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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Zauberin von Peter I. Tschaikowski in der Oper Frankfurt

Bezaubernde Nastastasja, korrupte, verlogene Fürstin

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller /Oper Frankfurt

Der Jubel des Premierenpublikums am 4. Dezember schloss alle künstlerisch Beteiligten ein. Wieder zeigt die Oper Frankfurt (Opernhaus des Jahres 2022) eine preisverdächtige Aufführung nämlich die selten gespielte Oper „Die Zauberin“ von Peter I.Tschaikowski (1840-1893).

 Asmik Grigorian (Nastasja; rechts in grüner Hose) und Ensemble

Nastasja genannt  Kuma – zu Deutsch Gevatterin, eine selbstbewusste, aufgeschlossene Frau, Witwe, engagiert, couragiert, kultiviert, gescheit, ist keine Zauberin. Aber ihre Ausstrahlung ist zauberhaft. Das ist ihre Magie, die Menschen heranzieht und begeistert. Ihr Verhalten ist gelegentlich heldenhaft.

Für die Gemeinschaft, die auf ihrem Hof zusammenkommt, ist sie eine wichtige Person. Eine solche Frau aus unterer Schicht wird von zaristischen Obrigkeiten geschmäht und vor allem von der Kirche verteufelt.

Der Geistliche Mamyrow hat sie wegen Unzucht und Zauberei verklagt und will sie verhaften lassen. Jedoch der Fürst hört sich Kumas Verteidigungsrede an und auch er wird in ihren zauberhaften Bann gezogen. Dramatisch entwickelt sich das Geschehen, ausgelöst  durch eine zerstörerische Familienkonstellation.

vorne v.l.n.r.: v.l.n.r.: Magnús Baldvinsson (Kitschiga), Asmik Grigorian (Nastasja), Frederic Jost (Mamyrow) und Michael McCown (Paisi) sowie Ensemble

Tschaikowski,  Komponist von Eugen Onegin (1868) (im Januar wieder im Spielplan der Oper), Pique Dame (1890) und Iolanta (1891) nennt Die Zauberin (1887) seine schönste Oper: „Jede Seite eine Perle.“

Allerdings, so vermerkt er in seinem Tagebuch, hat sie dem Publikum nicht gefallen und die Presse sei ihm mit viel Hass und Feindseligkeit begegnet.

Konnte die russische Gesellschaft so eine Frauenfigur noch nicht akzeptieren? Und war Tschaikowskis Hass auf die Kirchenmoral, die ihn, den Homosexuellen, persönlich betraf, gesellschaftlich nicht akzeptabel?

Die Schuld für das Versagen sieht der Komponist allerdings einmal bei sich und bei dem Librettisten Ippolit W. Schpaschinski, kein bedeutender Poet, dem eigene Originalität abgesprochen wird. „Bei ihm gibt es zu viele Wörter.“ So ist es. Dennoch Die Zauberin , dieses fast vierstündige Ereignis in russischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln, fasziniert.

Pilgoo Kang (Potap), Kudaibergen Abildin (Lukasch), Asmik Grigorian (Nastasja), Nombulelo Yende (Polja) und Iain MacNeil (Der Fürst) sowie Ensemble

Eine sehr russische, politisch-aktuelle, spannende Inszenierung, die der junge russische Regisseur Vasily Barkhatov sich ausgedacht  hat. In Oper extra erzählte er, dass er sie einmal als Student im Mariinski-Theater in St.Petersburg, wo die Oper 1887 uraufgeführt worden war, gesehen hatte. Er sei kein Verfechter von politischem Theater, aber die Situation derzeit in Russland, wie Polizei und Kirche über Moral und Unmoral entscheiden, sei  für ihn inakzeptabel.

Die orthodoxe Kirche bestimme, was in den Theatern gespielt und in den Galerien gezeigt werden dürfe. Er lässt einen großen Schäferhund zum Fürsten auf die Bühne kommen. Anspielung auf Putin, der seinen Hund um Angela Merkel, die Respekt vor großen Hunden hat, schnüffeln ließ.

