„Die große Marie Marcks“ – Eine Chronistin des Alltags
Von Renate Feyerbacher
Vor einem Jahr wäre die Karikaturistin Marie Marcks (1922-2014), die der Satiriker F.W.Bernstein „Die Großmeisterin“ nennt, 100 Jahre alt geworden. Für die Verlegerin Antje Kunstmann war das ein Anlass, ihr eine zweibändige Werkausgabe mit dem Titel: „Die große Marie Marcks“ zu widmen. Darin wird sie als Chronistin des Alltags und der Bundesrepublik wie auch als Vorreiterin des Feminismus vorgestellt.
Marie Marcks am 8. August 2012, Foto: Renate Feyerbacher
Das obige Foto zeigt sie anlässlich ihres 90. Geburtstags bei der Ausstellungseröffnung im caricatura Museum Frankfurt. Viel Prominenz war damals gekommen – natürlich F.W. Bernstein, Gründungsmitglied der Neuen Frankfurter Schule, der die Lobrede auf sie hielt und ihre Verlegerin Antje Kunstmann als weitere Laudatorin. Der vor einem Jahr verstorbene Frankfurter Jazz-Musiker Emil Mangelsdorff spielte damals ihr zu Ehren.
F.W. Bernstein und Antje Kunstmann am 8. August 2012, Foto:Renate Feyerbacher
Marie Marcks und die Verlegerin hatten einander schon 1973 kennengelernt. Damals war Antje Kunstmann noch Lektorin in einem kleinen Verlag. Sie erzählt im Gespräch, wie die kleine Karikatur in der Süddeutschen Zeitung, für die Marcks von 1965 bis 1985 zeichnete, sie begeistert hatte: „Nun muffel doch nicht gleich wegen meinem Ruf nach Bremen, du kannst ja da einen Kinderladen machen oder irgendwas!“ Dabei hat die Frau das Buch beiseite und ihre Hände auf seine Hand gelegt und mit ihren Füßen seinen Fuß umklammert. Liebevoll. (S. 110 im Band „Karikaturen und Bildergeschichten“)
Antje Kunstmann hatte sich also mit Marie Marcks auf der Buchmesse 1973 verabredet. Sie selbst war damals gerade mal 24 Jahre alt. Wegen der kecken Karikatur erwartete sie daher eine Frau in ihrem Alter, traf stattdessen aber auf eine Frau aus der Generation ihrer eigenen Mutter, die 51 war : „Anders als die konservativen Frauen, die ich aus dieser Generation kannte, wirkte sie so jung, so unkonventionell. Eine Gleichgesinnte.“ (Zitiert aus: „Sich wehren, aber WIE? – Einblicke in ein ungewöhnliches Leben – aus der zweibändigen Ausgabe im Band „Marie, es brennt“ aus den „Autobiografischen Aufzeichnungen von 1922-1968). Der Band „Marie, es brennt“ war übrigens schon einmal 1995 im Verlag Kunstmann erschienen.
Antje Kunstmann kann sich heute noch gut an die erste Begegnung erinnern. „Als Frau wird man immer noch am Defizit gemessen“, beklagt sie 2016 im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das Thema Familie, die Situation der Frau, der sogenannten Hausfrau, war immer schon Marie Marcksens Thema.
Objekt aufgenommen in der Aussstellung 2012 / caricatura-Museum, Foto: Renate Feyerbacher
In dem Kapitel: „Haben Sie einen Großbetrieb?“ – „Nein, einen Familienbetrieb mit Anhang“ hielt die Mutter von fünf Kindern zeichnend etliche alltägliche Situationen fest. Dabei ging es um Erziehung, um Schulfragen, um Freunde der Kinder. Auch das Betteln um Haushaltsgeld spricht sie an: „Der größte Schatz für einen Mann, ist eine Frau, die sparen kann, ist bis zum heutigen Tag die Voraussetzung für das Gedeihen einer Familie.“ Dabei hat er ihr doch Automatikherd, Waschmaschine, einen elektrischen Trockner und eine Bügelmaschine und noch mehr geschenkt . „Aber sie will, dass ICH ihr im Haushalt helfe – Aus den Weibern soll einer schlau werden“, kommentiert sie das immer noch aktuelle Thema.
Marie Marcks und Emil Mangelsdorff am 8. August 2012, Foto:Renate Feyerbacher
Marie Marcks war zwar sehr politisch, wollte aber nicht in die Politik gehen. Sie hat grandiose, tagespolitische Karikaturen für die Süddeutsche Zeitung geschaffen, den Job aber in dem Moment aufgekündigt, als eine kritische Hoechst-Karikatur von ihr abgelehnt wurde. „Ich erfasse, aber lasse mich nicht erfassen.“ (Tagebuchaufzeichnung um 1937).
