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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zukunft von Theater und Oper: Schneckentempo als Normalfall?

Anmerkungen zu vorgestellten Bauplänen mit einer Vorzugsvariante: ‚gespiegelten’ Häusern

Von Uwe Kammann

Kunstwolken im gemeinsamen Glasfoyer von Oper und Schauspiel, Foto: Petra Kammann

Das neuerdings vom Bundeskanzler gerühmte und geforderte Deutschland-Tempo lässt sich in Frankfurt nur an der blitzartigen Straßen-Verpollerung samt ausgiebiger Rot-Orgie beobachten. Ansonsten gilt: Frankfurt leistet sich – gerade beim mit Abstand größtem kommunalen Vorhaben – ein ganz eigenes Tempo: jenes der Schnecke. Diese Geschwindigkeit geißelte auch der Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM), Peter Cachola Schmal, in seiner fulminanten Rede beim Aschermittwoch der Künstler, mit einem Bogen von global bis lokal. Zehn Jahre des Stillstands, kein großes Projekt mehr, Entscheidungsvakuum – eine einziges Versäumnisdesaster.

Kulturdezernentin Ina Hartwig  bei der Vorstellung des Ergänzungsberichtes, Foto: Uwe Kammann

Jetzt, Ende Februar 2023, zeichnet sich bei der Frage nach der Zukunft der baulichen Hülle für Schauspiel und Theater immerhin eine erste haltbare Wegmarke an. Indem Kulturdezernentin Ina Hartwig einer möglichen Lösung zumindest in der Standortfrage eine Vorzugsstellung zuspricht. Nämlich: am Willy-Brandt-Platz die bestehende Doppelanlage abzureißen und – in spiegelbildlicher Anordnung – zwei neue Häuser zu bauen. Mithin: das Schauspielhaus in der Wallanlage am Platz der Euro-Skulptur (in naher Nachbarschaft zum BfG-Euro-Bafin-Turm), das Opernhaus schräg gegenüber an der angestammten Südseite des Platzes, aber seitlich versetzt, auf jener Fläche, wo jetzt das Schauspielhaus steht.

Die Vorzüge dieser Lösung sind offensichtlich. Der Willy-Brandt-Platz wird räumlich verlängert, bekommt in Richtung Bahnhofsviertel eine attraktive Theaterkante und gegenüber einen neugestalteten Parkrand, der begrenzend wirkt, aber zugleich den Blick zum derzeit leicht versteckten Jüdischen Museum öffnet. Diese Neuordnung eröffnet eine reizvolle Dreier-Beziehung von Kulturbauten. Sie kann dem leicht öde wirkenden Platz eine heitere Note verleihen, verspricht zudem eine zusätzliche Belebung, falls – wie gewünscht – die neuen Häuser auch tagsüber wechselnde Publika anziehen. Sei es über Kulturangebote (beim als Vorbild genannten Dresdner Kulturpalast ist es eine Bibliothek), sei es über Gastronomie, sei es schlicht über eine Dachterrasse mit Gratis-Ausblick wie bei der Elbphilharmonie.

Derzeit bevorzugt: die Spiegel-Variante mit Oper (links) und Schauspiel (oberhalb des Turms) am Willy-Brandt-Platz, Foto: Uwe Kammann

Kurz: Es spricht viel für diese als „Spiegel-Variante“ geführte Standort-Konstellation. Dass sie nun die Favoritenrolle genießt, gleicht einem kleinen Wunder. Denn verabschieden musste sich die Kulturdezernentin von der bislang favorisierten und vielfach umschmeichelten „Kulturmeile“, mit der sie die Ost-West-Linie des Museumsufers in Süd-Nord-Richtung kreuzen wollte: als prestigeträchtiges Vorzeigeprojekt, schon namentlich reizvoll, mit der Kette Jüdisches Museum, Schauspiel, Oper, Alte Oper. Funktional waren mit der Platzierung einer Bühne an der schluchtähnlichen Neuen Mainzer Straße aber auch Nachteile verbunden, so die längeren Wege zu Bahnstationen.

