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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Karl Hugo Schmölz, Über den Krieg / About the war“ in der Galerie van der Grinten

Die Entfesselung der Barbarei – Nüchtern betrachtet

Von Petra Kammann

Vorher – Nachher – Fotografisch sachliche Diyptychen des Kölner Fotografen Karl Hugo Schmölz und die Bestandsaufnahme einer Zerstörung in Vintage Prints von 1946/47

Karl Hugo Schmölz, Ruine in der Innenstadt von Köln mit Blick auf den Dom, 15-x-223-cm, 1946

„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“  Diese bei uns vielzitierte Sentenz, die immer Brecht zugesprochen wurde, aber vom amerikanischen Lincoln-Biograph Carl August Sandburg (1878 – 1967) aus seinem Gedichtband „The people, yes“ (1936)  stammt, hat uns viele Jahre begleitet. Dieser Satz war vor allem charakteristisch für die Friedensbewegten der achtziger Jahre, die gegen den Nato-Doppelbeschluss auf die Straße gingen. In dieser Zeit schien dabei der Krieg aber ganz weit weg. Und die Welt war  vor der Wende noch „in zwei Hälften“ geteilt. Das traumatische Erlebnis des Zweiten Weltkriegs wiederum steckte noch vielen in den Knochen.

Karl Hugo Schmölz, Trümmer mit Blick auf Dom, Nähe Marzellenstraße, 1946/1947, Vintage Print, 23,8 x 17,7 cm 

Und heute?  „Der Krieg ist zurück in Europa! Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg findet mitten in Europa wieder ein Eroberungsfeldzug statt“, sagte Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede zum Jahrestag der russischen Invasion am 24. Februar, als auch am Abend desselben Tags die Ausstellung „Karl Hugo Schmölz, Über den Krieg / About the war“ in der Kölner Galerie van der Grinten eröffnet wurde. Wie sinnfällig!

Nach einem Jahr herrscht trotz der desaströsen Zerstörungen in der Ukraine immer noch Krieg. Es sterben nicht nur täglich Zivilisten und Soldaten. Auch Fabriken und Institutionen wie das Theater in Mariupol, Häuser, Wohngebäude und Architekturikonen, die das Gesicht einer Stadt ausmachen, wurden unwiederbringlich zerstört. Das menschliche Leid und die Bilder der Zerstörung werden uns heute alltäglich in den Medien nahegelegt. Aber was die Architektur für die Menschen bedeutet, tritt meist in den Hintergrund. Sie aber bildet das Gerüst für das menschliche Zusammenleben.

Der Kölner Galerist Franz van der Grinten verhalf dem 1986 verstorbenen Fotografen posthum zu einer großen Reputation, auch international. Hier vor dem Foto des abgeschlagenen Altars von St. Gereon; Foto: Petra Kammann

Die Wunden, die der Krieg im Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland in Städten wie Frankfurt, Köln, Essen oder Münster geschlagen hat, sie brechen sofort wieder auf beim Anblick der so sachlich-neutralen Fotografien von Karl Hugo Schmölz (1917-1986) . Seine gestochen scharfen Bilder wirken gerade jetzt angesichts des Ukraine-Kriegs wie ein Memento mori. Was man auf den in der Galerie ausgestellten 24 Diptychen des Vorher/Nachher wahrnimmt, erschließt sich oft erst beim genauen zweiten Blick. Messerscharf dringen sie in die Bewusstseinsebene ein. Diese Aufnahmen der von Menschen geschaffenen Wirklichkeit stimmen nachdenklich.

Karl Hugo Schmölz, Diptychon, Wallraf-Richartz Museum, vor und nach dem Krieg, Abzug von 1947, Vintage Print, 18,3 x 13,6 cm

Die am Leben Gebliebenen hatten unmittelbar nach Ende des Kriegs mit vereinten Kräften in kurzer Zeit die Innenstadt von Köln von 50 Millionen Kubikmeter Schutt befreit. Welche Energien das Ende einer Katastrophe doch freisetzt! Die stehengebliebenen Skelette der Gebäude der zu neunzig Prozent zerstörten Kölner Innenstadt warfen Fragen des Umgangs mit der Lage auf: Man diskutierte heftig, was man mit den Ruinen anstellen sollte. Abriss und Neubau oder Wiederherstellung des Ehemaligen und Liebgewonnenen? Schließlich stand nun fast alles auf Neuanfang. 

Karl Hugo Schmölz, Diptychon, Hochstraße vor dem Krieg fast „filmreif“ und nach dem Krieg ein Trümmerfeld, 1946

So suchte 1947 der damalige Chef des Nachrichtenamtes der Stadt Köln einen geeigneten Fotografen, der in der Lage war, die Stätten so zu fotografieren, dass man sie den Bildern der unzerstörten Stadt Köln in einer Art Fotoalbum vor dem Krieg gegenüberstellen könnte. Da bot sich der kurz zuvor aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrte Fotograf Karl Hugo Schmölz förmlich an, weil er in der Vorkriegszeit auch schon seinem Vater, dem weit über Köln hinaus bekannten und für namhafte Architekten arbeitenden Fotografen Hugo Schmölz (1879 bis 1938) assistiert und dem er seine gesamten technischen und ästhetischen Fähigkeiten zu verdanken hatte. 

