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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Schlaglichter auf 100 Jahre Institut für Sozialforschung in Frankfurt

Ausblicke auf den Schultern von Riesen

von Petra Kammann

Gründung, Vertreibung, Exil, Rückkehr, Nachkriegsentwicklung, Konsolidierung, neuere und neueste Geschichte. Am 23. Januar 2023 jährte sich zum hundertsten Mal der Erlass des preußischen Kultusministers zur „Errichtung eines Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt als einer wissenschaftlichen Anstalt, die zugleich Lehrzwecken der Universität dient“. Aus diesem Anlass lud das Institut für Sozialforschung (IfS) zu einem Festakt Vertreter und Vertreterinnen der hessischen Landesregierung, der Stadt Frankfurt, der Goethe-Universität sowie zahlreicher akademischer wie zivilgesellschaftlicher Institutionen und Organisationen ins Institut.

Blick in die Tiefe des Treppenhauses im Institut für Sozialforschung mit den Plakaten der Denker der „Frankfurter Schule“, Foto: Petra Kammann

„Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen“, heißt es in Theodor W. Adornos ,Hausbuch der kritischen Intelligenz‘, den eher leicht lesbaren Aphorismen seiner „Minima Moralia“. Auch nicht von der Ohnmacht des Legendenumwobenen der sogenannten Frankfurter Schule, möchte man anlässlich des 100jährigen Jubiläums ergänzen. Nein, „es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Auch das gehört zu den vielzitierten Kernaussagen dieser Aphorismensammlung der Kleinethik der 1940er Jahre, die in Adornos amerikanischem Exil entstanden.

Blick ins Adornos Bibliothek, Foto: Petra Kammann

Spuren dieses Adorno’schen Denkansatzes und Kosmos‘ sind noch heute im geschichtsträchtigen Haus, dem Institut für Sozialforschung, an unterschiedlichen Stellen zu erleben, sei es im lichtdurchfluteten Treppenhaus, sei es in Adornos Arbeitszimmer oder in der Bibliothek, die nach seiner „Denkweise“ geordnet ist mit Partituren, musiktheoretischen, literarischen und philosophischen Schriften. Sie sind Ausdruck seines aufklärerisch wirkenden interdisziplinären, nach Verknüpfung suchenden Denkens, das gleichzeitig auch immer die Grenzen der Vernunft („Dialektik der Aufklärung„)  kenntlich macht.

Zum Auftakt spielte Prof. Dr. Katharina Deserno „Sieben Rosen für Cello solo “ von Violeta Dinescu und zum Abschluss Adornos „Sonate für Cello Allein“; Foto: Petra Kammann

Beim Festakt entstand die ästhetische Fassung dieses Denkens vor allem durch die emotional-verbindende Kraft der Musik: die Cellistin Katharina Deserno begrüßte das Publikum mit Violeta Dinescus Komposition „Sieben Rosen für Cello solo“ von 2014/2018, deren Titel auf ein Gedicht von Bertolt Brecht verweist: „Sieben Rosen hat der Strauch/ Sechs gehör’n dem Wind /Aber eine bleibt...“ und überzeugte durch ihr fabelhaft differenziertes Spiel, das sie mit kurzen vokalen Stimmeinschüben, mit  Melismen, ergänzte. Eine perfekte Einstimmung, ebenso ihr sensibles Spiel zum Abschluss des Festaktes, zu dem sie passenderweise Theodor W. Adornos Fragment gebliebene „Sonate für Cello Allein“ von 1946, aus dem Nachlass, zu Gehör brachte.“Durchaus rhapsodisch, wie es in der Vortragsanweisung heißt, so dass auch im Anschluss die vielen verschiedenen Stimmen im Treppenhaus kommunizierend zueinander finden konnten.

Was auf Desernos anfängliches Spiel im gefüllten Sitzungssaal folgte – so muss es wohl auch anlässlich eines hundertjährigen Jubiläums sein – war trotz der dornigen Geschichte eher auf Rosen gebettet: lauter wohlwollende Grußworte und teils auf die Vergangenheit zurückblickende, teils vorausschauende Reden der Repräsentanten gesellschaftlich relevanter Institutionen. Sie bildeten gewissermaßen den Auftakt zum Festjahr anlässlich des Jubiläums der „Kritischen Theorie“ selbst, die in der Vergangenheit Frankfurt immer wieder intellektuellen Ruhm und Auseinandersetzung beschert hat, auch international. Entsprechend war die Stimmung, als die ersten Sonnenstrahlen durch die schlichten Instiutsfenster fielen und eine Spur von Frühlingsaufbruch verhießen.