Letztlich aber scheiterte diese Idee augenscheinlich, weil sich die Stadt mit Helaba/Sparkasse nicht auf ein Finanzmodell einigen konnte, um das für den Opern-Neubau vorgesehene Grundstück (Verkehrswert: rund 150 Millionen Euro) nutzen zu können. Zuerst war an eine Art Tausch gedacht: Platzierung der Oper auf einem Teil des Sparkassen-Terrains, im Gegenzug die Erlaubnis für einen angrenzenden Turm mit hohem Nutzungsfaktor. Das aber scheint womöglich den Sparbankern nicht zu reichen, vermutlich wollen sie Bares. Dass Hartwig nun auch logistische Belastungen wegen der am nördlichen Straßenknick liegenden Großbaustelle als Ausschluss-Grund anführt, ist lediglich als stützender Vorwand zu sehen. Denn der dort entstehende Doppelturm ist sicher in sechs Jahren bezugsfertig – und vorher wäre kaum mit einem Baubeginn der Oper zu rechnen.

War gedacht als Kulturmeile: Die Neue Mainzer Straße, Foto: Petra Kammann

Überhaupt, rechnen. Auch da gibt es einige Kerndaten, welche bei einer Pressekonferenz am 23. Februar genannt wurden. Zuerst die härteste Zahl, welche allerdings erst zum Schluss nach einer Journalistenfrage unübersehbar massiv im Raum stand: 1,27 (in Worten: einskommazweisieben) Milliarden Euro seien nach jetzigem Stand zu veranschlagen, um das Projekt zu stemmen. Und dies ohne wesentliche Unterschiede bei den verschiedenen Varianten, die theoretisch noch im Rennen seien: eben der Spiegel-Variante, dann der Realisierung einer Kulturmeile (mit Oper oder Schauspiel an der Neuen Mainzer Straße) oder schließlich dem Neubau einer Doppelanlage am bisherigen Platz.

Auch die Zeitpläne verlangen einen langen Atem, vor 2028 ist bei keiner Variante mit dem berühmten ersten Spatenstich zu rechnen. Unterschiedlich wären allerdings die Bauphasen, denn je nach Variante sind Interimslösungen notwendig (beim Neubau einer Doppelanlage gleich zwei, eben für Schauspiel und Oper). Vorher stehen die Vorbereitung eines oder zweier Architektenwettbewerbe an, weiter deren Realisierung und anschließende Entscheidungsfindung, schließlich die vorbereitende Bauplanung und endlich die Einrichtung der Baustellen – dies alles mit reichlich Unwägbarkeiten. Sprich: Der wahrscheinliche Zeithorizont für das erste Heben der Bühnenvorhänge (wird es sie noch geben?) ist eher/frühestens Mitte der 30er-Jahre anzunehmen. Was hieße: fast drei Jahrzehnte nach den allerersten Unkenrufen, dass die bestehende Doppelanlage „marode“ sei und dringend saniert werden müsse.

Für ein paar Wochen diente die Fassade des Schauspiels als Bannerträger, Foto: Uwe Kammann

Lange darf man nachsinnen, wie tatsächlich die qualifizierende Bezeichnung „marode“ auszulegen ist. Dass hier sehr unterschiedliche Maßstäbe gelten, sicher auch je nach Interessenlage, ist offensichtlich. Mitte der 10er-Jahre kursierende Mahnungen, jederzeit drohe wegen technischer Funktionsausfälle oder wegen Brandschutzbestimmungen eine sofortige Schließung, haben sich bislang als haltlos erwiesen. Und wer den Zeithorizont für Abriss und Neubau ins Auge fasst (eine auch in Richtung Milliardengrenze strebende Sanierung haben die Stadtverordneten kategorisch ausgeschlossen), der erkennt schnell: Die Interpretation von Eigenschaften und Erfordernissen kann sehr unterschiedlich ausfallen und damit Schwebezustände herbeirufen, die eine kleine Ewigkeit dauern.