Es mangelte ihr nie an Arbeit, denn die Zeitschriften Vorwärts, Spiegel, DIE ZEIT gaben ihr stets neue Aufträge. Sie machte Trickfilme, schrieb Gedichte undundund… war nicht zuletzt ein Familienmensch.
Auch der Umweltschutz war ihr ein besonderes Anliegen. „Wenn man derzeit sieht, wie die Politik sich erdreistet, unsere Kinder und Enkel mit unvorstellbaren Schulden, nicht nur finanzieller Art, zu belasten! Wie sich die Finanzwelt skrupellos über jegliche Moral und Ethik hinwegsetzt! Von der globalen, beständig wachsenden Umweltkatastrophe mag ich gar nicht erst reden.“ (Zitat aus einem Gespräch mit W. P. Fahrenberg im März 2010.)
Weltkugel – Plakat der Ausstellung 2012 im caricatura-Museum, Foto: Renate Feyerbacher
Im Gespräch mit dem Kunsthistoriker W. P. Fahrenberg sprach sie von ihrem Onkel, dem bedeutenden Bildhauer und feinfühligen Zeichner Gerhard Marcks (1889-1981), mit dem sie engen Kontakt stand.
Der Künstler wohnte und arbeitete ab 1950 in Köln-Müngersdorf, wo ich selbst damals auch wohnte , nämlich rechtsrheinisch, auf der sogenannten Schäl Sick. 1964 beteiligte Marcks sich mit anderen Bildhauern bei einer Ausstellung in der rechtsrheinisch gelegenen Stadthalle in Köln-Mühlheim.
Ich, damals Kunststudentin, sprach ihn an. Mir verschlug es den Atem, wie aufgeschlossen er sich mir gegenüber verhielt. Schließlich lud er mich ein, ihn in Müngersdorf zu besuchen. Er und seine Frau Marie, von der er immer wieder feine Zeichnungen schuf, blieben lebenslang verbunden, was sich in kleinen Kunstwerken niedergeschlagen hat.
In Frankfurt kennt man seine große Mozartstele und die Skulptur des Philosophen, Naturforschers Empedokles, die Gerhard Marcks 1954 für die Universität Frankfurt geschaffen hatte. Erst seit 2013 hat sie einen würdigen Platz in der Eingangshalle des einstigen IG-Farben-Gebäudes, der heutigen Goethe- Universität, gefunden.
Werke dieses Künstlers sind übrigens derzeit noch in der Alten Nationalgalerie Berlin in einer Ausstellung zu sehen: Johann Gottfried Schadow – Gerhard Marcks – Berührende Formen. Und das Gerhard Marcks-Museum in Bremen zeigt vom 19. 2. bis zum 7. 5. 2023 die Ausstellung „Kosmos Marcks – Auf dem Sportplatz“.
Nichte Marie Marcks, die Karikaturistin, und Onkel Gerhard Marcks, der Bildhauer, hatten engen Kontakt und pflegten einen regen Briefverkehr. Locker und offen waren sie beide und ganz ohne Promigehabe, dabei waren sie weltberühmt.
Daneben hat Marie Marcks auch Kinderbücher geschrieben. Meine Töchter nahmen schon ihre kleinen Bücher mit, um sie sich von ihr signieren zu lassen.
Marie Marcks und Antje Kunstmann nach der Ausstellungseröffnung im vertrauten Gespräch, Foto: Renate Feyerbacher
Antje Kunstmann ist immer wieder im caricatura-Museum in Frankfurt anzutreffen. Sie liebt die Meister der Komischen Kunst und verlegt Kataloge der Ausstellungen. 2022 erhielt sie nicht zuletzt auch dafür den Kurt-Wolff Preis.
Mit dem äußerst kompetenten Achim Frenz, den wenig lächelnden Leiter des Frankfurter Museums, scheint sie sich gut zu verstehen. Er schätzt Humor, weniger den Witz. Frenz gründete 1987 die caricatura Kassel – heute Galerie für Komische Kunst -, kam 2000 nach Frankfurt und landete zunächst im Historischen Museum, 2008 zog er mit dem Caricatura Museum ins Leinwandhaus zwischen Dom und Main um. Erst 2019 wurde das Caricatura eigenständig und unabhängig vom Historischen Museum.