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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Niki de Saint Phalle in der Frankfurter Schirn

Na, na sowas von bunt

Von Petra Kammann

„Nanas“ heißen die knallbunten, dickbäuchigen und scheinbar fröhlich tanzenden Frauenfiguren, welche die französisch-amerikanische Künstlerin Niki de Saint Phalle (1930–2002) so populär machten. Wer aber hätte gedacht, dass dieselbe Künstlerin auch eine so radikale Aussage tun würde wie: „Statt Terroristin zu werden, wurde ich Terroristin der Kunst.“ Nicht nur ihr Name klingt provokativ, sie ist es auch. Ihr Künstlerleben aber ist ebenso wenig bekannt wie ihr facettenreiches Oeuvre. In der Schirn öffnete gerade eine Schau die Augen für diese Ausnahmekünstlerin mit rund 100 ihrer Arbeiten. Sie alle sind versammelt in einem offenen langen Raum auf pink -und lilafarbenen Wänden: frühe Assemblagen, Aktionskunst und Grafik, Nanas, Tarotgarten, Großskulpturen, Filme und herrliche Schwarz-Weiß-Fotos des Schweizer Fotografen Leonardo Bezzola.

Frühe Arbeiten – Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Noch in den 1950er Jahren waren es vor allem Männer, die bestimmten, was unter Zeitgenossenschaft und Avantgarde zu verstehen war. Weibliche Künstlerinnen waren kaum bekannt. Doch damals schon begeisterte und schockierte die blutjunge Niki de Saint Phalle das Publikum und machte sich schon bald  einen Namen. Und das weltweit.

Aufmerksam wurde man auf sie wegen ihrer spektakulären Schießhappenings (Tir) der frühen 60er Jahre und durch ihre grotesken Experimentalfilme der 70er. Durch die Auseinandersetzung mit traumatischen Kindheitserlebnissen wegen des Missbrauchs durch ihren Vater und einem vermutlich darin begründeten Männerhass befreite sie sich mittels ihrer Kunst.

Schirn-Direktor Sebastian Baden in der Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Geboren wurde Niki de Saint Phalle 1930 in Paris, zog mit zwei Jahren mit ihren Eltern nach Amerika  und wuchs dort auf. Mit 18 Jahren heiratete sie heimlich ihren Freund, kehrte mit ihm gemeinsam nach Frankreich zurück, wo sie zwei Kinder bekam. 1960 verließ sie ihren ersten Ehemann Harry Mathews und ihre beiden Kinder jedoch, um Kunst zu machen, die sich grundsätzlich mit der weiblichen wie auch mit ihrer eigenen Identität auseinandersetzt, mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft, die mit ihrer Unterdrückung zu kämpfen hat.

Niki de Saint Phalle bei der 800-Jahr-Feier von Notre-Dame in
Paris mit einer Schießaktion, 1963, Foto © Dalmas / SIPA, Werk ©
2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris

Nach einem Nervenzusammenbruch hatte sie schon in den 1950ern angefangen zu malen, dann kamen kleinere Objets trouvés hinzu: Steine, Flaschenkorken, Scherben, Plastikteile, aus denen sie Assemblagen machte. Sie lernte Leute kennen, die wichtig für ihren Lebenslauf wurden: wie den Künstler Jean Tinguely, zu dem sie 1960 in die Pariser Künstlersiedlung zog und den sie später auch heiratete.

In Frankreich wurde Niki de Saint Phalle bald schon durch ihre legendären „Schießbilder“ berühmt. In der Frankfurter Ausstellung stehen sie am Eingang der vielfältigen, ansonsten nicht chronologisch geordneten Schau. Damit hat sie schon in den 1960er-Jahren einen entscheidenden Beitrag zu der gerade heute hochaktuellen Kunstform der Performance geleistet.

Auch der perfekt sitzende Schießanzug ist ausgestellt, Foto: Petra Kammann

Für ihre Assemblagen klebte Niki Wolle, Draht, Engelsfiguren und andere Dinge auf eine große Leinwand,  tauchte das so entstandene „Relief“ in Gips, pinselte es weiß an und band Farbbeutel dahinein. Dann stellte sie ihr Bild auf und schoss mit einem Gewehr darauf, so dass die Farbbeutel platzten und die Farbe über das Kunstwerk lief. Auf diese Weise entstanden unterschiedlich skurrile, oft düster wirkende Bilder.

Zum historischen Ereignis, der 800-Jahrfeier von Notre-Dame, schoss sie provokativ auf ihre eigene Darstellung des bekannten Gotteshauses. Da war ihr die Aufmerksamkeit sicher und sie in aller Munde.  Aber auch später war ihr Gesamtwerk überraschend, exzentrisch, emotional, düster und brutal, humorvoll, hintergründig undimmer wieder … herausfordernd.

Immer wieder setzt sie sich auch mit Rollenbildern der Frau auseinander, mit Sexualität, mit der Fruchtbarkeit, Foto: Petra Kammann

Die Schießaktionen waren Happenings, welche die Künstlerin, die übrigens auch für die Modezeitschrift Vogue modelte, die sie in ihrem perfekt sitzenden Schießanzug cool und sexy aussehen ließ. Wenn sie mit einem Gewehr auf ihre Bilder schoss und die Farbbeutel platzten, war das eine echte Performance.