Ob es jetzt schneller vorangeht, ob das Stadtparlament noch vor der Sommerpause, wie Hartwig hofft, über den Standort und eine endgültige Variante entscheiden wird? An Daten und Modellen fehlt es ja nicht. Auch der nun vorgelegte 70-seitige Abschlussbericht unter dem Titel „Ergänzende Prüfaufträge zur Zukunft der Städtischen Bühnen“ ist wieder ein Beleg dafür, mit welcher Akribie die seit Jahren arbeitende, jetzt von Mathias Hölzinger geleitete „Stabsstelle Zukunft Städtische Bühnen“ alle möglichen Fragen untersucht, diesmal vor allem unter den Gesichtspunkten Ökologie, Ökonomie, Soziokultur, Funktionalität und Technik. Ein kleines Heer von Fachleuten aller Art wurde ergänzend hinzugezogen, um selbst Fragen nach dem Wert eventuell betroffener Bäume zu beantworten. Über fünf Dutzend Kriterien wurden nach strenger Methodik in Bewertungsraster eingefügt, um Pros und Contras der verbliebenen Varianten zu vergleichen.

Leitet die Stabsstelle „Zukunft Städtische Bühnen“: Mathias Hölzinger, Foto: Uwe Kammann

Ob diese nochmals verfeinerte Perfektionierung der gewünschten Objektivität bei der Entscheidungsfindung auf die Sprünge hilft? Da sind sicher Zweifel angebracht. Denn letztlich wird es auch hier eher auf (politische, kulturelle) Grundeinstellungen jedes einzelnen Stadtverordneten ankommen. Aber auch – und sicher nicht zuletzt – auf das unvermeidliche Bauchgefühl. Und leicht kann einen der Verdacht beschleichen, dass vor oder hinter lauter Einzelbäumen, immer dichteren Zweigen und nachwachsenden Daten-Büschen gar kein Wald, sprich: keine Theatergestalt mehr zu erkennen ist.

Dass jetzt die Spiegel-Variante bevorzugt wird, ist eher ein Beleg für eine Spielart der Echternacher Springprozession. Denn anfangs gab es gerade von grüner Seite aus größte Bedenken, einen kleinen Teil der  Wallanlagen für einen Neubau zu nutzen. Dass in diesem tatsächlich schönen Parkgürtel um die Innenstadt trotz des Schutz-Status (fixiert im Servitut) Bauen möglich ist, belegen steinerne Beispiele wie die Alte Oper, das Heilig-Geist-Hospital oder das ehemalige Gründerzeit-Schauspielhaus. Aber in manchem Denken gibt es eben Sakrosanktes. Oder eine Wertehierarchie, die ebenso überschwänglich gelobt wie strikt verteidigt oder gefordert wird.

In der letzten Zeit war und es ist die Kategorie der Nachhaltigkeit, beim Bauen vornehmlich dekliniert als klimafreundliche Verwendung aller notwendigen Ressourcen, vom Material bis zum Energieeinsatz. Auch dies ist im aktuellen Abschlussbericht ausführlich behandelt. Ebenso wie ein Thema, das zwischenzeitlich für Aufregung sorgte, als eine vom Architekturtheoretiker Philipp Oswalt befeuerte Initiative die bestehende Doppelanlage teilweise unter Denkmalschutz stellen wollte, um mit dem gläsernen Foyer und den Gold-Wolken speziell die Transparenz der Nachkriegsmoderne hervorzuheben und eine außergewöhnlich populäre Kunst im Bau im Originalzustand zu bewahren. Der Prüfbericht kommt hier zum ernüchternden Befund, dass aus konstruktiven Gründen höchstens zehn Prozent des als einigendes Band konzipierten Foyers „authentisch“ zu erhalten wären.

Foyer mit den Wolken des Künstlers Zoltán Kemény, Foto: Petra Kammann

Was erkennbar heißt: Die „spontan“ (Hartwig) erfolgte Bereitschaft der Stadt (schriftlich beglaubigt durch die Kulturdezernentin und den Planungsdezernenten), der 2020 (!) behördlich verordneten Denkmalzuweisung stattzugeben, ist aufgrund der praktischen Erkenntnis zur Makulatur geworden. Eine offensichtliche Niederlage der beträchtlichen Oswalt-Fraktion mit großem Rückhalt in der Architektenschaft (welche Nachkriegsmoderne und das Nachhaltigkeitsgebot per „grauer Energie“ in gleicher Intensität propagiert). Aber andererseits auch ein Befreiungsschlag, was die Modellvarianten betrifft.

