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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Museum Wiesbaden überrascht mit „Oskar Zwintscher – Weltflucht und Moderne“

Faszinierende Wiederentdeckung des virtuosen Jugendstilmalers

Von Hans-Bernd Heier

Lange wartete Oskar Zwintschers Werk auf eine grundlegende Neubewertung. Das Museum Wiesbaden präsentiert jetzt nach Dresden in der Ausstellung „Weltflucht und Moderne“ die gesamte künstlerische Bandbreite des sächsischen Malers und Zeichners im Kontext seiner Zeit. In Zwintschers Arbeiten spiegeln sich jene Übergänge und Umbrüche, die ihn zwischen Tradition und Modernität verorten lassen. Zu bewundern sind in der grandiosen Schau bis zum 23. Juli 2023 neben exzellenten Zeichnungen rund 60 Gemälde, darunter idyllische Landschaften und Porträts von Prominenten der Jahrhundertwende sowie des Malers Muse, seine Ehefrau Adele.

„Bildnis der Frau des Künstlers“, 1901; © Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, erworben mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung, 1996

Oskar Zwintscher (1870 in Leipzig und 1916 in Loschwitz gestorben) studierte Kunstgewerbe in Leipzig und Malerei an der Kunstakademie in Dresden. Einen Namen machte er sich als gefragter Porträtmaler, Werbegrafiker und Karikaturist für Zeitschriften wie „Meggendorfers humoristische Blätter“ oder „PAN“. „Vom Symbolismus über den Jugendstil bis zum Vorgriff auf die Neue Sachlichkeit spannt sich in seiner recht kurzen künstlerischen Schaffensperiode ein eindrucksvoller Bogen, der in der Ausstellung sichtbar gemacht wird und die Aktualität seiner Bilder hervorhebt“, erläutert Museumsdirektor Dr. Andreas Henning.

„Fruchtsegen“, 1913; © Albertinum, Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden. 2019 erworben aus Sammlungsnachlass der Familie Eduard Merzingen (sen.), mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung und des Vereins Freunde der Galerie Neue Meister e.V.; Foto: Elke Estel/Hans-Peter KlutIn

In Zwintschers Werk spiegelt sich die große Bewegung der Lebensreformen seiner Zeit wider, die auch in der heutigen Zeit für viele, denen Vegetarismus, Zivilisationsflucht und Naturverbundenheit sowie Schönheitskult und ein gesundes Körpergefühl am Herzen liegt, relevant ist. Die Nähe zur Lebensreform-Bewegung zeigt sich besonders in freizügigen Aktdarstellungen. „Vor allem seine brillant gemalten (Selbst-)Porträts verhandeln Themen, die sich im Spannungsverhältnis von Selbstbefragung und Selbstinszenierung bewegen, wie sie uns ganz aktuell im Zeitalter der ‚Selfies’ umtreiben“, erläutern die Kuratoren Dr. Peter Forster und Valerie Ucke.

„Porträt Dr. Ferdinand Gregori“, 1907; © Museum Wiesbaden; Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert

Wiesbaden zählte bereits 1899 zu den Stationen der großen Einzelausstellungstournee des jungen sächsischen Malers. Seine Arbeiten wurden in dem damals renommierten Kunstsalon Banger präsentiert. 1909 waren seine Arbeiten ein weiteres Mal in der Landeshauptstadt zu sehen, nämlich im Rathaus.

Daraufhin kaufte das Museum Wiesbaden das Gemälde „Porträt Dr. Ferdinand Gregori“. Gregori, mit dem Zwintscher befreundet war, wirkte als Hofschauspieler am Burgtheater in Wien und war Leiter der dortigen Akademie für Musik und darstellende Kunst. Das Gemälde geriet nach Einzug in die Museumssammlung in Vergessenheit.

Das sollte sich mit der epochalen Schenkung des Jugendstilsammlers und großzügigen Mäzens Ferdinand Wolfgang Neess ändern. Mit seiner Donation gelangten zwei herausragende Porträts Oskar Zwintschers ins Museum. Forschungen an den Neuzugängen der Jugendstilsammlung, darunter das „Bildnis mit gelben Narzissen“, brachten das Gregori-Porträt wieder ans Licht.

In dem Bild „vollendet sich Zwintschers Meisterschaft und verdeutlicht seine Qualitäten als Maler des Jugendstils und des Symbolismus. Er verstand es, durch Vereinfachungen in den Kompositionen die Aufmerksamkeit auf das Gesicht, und vor allem auf die Augen zu lenken“, sagt Kustos Peter Forster.

