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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Blühen“ von Vito Zuraj an der Oper Frankfurt

Liebes-Freude und jäher Absturz

von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Ein Auftragswerk der Oper Frankfurt, die Oper „Blühen“ von Vito Zuraj und das Libretto von Händl Klaus, nach Thomas Manns letzter Erzählung „Die Betrogene“ von 1953, wurde am 22. Januar 2023  im Bockenheimer Depot uraufgeführt. Das Publikum feierte die Schöpfer, das Sängerteam und das Ensemble Modern.

v.l.n.r.: Bianca Andrew (Aurelia), Michael Porter (Ken), Jarrett Porter (Edgar) und Nika Goric (Anna)

Die Novelle hatte den Schriftsteller, Dramatiker, Filmregisseur, Schauspieler und Librettisten Händl Klaus (*1969 als Klaus Händl), der schon das Libretto für die 2017 in Frankfurt uraufgeführte Oper Der Mieter geschrieben hatte, schon in jungen Jahren beschäftigt und fasziniert. Als der Österreicher Händl dem slowenischen Komponisten Vito Zuraj davon erzählte, ließ der sich ebenso begeistern und hatte sofort Klangbilder im Kopf. So kam es zur ersten Zusammenarbeit der Beiden.

Wie Händl aus Manns unsensibel zynischer Novelle, die auf einer wahren Begebenheit beruhte, ein klar verständliches und empatisches Libretto schuf, ist schon erstaunlich. Es liegen ja auch Generationen zwischen Thomas Mann (1875-1955), dessen Sprache heute in vielem vergilbt erscheint, und Händl, der in kurzen heutigen  Sätzen den Bogen von der Lebensfreude bis hin zum tödlichen Zusammenbruch von Aurelia, alias Rosalie von Tümmler, einfühlsam spannt.

Regisseurin Brigitte Fassbaender nennt das Libretto hervorragend. Es ist im Programmheft abgedruckt. Aurelia, Mutter zweier Kinder, begeistert sich für die Natur: „endlich blüht es, alles bricht auf einmal auf“,  sind ihre ersten Worte. Der große Baum hat es ihr besonders angetan. Tochter Anna meckert, widerspricht Mutters Euphorie: „er blüht in angst.“  Mutter: „da es mit ihm zu ende geht, gibt er alles – strotzt.

Die 52 Jahre alte Aurelia, deren Mann verstorben ist, sehnt sich nach Liebe und hadert mit den Wechseljahren: „immer noch plagt mich der wechsel von der frau zur alten frau [..] ich war eine frau.“ Tochter  Anna, die einen Klumpfuß hat, verlor ihre große Liebe und will von Liebe nichts mehr wissen. Sie beschäftigt sich seither mit abstrakter Malerei. Im ersten Bild der Oper sprechen Mutter und Tochter vor allem über die Natur, deren Metaphern auf das Lebensende hinweisen.

vorne: Bianca Andrew (Aurelia) und Michael Porter (Ken) sowie im Hintergrund Vokalensemble

Dann kommt ein amerikanischer, Europa liebender Student und Kunsthistoriker in spe, namens Ken ins Haus, um Aurelias Sohn Edgar Englischstunden zu geben. Er könnte ihr Sohn sein. Aurelia und Ken verlieben sich Hals über Kopf ineinander. Davon erzählen die Bilder zwei bis vier. Aurelia: „ich bin jung – ich blute wieder.“ So beginnt das fünfte Bild. Aurelia ist überzeugt, dass sie durch die Liebe zum jungen Ken wieder zur Frau wurde. Anna kontert: „dein körper spielt verrückt.“ Dann die qualvolle Diagnose Gebärmutterhalskrebs durch den befreundeten Arzt Dr. Muthesius und das lange Sterben im siebten Bild.

Librettist Händl Klaus am 8. 1. 2023 im Bockenheimer Depot, Foto: Renate Feyerbacher

Es ist die erste abendfüllende Oper von Vito Zuraj, dessen Werke seit Jahren weltweit in den Konzertsälen zu hören sind, zuletzt sein Cellokonzert Unveiled  (Enthüllt), das coronabedingt jetzt beim Radiosinfonieorchester Wien, vom Gürzenich Orchester in der Kölner Philharmonie und im Konzerthaus in Berlin gespielt wurde.