Das gemeinsame Glasfoyer von Schauspiel und Oper, Foto: Uwe Kammann

Denn nur beim Neubau einer Doppelanlage käme der Glasbandwurm als Großzitat in Betracht. Die Wolken des Künstler Zoltán Kemény allerdings könnten problemlos (und ausdrücklich gewünscht) in jegliches Neubaukonzept integriert werden, besonders reizvoll sicher bei der Spiegel-Variante, mit einem geteilten Metall-Gruß schräg über den Platz. Nicht zu vergessen: Auch hier spielen noch bis 2035 geltende Urheberrechte des Künstlers eine Rolle.

Das alles gehört zum für Laien schier unfassbaren Spiel, das sich dem Abschlussbericht entnehmen lässt – mit eindrucksvoller Andeutung der Vielzahl an Verständigungsprozessen zwischen der Stadt (vulgo: Stabsstelle) und der Denkmalbehörde, die doch erst von einer hartnäckig fungierenden Interessengruppe zum Jagen getragen wurde. Auch Frankfurts Kulturdezernentin wurde dabei ordentlich unter Druck gesetzt, indem ihr „Geschichtsvergessenheit“ vorgeworfen wurde; so als ob vornehmlich nur eine Zeitschicht – nämlich jene der 60er Jahre – die dramaturgischen und baulichen Höhepunkte des Frankfurter Theaters geprägt und bestimmt hätten.

Bei einer Vortragsveranstaltung der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus im Goethe-Haus, Foto: Uwe Kammann

Betont wird im Bericht übrigens auch – und Ina Hartwig unterstrich dies mit Emphase bei dessen Vorstellung –, dass in allen anstehenden Phasen eine breite und intensive Bürgerbeteiligung vorzusehen sei. Um dies kommunikativ zu begleiten, soll sogar per europaweiter Ausschreibung eigens eine Agentur verpflichtet werden. Dass mit der „Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus“ bereits sei Jahre eine Initiative aktiv ist mit dem Ziel, das in den 60er Jahren überbaute alte Schauspielhaus aus dem Jahre 1902 wenigstens teilweise zu rekonstruieren, und dass sie dafür weit über 20.000 Unterschriften gesammelt hat, verschwieg die Kulturdezernentin.

Vielleicht, weil der damit angestrebte Bürgerentscheid von der Stadt aus formalen Gründen abgewiesen wurde (wobei rechtlich das letzte Wort noch nicht gesprochen ist). Grundsätzlich gilt: Der Umgang mit dieser Initiative gehört zu den unrühmlichen Kapiteln in der Debatte um Sanierung oder Neubau der Städtischen Bühnen und muss schlicht als undemokratisches, bürgerfernes Abwehrverhalten bewertet werden, als Versuch, eine gegenüber eigenen Zielsetzungen als unliebsam empfundene Position sich weitestmöglich vom Leibe zu halten.

Projektionsfoto des Schauspielhauses von 1902 in den 1950er Jahren bis zum Umbau in den 1960ern, Foto: Uwe Kammann

An dieser Stelle zeigt sich wiederum: Wenn es um Beteiligungsformen und um weitergehende Dialogbereitschaft geht, werden die politischen Grundpositionen nicht beiseitegestellt. Die erwünschten Ergebnisse und die eigenen Zielvorstellungen spielen eine entscheidende Rolle. Nur wenn sich die Gewichte (über-)eindeutig verschieben, sind Veränderungen zu erkennen. In der Theaterfrage gehört dazu der letztlich unvermeidbare Schwenk der CDU-Fraktion, die lange einen vom Willy-Brandt-Platz weit entfernten Ort am Osthafen favorisiert hatte; und damit bereit war, einen wertvollen Vorteil aufzugeben: den der städtischen Zentralität und einer optimalen Verkehrsanbindung mit Tram, U-Bahn und Tiefgarage für Auto-Nutzende (Hartwig gestand sogar – Grüne, aufgepasst! – zu, dass es solche geben könne und auch dürfe).

„Das Theater kann der Ort sein, in dem es so scheint, als ob etwas geschehe“ – Wandmotto im Neuen „Maillon, Theater Straßburg – Europäische Bühne“; Foto: © Charly Broyez

Ein Punkt, der gerade in der Anfangsphase der 2016 vehement wieder aufgeflammten Diskussion um die Sanierung der Doppelanlage eine große Rolle gespielt hatte – theoretisch umspielt in Symposien mit erfahrenen Theaterleuten und Theoretikern –, ist in der jetzigen Phase zugunsten der Klimafragen ziemlich untergegangen. Nämlich jener, welche Formen das Theater in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln wird. Bei der Oper, so immerhin wurde jetzt konstatiert, werde es sicher eher bei der „Guckkastenbühne“ bleiben. Viel offener seien die Perspektiven beim Theater, also beim Schauspiel.

