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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Besondere Choreografien an der Oper und am Schauspiel in Köln

Überlebenskampf

Sidi Larbi Cherkaouis zeigt seine neue Choreografie „Nomad“an der Kölner Oper.

Von Simone Hamm

Im Hintergrund ein riesiges Bild: Wüste. Aufgeplatzte Erde. Sanddünen. Für Sidi Larbi Cherkaoui ist die Wüste Sinnbild für Weite und Freiheit und zugleich Sinnbild für den Kampf ums Überleben.

„Nomad“ von Sidi Larbi Cherkaoui © Filip Van Roe

Die Wüste scheint unbelebt und doch leben Menschen unter diesen unfassbar harten Bedingungen: Nomaden. „Nomad“ heißt Sidi Larbi Cherkaouis neue Choreografie. Es ist Cherkaouis viertes Stück, das von Felix Buxton (Basement Jaxx) mit Gesang aus dem Nahen Osten unterlegt wurde. Diese sehr traditionell klingende Musik hat etwas Meditatives. Beruhigendes. Unmittelbares. Und so wirkt auch der Tanz. Sehr klar, archaisch, direkt, berührend.

Nomaden können nur als Gemeinschaft leben und überleben. Die Tänzer werden zu einer Karawane, die durch die Wüste zieht, werden zu Kamelen, zu Schlangen, Eidechsen, zu Wüstenbewohnern eben. Jan-Jan van Esche hat ihre weiten Roben geschaffen, erdfarben, Rottöne, inspiriert von der Kleidung, die Wüstenvölker tragen.

Da stürzt (virtueller) Regen herab. Die Tänzer suhlen sich auf der Erde. Sie sind über und über mit braunem Sand bedeckt. Sie sind kraftvoll in ihren Sprüngen und können doch zurückhaltend sein in ihren Bewegungen. Sie verkörpern die Anpassungsfähigkeit, die Menschen brauchen, um in der Wüste zu überleben, perfekt.

Sidi Larbi Cherkaoui spielt mit den Traditionen und schafft etwas völlig Neues. Er ist und bleibt einer der wichtigsten Choreografen der Gegenwart. Das hat er mit „Nomad“ wieder bewiesen.

Einen dicken Wermutstropfen gibt es dennoch. Das betrifft den Aufführungsraum. Im Staatenhaus (dem Ausweichquartier der Kölner Oper seit vielen Jahren) gibt es eine neue Bestuhlung. Dass man enger sitzt und weniger Beinfreiheit hat, wäre leicht zu ertragen. Aber die Stühle stehen nicht versetzt wie sonst in einem Theater oder Opernhaus.

Die Zuschauer sitzen direkt hintereinander und müssen sich nach rechts und links schlängeln, um einen einigermassen guten Blick zu haben. Denn die Stuhlreihen sind zudem alles andere als „steil“ angeordnet. Das hat zur Folge, dass alles, was sich im ersten Drittel der Bühne auf dem Boden tut – und das ist nicht wenig an diesem Abend – für das Gros der Zuschauer unsichtbar bleibt.

Die Kraft und die Zerbrechlichkeit

Trajal Harrell und das Dance Ensemble des Schauspiel Zürich zeigen Keith Jarretts „The Köln Concert“.

Keith Jarrett spielte sein legendäres Köln Concert im Januar 1975 in der Kölner Oper. Daraus wurde die meistverkaufte Jazzplatte, die meistverkaufte Soloklavier Platte.

Der Choreograf Trajal Harell trug sich zwanzig Jahre lang mit dem Gedanken, diesen Klassiker der Musikgeschichte zu vertanzen. Jetzt hat er seine Version vom „The Köln Concert“ gezeigt, da, wo alles begann, im Depot in Köln.

Trajal Harrell kommt auf die Bühne, hält ein feingemustertes Kleid vor der Brust. Langsam beginnt er zu tanzen, zu Jonny Mitchell Songs. Der Prolog sozusagen. Eine Einstimmung darauf, dass dies kein fröhlicher Tanzabend  werden wird, sondern ein sehr melancholischer. Dann erklingt Keith Jarrett.

Sieben Klavierschemel stehen auf einer ansonsten leeren Bühne. Schwarzgekleidete Tänzer und Tänzerinnen in Röcken und Kleidern erheben sich nacheinander von den Schemeln, machen vorsichtige Bewegungen, tasten, torkeln, suchen. Sie gehen auf Zehenspitzen und werfen die Arme in die Luft wie Models auf dem Laufsteg. Dann kauern sie sich zusammen, sind schwach und wirken einsam.

Was als  exaltiertes, dramatisches  Solo beginnt, endet in Verzweiflung.

