„Elektra“ – Tragödie in einem Aufzug von Richard Strauss an der Oper Frankfurt
Traumatisierte Familienmitglieder zwischen Wahn und Wirklichkeit
von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt
Die Tragödie „Elektra“ ist eine musikalisch-literarische Wucht, geschaffen vom Komponisten Richard Strauss (1864-1949) und dem Dichter Hugo von Hofmannsthal (1874-1929). Auf die Bühne gebracht wurde sie gerade wieder in der Oper Frankfurt von Mitgliedern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unter der Leitung von Sebastian Weigle und dem Regie-Team um Claus Guth. Entstanden ist eine enthusiastische Hommage an die drei Protagonistinnen, allen voran an Aile Asszonyi als Elektra, Jennifer Holloway als Chrysothemis und Susan Bullock als Klytämnestra.
v.l.n.r.: Jennifer Holloway (Chrysothemis)sitzend und Aile Asszonyi (Elektra) sowie Kinderstatisterie der Oper Frankfurt
Der Komponist Richard Strauss hatte wie kaum ein anderer Komponist das Musiktheater Anfang des 20. Jahrhunderts verändert. Er war auf der Suche nach einem Librettisten. Die beiden Künstler Strauss und Hofmannsthal kannten sich. 1903 hatte Strauss in Berlin die Uraufführung von „Elektra“ – Tragödie frei nach Sophokles des Dichters Hugo von Hofmannsthal gesehen. Max Reinhardt führte damals Regie und besetzte die Rolle der Elektra mit Gertrud Eysoldt. Von heftig bis zustimmend waren die Kritiken damals.
Aber Strauss hatte sein Libretto gefunden. Der zehn Jahre jüngere Hofmannsthal war sofort einverstanden und änderte das ein oder andere in seinem Text. 1909 wurde am Königlichen Opernhaus Dresden „Elektra“ die Tragödie in einem Aufzug uraufgeführt – ein großer Erfolg. Wenig später gab es Vorstellungen in Berlin und Wien. „Elektra“ wurde zu einer der meistgespielten Opern. Und es war der Beginn einer außergewöhnlichen Zusammenarbeit zwischen Strauss und Hofmannsthal. „Der Rosenkavalier“ war der Höhepunkt.
Zur Vorgeschichte von „Elektra“: Agamemnon wollte seine älteste Tochter Iphigenie töten, um günstige Winde von der Göttin Artemis für die griechische Flotte zu erlangen. Iphigenie aber wurde von der Göttin nach Tauris entrückt. Sie wurde nicht getötet. Aber das wurde vermutet. Ist das der Grund, warum Klytämnestra ihren Mann Agamemnon nach seiner Rückkehr aus Troja gemeinsam mit Aegisth, ihrem Geliebten, tötete und ihren Sohn Orest vom Hof verbannte?
Regisseur Claus Guth ist fasziniert von der Bildkraft der Sprache Hofmannsthals und lässt sich von ihr leiten.
Helene Feldbauer (2. Magd), Monika Buczkowska (5. Magd) und Katharina Magiera (1. Magd) sowie Aile Asszonyi (Elektra)
Gleich zu Beginn treten die Mägde auf, die über Elektra spotten. II.Magd: „Ist doch ihre Stunde, wo sie um den Vater heult, dass alle Wände schallen.“ III.Magd: „“Drum hockst du immerfort“ (gab ich zurück) „wo Aasgeruch dich hält und scharrst nach einer alten Leiche! [..] I.Magd: Dass die Königin solch einen Dämon frei in Haus und Hof sein Wesen treiben lässt.“ Nur die ganz junge fünfte Magd hat Hochachtung vor Elektra.
Elektra sitzt wie in Trance an der Seite, das ist ihr Platz. Die Gespräche der Mägde wird sie gehört haben. Dann: „Weh! Weh, ganz allein!“ – der Ausruf eines verzweifelten Menschen, der erschüttert.
Elektra erinnert an die Stunde, wo sie den Vater „geschlachtet“ haben: „ Agamemnon! Vater! Ich will dich sehn, lass mich heute nicht allein! Nur so wie gestern, wie ein Schatten, dort im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!“ Ihr Vaterkomplex ist unbeschreiblich. Der Vater zeigt sich. Langsam schreitet er –verhüllt, entfernt von ihr – über die Bühne. Nachvollziehbar diese Regie-Idee, die Guth auch einsetzt, um an den Bruder Orest als Kind zu erinnern.
Ihr Hass auf Mutter Klytämnestra und ihren Liebhaber Aegisth treibt sie fast in den Wahnsinn. Sie hat sich eingekapselt und ist nur von dem einen Gedanken bestimmt, die Mutter und ihren Liebhaber zu töten. Diese wiederum wollen Elektra in einen Turm sperren, was Chrysothemis, ihre Schwester, gehört hat.
Diese bezeichnet das Haus als Kerker und beschuldigt Elektra, an dieser Situation schuld zu sein: „Du bist es, die mit Eisenklammern mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du, sie ließen uns hinaus. [..] Wem frommt denn solche Qual? Der Vater, der ist tot. Der Bruder kommt nicht heim. Immer sitzen wir auf der Stange wie angehängte Vögel, wenden links und rechts den Kopf und niemand kommt kein Bruder – kein Bote von dem Bruder, nicht der Bote von einem Boten. Nichts .“
v.l.n.r.: Aile Asszonyi (Elektra) und Jennifer Holloway (Chrysothemis)
Sie möchte weg, leben, heiraten und Kinder haben. Ihren Schal hält sie so, als trage sie ihr Kind, das sie wiegt. Wie die junge amerikanische Sopranistin Jennifer Holloway diese Rolle singt und spielt, ist einmalig. Elektra verhöhnt sie.