Wenn nun anzunehmen ist, dass erst in frühestens zehn, zwölf, vierzehn Jahren ein neues Schauspielhaus öffnen wird: Ist dann wirklich noch die Vorstellung haltbar, dass ein aus der alten bürgerlichen Institution entwickeltes Theater unter ähnlichen Prämissen spielen wird? Wo und wie wird es die neuen Publikumssegmente suchen, finden und anziehen, die derzeit so vehement adressiert werden (mit Stichworten wie jung, migrantisch, divers)?

Gibt es dann noch – wie jetzt ins Auge gefasst – unumstrittene Leuchttürme und gesellschaftliche Treffpunkte, die sich zumindest baulich glänzend in der Stadt behaupten und Passanten sowie Touristen (Standort! Einnahmen!) anziehen sollen? Die oft zitierte Selbstvergewisserung der Stadtgesellschaft: Entsteht sie tatsächlich in einem steten und lebendigen Prozess an repräsentativer Stelle, oder ist sie lediglich noch eine schöne Redeformel, welche eine Idee verkleidet, die sich in Wahrheit mehr und mehr verflüchtigt? Und hinter der sich in der Praxis verbirgt: viel Selbstbezüglichkeit (Theater) und eine kulturverbrämte höhere Unterhaltung (Oper) – und das alles mit extrem hohem Subventionsbedarf?

Eingangsszene aus „Echoes from a restlos soul“ Felix Berning und Carola Sicheri im Bockenheimer Depot, Foto: Petra Kammann

Im Juni vergangenen Jahres hat die renommierte August-Everding-Akademie in München eine große „Zukunftskonferenz“ veranstaltet. Unter der Dachfrage „Wie sieht das Theater im Jahr 2040 aus?“ sollten „Kompliz:innen“ jeglicher Provenienz künftige Linien des Theaterspielens unter vielfältigen Aspekten erörtern – was natürlich immer auch die Anforderungen an die Spielstätten betrifft. Wer sich das Vergnügen machen will, nach handfesten Ergebnissen der Konferenz zu suchen, dem sei viel Glück gewünscht. Faktisch gehören lauter erkennbar fragile Erkenntnisse und frei flottierende, höchst gegensätzliche Einsichten und Ansichten zum jetzigen Diskursstand, wenn es um Oper und Theater geht.

Was wiederum ganz banal die Hülle der Theater betrifft, spricht: die Bühnenbauten, so können gegenwärtig suchende Praxisblicke in andere Städte mehr als nachdenklich machen; meist wirken sie verwirrend bis verstörend. Geradezu exemplarisch ist das zu sehen an den die Milliardengrenze umspielenden Neubau- beziehungsweise Renovationsprojekten in Düsseldorf und Stuttgart; oder auch beim bald unendlichen Trauerspiel in Köln, wo sich die Altbauten von Schauspiel und Oper erfolgreich gegen die Finalisierung der ebenfalls auf die Milliarde zugehenden Renovierung wehren.

Allerdings, es gibt auch Gegenbeispiele zu den finanziellen Himmelsstürmern, und zwar ganz aktuelle in München. Dort ist, in kürzester Zeit, ein Volkstheater in einer Gebäudecollage entstanden, für 130 Millionen Euro. Dieses Schnäppchen ist gerade im Architekturmuseum zu studieren, ebenso wie eine nagelneue Konzerthalle mit knapp 2000 Plätzen für 40 Millionen Euro – gedacht als Interim. Dieser von gmp Architekten realisierte Bau (das Büro hat in der Frankfurter Theaterfrage attraktive Simulationen geliefert) wird inzwischen von Publikum und Kritik einhellig gefeiert als idealer Musikraum. Dieser Erfolg zum Discounterpreis ist damit wahrscheinlich das Todesurteil für eine ursprünglich geplante, schon per Wettbewerb gekrönte Philharmonie, deren Bau mittlerweile auf eine Milliarde Euro veranschlagt wird.

