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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Italien vor Augen“- Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsort im Frankfurter Städel Museum

Bella Italia zwischen Dolce Farniente und Hochkultur

von Petra Kammann

Was für eine Wohltat, wenn ein so bedeutendes Museum wie das Frankfurter Städel mit einer Ausstellung auch einmal ausschließlich auf seine eigenen, oft verborgenen Bestände zurückgreift, diese in den Fokus stellt und durch einen neuen Kontext verschiedener Medien wie Gemälde, Zeichnungen, Bücher, Alte Baedeker Reiseführer so anreichert, dass dadurch ein Gesamtbild entsteht. Gerade zeigt das Städel Museum eine Auswahl früher Italienfotografie aus der eigenen Sammlung mit insgesamt 90 charakteristischen Aufnahmen zwischen 1850 bis 1880. In ihrer ruhigen Klarheit und Anmut schüren sie die Sehnsucht nach einer Grand Tour entlang der bekanntesten Italien-Routen mit den Stationen Mailand, Venedig, Florenz, Rom, Neapel und Sizilien…

Faszination schon beim Eintreten in die Ausstellung,„Italien vor Augen. Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte“, Foto: Petra Kammann

„Kennst Du das Land?“ Italien galt fast immer schon als das Land der Sehnsucht, in dem nicht nur „die Zitronen bühn“.  Auch „glühn im dunklen Laub die Gold-Orange“ und – „ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht. Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht“. „Ich fühlte mich unwiderstehlich vorwärtsgezogen…/ Die Begierde, dieses Land zu sehen, war überreif“, befand Goethe.

Die ausgedehnte Italienreise des der Frankfurter Dichters war nur eine der zahlreichen Bildungsreisen gen Süden. Hundert Jahre später ging es durch alle Gesellschaftsschichten. In der Wirtschaftswunderzeit der Fuffziger Jahre war nach den traumatischen Erlebnissen des Zweiten Weltkriegs der Sog, der die Menschen in das hell leuchtende Land des „O Sole mio“ lockte, gewaltig.

In Künstler- und Intellektuellen-Kreisen hatte die Grand Tour allerdings schon seit dem Spätmittelalter Tradition, erlebte vor allem aber bei den Briten gegen Ende des 17. Jahrhunderts einen wahren Aufschwung. Für sie galt diese Tour als Abschluss ihrer oft adligen, später auch gutbürgerlichen Erziehung. Sie sollte vor allem aber der Bildung des Reisenden den „letzten Schliff“ verpassen.

Ausstellungsansicht von ,„Italien vor Augen. Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte“, Foto: Petra Kammann

In der Mitte des 19. Jahrhunderts brach förmlich ein neuer Italientourismus aus, nicht zuletzt unterstützt durch die neuen Verkehrsmittel wie die Bahn.  Dabei reiste man ebenso gern durch bedeutende europäische Städte mit ihren antiken und historischen Baudenkmälern wie  durch malerische Landschaften und knüpfte vor Ort wertvolle Kontakte, um durch die damit verbundenen neuen Eindrücken eine neue Form von Weltläufigkeit zu erwerben.

Ein Bild von diesem „Sehnsuchtsland“ mit nach Hause zu bringen, wurde geradezu zu einem Muss. Denn die Fotografie war zwar schon entdeckt, aber noch mit allerlei unhandlichen und schweren Apparaturen verbunden. Umso lieber nahmen daher viele Touristen die Arbeiten der professionell vor Ort arbeitenden Fotografen wahr, die manchmal aus anderen Ländern gekommen und hier sesshaft geworden waren. Man wollte die Daheimgebliebenen an seinen Erinnerungen teilhaben lassen. So wurde die aufwändigere Malerei, vor allem die Vedutenmalerei, nach und nach durch die Fotografie abgelöst, die unmittelbar in den Ateliers vor Ort entwickelt und unmittelbar auf Karton gebannt werden konnte.

Giorgio Sommer (1834–1914), Golf von Neapel: Blick auf Sorrent um 1880–1890, Albuminpapier auf Karton 20,9 × 25,5 cm / 24 × 33 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main

Vor Ort gingen so Fotografen wie die Gebrüder Alinari (Unternehmen gegr. 1854), Giorgio Sommer (1834 – 1914) oder Carlo Naya (1816 – 1882) als Pioniere der Reisefotografie voran. Sie und noch etliche andere lichteten die bekanntesten Sehenswürdigkeiten ihrer Heimatstädte ab und reisten auch selbst quer durch Italien, um die beliebtesten Ziele ihrer Kunden zu fotografieren und als Albuminabzug anzubieten.

