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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Martin Grubingers Abschiedskonzert in Frankfurt: einfach hinreißend

Der (Multi-)Perkussionist entfacht im Ensemble einen Rhythmus-Orkan

Von Uwe Kammann

Martin Grubinger ist ein wahres Ausnahmetalent: Als einer der gefragtesten Schlagzeuger konzertiert er international mit namhaften Orchestern. Mehrfach brachte er Werke für Schlagzeug zur Uraufführung und gilt als einer der besten Marimbaphon-Spieler weltweit. Sein künstlerischer Antrieb: das Schlagwerk als Soloinstrument. Am 7. März war Martin Grubinger zu Gast in der Alten Oper mit Werken von Iannis Xenakis, Daniel Bjanarson, Kalevi Aho, Steve Reich und seines Vaters Martin Grubinger. 

Martin Grubinger, Foto: © Simon Sauly

Die Jury beim Grimme-Fernsehpreis war fasziniert, ja begeistert. Und belohnte 2011 ein neues Musikmagazin beim Bayerischen Rundfunk unter dem etwas merkwürdigen Titel KlickKlack mit einer Nominierung, Weil es so außergewöhnlich frisch, authentisch und innovativ Einblicke in die Welt der Musik vermittelte. Das Lob galt vor allem den zwei Moderatoren, der Cellistin Sol Gabetta und dem Schlagzeuger Martin Grubinger. Beide agieren auch heute noch alternierend vor der BR-KlickKlack-Kamera, mit unverminderter Leidenschaft, mit hinreißendem Charme und einer verblüffenden Leichtigkeit in der verbalen Übersetzung. Bei Grubinger ist sie gepaart mit einem außerordentlichen Rhythmik-Temperament und einer unerhörten Dynamik.

Damals, vor einem Dutzend Jahren, war der Name des gebürtigen Salzburgers noch nicht allen Klassikfreunden präsent – zu selten stand das Schlagzeug uneingeschränkt im Mittelpunkt eines Konzerts. Inzwischen wird er als Top-Weltstar unter den (Multi-) Perkussionisten gefeiert. Dass er kürzlich angekündigt hat, beim diesjährigen Rheingau-Musikfestival seine letzten Konzerte zu geben, dass er – gerade auf die 40 zusteuernd – nach zwanzigjähriger Karriere von der Bühne an das Mozarteum in Salzburg wechseln will: Das löst allenthalben höchstes Bedauern aus.

Sol Gabetta moderiert mit Grubinger die BR-Sendung „KlickKlack“ ©Julia Wesely

Aber wer ihn jetzt bei seinem letzten Konzert in Frankfurt erlebte, der wird diese Konzentration auf das Akademische auch verstehen können. Denn wie lange ist ein solch’ unglaublicher Kraftakt abzuliefern, bis zu welchen Grenzen kann man seine Physis treiben? Zu erleben war das wieder bei einem wahren Perkussionsfeuerwerk, das die Alte Oper zum Beben brachte. Das Publikum – sichtbar jünger und unkonventioneller als sonst – geriet schier aus dem Häuschen, bejubelte Grubinger und sein Ensemble (vier weitere Perkussionisten und ein Pianist: Slavik Stakhov, Jürgen Leitner, Richard Putz, Valentin Vötterl, Per Rundberg) minutenlang. Und es feierte die sechs Musiker am Schluss stehend, in den Ovationen angesteckt durch den zweieinhalbstündigen Parforce-Ritt auf der Bühne.

Einer Bühne übrigens, auf der in voller Breite und Tiefe Perkusssionsinstrumente arrangiert waren – schon alleine der Anblick dieser mächtigen Klangburg ganz unterschiedlicher Provenienz war atemberaubend. Manches konnte erkannt und benannt werden wie Marimbaphon, Xylophon, Bongos, Bassdrums, Kongas, Glockenspiele und Klangstäbe. Alles zusammen zu bearbeiten und zu beherrschen mit einem verblüffenden Arsenal an Schlegeln, Sticks, Klöppeln, in selteneren Fällen auch direkt mit den Händen, vom harten Schlag bis zu zartesten Berührungen auf dem gespannten Fell.

Rasend schneller Umbau der Drums durch Grubinger und „Friends“ in den Pausen, Foto: Petra Kammann

Die weitere Besonderheit: Grubinger und „Friends“ bewegen sich virtuos in diesem für Laien labyrinthisch wirkendem, auch höhengestaffelten Set der Schlaginstrumente. Sie wechseln ihre Positionen mal kreisförmig, mal in Schlängellinien; und erzeugen eine weitere Dynamik der Klänge, indem sie einzelne Objekte bewegen, um die Klangwelten aufzufächern, ihnen eigene Räume zuzuordnen, die sich dann wieder überschneiden können oder im Kreis verlaufen.