„Bildnis mit gelben Narzissen“, 1907; © Museum Wiesbaden; Sammlung F. W. Neess. Foto: Museum Wiesbaden/Markus Bollen

Zwintscher pflegte Kontakt zu den Künstlervereinigungen der Jahrhundertwende unter anderem zu der Künstlerkolonie in Worpswede, der Berliner Bohème oder der Münchner Secession. 1904 erhielt der Maler eine Professur an der Dresdener Kunstakademie. Daneben erwarben renommierte Museen seine Kunst.

Porträts in altmeisterlicher Manier entwickelten sich nach und nach zum Kern seines malerischen Werks. Neben repräsentativen Damenbildnissen, die gut in großbürgerliche Salons passten, entstanden sehr private Bildnisse, in denen mitunter Spuren des Alters kaum idealisiert und ungeschönt dargestellt sind – ein Vorgriff auf die später folgende Stilrichtung der Neuen Sachlichkeit.

Sein Lieblingsmodell war zweifellos seine Ehefrau Adele, den Kuratoren zufolge eine „zentrale Quelle von Zwintschers Inspiration“. Allein 14 äußerst beeindruckende ikonische Porträts seiner Muse hat der Künstler im Laufe der Jahre gemalt.

„Selbstporträt (Detail)“, 1900; © Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen; Foto: Marcus Meyer

Die Beschäftigung mit der Landschaft nahm neben der Porträtkunst in Zwintschers Werk einen wichtigen Platz ein. Bekannt war der herausragende Maler für seine Nähe zur Natur, die in seinen Gemälden zum Ornament wird. Häufig bildet er deswegen Birken mit ihren weiß-dunkel gemaserten Rinden ab.

„In jungen Jahren begann er mit impressionistisch aufgelösten Szenen, experimentierte jedoch mehr und mehr mit der Betonung der Fläche und klaren Strukturen in seinen Landschaften. Besonders Frühlings- und Sommermotive — häufig in starken Hochformaten und leuchtenden Farben — stehen symbolisch für Aufbruch, hoffnungsvollen Beginn, Jugend und Wachstum“, so die Kuratoren.

„Die landschaftlich reizvolle Umgebung entlang des Elbtals bildete einen idealen Nährboden für die stilistische Entwicklung des  Künstlers.“ Nach seiner Akademiezeit in Dresden zog der Maler 1892 als freischaffender Künstler nach Meißen, wo er „ zu einer markanten, in Farbigkeit und Linienschärfe modernen Bildsprache fand“.

„Der Sommertag“, 1896; © Städtische Galerie Dresden – Kunstsammlung, Museen der Stadt Dresden; Foto: Franz ZadniÄek

Die sehenswerte Präsentation – eine Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – wurde dort als erste Station mit großem Erfolg gezeigt.

„Die Galerie Neue Meister im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – auch Hauptleihgeber der ausgestellten Exponate – hat in einem mehrjährigen wissenschaftlichen Projekt die Maltechnik und das Œuvre Zwintschers grundlegend erforscht“, unterstreicht Dr. Andreas Henning: „Die Ausstellung feiert die überragende malerische Qualität Zwintschers, zudem gibt sie faszinierende Einblicke in seine Maltechnik.“

„Bildnis einer Dame mit Zigarette“, 1904; © Albertinum, Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Foto: Vera Mohr

Die klar strukturierte Schau vereint insgesamt 80 Exponate, darunter auch 20 Arbeiten von Künstlerfreunden und Schülern. 60 Werke von Zwintscher, inklusive einiger Beispiele angewandter Kunst, wie Keramik und Plakatkunst, bieten Einblicke in sein facettenreiches Œuvre.

Im Fokus stehen die symbolistischen Porträtarbeiten des Malers, farbige Landschaften sowie brillante, vorwiegend mit Bleistift ausgeführten Papierarbeiten. Der Ausstellungsrundgang endet in der hinteren Museums-Rotunde, wo des Künstlers Beziehung zu Wiesbaden dokumentiert wird.

Die Rotunde leitet über in eine weitere überraschende Wiederentdeckung eines zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Künstlers: Karl Otto Hy (s. Bericht in: FeuilletonFrankfurt: „Frank Brabant entdeckt Karl Otto Hy“ im Landesmuseum – Dem großen unbekannten künstlerischen Chronisten Wiesbadens auf der Spur“)

Die Ausstellung „Oskar Zwintscher – Weltflucht und Moderne“ ist bis zum 23. Juli 2023 im Hessischen Landesmuseum für Kunst und Natur zu sehen.

Ein vielseitiges Veranstaltungsprogramm umrahmt die gelungene Präsentation, die durch die Hessische Kulturstiftung und die Freunde des Museums Wiesbaden e.V. gefördert wird. Eine kostenfreie Media Tour in der MuWi-App begleitet die Schau.

Weitere Informationen unter:

www.museum-wiesbaden.de

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