home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Teilnachlass der profilierten Fotojournalistin Gisèle Freund (1908-2000) im Jüdischen Museum Frankfurt

Mit engagiertem, wachen und künstlerischen Blick

Von Petra Kammann

1984 waren Gisèle Freunds Fotos im damals neugegründeten Fotografie Forum Frankfurt zu sehen. Eine Offenbarung! Die in Berlin geborene rebellische und sozial engagierte Tochter des jüdischen Kunstsammlers Julius Freund arbeitete als Gisela Sophia Freund am Frankfurter Institut für Sozialforschung an einer Doktorarbeit über die Geschichte der Fotografie im Frankreich des 19. Jahrhunderts, als sie 1933 über Nacht Frankfurt verlassen musste. Mit ihrer Leica, einem Geschenk des Vaters, floh sie nach Paris, wo sie zu Gisèle Freund wurde… Nun hat das Jüdische Museum Frankfurt mit Hilfe des städtischen Ankaufsetats die umfangreiche Sammlung mit Fotografien und Dokumenten von Gisèle Freund aus dem Nachlass des Autors, Regisseurs und Medienwissenschaftlers Hans Puttnies erworben. Eine Sensation!

Teilnachlass Gisèle Freund, Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Uwe Dettmar

Frankfurt war für die Studentin von Horkheimer und Adorno unhaltbar geworden. Seit den Erste-Mai-Demonstrationen der Arbeiter im Jahre 1932 verbargen auch viele der Frankfurter Studenten nicht mehr ihre Zugehörigkeit zur Partei der Nationalsozialisten. So hatte sie eine der ersten Gruppen beim auf dem Universitätsgelände beim Hitler-Gruß fotografiert. Nach Paris gelang ihr die Flucht mit dem Nachtzug.

In Paris entstanden ihre bedeutenden Portraitfotografien deutsch-jüdischer Emigranten so etwa von Walter Benjamin oder Anna Seghers, in späteren Jahren auch von bekannten Schriftstellern und Künstlern wie James Joyce, Virginia Woolf, Frida Kahlo und Politikern wie den damaligen Kulturminister André Malraux oder den berühmten Staatspräsidenten Charles de Gaulle.

Anlaufpunkt war zunächst wohl die Pariser Buchhandlung von Adrienne Monnier und Gertrude Stein, in der sich damals die bedeutendsten Geister der Zeit trafen. Da Gisèle Freund die Literatur liebte, war sie fasziniert von deren Geschichten wie von deren Gesichtern. So entstanden dort in wenigen Jahren etwa 80 der heute so berühmten Porträts von Schriftstellern und Schriftstellerinnen wie die von Colette, André Gide,  Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, die sie auch in der neu entdeckten Farbfotografie ablichtete, so ganz ohne Retusche und immer in natürlichem Licht.

Teilnachlass Gisèle Freund, Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Uwe Dettmar

„Kein Schnappschuss, keine Pose“, war daher passend der Aufmacherartikel vom 3. April 1975 im FAZ-Feuilleton der Artikel des Autors, Regisseurs und Medienwissenschaftlers Hans Puttnies (1946-2020) übertitelt. Dieser beschäftigte sich fortan mit Gisèle Freunds Werk, und über 20 Jahre lang sammelte er ihre Vintage Prints, da er an einer Biografie über sie saß und noch ein Drehbuch für einen Essay-Film über sie verfassen wollte.

Beides blieb jedoch unvollendet. Angefangen sich mit der Fotografin auseinanderzusetzen, hatte Puttnies jedoch schon früher. 1969 hatte  er das damals neu erschienene Buch von Gisèle Freund „Photographie und bürgerliche Gesellschaft“ für die FAZ rezensiert.

Durch die intensive Beschäftigung mit ihren Fotos, ihrer Persönlichkeit und den dazugehörigen Dokumenten entstand eine immense Materialfülle: Puttnies hatte mehr als 1.150 Fotografien aus den Jahren 1927 bis 1975, die in weiten Teilen noch nicht öffentlich gezeigt wurden, zusammengetragen und eigens 32 Archivboxen dafür angelegt.

Es wird wohl eine der größten Sammlungen von Fotografien, Vintage Prints und Dokumenten von Gisèle Freund in Deutschland sein. Außerdem befinden sich in dem Teil des Nachlasses bislang unpublizierte Manuskripte, wie etwa das Typoskript zu einem unvollendeten autobiografischen Roman, den Gisèle Freund in den Jahren 1952-53 in Mexiko verfasste, daneben finden sich darin persönliche Notizen, Adressbücher, Briefe und Dokumente.

Da wird das Jüdische Museum in den kommenden Jahren vermutlich intensiv mit der Auswertung dieser Dokumente beschäftigt sein, bevor es zu einer sicher hochinteressanten Ausstellung kommen wird.

