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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Gedenkkonzert des Cäcilienchors in der Katharinenkirche mit Brahms und Würzburger

Eine wohltuende Würde

Von Petra Kammann

Ein Konzert mit dem Orgelwerk „Passacaglia und Fuge über Kol Nidre 8“ von Siegfried Würzburger (1877-1942), gespielt von Martin Lücker, Motetten und Orgelvorspiele von Johannes Brahms in Erinnerung an die von den Nationalsozialisten verfolgten Mitglieder des Cäcilienchors. An die 40 Angehörige der von den Nationalsozialisten verfolgten Chormitglieder waren der Einladung des Cäcilienchors, als Ehrengäste zum Gedenkkonzert, der Wiederholung des Konzerts vom 8. März 1933, nach Frankfurt zu kommen, gefolgt.

Christian Kabitz leitete den Cäcilienchor mit großer Feinfühligkeit, Foto: Petra Kammann

Eingerüstet sieht die Katharinenkirche von außen aus wie eine Baustelle. Im Innern aber sind alle Plätze belegt. Es ist Passionszeit. Für viele sind die Zeiten heute auch nicht gerade leicht. Seltsame Stimmen dringen ins Innere, bevor das Gedenkkonzert beginnt. Übt der Chor noch im Hintergrund? Nein, man hört da nicht die Stimmen der Chorsänger und -sängerinnen. Draußen findet eine Friedensdemonstration statt.

Die Anwesenden, einige von ihnen aus fernen Ländern eigens zum denkwürdigen Konzert angereist, warten geduldig ein paar Minuten. Frieden ist zweifellos für alle Anwesenden ein wichtiges Gut. Der Abend wurde in vielfacher Hinsicht ein denkwürdiger. Für die Familienangehörigen der von den Nationalsozialisten verfolgten Frankfurter Cäcilienchoristen waren in den vorderen Reihen Plätze reserviert. Sie waren hier in Gastfamilien eingeladen.

Die volle Kirche: vorne Nachfahren von Ernst Strauss, Cynthia Strauss und ihr Mann aus Kalifornien und die Familie Bock, Foto: Petra Kammann

Einige von ihnen, die nochmals mit ihrer sp kompliziertenwie tragischen Familiengeschichte konfrontiert wurden, hatten am Wochenende schon der ausgesprochen anrührenden Stolpersteinenthüllung für ihre Verwandten beigewohnt. Wie war das zustande gekommen? Die Sängerinnen und Sänger, denen die musikbegeisterten Frankfurter noch bis zum Beginn der 1930er Jahre zugejubelt hatte, konnten nicht mehr am Chorgeschehen teilnehmen. Sie waren von heute auf morgen, d. h. nach dem letzten Konzert am 8. März 1933 in der Katharinenkirche, ausgegrenzt, verfolgt und teils ermordet worden.

Dabei hatte doch der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy schon 1832, also 100 Jahre früher, über den exzellenten  Cäcilienchor befunden: „Die Leute singen mit soviel Feuer“. Leider half es etlichen nicht. Einige von ihnen konnten noch fliehen, andere verschwanden in Konzentrationslagern. Ihre Spuren verloren sich. So muss es auch ein Aderlass für den Cäcilienchor selbst gewesen sein, der auf diese Weise etwa ein Viertel seiner fähigen Mitglieder verlor.

Eine Stolpersteinenthüllung in der Altkönigstraße im Westend für die Familienmitglieder von Ernst Strauss, Foto: Petra Kammann

Für die heutigen Chormitglieder des Cäcilienchors war es nicht so leicht, die Nachfahren der ehemaligen Mitglieder ausfindig zu machen, da viele Chor-Akten, auch Partituren, damals im Saalbau verbrannt waren. Und das Mitglieder-Verzeichnis endete schon 1925. Hinzukommt, dass heute etliche im Ausland leben. Aber Chormitglieder wie Klaus Weber ließen nicht locker. Seit 2018 forschten sie und wurden fündig.