Vielfach wurde der junge Komponist schon ausgezeichnet: unter anderem erhielt er den Claudio-Abbado-Komponisten-Preis der Berliner Philharmoniker, ein Stipendium in der Villa Massimo in Rom und und und… 2009 wurde er Stipendiat der Internationalen Ensemble Modern Akademie. Eine wichtige Phase für ihn, hier entwickelte er seine Klangsprache. Er und das Ensemble Modern – er nennt es seine Familie,– haben zusammen zahlreiche Klangexperimente kreiert.

Nun realisiert das Ensemble Modern unter der Leitung von Michael Wendeberg die fordernde, experimentelle Musik, die grummelnd beginnt, sich dann differenziert einprägsam steigert. Der zunächst zickig geführten Mutter-Tochter-Beziehung von Anna zu Aurelia, dem Liebestaumel zwischen Aurelia und Ken, der Annäherung der Tochter „wir lieben dich“, folgt dann ein bewegter Ausruf „mama“ und schließlich die Sterbeszene mit Herztönen, Apparatesignalen. Sie alle haben ihre eigene musikalische Sprache.

Psychologische Charakterstudien sind es nicht, sondern Beziehungsgeflechte, gekennzeichnet von Zerrissenheit. Musik und Libretto sind eng verzahnt.

Komponist Vito Zuraj am 8.1.2023 im Bockenheimer Depot, Foto: Renate Feyerbacher

Mutig und diskret hat Brigitte Fassbaender, einst eine Gesangslegende, heute die erfolgreiche Opernregisseurin, diese realistisch-heikle Geschichte inszeniert. Sie lässt die junge neuseeländische Mezzosopranistin Bianca Andrew– mittlerweile Mitglied im Ensemble– eine selbstverliebte Aurelia sein. Gekonnt ist ihr Gesang ebenso wie ihr Spiel als ältere Frau.

Die slowenische Sopranistin Nika Goric gibt ihr Debüt an der Frankfurter Oper in der Rolle der Anna. Sie meistert die schwierige Partie überzeugend.

Michael Porter, der als Tamino (Die Zauberflöte) und als David (Die Meistersinger von Nürnberg) vom Publikum gefeiert wurde, ist im Mozartschen Sinne ein wirklich liebender Ken. Alfred Reiters eindringlicher Bass ist als Arzt ein besonnener Todesbotschafter. Eingeengt, aber einfühlsam gestaltet  Bariton Jarrett Porter die Rolle des Sohns Edgar. Der amerikanische Sänger ist neu im Opernstudio.

Lebendig, beweglich, engagiert wurden die Sängerinnen und Sänger des vorzüglichen Vokalensembles, von Takeshi Moriuchi einstudiert und eingebunden. So bekamen sie eine wichtige Rolle im Geschehen.

In der Bildmitte: Bianca Andrew (Aurelia; liegend) und Alfred Reiter (Dr. Muthesius; sitzend) sowie vorne Ensemble Modern unter der musikalischen Leitung von Michael Wendeberg und im Hintergrund Vokalensemble

Das Bühnenbild von Martina Segna, unterstützt durch Jan Hartmanns Lichdesign, zeigt abstrakte Bäume, ein blaues Prachtsofa, auf dem Aurelia und Ken sich lieben. Die Kostüme von Anna-Sophie Lienbacher sind alltägliche Mode.

„Wir“ – sagte Brigitte Faessbander uns Ältere ansehend – „sitzen alle im selben Boot.“ Dieser berührende, mutige Operabend macht das bewusst. Sehenswert.

Weitere Aufführungen:

am 28., 30. Januar, 3. 5. Februar – danach Oper im Dialog -, und am 8.und 10.Februar

Informationen:

www.oper-frankfurt.de

Telefonischer Ticketverkauf:

069 212-49494

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