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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Händels „Orlando“ in der Frankfurter Oper – Ein barockes Vexierspiel von Amor und Mars

Labyrinth der Leidenschaften

Von Petra Kammann

Die Liebe ist ein wandelbar Ding, sie beflügelt die- oder denjenigen, der von Amors Pfeil getroffen wird und lässt die oder den davon Ausgenommenen alt aussehen. Oder sie löst, sobald Eifersucht im Spiel ist, pathologische Zustände, bisweilen gar zerstörerisch-kriegerische Phantasien aus. Das war in der Barockzeit wohl nicht anders als heute, weswegen die Geschichte vom „Rasenden Roland“, dem Versepos „Orlando furioso“ des italienischen Dichters Ludovico Ariost (1474-1533), auf das sich Händels selten gespielte Oper „Orlando“ bezieht (Uraufführung 1733), nichts an Aktualität verloren hat. Am vergangenen Sonntag feierte „Orlando“ – knapp 300 Jahre später – Premiere in der Oper Frankfurt.

Premiere ORLANDO von Georg Friedrich Händel,  hier: die liebende Angelica, Kateryna Kasper, Foto: Barbara Aumüller

Reizvoll vom Anbeginn der Aufführung an präsentiert sich auf der Bühne die Gegensätzlichkeit allen Seins – angefangen vom sparsam ausgerichteten Setting mit dem schlichten Drehkreuz und seinen vier quadratisch beweglichen Flügeln, deren leicht transparente Gaze sich als Projektionsfläche anbieten, bis hin zu barocken Stilanspielungen und Details wie der historischen Orchesterbesetzung unter der kundigen Leitung von Simone di Felice. Die hinreißenden, teils üppig barocken und romantischen Kostüme wurden genial von Raphaela Rose entworfen.

Nun war zunächst einmal auf Anhieb auf der Bühne des sich drehenden Irrenhauses im Quadrat scheinbar nicht viel zu sehen. Doch schon bald wurde klar: Weniger ist oft mehr und schafft Raum für die Phantasie der Zuschauer und Zuschauerinnen, die durch die Projektionen eines subtilen Licht-und Farbenspiel angetriggert wird.

v.l.n.r.: Die Dreierkonstellation: Angelica (Kateryna Kasper) und  Dorinda, (Monika Buczkowska) lieben Medoro (Christopher Lowrey), Foto: Barbara Aumüller

Schon die ebenso eifersüchtige wie spitzbübische Schäferin Dorinda, blendend dargestellt durch Monika Buczkowska, die genauso verliebt ist in den weichen romantischen Anti-Helden Medoro (Christopher Lowry) wie die Medoro liebende Angelica (Kateryna Kasper), stellt sowohl äußerlich als auch stimmlich einen Kontrast zu den sachlich nüchternen Drehtüren dar wie zu dem Vernunft beschwörenden Zoroastro (Bozidar Smiljanic), der gekleidet in einen gestreiften modernen Straßenanzug wie ein moderner Geschäftsmann über die Bühne stolziert.

Trotz ihres barocken steifen Seidenschößchens kommt Dorinda in ihrem Ringelpulli plus Hosenträger ganz frisch, komödiantisch und zeitgenössisch daher. Dazu überzeugte ihre modulations- und koloraturfähige Stimme von Anfang an durch ihre hohe Präsenz, ebenso übrigens wie die des ausdrucksstarken und mächtigen Strippenziehers und Zauberers Zoroastro, dessen Bassbariton unmittelbar raumfüllend war.

Während Angelicas üppig geraffte Seiden-Robe in raffiniertem Abricot-Ton auf der Bühne eine ungeheure räumliche, geradezu rauschhafte Pracht entfaltete, standen im Kontrast dazu die Genien, ganz in schwarz gekleidete Schattenfiguren, die schemenhaft durch die Gaze schimmernd und sich nur ab und an tanzend und die Lage kommentierend in die Szene einmischten. Sie wurden vornehm und diskret von Jenny Ogilvie choreografiert.

Hatte die kapriziöse und leidenschaftlich liebende Angelica im ersten Akt noch etwas Mühe, ihre Arien klar heraus zu singen, so steigerte sie sich im Laufe der Aufführung zunehmend – vor allem ab der tief empfundenen Arie „Verdi piante“. In der zarten Liebeserklärung von Medoro kam auch die weiche Coutenorstimme von Christopher Lowrey ins Spiel, die hier durch die sparsame Instrumentierung  bestens zur Geltung kam.