Karl Hugo Schmölz, Diptychon, Rodenkirchener-Brücke, eine perfekte Stahlkonstruktion vor dem Krieg und nach dem Krieg entzweit sie die Stadtteile, Abzug von 1947

Da er schon früh dessen Mitarbeiter war, wusste er auch, dass sein Vater akribisch seine Auftragsbücher geführt und Uhrzeit, Brennweite und Lichtverhältnisse notiert hatte. Also suchte er gezielt in dessen unzerstörten Glasplatten-Negativ-Archiv nach Stadt- und Gebäudeansichten vor der Zerstörung und wurde fündig. Also machte er sich daran, mit exakt der selben Technik unter vergleichbaren Lichtverhältnissen die gleichen Blicke zu dokumentieren und knüpfte mit seinen Architekturaufnahmen und einer großen Disziplin an die hohen Standards an, die sein Vater gesetzt hatte.

Leergefegt sind die Straßen der Innenstadt Köln auf dem Foto von Karl Hugo Schmölz, die Häuser zerstört

Dabei scheute er sich nicht, mit seiner schweren Plattenkamera-Ausrüstung an diese neuen unwirtlichen Nachkriegsunorte zu stiefeln, um die Bilder der Zerstörung festzuhalten und sie damit zu bannen. Insofern verfolgte er mit dieser Dokumentationsarbeit auch einen konzeptuellen Ansatz: er stellte den städtischen Motiven seines Vaters seine eigenen Bilder der Gegenwart gegenüber. Mit dieser Methode schuf er eine einzigartige und aufrüttelnde Bestandsaufnahme des kriegszerstörten Kölns.

Karl Hugo Schmölz, Diptychon Sankt Aposteln Köln, vor dem Krieg / nach dem Krieg,1947

Die in der Galerie ausgestellten Vintage Prints von 1946/47 sind originale Silbergelatine-Abzüge der Negative im Bildformat 18 x 24 cm, die im Zeitalter der Handyfotos eine ganz besondere Ausstrahlung haben. Bescheidenheit, das Vermeiden jeglichen Pathos, gepaart mit höchster Präzision, genau das wirkt so überzeugend an diesen Arbeiten, die auch in der Ära der Neuen Sachlichkeit hätten entstehen können und vielleicht auch genau daran anknüpfen.

Karl Hugo Schmölz, Das Disch-Haus Köln mit zukunftsweisend schwungvoller architektonischer Struktur, 1946, 165-x-23-cm-gestempelt

Dass Karl Hugo Schmölz mit diesem nüchternen Blick ein Vorbild für Bernd und Hilla Becher, den Gründern der Düsseldorfer Fotografenschule, war, wundert nicht. In ihren wie in seinen Fotografien tauchen (fast) keine Menschen auf, es ist allein die Architektur, die Struktur architektonischer Elemente, welche die Hauptrolle spielt. So kennt man es auch von den nicht idolisierenden Siegerländer Fachwerhäusern oder den schlichten Industriedenkmälern der Bechers wie Hochöfen und Fördertürme. Auch was die aufwändige Arbeitsweise betrifft, so ähneln sie sich. Beide arbeiteten mit der Plattenkamera unter möglichst „neutralem“ Licht. Doch während die Bechers mit ihrem Bulli und dem darin liegenden schwergewichtigen Arbeitsgerät durch die Lande fuhren, war es bei Schmölz noch der bescheidene Käfer der deutschen Nachkriegszeit.

Blick in die die Galerie: Nadia van der Grinten erläutert die architektonischen Qualitäten der Arbeiten, Foto: Petra Kammann 

26 dieser Diptychen, von denen 24 in der Galerie ausgestellt sind, befinden sich im Besitz des Kölnischen Stadtmuseums. Sie wurden erstmals 1982 vom Museum publiziert. Weitere 20 Originalabzüge mit zerstörten Gebäuden, Brücken, die romanischen Kirchen, Straßenfluchten, in denen kaum ein Gebäude mehr steht, sind im Privatbesitz der Galerie. Überzeugt von der Einzigartigkeit und der künstlerischen Qualität dieser fotografischen Arbeiten gelang es dem Kölner Galeristen Franz van der Grinten, den 1986 verstorbenen Fotografen posthum zu einer großen Reputation zu verhelfen, auch international.

Mit dem Aufschwung des westdeutschen Wirtschaftswunders kamen für Schmölz dann Aufträge, die eine neue, optimistischere Ästhetik forderten. Sie sind zu einem großen Teil in der Deutsche Börse Photography Foundation am Unternehmenssitz der Deutsche Börse AG, The Cube in Eschborn bei Frankfurt zu sehen. Wo auch immer man sie sieht: Schmölz‘ Aufnahmen bestechen durch ihren klar strukturierten räumlichen Aufbau und die subtile Lichtführung.

Die Ausstellung

Karl Hugo Schmölz Über den Krieg.
Bestandsaufnahme einer Zerstörung in Vintage Prints von 1946/47
Van der Grinten Galerie
24. Februar bis 15. April 2023
Gertrudenstr. 29 / Beletage
50667 Köln
T +49(0)221 29 85 91 75
art@vandergrintengalerie.com 

 

Biografisches zu  Karl Hugo Schmölz

1938 übernahm Karl Hugo Schmölz das Atelier seines Vaters, Hugo Schmölz, die sogenannte „Fotowerkstätte Hugo Schmölz“ in Köln. Nach dem Krieg dokumentierte er die zerstörte Stadt im Stil der Neuen Sachlichkeit und hielt mit seiner Plattenkamera dann auch den Wiederaufbau im kaputten Rheinland und die Wirtschaftswunderzeit mit seiner spezifischen Architektur fest. Rheinische Architekten wie Wilhelm Riphahn, Gottfried Böhm oder Bernhard Pfau erteilten ihm Aufträge, ihre Bauten zu dokumentieren. Ende der fünfziger Jahre gründete er mit seiner zweiten Frau, der Modephotographin Walde Huth, das Atelier „schmölz + huth“.

 

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