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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (22)

Tschechow, Ibsen, Sartre & Co

von Renate Feyerbacher
Fotos: Schauspiel Frankfurt – Onkel Wanja“ von Anton Tschechow –Thomas Aurin, „Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen, „Die Schmutzigen Hände“ von Jean-Paul Sartre 

Das Schauspiel Frankfurt sieht nach zwei Jahren coronabedingter Schließungen und Vorstellungsabsagen wieder zuversichtlich in die Zukunft. Von 80 Prozent Auslastung zwischen September bis Dezember ist die Rede. Schmerzhaft ist natürlich die Kündigung von 3.000 Abonnements, die Intendant Anselm Weber wieder zu gewinnen hofft. Es wird mühsam sein.

Das Ensemble des Schauspiel Frankfurt . Fotowand in der U-Bahn Station am Willy Brandt Platz, Foto:Renate Feyerbacher

Onkel Wanja

Zaudern, Angst, Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit

Hässlich ist das Zuhause von Sonja, die nach dem Tod ihrer Mutter zusammen mit ihrem Onkel Wanja, dem Bruder der Mutter, das Gut bewirtschaftet. Sie unterstützen mit dem erwirtschafteten Geld ihren Vater, der als berühmter Professor der Kunstwissenschaften in der Stadt wohnt. Hin und wieder kommt der Arzt Astrow, ein Umweltschützer, zu Besuch.

Onkel Wanja von Anton Tschechow, Regie: Jan Bosse, Auf dem Bild: Lotte Schubert, Wolfram Koch, Foto: Thomas Aurin

Sonja und Onkel Wanja wohnen in einer Behausung. Kein gemütlicher Raum, Plastikplanen wie auf einer Baustelle (Bühne: Stéphane Laimé).Sie ist Symbol des Chaos der im Hause herrschenden Situation, das besteht, seitdem der Professor mit seiner jungen Frau Elena zu Besuch kam und alles durcheinander gerät. Gefrühstückt wird erst mittags, und es wird gesoffen.

Wanja muss erkennen, dass er über Jahre für diesen eingebildeten, im Ruhestand lebenden Gelehrten, sein Leben verschwendet hat. Die explosive Stimmung entlädt sich, als der ehemalige Schmarotzer-Professor verkündet, das Gut, dessen rechtmäßige Erbin Sonja ist, verkaufen zu wollen. Wie geht es weiter nach diesem sinnlos vertanen Leben? Wanja fuchtelt mit der Pistole rum.

Die Tyrannei des Vaters und die Lügen haben schon die Kindheit von Anton Tschechow (1860- 1904) und seinen Brüdern vergiftet. Die Schule wurde zum Fluchtort. Anton studierte Medizin, aber selbst während des Studiums nahm die Familie ihn aus. Immer wollten sie Geld: der eine Bruder war drogensüchtig, der andere alkoholabhängig. Er schrieb nur für Geld, liebte das Schreiben, sah aber seine Zukunft als Arzt. Die Tuberkulose zerstörte seit seinem 24. Lebensjahr seinen Körper. Dennoch engagierte er sich für andere. So reiste er zur Gefangeneninsel nach Sachalin und schrieb über die verheerenden Zustände ein Buch.

Jan Bosse, kein Unbekannter am Schauspiel Frankfurt, inszenierte auch schon Richard III – 217 /18 – und „jedermann (stirbt)“-2019 /20 beide Aufführungen mit großen Erfolg.

Jan Bosse am 22. September 2022, Foto: Renate Feyerbacher                        

Onkel Wanja, das 1899 uraufgeführt wurde, ist ereignisarm und wurde damals abgelehnt. Zaudern und Nichtstun kennzeichnen die Situation der Wohngemeinschaft. Alle haben verstanden, dass etwas getan werden müsste, aber es wird nichts getan.

Erst im 3. dramatischen Akt brechen Gereiztheit und Unzufriedenheit offen aus. Heiko Raulin als Wanja, zunächst ein gleichgültiger Dulder, dreht durch. Die Schüsse, die er auf den verhassten Professor und sich zielt, gehen fehl. Peter Schröder spielt den arroganten, fordernden Professor, der schließlich gemeinsam mit Elena wieder verschwindet.