In der Ausstellung die Malerei als Vergleich: Blick auf Friedrich Nerlys “ Canal Grande in Venedig mit Blick auf Santa Maria Bella Salute“ um 1840-1854, Foto: Petra Kammann

In Florenz machte sich 1852 der als Kupferstecher ausgebildete Leopoldo Alinari als Fotograf selbstständig. Zwei Jahre später gründete er mit seinen Brüdern Romualdo und Giuseppe ein Studio. Neben Porträts boten die Fratelli Alinari Ansichten bekannter Baudenkmäler der Stadt an.

Zu internationalem Ruhm gelangten sie 1859 durch Aufnahmen der Zeichnungen Raffaels, was sicherlich auch den Frankfurter Städel-Museumsdirektor und Raffael-Biografen Johann David Passavant (1787–1861) auf das neue Medium Fotografie aufmerksam gemacht hatte. Das Familienunternehmen Alinari nahm fotografische Reproduktionen von Kunstwerken, beispielsweise aus den Uffizien, dauerhaft in sein Sortiment auf. Diese wurden ebenfalls vom Städelschen Kunstinstitut erworben.

Giorgio Sommer (1834–1914), Neapel: Der Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, 15 Uhr, 1872, Albuminpapier auf Karton, 18,1 x 24,1 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V.

Giorgio Sommer, der 1834 in Frankfurt als Georg Sommer Geborene, zog 1856 nach Italien und wurde unter seinem neuen italianisierten Namen einer der erfolgreichsten Unternehmer. 1914 starb er in Neapel.

In der Ausstellung sind mehrere seiner Motive zu sehen, u. a. seine Aufnahme der „Galleria Vittorio Emanuele II “ in Mailand , die anmutige Landschaft der Insel Capri, vor allem aber auch eine Aufsehen erregende Serie von Momentaufnahmen, in denen er aus sicherer Entfernung von einem im Golf von Neapel ankernden Boot aus im Halbstundentakt den Ausbruch des Vesuvs 1872 festgehalten hat.

Da diese Fotos damals dann darüberhinaus auch noch in der Leipziger „Illustrierten Zeitung“ als Holzschnitte reproduziert und veröffentlicht wurden, gelten sie als Vorläufer der später aufkommenden Reportagefotografie.

Carlo Naya (Tronzano Vercellese 1816–Venedig 1882) wiederum wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der bedeutendste Chronist Venedigs. Seine Fotografie einer Gondel mit Blick auf Markusbibliothek, Campanile und Dogenpalast (um 1875) wirkt zwar wie ein Schnappschuss, doch ist nichts daran spontan, die Menschen sind die Komparsen der Komposition, die lange studiert wurde, damit es eine ideale Komposition ergibt.

Carlo Naya (1816–1882), Venedig: Blick auf Markusbibliothek, Campanile und Dogenpalast, Um 1875, Albuminpapier auf Karton, 41,3 x 54,1 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main

Im Laufe seiner langen Karriere lichtete Naya fast jedes einzelne der zahlreichen architektonischen Wahrzeichen Venedigs ab, u. a. auch die sogenannte Seufzerbrücke, welche im 19. Jahrhundert zu den meistfotografierten Brücken-Ikonen der Welt zählte. Heute tun es ihm Handyfotografen aller Art und aus der ganzen Welt mit viel weniger Aufwand nach. Damals aber platzierten zahlreiche Fotografen noch mit viel Aufwand ihre Kamera am gleichen Standort auf die Brücke und prägten ein Bild, das sich nachhaltig ins Bildgedächtnis eingrub, so sehr, dass Urlaubsbilder bis heute aus dieser Perspektive gemacht werden.

Carlo Ponti (1823–1893), Venedig: Seufzerbrücke, Um 1860–1870, Albuminpapier auf Karton, 35,2 x 25,5 cm,  Städel Museum, Frankfurt am Main

Insgesamt wirken die Szenerien von damals fotografisch bis heute nach, gleich ob es sich um die Lagune mit dem Gondoliere oder die Seufzerbrücke in Venedig, die Galleria in Milano, den schiefen Turm von Pisa, die Uffizien in Florenz, den Petersdom oder die Arena in Rom oder um die liebliche Natur im Golf von Sorrent handelt.

Da die Bilder neben der reinen Dokumentation dazu auch noch eine idyllische Stimmung verbreiten sollten, mussten die Fotografen den Aufnahmestandort mit Bedacht wählen und das fein abgestufte Licht-und Schattenspiel des Tagesablaufs berücksichtigen, was auch zur Belebung der Komposition beitrug, die häufig an die Malerei angelehnt war.