Gemeinsam mit der Frankfurter Initiative Stolperstein und seinem Leiter Martin Dill hatten sie am Wochenende Stolpersteine an den letzten Wohnstätten der Cäcilienchor-Mitglieder enthüllt und jedem einzelnen eine Biografie zugesprochen. Einfühlsam musizierten in memoriam die Querflötistin Emilia Lanzeni, der Sopran-Saxophonist André Tsirlin  und die Geigerin Bettina Weber vor den jeweiligen Häusern.  Zum Abschluss der würdevollen Zeremonie sprach Martin Dill die folgenden emotional so einschließenden Worte:

Durch das Gedenken sollen diejenigen wieder dazugehören, die einst von hier gewaltsam verjagt wurden. Wir versammeln uns gemeinsam um diese Steine, um die Seelen, die hier einmal wirkten, wieder in unsere Mitte aufzunehmen. Von nun an sollen sie wieder in unserer Mitte sein – wo sie eben waren, bevor sie von hier aus ihren Leidensweg gehen mussten. Wir trauern um sie – und um den Verlust, welchen wir uns selbst, erst mit ihrem Ausschluss und dann mit dem Vergessen darüber, zugefügt haben.“

Altkönigstraße: Martin Dill von der Initiative Stolpersteine, Frankfurt, vor der letzten Frankfurter Wohnstätte von Ernst Strauss

Gemeinsam wurde anschließend mit den Angehörigen gesungen. Das Treffen mit ihnen war auch Anlass für den Cäcilienchor, eine zweisprachige Broschüre mit den Biografien der Opfer unter dem Titel  „Spurensuche“ *herauszugeben und die Angehörigen als Ehrengäste in das Gedenkkonzert am 6. März in die Katharinenkirche einzuladen.

Als dort der renommierte Organist Martin Lücker mit der „Passacaglia und Fuge zu Kol Nidre“ von Siegfried Würzberger beginnt, herrscht eine konzentrierte Stille. Der Organist der Westend-Synagoge Würzburger hatte vor über 90 Jahren mehrere Stücke zu hohen jüdischen Festtagen wie das „Kol Nidre“ zu „Jom Kippur“, dem höchsten jüdischen Feiertag, komponiert. Doch viele seiner Kompositionen sind unwiederbringlich zerstört.

Hinzukommt, dass Würzburgers Beziehung zur Katharinenkirche ohnehin eng war, da er von dem damaligen Organisten Karl Breidenstein gelernt hatte. Da er selbst aber erblindet war und sein Sohn Hans an Asthma litt, konnte die Familie ab 1933 nicht ins Exil fliehen. Die kleine Familie wurde stattdessen nach Lodz deportiert. Alle drei kamen um.

Plakat des Konzerts vor 90 Jahren / Cäcilienchor

Beim Konzert vor genau 90 Jahren in der Katharinenkirche wurden wie in diesem Konzert auch Motetten von Johannes Brahms (1833-1897) gesungen wie „Schaff in mir Gott ein reines Herz“... oder „Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen“, eingeleitet und/oder unterbrochen durch die meditativen Brahms’schen Orgel- und Choralspiele von Martin Lücker.

Das ließ die ganz klar und durchsichtig gesungenen Motetten, die vom Cäcilienchor-Leiter Christian Kabitz von äußerst differenziert einstudiert und dirigiert wurden. Besonders ergreifend war die Motette „Warum ist Licht gegeben dem Mühseligen / und das Leben den betrübten Herzen,/ die des Todes warten…“ Das bohrende, anklagend sich wiederholende  „Warum“ der Stimmen bekam in seiner Offenheit eine ganz packende Präsenz, und das ohne jegliches Pathos, so wie Lückers Orgelspiel die jeweilige Stimmung aufnahm und grundierte.

Ebenso war es mit dem Ausklingen des Konzerts durch den traditionellen Spruch „Le dor va dor. Von Generation zu Generation“, der zunächst gesungen wurde und beim Verlesen der einzelnen Namen der Opfer durch einzelne Chormitglieder in ein gemeinsames grundierendes Summen überging, bis es verstummte, still wurde und dann erst der angemessene Applaus aufkam. Eine späte, wenn auch kleine, emotional bewegende „Wiedergutmachung“!

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Gelungene Zusammenarbeit zwischen dem Organisten Martin Lücker und dem Dirigenten Christian Kabitz, Foto: Petra Kammann

*Aus diesem Anlass erscheint eine zweisprachige Schrift (deutsch-englisch) mit ausführlichen Biografien der Opfer.

Weitere Infos:

www.caecilienchor.de

www.stolpersteine-frankfurt.de

Im Verlag Brandes & Appel sind zwei Bände „Stolpersteine in Frankfurt am Main“ von der Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main mit zusätzlichen Dokumentationsmaterialien über die Opfer erschienen, bei der man einen Teil dunkler Stadtgeschichte anhand von Rundgängen durch verschiedene Viertel erfahren kann.

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