Chrysothemis gerät außer sich, als sie erfährt, dass Orest tot sei. Boten hätten die Nachricht überbracht, aber Elektra widerspricht ihr: „Es ist nicht wahr.“ Dann fordert sie aber die Schwester auf: „Wir beide müssen’s tun.“ Das heißt: das Weib, die Mutter, und den Mann erschlagen.
Elektra lässt sie nicht los. Ich werde dir dann auch Schwester sein, verspricht sie. Beide kämpfen regelrecht miteinander. Elektra ist brutal, dann flieht die Schwester: „Ich kann nicht!“ Chrysothemis – „Sei verflucht!“ Elektra.
Ein Höhepunkt der Inszenierung von Claus Guth.
v.l.n.r.: Susan Bullock (Klytämnestra) und Aile Asszonyi (Elektra)
Ein anderer Höhepunkt ist die vorausgegangene Begegnung zwischen Klytämnestra und Elektra, die um eine Unterredung mit der Mutter bat. Die Dienerinnen vermuten Falschheit, und so ist es auch.
„[..]sausend fällt das Beil, und ich steh‘ da und seh‘ dich endlich sterben! Dann träumst du nicht mehr, dann brauche ich nicht mehr zu träumen, und wer dann noch lebt, der jauchzt und kann sich seines Lebens freun.“ So endet die Unterredung. Elektra ist trunken vor Hass, Klytämnestra vor Angst, freudig erregt aber über die falsche Nachricht vom Tod des Orest.
Susan Bullock, „Commander of the Most Excellent order of the British Empire”, ist eine der besten Sopranistinnen weltweit. An der Oper Frankfurt sang sie vor elf Jahren in Wagners „Der Ring der Nibelungen“ die Brünhilde. Nun ein großartiges Wiedersehen und -hören.
Hauptsächlich um sich selbst drehend, fremden Einflüssen zugetan, ängstlich, aber auch brutal gegenüber den Dienerinnen, so zeigt sie sich in dieser Rolle.
Den drei sehr unterschiedlichen Frauenfiguren hat Claus Guth eine differenzierte psychologische Tiefe gegeben.
Umwerfend gestaltet Aile Asszonyi die Rolle der Elektra. Die estnische Sopranistin mit ungarischen Vorfahren singt erstmals in Frankfurt. Mehrfach erhielt sie den „estnischen Theater Award“ und ist Preisträgerin des Internationalen „Königin-Elisabeth-Wettbewerbs“ in Brüssel.
„Sie ist Elektra“, sagt Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, der dirigiert. Eine großartige und kluge Wahl des Theatermanagements. Mühelos nimmt ihre klare, wuchtige Stimme es mit dem Riesenorchester auf, das der Komponist so bestimmte.
Die psychosomatischen Störungen: sie zuckt mit dem Kopf, ihre Hand ist verkrampft, ihr Blick manchmal starr, demonstriert sie überzeugend-wirklichkeitsnah diese Verstörung. Sie besucht die Selbsthilfegruppe, die Guth in die Inszenierung eingebaut hat. Aber sie erweist sich als therapieresistent.
Witzige Regieeinfälle lockern hin und wieder das Geschehen auf.
Aile Asszonyi (Elektra) umringt von Tänzer*innen
Orest erscheint am Hof als Bote. Er erkennt seine elend aussehende Schwester nicht und Elektra erkennt ihn nicht. Er: „Die Hunde auf dem Hof erkennen mich, und meine Schwester nicht?“
Das ehemalige Ensemblemitglied Bassbariton Simon Bailey sprang kurzfristig für den erkrankten Kihwan Sim bei der Premiere ein. Konzentriert sein Auftritt.
Zur Witzfigur wurde Aegisth gemacht, den Ensemblemitglied Peter Marsh locker daherkommen lässt. Mit Zylinder stolziert er umher. Blutrot ist der durchsichtige Vorhang angestrahlt, hinter dem er schließlich ermordet wird.
Peter Marsh (Aegisth) und Aile Asszonyi (Elektra)
Elektra überlebt nicht, beim ausgelassenen Tanz bricht sie zusammen.
Einprägsam die Bühne von Katrin Lea Tag mit beweglichen Elementen und durchsichtigen Vorhängen, die Olaf Winter mit seinen Lichtideen geschickt verwandelt. Theresa Wilson hüllt Elektra in ein langes schwarzes Gewand, Chrysothemis dagegen in ein Tageskleid, Klytemnästra königlich in einen Samtmantel.
Höhepunkt in der Musik: die etwa hundert Musikerinnen, Musiker des Orchesters weiß Sebastian Weigle großartig zu führen, sie auch zu dämpfen, damit die Stimmen nicht untergehen. Das gesamte Orchester ließ sich am Ende, ebenso der Chor auf der Bühne feiern.
Die Oper Frankfurt – Opernhaus des Jahres – hat wieder mit einem außergewöhnlichen Theatererlebnis das Publikum mitgerissen.
Weitere Aufführungen von „Elektra“ sind am 1., 7., 16. April, danach Oper lieben, 21. April, am 1. und 5. Mai.
Informationen und Karten: www.oper-frankfurt.de
Telefonischer Vorverkauf: 069 – 212 49 49 4
Anmerkung zu Gertrud Eysoldt:
Nach ihr wurde einer der bedeutendsten Theaterpreise benannt. Soeben wurde in Bensheim der renommierte Gertrud-Eysoldt-Ring an PATRYCIA ZIOLKOWSKA und Alicia Aumüller für ihr Zusammenspiel am Schauspielhaus Zürich in dem Drama „Ödipus Tyrann“ von Sophokles verliehen.