifornien lebt. Seine Serie der LA Fires, Fotografien aus Ruwedels laufendem, vierteiligem Projekt Los Angeles: Landscapes of Four Ecologies, dokumentiert das dramatische La-Tuna-Feuer von 2017, das als das größte in der Geschichte der Stadt Los Angeles gilt. Es hat in der rauen Umgebung der Wüstenregion lediglich eine Art Geisterlandschaft hinterlassen.

Ruwedel möchte die in der Landschaft enthaltenen Erzählungen enthüllen, „insbesondere jene Orte, an denen sich das Land sowohl als Akteur des Wandels wie auch als Feld menschlichen Strebens offenbart“, sagte er. In seinem überwiegend in Schwarzweiß entstandenen Werk dokumentiert er grundsätzlich die menschliche Präsenz in entlegenen, kargen und Wüstenregionen Nordamerikas.

Im Jahr 2014 wurde er dafür sowohl mit einem Guggenheim-Stipendium als auch mit dem Scotiabank Photography Award ausgezeichnet. Der inzwischen emeritierte Professor der Concordia University in Montreal kam 2019 auch in die engere Auswahl für den Deutsche Börse Photography Prize 2019.

Heute ist Ruwedel in Museen auf der ganzen Welt vertreten, u.a. im J. Paul Getty Museum, im Los Angeles County Art Museum, im Metropolitan Museum, in New York, in der Yale Art Gallery, National Gallery of Art in Washington, National Gallery of Canada, in der Stichting Foundation in Brüssel, in der Maison européenne de la photographie in Paris und im San Francisco Museum of Modern Art.  2008 war sein Werk Gegenstand eines Artists Room in der Londoner Tate Modern.

Das Thema Nachhaltigkeit (sustainalibity), das der Stiftung besonders am Herzen liegt, erfüllt er in hohem Maße.

Eingang ins Fotografie Forum Frankfurt, Foto: Petra Kammann

Perhaps in our ability to carry on in adversity lies hope for us all,” sagte im Rahmen der feierlichen Preisverleihung des Prix Pictet 2017 der einstige ghanaische UN-Generalsekretär und Friedensnobelpreisträger Kofi Annan, der für eine besser organisierte und friedlichere Welt wie auch für eine nachhaltigere Entwicklung in der Welt eintrat . Darin liege eine Hoffnung auf mehr Menschlichkeit. Kein Geringerer als er war daher auch der Ehrenpräsident dieses besonderen Prix Pictet. Die sehr unterschiedlichen Bilder der engagierten Fotografen-Künstler tun es auf ihre Weise. Und auch das gehört zu den Grundfesten des Preises: Jeder Vergabezyklus ist einem eigenen Thema gewidmet. Demnächst wird es um die HUMANS gehen.

Alle Nominierten:

Im FFF zu sehen sind die Arbeiten der PRIX PICTET FIRE -Gewinnerin Sally Mann (USA) sowie der Shortlist-Fotokünstler *innen Joana Hadjithomas und Khalil Joreige (Libanon), Rinko Kawauchi (Japan), Christian Marclay (USA/CH), Fabrice Monteiro (Belgien/Benin), Lisa Oppenheim (USA), Mak Remissa (Kambodscha), Carla Rippey (Mexiko), Mark Ruwedel (USA), Brent Stirton (Südafrika), David Uzochukwu (Österreich/Nigeria) und Daisuke Yokota (Japan).

Rahmenprogramm:

SO, 30.04., 15.00 KURATORINNENFÜHRUNG
mit CELINA LUNSFORD

Öffentliche Führungen:

Mi, 26.04. und 03.05.2023, 17.00 

Zur Ausstellung PRIX PICTET FIRE ist ein GALLERY GUIDE (Deutsch und Englisch, mit Informationen zu allen ausgestellten Werken) kostenlos an der Kasse des FFF erhältlich. 

Ausstellungort:

PRIX PICTET FIRE
im Fotografie Forum Frankfurt
Braubachstr. 30–32
60311 Frankfurt

ÖFFNUNGSZEITEN : Di–So 11.00–18.00, Mo geschlossen 

Der PRIX PICTET FIRE wurde in Kooperation von Prix Pictet und FFF ermöglicht.
Der Eintritt ist frei.

 

 

Comments are closed.