Onkel Wanja, von Anton Tschechow, Bühne: Stéphane Laimé, Hier zu sehen: Wolfram Koch, Melanie Straub, Lotte Schubert, Foto: Thomas Aurin

So wird Wanja weiterleben. Die stumpfe Arbeit bleibt die Zukunft für die schmerzhaft-erkannte Sinnlosigkeit seiner Existenz. Elena, die junge Frau des Professors, die mit vielen Klamotten (Kostüme: Kathrin Plath) angereist ist, zeigt sich nicht interessiert an Astrows Ausführungen über die Abholzungen.

Das Desinteresse der Figuren, die Tschechow meisterhaft schildert, hat Regisseur Bosse überzeugend ausgearbeitet. Er lockert jedoch die Situation hin und wieder auf zum Beispiel, wenn Astrow, gespielt von Wolfram Koch, mit dem Fahrrad unterwegs ist, oder mit der jungen Sonja, Lotte Schubert, die gerne wüsste, ob er ihre Liebe erwidert, und über die Leiter aufs Dach steigt. Solche Momente lockern die depressive Stimmung auf, die auch die Zustände in Russland kennzeichnen.

Aufführungen sind am 22. Januar, am 2., 9. Februar und am 5. März

Ibsens „Volksfeind“

Wahrheit contra Polit-Denken – Auf der Suche nach einem neuen Miteinander

Genau vor 140 Jahren wurde Henrik Ibsens Drama Ein Volksfeind in Oslo erstmals aufgeführt. Inzwischen ein verstaubter Text? Keineswegs. Er ist derzeit aktuell, muss aber hinterfragt werden.

Thomas Mann hatte 1929 in seiner Lessing-Rede gesagt, der vermeintliche Besitz der Wahrheit mache nicht den Wert des Menschen aus, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt habe, um hinter die Wahrheit zu kommen. So könnte man auch die Bemühungen des Badearztes Dr. Thomas Stockmann, einen eitlen verbissenen Idealisten, sehen. Er ließ wissenschaftlich untersuchen, ob das Wasser des Kurbades der norwegischen Kleinstadt verseucht ist. Stockmann versucht, im Rahmen seiner Möglichkeit richtig zu handeln, um die vermeintliche Wahrheit gegen die gesellschaftliche Intoleranz durchzusetzen.

Ein hoffnungsloses Unterfangen, weil Wahrheit und Lüge verfilzt sind – auch bei ihm. Henrik Ibsen (1828-1906) einer der scharfsinnigsten und kritischsten Analysten des bürgerlichen Bewusstseins Ende des 19. Jahrhunderts hatte keine versöhnliche Antwort zum Konflikt, der sich zur Katastrophe entwickelte.

 

Ein Volksfeind von Henrik Ibsen,Regie: Lily Sykes, Auf dem Bild: Caroline Dietrich, Stefan Graf
Foto: Thomas Aurin

Volksfreund‘ Stockmann, der  zunächst für den Ausbau eines Bades plädiert hatte, wird im 4. Akt endgültig zum ‚Volksfeind‚, als er im Haus des ihn unterstützenden Kapitäns Horster die zahlreich gekommenen Bewohner des Ortes beschimpft und erniedrigt. Sie wollen, dass der Badebetrieb nach wie vor lukrativ weitergeht, auch wenn „unsere sämtlichen geistigen Lebensquellen vergiftet sind, dass unsere ganze bürgerliche Gesellschaft auf dem verpesteten Boden der Lüge ruht,“ so Stockmann.

Die junge englische Regisseurin Lily Sykes – sie war Regieassistentin am Schauspiel Frankfurt arbeitet aber seit fast elf Jahren frei – inszenierte unter anderem am Schauspiel Zürich, am Burgtheater in Wien, am Deutschen Theater Berlin und ist nun Hausregisseurin am Staatsschauspiel Dresden. Neben Germanistik und Philosophie studierte sie übrigens auch Clownerie in Paris.