Das Diktat der russisch-orthodoxen Kirche beeinflusst die Gesetzgebung des repressiven Polizeistaates damals wie heute.

Peter I.Tschaikowskis Hass auf die Kirchenmoral manifestiert sich nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch in der Figur des Priesters Mamyrov. Er ist der Feind von Natasja und ihren Freunden. Nicht sie ist die Zauberin, sondern er, der später in der Inszenierung als Zauberer und Giftmischer auftritt.

Es gibt keine großen Arien, dennoch vier hochdramatische Rollen: Nastasja (Kuma), Fürst, Fürstin, Prinz Juri aus dem Hauptgeschehen und der Priester Mamyrow, die eine große Spannung entwickeln.

Die musikalische Ausstrahlung von  Nastasja – genannt Kuma – ist schlicht, undramatisch, volkstümlich. Ganz anders ihre Gegenspielerin die Fürstin. Sie ist von Eifersucht und Bösartigkeit zerfressen. Ihr Standesbewusstsein betont sie schroff.

Asmik Grigorian, die mehrfach ausgezeichnete, an allen bedeuten Opernhäuser der Welt singende, lettische Sopranistin, debütierte bereits 2018 an der Oper Frankfurt. Ihre Interpretation der Manon Lescaut in der Oper Frankfurt 2019 war sensationell, ebenso ihre Salome (Richard Strauss) bei den Salzburger Festspielen 2019 sowie ihre selbstbewusste Senta im Der fliegende Holländer in Bayreuth 2021.

In der Rolle der Kuma, der Außenseiterin, brilliert sie – stimmlich wie schauspielerisch. Herrlich ihr Sopran auch in höchster Lage.

 v.l.n.r.: Claudia Mahnke (Die Fürstin) und Zanda Svede (Ninila)

Sie hat eine grandiose Gegenspielerin: Claudia Mahnke. Ihre Magdalene in den Meistersingern wurde gefeiert, aber nun als Fürstin ist sie geradezu eine Wucht. Ihr Mezzosopran artikuliert die Bösartigkeit als Fürstin unnachahmlich. Sie singt diese Rolle zum ersten Mal.

Seit Jahrzehnten ist Claudia Mahnke im Ensemble des Opernhauses, mittlerweile zur Kammersängerin in Frankfurt ernannt, zuvor in Stuttgart. Im Herbst 2021 hatte sie ihr Debüt an der Metropolitan Opera New York. Trotz ihrer internationalen Karriere ist sie bodenständig, ohne Starallüren und ansprechbar geblieben. Mich begeistert sie immer wieder.

Fürst Nikita, gesungen von Ensemble Mitglied, Iain MacNeil, großartig. Der kanadische Bariton, wurde jüngst in der Rolle des Ulisse umjubelt. Als Fürst gibt er sein Rollendebüt.

Ihm gelingt es, des Fürsten Zerrissenheit, Machtgier, seine Unfähigkeit zwischen Liebe und Besitzgier nach Kuma differenziert zu unterscheiden, seine Gewaltausbrüche eindringlich zu interpretieren.

Der russische Tenor Alexander Mikhailov debütiert als Prinz Juri an der Oper Frankfurt. Er gehört zum Ensemble des Marriinski-Theaters St.Petersburg, wo er zuvor Stipendiat im jungen Künstler-Programm war. Auch er, der die Rolle bereits kannte, ist ein ausgezeichneter Sänger, der seinen klaren Tenor als Prinz Juri wunderbar einsetzt.

Foto:  von links: Valentin Uryupin, Vasily Barkhatov, Alexander Mikhailov. Die russischen Künstler der Produktion: Dirigent, Regisseur, Sänger des Prinz Juri. fotografiert bei Oper extra am 20.11.2022; Fotos: Renate Feyerbacher

Last but not least: der Pope. Der in München geborene Bassist Frederic Jost gibt einen bösartigen, intriganten Mamyrow und später verkleidet als Kudma. Er singt regelmäßig an der Oper Frankfurt. Meisterhaft!