Das aus fünf Stücken komponierte Konzert ließ sich dank der ausgeklügelten räumlichen Choreographie als Gesamtarrangement erleben, was die gestaffelte Dynamik noch einmal erhöhte. Alleine diese Beweglichkeit ruft höchste Bewunderung hervor, weil die Partituren gleichsam verinnerlicht erscheinen, in höchst akkurater Abstimmung der Musiker untereinander, per Blickkontakt geleitet von Grubinger. Der allerdings nicht nur als Primus inter pares agiert, sondern seine Sonderstellung in atemberaubenden Solopassagen demonstriert, mit einer Schlagtechnik, die jeden Imitator schwindlig zurücklässt – was der Maestro mit neongelben Schlegeln vorführt.

Dies geht bis zur körperlichen Verausgabung – ab und zu muss ein weißes Handtuch herhalten, um den Schweiß zu trocknen –, doch verblüffender Weise ist Grubinger dann von einem Moment auf den anderen in der Lage, geradezu entspannt und gutgelaunt die Linien des Konzertes und die einzelnen Stücke zu erklären.

So erfahren wir, dass in seiner jungen Anfangszeit praktisch keine Kompositionen für die Schlagzeugwelt existierten, bis auf Klassiker wie Iannis Xenakis und Steve Reich. Mit Lust beschreibt er deshalb die Zusammenarbeit mit dem Isländer  Daniel Bjanarson und Kalevi Aho, in deren Werken „Inferno“ und „Siedi“ sich Klanglandschaften entfesseln und entfalten, die einen schier unglaublichen musikalischen Reichtum demonstrieren.

Umbau während der Moderation, Foto: Petra Kammann

Das „Inferno“ des Isländers Bjanarson, ja, das fühle sich auch so an, moderiert Grubinger, wobei mächtige Paukenschläge auch mit sehr zarten Passagen, so auf dem Xylophon, kontrastriert werden. Noch gewaltiger hatte der Auftakt mit Xenakis’ „Okho“ in den Bann geschlagen, ein gleichsam mathematisch konstruiertes Stück, das tatsächlich archaische Strukturen erkennen lässt, gleich anfangs sehr markant und dominant mit afrikanischen Basstrommeln verankert. Doch wartet es mit vielen weiteren Schattierungen und Farben auf.

Archaisches, auch Schamanisches wiederum vermittelt sich im Werk des Finnen Kalevi Aho, in vielen Passagen eine Nachschöpfung – so jedenfalls lässt es sich hören und verstehen – der skandinavischen Landschaft. Die titelgebenden „Siedi“, so erläutert Grubinger, sind aus frühgeschichtlicher Zeit stammende Steinformationen in Lappland, die als Opferstätten der Samen dienten.

Tatsächlich lässt sich aus den fein komponierten Passagen und über den Flügel intonierten impressionistischen Melodieläufen eine Erzählung ableiten, mal härter, mal lyrisch, in vielem traumwandlerisch, bis zu einem so spannungsvollen wie magischen Fast-Verstummen über sparsamste Handbewegungen auf dem Trommelfell – vom Saal förmlich „mucksmäuschenstill“ aufgenommen, mit großer innerer Bewegung.

Ganz anders dagegen der Klassiker „Drumming“ von Steve Reich, tatsächlich ein Wunderwerk an „hypnotischer Rhythmik“. Hier wurde es von ursprünglich 80/90 Minuten auf sechs Minuten reduziert, dabei den Kern bestens bewahrend, nämlich das Prinzip der Minimal Music. Um die Variation von Mustern (‚pattern’) geht es, um Phasenverschiebungen und rhythmische Überlagerungen, in einem sich steigernden Wirbel, erzeugt vom sich an Bongos in Paaren gegenüberstehenden Percussionisten-Ensemble. Ein irrwitziges Tempo entsteht, in höchster Intensität, bis zur finalen Entladung. Das Publikum: atemlos und hingerissen.

Auch die Initialzündung zu seinen eigenen perkussonistischen Höhenflügen bezog Grubinger in sein Frankfurter Konzert – eben: sein letztes – ein: nämlich seinen eigenen Vater, Martin Grubinger senior, selbst Schlagzeuger und Lehrer für Schlaginstrumente am Mozarteum in Salzburg. Dessen noch junge Komposition „Number of Fate“ spielt mit dem Siebener-Metrum, in einer Verwirbelung von Ordnungsmustern, welche das Hören geradezu verdreht, mit jazzigen Anklängen, mit Zitatandeutungen aus der Wiener Walzerwelt. Und feuert damit eine tänzerische Spiellaune weiter an, die sich in jedem der Schlagmuster auf das Publikum überträgt.

Der Saal bebt vor Begeisterung, Foto: Petra Kammann

Ganz breitfröhlich dann der Ausklang des Ausklangs, die feurige Zugabe: mit einem höchst virtuosenTrommelsolo und einer Ragtime-Variation. Der Saal kocht. Die Alte Oper: ganz jung – auch noch im letzten Winkel.

 www.proarte-frankfurt.de 

 

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