Ein Aspekt, der ihre Regiearbeit beim Volksfeind verständlicher macht. Entsprechend fallen die  Kostüme von Jelena Miletic aus. Zwischen Farce, die anfangs stutzig macht und verstört, und Psychologie-Drama bewegt sich ihre Interpretation, die nach und nach zum Kern kommt.

Die idealistische Position ist allerdings leicht einzunehmen, wenn man nicht selbst mit den Konsequenzen umgehen muss“,  sagt Lily Sykes im Gespräch mit Dramaturg Alexander Leiffheidt (Programmheft). Gefordert ist differenziertes Denken.

Es gibt Veränderungen: aus dem Bruder Peter Stockmann wird Schwester Petra Stockmann, Bürgermeisterin und Gegenspielerin. Die Konfrontation ist dezidierter und blendet den Bruderzwist aus. Es fehlen auch Figuren wie zum Beispiel Frau Stockmann, die zu ihrem Mann hält, aber skeptisch ist, ob er Erfolg haben wird. Ihm fehle die Macht.

Das katastrophale Ende im Original umgeht die Regisseurin und findet eine Möglichkeit der Verständigung. Die Stadt ist ruiniert, aber die Bürger finden zusammen. „Wir haben ein Gefühl dafür verloren, was es wirklich heißt, eine Gemeinschaft zu sein. Die Lust auf Gemeinschaft, wie finden wir die wieder? Vielleicht ja auch im Theater“, heißt es ebenfalls dazu im Programmheft.

Die Bühne von Thea Hoffmann-Axthelm, die bis in den Zuschauerraum reicht, lässt die engagierten Spielenden nah ans Publikum herantreten.  Türen spielen eine Rolle, dann verschwinden sie und geben der großen Bühne wieder Raum.

Herausgehoben werden soll nur Isaak Dentler als Badearzt Thomas Stockmann. Er gestaltet diese Figur anfangs locker, dann dreht er auf beziehungsweise durch. Das Publikum ist begeistert von der Aufführung und feiert die Schauspielerinnen und Schauspieler des Frankfurter Ensembles, vor allem Dentler, der seit 2009 dazu gehört.

Weitere Vorstellungen sind am 18. Januar, am 1. und 24. Februar 2023

Die Schmutzigen Hände

Freiheit: Eine fragile Wirklichkeit 

Hugo, Jessica, Hoederer, Olga, sie alle tragen seltsame Masken und haben eigenartige Frisuren. Erst gegen Ende werden die Masken abgelegt. Irritation. Warum dieser Regieeinfall?

Das Stück, dessen Handlung  Sartre an einen fiktiven Ort verlegte, ist voller Widersprüche und Irrtümer und bewegt sich zwischen moralischem und politischem Handeln. Die Erfassung der Individuen – die Rollen sind zum Teil doppelt besetzt– wird durch die Maskerade erschwert. Dramaturgin Katrin Spira erklärt: „Die Maske steht für die Suche nach dem Allgemeingültigen innerhalb der ,Gruppe Mensch'“. Sie lenkt den Blick stärker auf menschliches Verhalten und Sprechen als auf Herkunft oder Alter [..] „Die Suche Hugos nach Identität und Zugehörigkeit steht im Zentrum.“ Ob der flüchtig auf den Abend vorbereitete Besucher das mitbekommt, bleibt jedoch fraglich.

Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre (1905-1980) schrieb das Stück in sieben Bildern gleich nach dem Krieg, zu dem er eingezogen wurde. Eine Reaktion auf die Ermordung von Leo Trotzki, die Josef Stalin befahl? Uraufführung war 1948 in Paris.

Regisseurin Lilja Rupprecht hat das sehr lange Stück von historischen Informationen befreit und gestrafft, dennoch bleibt sie eng an Sartres Original. Sie hat jede Menge Ideen, belebt mit Musik und Video und Kameras die Bühne.

Der Raum, in dem es spielt, den Anne Ehrlich schuf,  ist chaotisch, zersplittert. Ein großes pumpendes Herz schwebt anfangs über allem. Die Kostüme von Annelies Vanlaere sind gegenwartsbezogen.