Premiere ORLANDO von Georg Friedrich Händel am 29.01.2023, hier: Angelica, Kateryna Kasper und Medoro, Christopher Lowrey, Foto: Barbara Aumüller

Kostüme, Bühnenbild und Lichtregie symbolisieren am Anfang die aufkeimende Energie des Frühjahrs als das Erwachen der verführerischen Kraft der Liebe. Die Gesamtszenerie: auf den sich ständig durch das wechselnde Licht und die Bewegung verändernden quadratischen Tableaus spiegelt sich die jeweils emotionale Lage der Sänger und Sängerinnen gewissermaßen als Konzentrat wieder.

Fast ZEN-mäßig oder auch impressionistisch wirkten die Projektionen mit den angedeuteten Szenen in freier Natur. Sie wecken auch optische Erinnerungen an Edouard Manets berühmtes Gemälde Déjeuner sur l’herbe“ („Frühstück im Grünen). Dieser eher malerisch-ästhetische und weniger moralische Ansatz der insgesamt entschlackten Inszenierung mit dem auf wenige optische Mittel reduzierten Bühnenbild von Johannes Schütz stellt ganz klar das innere psychische Drama der Personen in den Vordergrund.

Das empfand übrigens schon der französische Schriftsteller Romain Rolland (1866-1944). Er sah darin auch die Stärke von Händels Musikdrama: „Die Musik malt: Sie malt Affekte, Seelen, Situationen, ja selbst ganze Epochen malt sie, die den Rahmen liefern zu diesen Affekten. Mit einem Wort: das Wesen dieser Kunst ist malerisch, ist dramatisch.“

Mitte: Der Strippenzieher Zoroastro (Bozidar Smiljanic) versucht, moralisch auf Orlando  einzuwirken, Foto: Barbara Aumüller

So kündigt sich schon rein äußerlich in Angelicas erstem Auftritt die Wucht der Leidenschaft an, wenn sie ihr so üppiges Ballkleid mit den gerafften Stofflagen aus Satin hinter sich herzieht. Durch ihre Bewegung auf der kargen Bühne entfaltet es eine ungeheuer raumfüllende Wirkung, während die erwachende Natur durch die vom Wind sich hin und her wiegenden projizierten Zweige und Blätter auf den schlichten Tafeln zart angedeutet und imaginiert wird.

Berauscht von der Liebe selbst sind der schlichte Soldat Medoro und die hochwohlgeborene Angelica, die sich in ihn verliebt hat, als sie ihn pflegend von seiner Kriegsverletzung kurierte. So kann sie nicht so recht entscheiden zwischen den beiden Männern, dem Soldaten Medoro und dem Ritter Orlando, der ihr zwar das Leben gerettet hat, dem sie sonst aber nichts abgewinnen kann.

Nach Medoros Liebeserklärung, der aber wegen des Standesunterschieds der Sache nicht traut, singt sie, wohl intoniert und innerlich bewegt, fast jubilierend die Arie „Chi possessore è del mio core – „wer mein Herz besitzt, kann sich König nennen“ heraus, um ihrer Liebe zu Medoro Standfestigkeit zu verleihen. Dabei verdankt sie Orlando eigentlich ihr Leben, der daraus den Schluss gezogen hat, sie deswegen auch ehelichen zu können.

Der Harmonisierer Zoroastro (Bozidar Smiljanic) wirft Angelica ihre Liebe zu dem nicht gesellschaftsadäquaten Medoro vor und warnt sie vor Orlandos Rache, der in der Inszenierung  überzeugend durch die Mezzosopranistin Zanda Svede verkörpert wird. Zoroastro versucht, Orlando zu beeinflussen und ihn für den Krieg statt für die Liebe zu begeistern.

Händels Zoroastro, der wohl vom damals beliebt-bekannten fernöstlichen Weisheitslehrer Zarathustra inspiriert war, sieht den Menschen als ein von guten wie von bösen Mächten beherrschtes zwiespältiges Wesen, dem man vor allem durch Vernunft beikommen kann. Bei Händel ist er noch eine Gestalt der Vernunft, die den unkontrollierten Emotionen entgegengesetzt wird.