Der Präsident der Goethe-Universität Prof. Dr. Enrico Schleiff, Foto: Petra Kammann

Nach der Begrüßung durch die Stiftungsvorstandvorsitzende Jutta Ebeling, die kurz die Geschichte des Hauses skizzierte, sagte Prof. Dr. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität Frankfurt, in seinem Grußwort: „Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule ist eine der wissenschaftlichen Visitenkarten Frankfurts, die trotz der immer kürzer werdenden Halbwertszeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen und wissenschaftlichen Reputationen nach wie vor auch international glänzt.“ Wohl wahr. Das Institut für Sozialforschung, so Schleiff, habe sich der aktiven Gestaltung der Gesellschaft durch wissenschaftliche Erkenntnisse auf höchstem Niveau verschrieben, weswegen sich auch die Goethe-Universität dazu verpflichte und man auf vielfältigen Ebenen miteinander kooperiere, so beispielsweise  über die enge Verbindung mit dem Fachbereich 03 der Goethe-Universität bzw. der Kooperationsprofessur für Gesellschaftstheorie und Sozialforschung.

In erster Reihe: Frankfurts  Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig, Hessens Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angelika Dorn und Leiter des Dezernatsbüros David Dilmaghani, Foto: Mirko Boll/Institut für Sozialforschung

Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn hob in ihrer Rede die wichtige Rolle des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt für eine lebendige Demokratie hervor: „Die Kritische Theorie hat seit dem Anfang des IfS nichts an Relevanz und Bedeutung verloren. Wir brauchen dringend solche Einrichtungen“, und sie zog aus der Notwendigkeit des Denkens Schlüsse für das praktische Handeln: „Das IfS steht seit Horkheimer, Benjamin und Adorno in einer philosophischen Tradition, die sich nicht damit begnügt, die Welt verschieden zu interpretieren, sondern die sie auch verändern will“. Immer sei es um die Aufdeckung von Unrecht, um Emanzipation und Veränderung gegangen, auch nach dem Zivilationsbruch durch die Nazis, der zum Forschungsgegenstand wurde. Daher habe das Land die Notwendigkeit gesehen, dafür  ein entsprechendes Budget zur Verfügung zu stellen, heißt, den Jahresetat 2021 von rund 620.000 auf nunmehr gut 870.600 Euro im Jahr zu erhöhen.

Dr. Ina Hartwig, Frankfurts Kulturdezernentin sprach auch persönliche Worte, Foto: Mirko Boll/ Institut für Sozialforschung

Die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig brachte eine persönliche Note in ihre Rede, als sie bekannte, dass sie als Schülerin im hohen Norden schon von der kritischen Theorie affiziert gewesen sei. In Lüneburg aufgewachsen, kam sie nämlich in Berührung mit dem Philosophen Hermann Schweppenhäuser, der in den 1950er Jahren als Wissenschaftlicher Assistent von Adorno am Philosophischen Seminar gearbeitet hatte, dann aber in Lüneburg auf den neu gegründeten Lehrstuhl für Philosophie an die PH berufen wurde, wo er die Kritische Theorie im Sinne Adornos und Horkheimersvertrat. Heute sei sie manchmal geradezu ein wenig neidisch auf die Studierenden, die damals unmittelbar in Frankfurt bei ihm oder Adorno haben studieren dürfen.