Blick auf das  Johann David Passavants „Selbstbildnis mit Barrett vor römischer Landschaft“ von  1818, das sich im Besitz des Städels befindet, Foto: Petra Kammann

Dabei zeigen die fotografischen Kompositionen eine große Ähnlichkeit mit denen der Malerei, Zeichnung und Druckgrafik auf. Ein Vorteil im Städel Museum, dass hier schon frühzeitig auch verschiedene Darstellungsmedien gesammelt wurden und heute den Fotos Gemälde und Zeichnungen zur Seite gestellt werden können. Das hat sich wohl auch der damalige Städeldirektor Johann David Passavant (1787–1861), ein Kenner und Liebhaber Raffaels und der Renaissance, zunutze gemacht, als er anfing, solche Fotografien zu sammeln.

Städeldirektor Philipp Demandt bei der Pressekonferenz, Foto: Petra Kammann

(…)“Passavant erkannte früh die Möglichkeit, durch das Medium der Fotografie Kunstwerke und Kulturschätze uneingeschränkt zugänglich zu machen. Damit führte er die Leitidee unseres Museumsgründers, Johann Friedrich Städel, vortrefflich fort“, erläuterte Städeldirektor Philipp Demandt auf der Pressekonferenz dessen Bedeutung für die Sammlung, die auch dem Bildugswunsch des Gründers Städel entgegenkam.

Anhand der Abzüge konnte er außerdem sowohl dem kunstinteressierten Publikum als auch den Schülern der angegliederten Kunstakademie eine Vorstellung vom Süden Europas und seinen Kunst- und Naturschätzen vermitteln. Den Besuchern und Studierenden dienten sie als Studienobjekte, um sich etwa mit Proportionen, Lichtverhältnissen und Perspektiven auseinanderzusetzen.

Kristina Lemke, Ausstellungskuratorin, auf der Pressekonferenz, Foto: Petra Kammann

Das bekräftigte auch Kristina Lemke, Kuratorin der Schau, und Sammlungsleiterin Fotografie des Städel Museums:„Die Ausstellung zeigt die einzigartige Entwicklungsgeschichte der Fotografie im Italien des 19. Jahrhunderts. Wie das Medium als Sammlungsgut Eingang in das Städel Museum fand und durch den aufkommenden Tourismus an Bedeutung gewann, wird im ersten Teil thematisiert. Ein offener Rundgang stellt schließlich die wichtigsten Italien-Destinationen vor und präsentiert so eine umfassende, sehr eindrückliche Bestandsaufnahme der Kulturlandschaft Italiens zu dieser Zeit. Die Sehenswürdigkeiten von damals ziehen auch heute noch den fotografischen Blick auf sich. Es sind oft genau jene Ansichten, denen wir nachreisen“, sagte sie überzeugt strahlend.

Auch Reiseführer und Skizzenbücher liegen in den Vitrinen, Foto: Petra Kammann

So steht heute die mächtige Kathedrale von Monreale, ein Normannenbau aus dem 12. Jahrhundert, mit der Symbiose aus einem romanischen Baukörper, arabischen Blendbögen an den Außenmauern, wie es in der Kunst Siziliens zu dieser Zeit verbreitet war, und eingebettet in die sanft-hügelige Landschaft am Hang des Monte Caputo heute unter dem Schutze des UNESCO-Weltkulturerbes. Eine natürliche Szenerie, die von den gewölbten „Dächern“ der Pinien beschirmt zu sein scheint. So mag Giorgio Sommers Panoramaansicht von Monreale mit zu dieser Anerkennung beigetragen haben.

Und natürkich darf bis heute im Zeitalter des Massentourismus bei einem Sizilienurlaub ein Ausflug von Palermo nach Monreale auch nicht fehlen, damit man sich staunend der gewaltigen Kathedrale mit ihren weltbekannten Mosaiken von innen nähern kann und sich vom charmanten Stadtkern des mittelalterlichen Städtchens und der Selbstvergessenheit der es umgebenden Landschaft verzaubern lassen kann.

 

ITALIEN VOR AUGEN. FRÜHE FOTOGRAFIEN EWIGER SEHNSUCHTSORTE

Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main

Ausstellungsdauer  

bis 3. September 2023

Besucherservice und Führungen:

+49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de

Tickets

Tickets online buchbar unter: shop.staedelmuseum.de

Di–Fr, Sa, So + Feiertage 16 Euro, ermäßigt 14 Euro

freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren

Gruppen ab 10

regulär zahlenden Personen: 14 Euro pro Person, am Wochenende 16 Euro.

Anmeldung

für alle Gruppen

Telefon +49(0)69-605098-200 oder info@staedelmuseum.de 

Katalog

Zur Ausstellung erscheint ein von Kristina Lemke herausgegebener Katalog in deutscher Sprache

mit einem Vorwort von Philipp Demandt und einem Essay von Ulrich Pohlmann, 120 Seiten, 19,90 Euro.

Weitere Information:

www.staedelmuseum.de

 

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