So spielt Zoroastro zunächst den Moralpriester, der versucht hat, Orlando standesgemäß zum Kriegshelden zu machen. Smiljanic als Zoroastro hält die Arie „Lascia Amor „– „lass Amor“ mit seiner kraftvollen Stimme Orlando entgegen. Doch der kann von Angelica nun mal nicht lassen und sieht sich selbst nicht als Kriegsheld, sondern eher als perfekten Liebeshelden und hört daher nicht auf Zoroastros Warnungen, bis er eines besseren belehrt wird, als er nämlich die in einen Baumstamm geritzten Initialien A + M als Insignien der Liebe  entdeckt und begreift, dass er der Betrogene ist. Er verliert daraufhin den Verstand und schwört Rache.

Orlando (Zanda Svede) entdeckt die Inschrift beider Namen, gerät außer sich vor Wut und sinnt auf Rache, Foto: Barbara Aumüller

Zu Beginn des zweiten Aktes wird eine Waldzsenerie heraufbeschworen, begleitet von leisem  Vogelgezwitscher. Da kann die Nachtigall, Königin der Nacht, doch nicht weit sein. Der Wald als Fluchtort vor der menschlichen Gesellschaft wird dann auch für Angelica und Medoro, deren Liebe nun nicht mehr wegzudenken ist, zum locus amoenus, zum lieblichen Ort, der sich später dann jedoch in einen locus horribillis, in einen Schreckensort, verwandelt, weil der verstoßene und völlig verstörte Orlando dort real oder in seiner Phantasie die beiden Liebenden nacheinander tötet.

Anders als Orlando aber bleibt die ebenfalls sich betrogen fühlende bodenständige Dorinda (Monika Buczkowska) die sich auch Hoffnungen auf Medoro gemacht hatte, weiterhin lebensfroh. Philosophierend singt sie im 3. Akt über die Vergänglichkeit der Liebe „Amor è quel vento – Amor ist wie der Wind„. Mühelos überwindet sie mit ihrem klaren Sopran die größten Intervalle, bezwingt die Koloraturen und Wiederholungen und tut es damit dem Wind gleich und bleibt mit allen im Gespräch. Sie bekommt entsprechend viel Beifall.

Dorinda, fabelhaft gesungen und geschauspielert von Monika Buczkowska, Foto: Barbara Aumüller

Mezzosopranistin Zanda Svede spielt tapfer den ernsten und gekränkten Orlando in seiner unerwiderten Liebe und durchleidet nicht nur die bittere Enttäuschung, sondern steigert sich auch in die eifersüchtige Raserei, die sie in der tollkühnen Wahnsinnsarie mit zahlreichen Taktwechseln bewältigt, und erlebt schließlich den totalen psychischen Zusammenbruch, eine Art von Burnout am Rande der Bühne, den sie in melancholischen schwermütigen Arien überwindet.

Ist es Traum oder Wirklichkeit? Orlando hatte – dem Knall nach – die Untreuen erschossen. Aber am Ende nur symbolisch? Zoroastro, der ein Zaubermittel an Orlando verabreicht hat, erweckt die Toten wieder zum Leben. Gibt es daher zum Schluss doch noch ein völlig unerwartetes Happy End, ein Lieto fine, wenn alle gemeinsam wieder in Dorindas einfacher Hütte feiern? Das war wohl zu Händels Zeiten die Publikumserwartung, sollte die Geschichte doch nicht zu traurig und voller Melancholie enden. Und wie wäre es heute?

Das Opernorchester unter dem charismatischen Kapellmeister Simone de Felice am Pult ist individuell auf die Einzelstimmen und damit verbundenen Seelenlagen eingegangen und hat musikalisch darauf reagiert.

Vielleicht wurde am Ende aus der barocken Oper nicht nur eine ästhetisch gelungene Aufführung, sondern zuletzt auch eine zeitgenössische Inszenierung (Ted Huffman) mit geschmackssicheren Barockklängen, so zart, schön phrasiert, welche die Einzelstimmen mit psychologischem Tiefgang in den Mittelpunkt stellte. Dabei ergab das Verhältnis der verschiedenen Timbres und Stimmen zueinander eine gelungene Komposition in sich.

Vielleicht muss man dem Nachklingen ein wenig Zeit und Muße geben, um die Qualität der Inszenierung zu ermessen.

Kurzfilm von Thiemo Hehl zur Premiere von Georg Friedrich Händels Orlando (Musikalische Leitung: Simone Di Felice; Inszenierung: Ted Huffman) im Internetauftritt der Oper Frankfurt

https://oper-frankfurt.de/de/oper-frankfurt-zuhause/?id_media=384

Weitere Aufführungen:

4., 10., 12., 18., 25. Februar

4., 10., 12. März

 www.oper-frankfurt.de

 

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