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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Blütezeit: Eine Poesie der Natur

Der Rhythmus des neuen Lebens

„Doch meiner Krone schönster Stein ist Rosbachs Kirschenberg allein!“

Von Paulina Heiligenthal

Wenn die ersten Wildsträucher wie die Kirschpflaumen und etwas später die Schlehen ihre Blüten öffnen, verscheuchen sie mit ihren leuchtenden Farben das Wintergrau und kündigen den ersehnten Frühling an. Das Licht kehrt wieder, die Natur keimt auf, ein Gefühl von Leichtigkeit schwebt in der Luft. Das ist Energie pur. Verwöhnen die üppig blühenden Kirschbäume unser Auge, verzaubert diese weiße Pracht mit ihrem zarten Duft unsere Sinne, ist der Lenz spürbar da. Atemberaubend schön! Der Wetteraukreis gehört zu den streuobstreichsten Gegenden in Hessen. Mit vier von elf ausgewiesenen „Streuobst-Hotspots“ rangiert er an der Spitze aller Landkreise im Bundesland. Im Sommer 2022 veröffentlichte Hessen eine neue Streuobstwiesen-Strategie.

Strahlend weiße Blütenpracht in der Wetterau, Foto: Paulina Heiligenthal

Dadurch erhalten die Wetterauer Streuobstwiesen jetzt besondere Aufmerksamkeit als überregional bedeutende Gebiete, für deren Erhalt gezielte Anstrengungen ergriffen werden sollen. Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa, mehr als 5.000 Tier- und Pflanzenarten können hier leben.

Das Landschaftsbild wird von tausenden und abertausenden Obstbäumen geprägt, die schutzwürdige Biotope für viele heimische Tierarten bedeuten. Auf einer Fläche von bis zu 3.000 Hektar zählt der Wetteraukreis sage und schreibe 230.000 Obstbäume. Eine ästhetische Landschaftserfahrung.

Die Beweidung mit Schafen ist nachhaltig, Foto: Paulina Heiligenthal

Ausschlaggebend für ein ausgewogenes Landschaftsbild ist die Beweidung mit Schafen. Wirtschaftlich gesehen ist die Wolle für die Schäfer nicht unbedingt wertvoll. Biologisch, organisch und nachhaltig gesehen ein dickes Plus. In Form von Pellets bietet die Wolle als Langzeitdünger vielseitige Einsatzmöglichkeiten sowohl in der Landschaft als auch in Gärten. In heißen, trockenen Sommern ist er als kostbarer Wasserspeicher unentbehrlich.

Als die USA 1776 ihre Unabhängigkeit erklärte, brach die Baumwolllieferung von Großbritannien und damit die Baumwollverarbeitung in der Wetterau, ein wichtiger Wirtschaftszweig, völlig ein. Neue Erwerbsquellen mussten erschlossen werden. Der damalige Ortsherr Gottfried von und zu Franckenstein ergriff als erste Maßnahme den Anbau von Kartoffeln. Darauf folgte Ende des 18. Jahrhunderts der Anbau von Süßkirschen. Eine weitsichtige, weise Strukturplanung.

Die Kirschbäume stehen nun schon in voller Blüte, Foto: Paulina Heilgenthal

Kleine Frucht, große Wirkung: Kirschen schmecken nicht nur vorzüglich, sie sind auch äußerst gesund: Sie enthalten viel Kalium und Vitamin C, sind kalorienarm und mildern Muskelkater, stärken Nerven und Knochen und senken den Harnsäurespiegel im Blut. Auch enthalten sie das natürliche Schlafhormon Melatonin für besseren Schlaf. Der Pflanzenstoff Anthocyan, der in Kirschen enthalten ist, macht freie Radikale im Körper unschädlich und unterstützt zudem den Aufbau von Bindegewebe. Der hohe Kaliumgehalt der Kirsche aktiviert die Nieren, arbeitet Wassereinlagerungen der Haut entgegen und sorgt für ein strafferes Hautbild.  Antibakterielle Inhaltsstoffe und Enzyme wirken der Bildung von Plaque und dessen Folgen entgegen.

Die rote Farbe steht für Liebe und Leidenschaft. Wegen dieser unreinen Symbolik wurde die Kirsche im Mittelalter von der Kirche als verbotene Frucht stigmatisiert, Foto: Paulina Heilgenthal

Während einige Frühblüher ihre Knospen schon in den ersten Apriltagen öffnen, blüht die Mehrzahl der Kirschbäume zwischen Mitte und Ende April. Entsprechend organisierte Blütenwanderungen werden darum in diese Zeit gelegt. Wer die Umwelt bewusst wahrnehmen und die Schönheit der arkadischen Landschaft intensiv aufsaugen möchte, meidet die großen Wandergruppen und geht wochentags auf Entdeckungsreise.

Er hat den Widrigkeiten getrotzt, der alt verwegene Kirchbaum, Foto: Paulina Heiligenthal

Der Kirschenberg von Ockstadt bietet bei klarem Wetter einen tollen Blick auf vier Mittelgebirge: Im Nordwesten erhebt sich das uralte Taunusgebirge, das vor 450 Millionen Jahren entstanden ist. Im nordöstlichen Bereich schaut man auf den relativ jungen Vogelsberg, entstanden vor 18 bis 20 Millionen Jahren. Südöstlich liegt der Spessart. Im Süden, hinter der Skyline von Frankfurt, kann man die höchste Erhebung des Odenwaldes sichten.

Im April ist der Anblick von 42.000 strahlend weiß blühenden Kirschbäumen überwältigend, mit einer magischen Anziehungskraft. Ein wahres Blütenmeer oder doch der Schnee vor dem Taunusgebirge, dessen Naturpark Taunus in Rosbach vor der Höhe beginnt?

Ockstadt in der Wetterau spielte im Mittelalter eine bedeutende Rolle als wichtige Station auf dem Jakobsweg über Le Puy Auvergne nach Santiago da Compostela,  Foto: Paulina Heiligenthal

In Ober-Rosbach wird bereits seit über 160 Jahren das Kirschblütenfest gefeiert. Dicht an dicht reihten sich damals die Obstbäume am Hang zwischen dem Beinhardshof, am Fuß der A5 und dem Löwenhof, dem Gutshof südwestlich von Ockstadt. Mit Kutschenfahrten und Spaziergängen dem Kirschenberg entlang, erfreuten sich die Gäste von nah und fern der zauberhaften Blütenpracht und vergnügten sich bei Tanz und Musik. Die Rosbacher Gastwirte bewarben bereits 1850 ihr Blütenfest mit Versen im Friedberger Intelligenzblatt.

In der Wolke spiegeln sich die filigranen Blütenblätter, Foto: Paulina Heiligenthal

Seit über hundert Jahren gibt es eine Blütenkönigin mit Unterbrechungen in den Kriegsjahren. Mit Unterstützung der Gemeinde wurde ab 1935 dem Fest ein feierlicher Rahmen geboten. Seither wird am letzten Aprilwochenende das Rosbacher Kirschblütenfest gefeiert, organisiert von der Stadt Rosbach. Ein Höhepunkt für Groß und Klein, Junge und Junggebliebene mit einem attraktiven Programm, das sich sehen lassen kann.

„Wohin ich in das Land auch schau – in Blüte steht die Wetterau!“ Elise Wörner, erste Blütenkönigin von Rosbach. 1935.

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