Das neue Münchner Volkstheater von Arno Lederer, auch Architekt des Historischen Museums Frankfurt, Foto: Florian Holzherr

Wer dann noch bedenkt, wie mittlerweile auch in seriösen Feuilletons nachdenklich-kritische, dem Sinnkern suchende Debatten über Tendenzen und Möglichkeiten des Theaters geführt werden; wer sich an die Nachrufe erinnert, die unlängst  Peter Brook gegolten haben (Süddeutsche Zeitung: „Der große Regisseur, der das Theater zu seinem Urgrund, dem Menschen auf der Bühne, zurückführte“); wer sich an die Intensität der inszenatorisch streng-sparsamen Aufführungen von John Berger im Bockenheimer Depot erinnert – kurz, wer all’ dem nachspürt und den Begriff Sparsamkeit umkreist, dem kommen dann auch unter den aktuellen Frankfurter Gesichtspunkten einige Gedanken, die natürlich sofort als reine Glasperlenspiele zu deklarieren sind:

War und ist es lediglich rein utopisch, von einem stringent schlichten Theater zu träumen, das sich, wie bei Peter Brook, auf Elementares beschränkt? Braucht es die Großmaschinerie, braucht es die reich instrumentierte und allzu oft auf instrumentelle Überwältigung setzende Hülle, um die Möglichkeitsräume zu eröffnen, welche zum Wesen und zum Kernauftrag des Theaters gehören? Könnte auch die Oper – jenes aus ihrer Zeit zu verstehendes Luxuswesen unter den Medien – in hohem Maße gewinnen, wenn sie ganz bewusst auf Konzentration setzt – so wie jetzt beim großartigen „Orlando“ in Frankfurt?

Theaterspielstätte Bockenheimer Depot, Foto: Petra Kammann

Nun, solche Fragen gehören zur Tagträumerei, bilden ein flüchtiges Gedankengespinst angesichts der 1150 Mitarbeiter, die am Willy-Brandt-Platz tagtäglich ihr Engagement für Schauspiel und Oper beweisen und damit auch ihr Leben bestreiten. Aber so ganz wollen manche damit verbundene Überlegungen nicht aus dem Kopf weichen. Vor allem nicht, wenn es ums Bauen geht. Konkret, beispielsweise: Um das Bockenheimer Depot herum. Um diese Theaterfabrik herum (mit kaum weniger Plätzen als dem jetzigen Schauspiel) ließe sich ein schöpferischer Kosmos entwickeln, der bei Theater und Oper das Beste vom Besten vereint. Damit könnte die ursprüngliche Idee vom Kulturcampus ganz anders verankert werden, sich viel sinnvoller und stadtbezogener realisieren lassen als mit den jetzt ins Visier genommenen Laboren, die womöglich nie kommen werden. Oder die sich dann in der sparsamst hergerichteten alten Doppelanlage realisieren lassen, in einer bunten Mischung, von Ateliers bis Klein- und Kleinstbühnen, voller Improvisationskunst, so wie im Potsdamer Rechenzentrum, einem Relikt der DDR-Moderne.

Cover der Machbarkeitsstudie für den Kulturcampus (2018), Foto: Petra Kammann

Auch dieser Kulturcampus ist so ein Projekt, das geradezu symptomatisch für das ‚Frankfurt-Tempo’ steht, also für die Unfähigkeit, Dinge auf eine Schiene zu bringen. Wobei das Land einzuschließen ist. Im Oktober 2018 stellten Ina Hartwig und Boris Rhein (damals hessischer Wissenschafts- und Kunstminister) im universitären Juridicum eine Machbarkeitsstudie vor. Geworden daraus ist bislang – nichts. Hingegen könnte der damalige Abrisskandidat, eben die hohe Scheibe des einst modernitätsgesättigten Juridicums, künftig ein Modellprojekt für nachhaltige Umnutzung (nochmals: „graue Energie“) als Wohnanlage werden. Eigentlich sollte nach den früheren Plänen hier die Musikhochschule ihren neuen Platz finden. Das allerdings ist jetzt Frage gestellt, wie ohnehin lauter Frage- statt Ausrufezeichen den Kulturcampus einkreisen.