Die schmutzigen Hände von Jean-Paul Sartre, Regie: Lilja Rupprecht. Auf dem Bild:  Mark Tumba, Lea Ruckpaul, Sebastian Kuschmann, Matthias Redlhammer, Foto: Birgit Hupfeld

Der junge Hugo wurde Mitglied der kommunistischen Partei, blieb jedoch wegen seiner Herkunft aus bürgerlicher Familie, wegen seiner Intellektualität Außenseiter. Man misstraut ihm und traut ihm nichts zu. Aber er möchte der Partei zeigen, dass er handeln kann und bittet Parteifunktionärin Olga (Manja Kuhl), ihm den Auftrag  zu erteilen, den Parteisekretär Hoederer zu töten. Dieser ist in den Augen der Partei ein Verräter, weil er mit den Konservativen verhandelt.

Hugo zieht mit Frau Jessica (Lea Ruckpaul) in Hoederers Haus. Hugo und Hoederer, grundverschieden, lernen sich aber schätzen und entwickeln Vertrauen zueinander. Selbst als Hoederer die Verhandlungen mit den Konservativen aufnimmt, handelt Hugo nicht. Aber dann schießt er, als er Jessica und Hoederer Arm in Arm sieht. Aus Eifersucht oder aus poltischer Gesinnung? „Eine Tat ist so rasch geschehen. Da kommt plötzlich etwas aus einem heraus, und man weiß nicht, hat man’s gewollt, oder hat man sich nicht zurückhalten können.“ (1.Bild, 4 Szene – zitiert nach meiner Taschenbuchausgabe von 1962).

Hugo bekennt Olga, dass er Hoederer, der zum Märtyrer der Partei wurde, nachdem sich die politischen Verhältnisse geändert hatten, geliebt habe wie keinen anderen Menschen. Hugo ist dagegen für die Genossen nun aber ein gemeiner Mörder.

Matthias Redlhammer als Hoederer überzeugt durch seine gelassene Haltung. Er glaubt, Hugos innerste Motivation zu kennen: Gespräch 5.Bild, 3. Szene – zitiert nach Programmheft: „Hoederer: Du liebst die Menschen nicht, Hugo. Du liebst nur die Prinzipien. Hugo: Warum sollte ich sie lieben. Lieben sie mich? Hoederer: Warum bist du dann zu uns gekommen? Wenn man die Menschen nicht liebt, kann man nicht für die Menschen kämpfen. Hugo: was die Menschen angeht, nicht wie sie sind, interessiert mich, sondern was sie sein können. Hoederer: Und ich liebe sie so wie sie sind.“

Fridolin Sandmeyer spielt den verängstigten, unsicheren Zauderer Hugo, der eindrücklich-differenziert an Selbstaufopferung denkt. Aber die Gespräche zwischen Hugo und Hoederer erreichen nicht die Tiefe, die sie verdient hätten.Wegen der Maskerade gehen auch viele Gedanken unter und verloren.

Wer handelt, macht sich schuldig, aber auch der, der nicht handelt – ein Dilemma. Das Publikum war zufrieden, ich nicht.

Weitere Aufführungen am 19. und 28. Januar jeweils mit Einführung im Chagall-Saal,und am 18. und 26. Februar 2023. www.schauspielfrankfurt.de

telefonischer Vorverkauf 069 – 212 49 49 4

 

Demnächst auch Tanz

mit 10 Odds Emotions von Saar Magal

Die große Bühne des Schauspiel Frankfurt wurde bereits im Dezember der Dresdner Dance Campany Company zur Verfügung gestellt. Choreograf  Jacopo Godani, der im Mai die Company verlässt, hatte unter dem Titel „Anthologie – Portrait of an Artist“ Auszüge seines Repertoires gezeigt.

Nun kommt die israelische Choreografin Saar Magal mit der Dresden Frankfurt Dance Company für mehrere Aufführungen ins Schauspiel Frankfurt.

Auf der Grundlage gemeinsamer Recherchen und Improvisationen hat sie ein Stück des zeitgenössischen Physical Theatre entwickelt, das sich mit der Gegenwart und Genealogie von antisemitischer und rassistischer Gewalt in Deutschland auseinandersetzt und dabei Sprache, Musik, Körper und Bilder zum Tanzen bringt.“ (Pressetext Schauspiel)

 

 

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