Großes Lob für die Einfälle der international freischaffenden Kostümbildnerin Kirsten Dephoff. Schlicht – Nastasja, opulent – Fürstin und Fürst, düster – Mamyrow.

Alle Sängerinnen und Sänger müssen mit einer Hommage bedacht werden: Zanda Svede als Kammerzofe Nenila, Bozidar Smiljanic als Iwan Schuran, Dietrich Volle als Foka, Onkel von Kuma, Nombulelo Yende als Freundin Polja, Jonathan Abernethy als Balakin, Pilgoo Kang als Potap, Kudaibergen Abildin als Lukasch, Micheal McCorn als Paisi, Aslan Diasamidze und Magnus Baldvinsson als Kitschiga, Gefolgsmann und Sprecher der Kuma-Kommune,  ausdrucksstark. Für alle war es ein Rollendebüt.

Sechs witzige Tänzer beleben Kumas Fest. Choreografie: Gal Fefferman. Der Chor (Tilman Michael) ist wieder fabelhaft.

Und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester  – groß besetzt bei den ersten, zweiten Violinen und Violen, mit sechs Celli und fünf Kontrabässen, Harfe und vielen Bläsern – widmet sich der wundervollen, eindrücklichen, manchmal sinfonischen Musik Tschaikowskis mit Inbrunst.

Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner, Kornett und Trompeten, Posaunen und ein Cimbasso sind zu hören. Eine Pauke und sage und schreibe fünf Schlagzeuge sind dabei.

Dirigent Valentin Uryupin, Gewinner des Solti Dirigentenwettbewerbs 2018, und das Frankfurter  Opern- und Museumsorchester werden stürmisch gefeiert.

Übrigens nach den ersten drei Akten, die musikalisch einheitlich erscheinen, psychologisch, realitäts- und volksnah, hat Tschaikowski im vierten Akt stilistisch einen Bruch vollzogen. Da wird die Geschichte auch musikalisch regelrecht zum Schauerdrama mit Morden über Morde.

Für den Regisseur und nicht nur für ihn, sondern auch für den Bühnenbildner Christian Schmidt, den Lichtdesigner Olaf Winter und den Videogestalter Christian Borchers, war dieser letzte Akt eine besondere Herausforderung, die mit dem Einsatz der Drehbühne ideenreich realisiert wurde.

Dramaturg Zolt Horpácsy ; Foto: von Renate Feyerbacher

Viel Vorarbeit hatte Dramaturg Zsolt Horpácsy zu leisten. Bei Oper extra, bei der Asmik Grigorian, sie sang in Tokio, Claudia Mahnke in Berlin, nicht dabei sein konnten, sprach er von den Schwierigkeiten und Unzulässigkeiten des Textes, den der Komponist selbst schon gekürzt hatte.

Da die Tschaikowski Oper Die Zauberin in den vergangenen Jahren hin und wieder gespielt wurde –  Antwerpen, Erfurt, Wien, Lyon – könnte die für Herbst geplante Neuausgabe der Partitur im Verlag Breitkopf & Härtel das Werk aus der Vergessenheit holen.

Die in jeder Beziehung ausgewöhnliche Inszenierung Die Zauberin wird am 11., 14., 18., (danach Oper lieben), am 21. und 30. Dezember und 8. Januar 2023 an der Frankfurter Oper erneut aufgeführt.

www.oper-frankfurt.de/tickets

 Telefonischer Kartenverkauf: 069  212-49494

 

Eugen Onegin  https://www.feuilletonfrankfurt.de/2016/11/25/eugen-onegin-von-peter-i-tschaikowski-an-der-oper-frankfurt/  (Wiederaufnahme der Oper in Frankfurt im Januar 2023)  

 

 

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