In Gisèle Freunds Pariser Zeit hatte sie auch längere Reportage-Reisen nach England und in die Dolomiten unternommen, um Porträtaufnahmen von Schriftstellern und Künstlern zu machen. Ab 1936 erschienen ihre Fotografien unter dem Namen der von ihr gegründeten Firma „Girix“ in dem damals noch relativ neuen Magazin „Life“. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1942 musste Gisèle Freund jedoch auch Paris verlassen. Sie floh ins Departement Lot, wo sie sich zwei Jahre lang versteckt hielt, bevor ihr schließlich die weitere Flucht nach Buenos Aires gelang.

Vom Magazin „Life“ beauftragt mit einer Reportage über die Gattin des argentinischen Präsidenten, fotografierte sie 1950 Evita Perón in ihrer luxuriösen persönlichen Umgebung. Nachdem die Fotos trotz der versuchten Beschlagnahmung durch das argentinische Informationsministerium dennoch erschienen waren, musste Gisèle Freund erneut fliehen. Über Montevideo gelang sie wiederum nach Mexiko, wo sie dann zwei Jahre lang blieb. 1953 kehrte sie jedoch wieder in ihr geliebtes Paris zurück, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 lebte.

Gisèle Freund in der Abteilung „Zerstörte Leben“ im Jüdischen Museum Frankfurt, Foto: Uwe Dettmar

1947 hatte sie der bekannte Fotograf Robert Capa sie 1947 für die Fotoagentur „Magnum“ engagiert, die er gerade mit David Seymour und Pierre Gassmann gegründet hatte. Gisèle Freund wurde deren assoziiertes Mitglied und übernahm den Bereich Lateinamerika. Es folgten etliche Reportagen.

Zuletzt waren Gisèle Freunds politische Fotografien in Frankfurt 2015 im Historischen Museum zu erleben – dank der Schenkung des Ehepaars Margarete und Martin Murtfeld. Sie zeugen vom politischen Umschwung in Frankfurt im Jahr 1932.  Als politisch engagierte Studentin hatte Freund damals  – wie schon erwähnt – am Institut für Sozialforschung bei Karl Mannheim geforscht.

Da hatte sie bereits mit ihrer Leica-Kamera Situationen im sich klimatisch verändernden Frankfurter Alltag festgehalten. Als – sie schon oben erwähnt – zum 1. Mai 1932 die Demonstranten der letzten freien Großkundgebung fotografierte, die gegen die Anhänger der Nationalsozialisten demonstrierten. Bereits diese Fotos zeigen ihren spezifischen fotografischen Blick für Szenen und Geschichten, bevor sie zu einer der bedeutendsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts wurde.

Nun aber ist in Frankfurt der Grundstein dafür gelegt, aus dem Puzzle ein etwas vollständigeres Bild dieser bedeutenden Fotografin zu bekommen. Zurecht sagt Frankfurts Kulturdezernentin Dr. Ina HartwigMit diesem Ankauf ist der Stadt Frankfurt ein Coup gelungen“. Und die Leiterin des Jüdischen Museums Prof. Dr. Mirjam Wenzel bezieht sich in ihrer Aussage auf die gerade laufende Ausstellung „Ihre Werke. Ihre Wege“,  über vier wiederentdeckte gemeinhin unbekannte Künstlerinnen, die zur selben Zeit in Frankfurt gelebt haben wie Gisèle Freund: Mit dem Ankauf der Werke und Zeugnisse von Gisèle Freund stellen wir diesen Künstlerinnen, deren Karrieren im Nationalsozialismus endeten, nun eine Frau zur Seite, die der Verfolgung trotzen und mithilfe ihres Freundes Hans Puttnies später weltweit das Licht der Öffentlichkeit genießen konnte“.

Der Sammler Hans Puttnies, 1946-2020

Hans Puttnies wurde in Jena geboren und flüchtete als Elfjähriger mit seiner Mutter in den Westen. Er ging in Offenbach zur Schule, ab 1966 studierte er in Frankfurt bei Adorno und Horkheimer Philosophie und arbeitete als freier Journalist für den Spiegel, Die Zeit und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1976 promovierte er bei Helmut Brackert mit der medienhistorischen Studie „Ursprung der deutschen Presse“.

1981 zum Professor für Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Darmstadt berufen, lehrte Puttnies Fotografie und grafische Gestaltung, baute den internationalen Fachbereich „Media“ mit auf und begründete das Fach „Medienkultur“. Als Kurator und Designer gestaltete er große Ausstellungen in Paris, Moskau und Berlin. In den 1990ern war er Mitgründer des Media-Campus Dieburg.

Puttnies publizierte mehrere Bücher zur Bildgeschichte und war Autor und Regisseur des Essayfilms „Palmyra“ (2016), den er 2008 in und um Palmyra gedreht hatte. Im Jahr 2009 wurde er emeritiert und zog in ein mecklenburgisches Biosphärenreservat an der Elbe, wo er das Zentralpark Archiv aufbaute, in dem er seine Sammlungen anonymer Fotografien und sein eigenes fotografisches Werk bewahrte.

Comments are closed.