Bei diesem Akt des Zerstörens, der selbst zur Kunst wurde, beteiligten sich dazu Künstlerkollegen wie Jasper Johns, Robert Rauschenberg oder Edward Kienholz. Sogar das Publikum schoss auf de Saint Phalles Werke. „Ich war bereit zu töten. Das Opfer, das ich wählte, waren meine eigenen Bilder.[…] Dann bat ich die Betrachterinnen und Betrachter, auf meine Bilder zu schießen. Ich wurde zur Zeugin meiner eigenen Mordaktion.[…] Die Bilder bluteten.“

So wurde sie in den Kreis der „Nouveaux Réalistes“ um Pierre Restany aufgenommen. In dem sechs Meter langen Schießbild „King-Kong“ von 1962 können wir die satirischen Porträts von männlichen Vertretern der Weltpolitik erkennen, welche die Krisen der Zeit wie die Kubakrise, den Vietnamkrieg, die nukleare Bedrohung im Kalten Krieg der reaktionären Mc Carthy-Ära repräsentieren. Dem gegenüber stellt sie die Frau als Gebärmaschine dar, abgebildet in Form einer Plastikpuppengeburt.

Schirn-Kuratorin Katharina Dom in der Ausstellungshalle im Interview, Foto: Petra Kammann

Das überaus breite Spektrum von Niki de Saint Phalles Tätigkeit spiegelt sich sowohl in der Malerei und Zeichnung als auch in den Assemblagen,  Aktionen und großformatigen Skulpturen, aber auch im Theater, im Film und in der Architektur.

Blick in den hinteren Teil der Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Dabei wird in der konzentrierten derzeitigen Schirn-Ausstellung, die zuvor im Kunsthaus Zürich zu sehen war, deutlich, dass Niki de Saint Phalle sich auch ständig und ebenso intensiv mit sozialen und politischen Themen wie auch mit Institutionen und Rollenbildern auseinandergesetzt hat, die heute wieder eine neue Relevanz bekommen haben. So engagierte sie sich für Abtreibung und für die ersten aidskranken Homosexuellen – in der Aktion Vom Händchenhalten kriegt man’s nicht arbeitete sie sogar  mit dem Schweizer Immunologen und AIDS-Spezialisten Prof. Silvio Barandun zusammen, um Aufklärung zu erwirken. Und sie solidarisierte sich mit der Black-Power-Bewegung.

Matriarchalische Figuren und Beschäftigung mit dem Älterwerden, Foto: Petra Kammann

Verfolgt man ihren künstlerischen Werdegang, so erscheinen vor diesem Hintergrund viele ihrer Werke, vor allem ihre populären „Nanas“ in einem anderem Licht, so auch die großen Installationen im öffentlichen Raum wie ihre berühmte, begehbare Nana-Großplastik „Hon“, die sie bereits 1966 im Moderna Museet in Stockholm realisiert hatte. Was für eine ungeheuer freche und spektakuläre Installation voller Provokationen für die damalige Zeit! Diese Großplastik war durch die Vagina zu betreten und enthielt in ihrem Schwangerschaftsbauch einen Vergnügungspark für Erwachsene, mit Milchbar, Kunst und Kino.

Ein farbiges Memento mori am Ende der Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Entwürfe für den „Tarotgarten“ sind in der Schirn ebenso zu sehen wie eine Miniatur der begehbaren Schwangeren oder der aus der Form geratenen Mutterfigur in zahlreichen präsenten Nanas. In Abtreibung – Wahlfreiheit (2001) verteidigt sie die Rechte der Frauen im Hinblick auf Selbstbestimmung.. 

1983 hatte sie den Igor-Strawinsky-Brunnen geschaffen – heute ein Touristenmagnet der Sonderklasse vor dem Centre Pompidou in Paris – gemeinsam mit Jean Tinguelys schwarzen technischen Maschinenplastiken aus Eisen und ihren eigenen bunten Fabelwesen und Nanas, Strawinskis Geschichte miteinbezogen. Der wird übrigens in der Ausstellung leider nicht erwähnt.

Hingegen seit 1997 der schwergewichtige schwebende Riesenengel aus dem Züricher Bahnhof, wie auch der Skulpturenpark in Hannover oder der Tarotgarten in der Toskana. Nicht zuletzt all diese Großskulpturen lassen ihre Werke in einem anderen Licht erscheinen als in dem der naiven Heiterkeit…

„Les nanas au pouvoir“ – Niki De Saint Phalles Enkelin Bloum Cardenas trägt das Erbe ihrer Großmutter fort und kam zur Pressekonferenz eigens nach Frankfurt, Foto: Petra Kammann

Die Auswahl der Werke für diese Ausstellung gibt Einblick in das komplexe und hochinteressante Schaffen dieser so kritischen wie phantasievollen Ausnahmekünstlerin – neben Rosemarie Trockels Ausstellung im MMK ein starkes Statement weiblicher Energie und Schöpferkraft.

 

NIKI DE SAINT PHALLE

Bis 21. MAI 2023

SCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT
Römer­berg
D-60311 Frank­furt am Main
Tel +49 69 299882-0
Fax +49 69 299882-240
www schirn.de

 

DER KATALOG

Niki de Saint Phalle, herausgegeben von Zürcher Kunstgesellschaft / Kunsthaus Zürich und Schirn Kunsthalle Frankfurt, mit Beiträgen von Rhiannon Ash, Christoph Becker, Monster Chetwynd, Bice Curiger, Katharina Dohm, Sandra Gianfreda, Margrit Hahnloser-Ingold, Cathérine Hug, Seppi Imhof, Mickry 3, Shana Moulton, Nicolas Party und Laure Prouvost sowie einem Vorwort des Direktors der Schirn Kunsthalle Frankfurt Sebastian Baden, deutsche und englische Ausgabe, 207 Seiten, 195 Abbildungen, 23,5 × 29 cm, Softcover, Klappenbroschur, Hatje Cantz Verlag, ISBN 978-3-7757-5299-2 (deutsche Ausgabe), 978-3-7757-5300-5 (englische Ausgabe), 35 € (Schirn), 44 € (Buchhandel) 

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