Ebenso offen wie die Zukunft des Juridicums ist die Frage, was mit der Universitätsbibliothek auf der nördlichen Seite der Bockenheimer Landstraße geschehen soll. Noch ist sie ein unter Denkmalschutz stehendes Tabu-Objekt (Ferdinand Kramer, der Nachkriegs-Architekt!), aber sie ist dort nach dem Wegzug der Universität aus Bockenheim buchstäblich fehl am Platze. Jedoch: Die längst versprochene neue Uni-Bibliothek im Westend harrt der finalen Planung und der Finanzierung – ein Kuddelmuddel, das anscheinend zum lokal-regionalen Urgrund gehört. Auch bei Theater und Oper in Frankfurt, rein städtischen Spielstätten, wehrt das Land bislang eine Beteiligung geradezu vehement ab: Man habe schon genug mit den anderen landeseigenen Institutionen zu tun, so die Rhein-Nachfolgerin Angela Dorn gegenüber FeuilletonFrankfurt.

Modell für ein Konversiionsprojekt als Wohnanlage? Das Juridicum an der Senckenberganlage, Foto: Petra Kammann

Das alles verdichtet sich zu einem Geflecht, das bislang eher dem berühmten Gordischen Knoten gleicht. Ist er, wie in der Legende, zu durchschlagen? Ja, sicherlich. Denn anzunehmen ist, dass sich an der Ausgangslage, an den politischen Grundpositionen und auch am Finanzrahmen nicht viel oder gar nichts ändern wird. Über die neue, in Kürze zu wählende OB-Spitze Frankfurts wird aber sicher – sicher? – endlich die nötige Dynamik in die Sache kommen. Die auch mit dem Namen Feldmann verbundene Untätigkeit, basierend nicht zuletzt auf fahrlässigem Desinteresse, wird – besser: muss – an ein Ende kommen.

Und dann steht mit der Spiegel-Variante ein Modell bereit, das mit Abstand die meistversprechende Möglichkeit ist, aus der verfahrenen Lage herauszukommen. Nicht als halbgarer Kompromiss, sondern tatsächlich als Versprechen, mit zwei vorbildlichen Bauten (die eine 1902-Rekonstruktion schon vom Baugrund her ausschließen) in vielfältiger Weise Theater und Oper zu dienen, auch mit Werkstätten, Probebühnen und einer Tanzoption. Dazu auch ein Modell, das den Vorzug hat, der Stadt mit einer prominent platzierten architektonischen Doppelgeste (bei hoffentlich zwei markanten Handschriften) einen reizvollen neuen Raum zu schenken.

Ein solcher Raum, der Garten- und Baukunst gleichermaßen erleben lässt, wird – das lässt sich leicht vorhersagen – von den Bürgern so angenommen werden wie jetzt der Opernplatz. Der übrigens sollte damals, wäre es nach den Grünen gegangen, getreu ihrer Farbvorliebe als Wiese zu erleben sein. Gestaltet worden ist er – auch ganz gegensätzlich zu allen allein klimabeflissenen heutigen Glaubenssätzen – als klassischer Steinplatz, einladend wie eine Bühne, verziert mit einem Brunnen in seiner Originalgestalt, der im Sommer sprudelnde Frische spendet. Lange Zeit, getreu ideologischer Grundtöne im Dienste der vermeintlichen Moderne, war das alles ein Ding der Unmöglichkeit, ein bürgerlich-reaktionärer Wunschtraum, genauso wie die Rekonstruktion der Alten Oper selbst.

Geht doch: das andere Frankfurter Tempo, Foto: Uwe Kammann

Doch eine beherzte politische Entscheidung hat damals das glückliche Ende herbeigeführt, so wie auch bei der Wiederherstellung der Römer-Ostzeile und der schöpferischen Nachempfindung bei der Errichtung der neu-alten Altstadt. Und in der Tat, für Frankfurt sind die neuen Bühnenbauten wahrlich ein Jahrhundertprojekt. Mut erfordert die Zustimmung schon, auch wenn es eben kein Gratis-Mut ist. Doch gestreckt über die Zeit, wird sich das Projekt stemmen lassen. Und dann gibt es ja noch den berühmten Bürgersinn, der Institutionen wie Städel und Senckenberg bis heute glänzen lässt. Oder ist „gibt“ beim Theater mit „gab“ zu ersetzen? Auch daran wird sich städtische Theaterkultur ablesen lassen.

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