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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das Frankfurter Jüdische Museum auf Erfolgskurs und Vorausschau auf 2023

„Museum to go“ und „Museum goes school“

Von Petra Kammann

Die gute Nachricht zuerst. Die großartige Ausstellung „Zurück ins Licht“ über vier vergessene jüdische Künstlerinnen wird aufgrund des Publikumserfolgs um sechs Wochen verlängert. Trotz der Einschränkungen durch die Pandemie konnte das Jüdische Museum Frankfurt seinen Platz in der europäischen Museumslandschaft behaupten. Das zeigen sowohl die internationale (Presse)Resonanz wie auch die Besucherzahlen, die das Museum im Vergleich zu den Jahren vor seiner Wiedereröffnung verdoppeln konnte. Gerade wurde die digitale Strategie von 2016 abgeschlossen. Und interessante Ausstellungen gibt es auch 2023.

Steht blendend da, das Jüdische Museum Frankfurt, Foto: Petra Kammann

Im Januar besuchten bereits 8.200 Menschen das Jüdische Museum bzw. das Museum Judengasse – das sind mehr als in jedem anderen Monat des Jahres 2022.

Die tatkräftige Direktorin Prof. Mirjam Wenzel präsentierte das Jahresprogramm. Sie blickt hoffnungsfroh in die Zukunft, Foto: Petra Kammann

Nach dem Abklingen der Pandemie ist das gestiegene Interesse auf das Programm des Museums zurückzuführen, das sind einmal die die aktuellen Gesprächsveranstaltungen wie „Die neue Frau – heute“ oder „documenta 15: Der Skandal und die Folgen“ mit insgesamt 300 Zuhörenden großer Aufmerksamkeit ebenso wie die Wechselausstellung „Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege“ mit etwa 4.000 Besucherinnen und Besuchern.

Das Museum hat sich aufgrund dieses Erfolgs entschieden, die Laufzeit der Ausstellung mit Werken von Rosy Lilienfeld, Amalie Seckbach, Ruth Cahn, Erna Pinner und der zeitgenössischen Mehrkanal-Videoinstallation von Elianna Renner zu verlängern. Die Finissage findet nun am Montag, 29. Mai 2023 statt.

Wilhelm Merton – Unternehmer mit sozialer Verantwortung

Ja, die Menschen können wieder unbefangen ins Museum kommen und genießen offensichtlich auch die Wechselausstellungen, die es auch 2023 wieder geben wird, und das mit sehr interessanten lokalen Bezügen.

Junior, Heinrich, Portrait Dr.phil. Wilhelm Merton am Schreibtisch, Fotografie, Portrait, Frankfurt am Main / Jüdisches Museum Frankfurt

So erinnert vieles in Frankfurt an Wilhelm Merton: Die Merton-Straße, das Merton-Viertel, eine Berufsschule, ein Übersetzerpreis sowie ein Universitätsinstitut. Dem Engagement des Unternehmers und Gründers der Metallgesellschaft verdankt die Mainmetropole so vieles.

Wer aber war Wilhelm Merton, der 1848  im „Paulskirchenjahr“ in eine Frankfurter jüdische Familie geboren wurde? Aus Anlass seines 175. Geburtstages geht das Jüdische Museum in einer Kabinettausstellung dieser Frage nach.

Metall & Gesellschaft. Wilhelm Merton – Unternehmer mit sozialer Verantwortun

vom 14. Mai 2023 bis 7. Januar 2024

Die Paulskirche und das demokratische Selbstverständnis

Pop-up-Archiv zu 75 Jahren bundesdeutschem Diskurs

Die Paulskirche als Ort der Frankfurter Buchmesse 1950, Foto: Ursula Assmus

Zum 175-jährigen Jubiläum der Nationalversammlung, deren in Frankfurt an drei verschiedenen Orten im Stadtraum gedacht wird, richtet das Jüdische Museum Frankfurt die Aufmerksamkeit nicht auf die politische Situation vor 175 Jahren, sondern auf den bundesdeutschen Diskurs 100 Jahre später, vor 75 Jahren, angefangen von der Diskussion um den Wiederaufbau der Paulskirche im Jahr 1948 bis hin zu den Reden, Ausstellungen und Konflikten, die seither in der Paulskirche, die oft als „Wiege der deutschen Demokratie“ angesehen wird, ausgetragen wurden. Auf dem Bertha-Pappenheim-Platz vor dem Museum wird mit einem eigens gestalteten Pop-up-Archiv mit  Fotos, Zeitungsberichten, Manuskripten, Ton- und Filmdokumenten. gestartet.