Sie betonte in ihrer Rede aber vor allem auch die enge und namensprägende Verbindung des Instituts für Sozialforschung mit der Stadt Frankfurt. Das habe – zuletzt mit dem langjährigen Direktor Axel Honneth, nun mit Stephan Lessenich an der Spitze – in den vergangenen 100 Jahren seine gesellschaftskritischen Positionen wie auch eine empirische Forschungspraxis stets beibehalten und blicke auf das Künftige. Die Veranstaltungen heute bedeuteten allerdings eine noch stärkere Öffnung des Hauses für das Publikum wie auch für Künstler und Kulturschaffende, die für die Stadtgesellschaft so wichtig seien. So solle das Institut für Sozialforschung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine ,Frankfurter Schule‘ im besten Sinne bleiben. Daher unterstütze die Stadt das IfS jährlich sowohl ideell, als auch mit rund 356.000 Euro, was Institutsdirektor Prof. Dr. Stephan Lessenich dankbar und lobend in seiner anschließen Rede wertschätzend erwähnte.

Prof. Dr. Stephan Lessenich, der jetzige Direktor des IfS, Foto: Mirko Boll/Institut für Sozialforschung

Lessenich verwies persepektivisch auf die derzeit stattfindende Entwicklung eines neuen Forschungsprogramms. Denn heute gehe es nicht etwa darum, das Rad neu zu erfinden, sondern auf der Höhe der Zeit „mit dem konzeptionellen Fundus der Kritischen Theorie zu operieren, ohne seiner historischen Schwerkraft zu erliegen; mit der Dynamik der neuen Zeit zu gehen, ohne die kritische Distanz zu ihr zu verlieren.“

Die Frage bleibe, wie man sich der Aufgabe nähern und die Tradition kritischer Theoriebildung und Sozialforschung verändernd fortschreiben könne? Heute gehe es um das Ganze der Gesellschaft und deren  wissenschaftliche Ergründung, vor allem um die Zukunft der Menschheit. Das bedeute auch, Widersprüche und Grenzen zur Kenntnis zu nehmen, um diese überwinden zu können. Und das sei heute nicht anders zu bewältigen als in einem „kollektiven, kooperativen und kollegialen Arbeitszusammenhang“. Das Institut begreife sich „als ein Ort kooperativer, öffentlicher und intervenierender Gesellschaftswissenschaft“.

Prof. Dr. Juliane Rebentisch- zuständig für Philosophie und Ästhetik, lehrt an der HfG Offenbach, Foto: Petra Kammann

Eine der kooperierenden Partnerinnen – bislang waren es vor allem Männer –  die für eine solche interdisziplinärere Zusammenarbeit steht, ist zum Beispiel Prof. Dr. Sarah Speck von der Goethe-Universität mit den Forschungsschwerpunkten: Geschlechterforschung, Feministische Gesellschaftstheorie, Paar- und Familiensoziologie, soziale Reproduktion, Wandel der Erwerbswelt, soziale Ungleichheit und Milieus, Soziologie der Intimität, qualitative empirische Sozialforschung, oder auch Prof. Dr. Juliane Rebentisch, die von 2015–2018 Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik war, seit 2011 Professorin für Philosophie und Ästhetik an der HfG Offenbach und dort auch sechs Jahre lang (2014- 2020) Vizepräsidentin war. Seit 2014 ist sie ebenso wie Speck Mitglied des Kollegiums am Frankfurter Institut für Sozialforschung und somit unmittelbar in die Arbeit und das Denken des Instituts eingebunden.

Anschließendes Get Together im Treppenhaus, Foto: Petra Kammann

In einer sich rapide verändernden Welt, deren Boden den Menschen gerade unter den Füßen weggezogen wird, stehen etliche neue kritische Themen auf der Agenda des „Hotel Abgrunds“, die Lessenich zitierte. Einer Aussage von Max Horkheimer aus dem Jahre 1937 zufolge fühlt sich das Institut nach wie vor verpflichtet: „Die kritische Theorie erklärt: es muss nicht so sein, die Menschen können das Sein ändern, die Umstände dafür sind jetzt vorhanden.“ Daher bleibt das Jubiläum auch nicht auf einen Festakt beschränkt, sondern feiert sich mit neuen und unterschiedlichen Themen, Vorträgen und Veranstaltungen ein ganzes Jahr lang weiter… Und eingeladen sind alle.

Inspirierende Ausblicke von der Dachterrasse des IfS in die widersprüchliche Weite der Zukunft, Foto: Petra Kammann

Weitere Infos: 

https://www.ifs.uni-frankfurt.de/

 

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