Die sieben Todsünden von sieben Top-Choreografen auf die Bühne gebracht
„The Seven Sins“ auf Einladung von tanz.köln am Schauspielhaus
von Simone Hamm
Das ist Selbstbewusstsein. Eric Gauthier, künstlerischer Leiter der “ Gauthier Dance/Dance Company Theaterhaus Stuttgart“, wollte „The seven sins“, die sieben Todsünden, auf die Bühne bringen. Er fragte sieben Top-Choreografen, ob sie je eine Todsünde für ihn inszenieren wollten: Aszure Barton, Sidi Larbi Cherkaoui, Sharon Eyal, Marcos Morau, Sasha Waltz sowie den beiden Artists in Residence von Gauthier Dance, Marco Goecke und Hofesh Shechter. Sie sagten alle zu. Und vertanzen Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit. Zu sehen war das jetzt am Schauspiel Köln auf Einladung von tanz.köln.
Die Faulheit war die Todsünde, die am schwierigsten zu vergeben war. Die kanadische Choreografin Azure Barton war hingegen begeistert davon, gerade diese Todsünde zu vertanzen. Führt nicht die Faulheit des Geistes, die Trägheit der Gedanken geradewegs ins Verderben, fragt sie sich.
Klaviermusik. Einzelne Töne. Zwei Tänzer rollen langsam, ganz langsam über die Bühne. Sie taumeln, sie kippen hintüber, sie können kaum stehen. Die Männer in den sackförmigen grauen Kostümen fallen zu Boden. Sie sind allem überdrüssig. Sie rappeln sich auf, aber die Müdigkeit ist in jeder ihrer Gesten zu spüren. Sie sind sogar zu faul, sich einen Partner, eine Partnerin zu suchen. Am Ende liegen sie einfach da und einer masturbiert unter seiner Hose. So viel Kraft hat er gerade noch. Eine grandiose Interpretation der unterschätztesten aller Todsünden.
Marco Goecke ist ein Meister der Soli. An einem Abend tanzt Luca Pannacci tanzt die Völlerei, am anderen Gaitano Signorelli. Sie stehen sich in nichts nach.
Zuckend, die Arme in unaufhaltsamer Bewegung, die Hände flatternd, rasen Pannacci/Signorelli über die Bühne. In schwarzen Hosen, den Oberkörper frei, mit feinem Oberlippenbart. Sie sähen aus wie der junge Freddy Mercury, sagt Eric Gauthier und liefert damit einen Schlüssel zu Goeckes Interpretation der Völlerei. Der Tänzer überfrisst sich nicht und wirft auch nicht den Armen die abgenagten Knochen zu, seine Sucht ist die nach der Droge. Dazu Velvet Untergrounds „Heroin“ , verfremdet mit Quietschen, Rauschen. Und eine Lichtinstallation, die den Boden aussehen lässt, als schwanke er. Das ist in jeder Hinsicht atemberaubend.
Kaum zu glauben, dass Gaitano Signorelli und Luca Pannacci, nach dieser bravurösen Leistung nach einer winzigen Pause schon wieder auf der Bühne stehen und die Wollust von Hofesh Shechter tanzen. Zehn Tänzer und Tänzerinnen, ganz in weiß, rollen die Augen und Zungen. Sie reißen ihre Münder auf, strecken die Arme nach oben. Sie sind gierig. Wohin mit ihrer Lust? Ganz anders als sonst bei Hofesh Shechter bewegen sie sich wie sehr langsam, wanken hin und her.
Was ist Lust? Was ist Wollust? Am Ende bricht es doch aus ihnen heraus und sie toben in gewohnter Hofesh Shechter Manier zu Technoklängen über die Bühne. Aber in die Gute-Laune-Mischung hat sich längst ein Unterton geschlichen, so ganz frei sind die Tänzer nicht. Dass es ihnen gelingt, diese fließend Grenze zwischen Lust und Wollust dass so genau herauszuarbeiten, herauszutanzen, macht den Reiz dieser Miniatur aus.
Einen ähnlichen Konflikt zwischen dem, was noch erlaubt, und dem, was Todsünde ist, gibt es auch in Marcos Moraus Choreografie über den Hochmut. Fünf Frauen in weiten azurblauen Kleidern, die Haare in Zöpfen an den Kopf gelegt, machen präzise die exakt gleichen Bewegungen. Sie stolzieren über die Bühne, sie setzen sich, spreizen die Beine, schürzen die Lippen. Doch ihre Bewegungen ändern sich. Wie sie dastehen, sind sie stolze selbstbewusste Frauen, die sich von niemandem vorschreiben lassen werden, was sie zu tun oder zu lassen haben. Dann werden sie wieder hochnäsig.
In wenigen Minuten zeigen die Tänzerinnen bei Marco Morau alle Facetten des Hochmuts und ihrer kleiner Schwester des Stolzes. Das ist sowohl tänzerisch als auch choreografisch Perfektion auf allerhöchstem Niveau.
Drei Tänzerinnen in grauen Trikots tanzen auf halber Spitze. Sie tanzen miteinander. Und doch: sie beäugen sich, beobachten sich unablässig. Dabei bleiben sie immer ruhig und diszipliniert. Sharon Eyal lässt in den meisten ihrer Stücke die Tänzer und Tänzerinnen zu hartem Berghaintechno tanzen. Die Todsünde Neid verlangt nach einem anderen Sound, nach klassisch anmutende Cellosuiten. Doch die sanfte Musik täuscht nicht über den Argwohn hinweg, den die Tänzerinnen gegeneinander hegen. Wer ist die Schönste im ganzen Land, scheinen sie zu fragen und zerstören durch ihre neidvollen Blicke noch die schönste Tanzkombination. Überaus fein und sensibel zeigt Sharon Eyal, dass die Schönheit der Frauen, die Schönheit des Tanzes einen bitteren Beigeschmack bekommt.
Für Sidi Larbi Cherkaoui ist die Habgier das Laster unserer Zeit. Der Tanz ums goldenen Kalb. Die Tänzer bilden einen großen, fließenden Körper. Sie beten den Mammon an. Anfangs fuchteln sie noch mit Geldscheinen herum, dann werden sie selbst zu Geldscheinen, hüllen sich in Schals, Tücher, Handschue, die bedruckt sind mit Geldscheinen. Veerle van de Wouwer hat die phantastischen Kostüme geschaffen.
Die Geldscheintänzer haben jegliche Individualität verloren. Sie sind ineinander verschlungen. Winden sich umeinander. Eine einzige große Krake, ein Monster. Sie gieren nach Geld und wissen nicht, was sie verloren haben.
Der buddhistische Anregungen zur Achtsamkeit, die verlesen wurden, hätte es bei dieser eindrücklichen und unmissverständlichen Choreografie gar nicht bedurft. Die Tänzer sind stark. Sie bannen die Zuschauer vom ersten Augenblick an.
Sasha Waltz wollte unbedingt, dass ihre beiden Tänzer (an einigen anderen Abend sind es zwei Tänzerinnen), in Köln ist es ein Paar, die Wut verkörpern. Sie tun das sehr direkt. Die beiden schreien. springen sich an. Die eine wehrt die andere ab. Sie steigern ihre Aggression. So fängt das Böse an. Bis es kein Zurück mehr gibt. Der Mann und die Frau zerren die Musikboxen aus der Ecke und schleudern sie an langen Seilen um sich herum. Rasende Wut.
Das ambitiöse Projekt „The seven sins“ ist Eric Gauthier rundherum gelungen.