Dabei geht es ebenso um das Konzept des schlichten Wiederaufbaus durch den Architekten Rudolf Schwarz wie auch um die ersten Veranstaltungen in der Paulskirche Ende der 1940er Jahre, bsispielsweise die Rede auf dem Deutschen Schriftstellerkongress zur 100-Jahr-Feier der Revolution von 1848 von Fritz von Unruh  oder der Rede von Thomas Mann, der nach seiner Vertreibung im Goethejahr 1949 zum ersten Mal wieder deutschen Boden betrat, oder um besondere Friedenspreisreden (meist) jüdischer Emigranten wie der von Martin Buber, später auch Nelly Sachs, der ersten Friedenspreisträgerin, oder um Ausstellungen und Reden zu Auschwitz von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Zuge des Prozesses, später dann um die nationalkonservativen Umdeutungsversuche der deutschen Geschichte  im Historikerstreit und um fortschreitende Pluralisierung der Erinnerungskultur vor Ort.

Die Gestaltung dieses Pop-up-Archivs richtet sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene und soll zum Mitmachen Partizipation und zur Diskussion anregen.

17. bis 21. Mai 2023 auf dem Bertha-Pappenheim-Platz und im Juni 2023 an drei verschiedenen Orten im Stadtraum

 

Eine jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik bis 1989

Eine weitere Ausstellung widmet sich erstmalig der jüdischen Filmgeschichte der Bundesrepublik Deutschland von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Sie entsteht in Kooperation mit dem DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum e.V.

Erik Riedel, Ausstellungsleiter und Kurator für den Bereich Bildende Kunst,  stellte den Filmpart vor, Foto: Petra Kammann

Dabei werden  die Lebenswege und Karrieren jüdischer Produzenten, Regisseurinnen und Regisseure oder Schauspieler und Schauspielerinnen nachgezeichnet, die mal am Rande, mal im Zentrum der Filmproduktion standen. Sie baut auf die jahrelange Forschung der beiden Kuratoren und Filmwissenschaftlerinnen Lea Wohl von Haselberg und Johannes Praetorius-Rhein auf.

Ausgangpunkt bildet eine Videoinstallation mit Statements von zeitgenössischen Filmschaffenden zur Frage, ob sie ihr Jüdischsein in der Filmproduktion lieber ein- oder lieber ausgeblendet sehen (wollen). Der sich anschließende Rundgang geht sowohl auf die ersten Filmproduktionen jüdischer Überlebender wie denen von Artur Brauner als auch auf die Filme von Stars wie Lilli Palmer oder von Autorenfilmemacherinnen wie Jeanine Meerapfel ein. Seine Gestaltung nimmt Bezug auf den jeweils historischen Ort der Filmproduktion, das Studio, und setzt Filmausschnitte und –requisiten neben persönlichen Statements in Szene.

Ausgeblendet – Eingeblendet

14. Juli 2023 bis 14. Januar 2024

 

Die neue App des Jüdischen Museum

Abschluss der digitalen Strategie von 2016

Die neue App auf dem Handy, Abb.: Jüdisches Museum Frankfurt

Seit 2016 verfolgt das Jüdische Museums Frankfurt eine digitale Strategie mit etlichen Projekten, bei denen es um Kommunikation, Vermittlung und Forschung im digitalen Raum geht. Mit einer gelaunchten App, die als zielgruppenspezifischer Mediaguide für die Dauerausstellung im Rothschild-Palais dient, ist  nun abgeschlossen.

Besucherinnen und Besucher können sie sich entweder aus den App-Stores von Google und Apple auf ihr Smartphone laden oder im Museum auf Leih-Tablets mit Kopfhörern ansehen und -hören. Das langanhaltende Projekt ist nicht nur für das Publikum eine Bereicherung vor Ort. Man kann sie auch getrost nach Hause tragen und auf dem Sofa noch einmal alles Revue passieren lassen.

Inhaltlich umfasst sie sowohl einen 90-minütigen wie auch einen 60-minütigen Highlight-Rundgang jeweils in deutscher wie in englischer Sprache und bietet zudem drei inklusive Angebote: eine Tour für höreingeschränkte Besucherinnen und Besucher mit Gebärdensprachen-Videos, eine Audioführung in leichter Sprache sowie eine Tour für Seheingeschränkte, die zu ausgewählten Exponaten und zu den Tastobjekten in der Dauerausstellung führt.

Tiefenbohrung steht für die exzellente Architektur wie für die nachhaltige Arbeit des Museums, Foto: Petra Kammann

Die Museums- Bildungsarbeit  des Jüdischen Museums ist vorbildlich. Bemerkenswert in allen Angeboten ist die nachhaltige Durchdringung der Themen, die zusätzlich auch in die Schulen und Familien getragen werden wie in Aktionen „Museum goes school“, Projekttage und „Schattentheater“,  wo auch ganze Familien in die Projekte eingebunden werden.

 

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