Trajan Harrell, der Leiter des „Dance Ensemble des Züricher Schauspielhauses“ , kommt aus New York. Er hat das „Voguing“ auf die Ballettbühne gebracht. „Voguing“ wurde in den 1970-ger Jahren in Harlem in den Ballrooms getanzt. Er imitiert die Bewegungen von Models auf dem Catwalk, und spielt vor allem in der LGBTQ-Bewegung eine große Rolle.

Dieses „Voguing“, die Welt der eleganten Models, verbindet Trajal Harris mit Elementen des Butoh Tanzes. Im Butoh Tanz ist der Körper nicht schön und kraftvoll, er zeigt Zeichen des Zerfalls, der Schwäche, ja des Todes.  Der Catwalk wird zum Abgesang.

All das hat Trajan Harrell aus Keith Jerraetts „The Köln Concert“ herausgehört: das Strahlende, und die depressiven Untertöne.  Er hat  daraus einen überwältigenden Tanzabend gemacht, der noch lange, lange nachklingen wird.

Tod der Aussenseiter

Oper und Tanz, Ziemlinskys „Der Zwerg“ und Strawinskys „Petruschka“ an der Kölner Oper

DER ZWERG Burkhard Fritz, Damenchor der Oper Köln, Kathrin Zukowski © Paul Leclaire

Zu ihrem 18. Geburtstag bekommt die Infantin von Spanien einen hässlichen Zwerg geschenkt. Der verliebt sich auf den ersten Blick in sie. Er ahnt nicht, wie er auf andere wirkt, denn er hat sich niemals im Spiegel gesehen. Das höhnische  Gelächter der Prinzessin und ihrer Hofdamen hält er für freundliches Lachen.

Als die Damen ihm einen Spiegel vorhalten, bricht er zusammen. Alexander Zemlinsky hat zusammen mit dem Librettisten Georg C. Klaren aus Oscar Wildes Märchen eine Oper in einem Akt gemacht „Der Zwerg“. Die Tragik in dieser Oper sei nicht zum aushalten, schrieb Alban Berg. Sie wurde vor einhundert Jahren in Köln uraufgeführt.

Lange hielt sie sich nicht auf dem Spielplan. Zemlinskys spätromantische Musik war wenig kühn und noch weniger modern. Und doch trieben die Nazis  den jüdischen Komponisten ins Exil und ließen seine Werke nicht mehr aufführen. Nach dem Krieg wurde er weitestgehend vergessen.

Jetzt wird „Der Zwerg“ wieder an der Oper Köln gezeigt. Ein weißer Catwalk  ist zwischen die Sitzreihen gebaut worden, auch hier spielt die Handlung, einige Zuschauer dürfen mitspielen, etwa Plakate hochhalten. Die Handlung wird manchmal gefilmt und auf große Kugeln projiziert.

In Paul Georg Dietrichs Inszenierung ist die Prinzessin (Emily Hinrichs) eine Infuencerin, die Schönheitsprodukte und Botoxbehandlungen anpreist. Die Hofdamen, bonbonfarben gekleidet und Torten schleudernd, sind nicht minder oberflächlich. Es macht ihnen einfach Spaß, den Außenseiter zu quälen.

Einzig der Zwerg (Burkhard Fritz) mit seiner schönen Stimme ist edel und tiefgründig. Er verkörpert eine Schönheit, die die anderen nicht erkennen können. Immerhin weiß eine Zofe (Claudia Rohrbach) um die Grausamkeit, die ihm angetan wird und bemitleidet ihn. Für die anderen ist es nur ein heiteres Spiel. Die knallbunte Inszenierung will plakativ sein, scheut die Zwischentöne.

PETRUSCHKA Long Zou, Margarida Isabel de Abreu Neto, Pier-Loup Lacour © Paul Leclaire

Um einen anderen Außenseiter ging es im zweiten Teil des Abends. „Petruschka“ , eine Ballettmusik von Igor Stravinsky. Auch der verliebt sich in eine  unerreichbare Frau, eine Ballerina. Das ist aber auch alles, was die beiden Stücke gemeinsam haben. Ein Magier hat Jahrmarktsfiguren zum Leben erweckt.

In Richard Siegals Choreografie sind die Tänzer des „Ballet of Difference“ Menschen, doch immer wieder lässt er den Magier eingreifen, und die Tänzer werden zu reglosen Puppen. Das ist großartig getanzt, die wilden, weiten Sprünge, die Drehungen und dann wieder Stillstand, Pause.

Lawrence Renes leitete das Gürzenich Orchester klug nuanciert. Seine „Petruschka“ ist nicht nur Rhythmus, sein „Zwerg“ nicht nur süßlich, er kann auch Härte zeigen. Oder aber Renes spielt mit der Süße, übertreibt und ironisiert sie.

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