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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Hessischer Film- und Kinopreis 2022

Gewinner: Spielfilm“ Spencer“, Dokumentarfilm „Mutter“

von Renate Feyerbacher

Die große Gala, die bisher während der Buchmesse in der Alten Oper stattfand, gab es in diesem Jahr nicht. Die 33. Preisverleihung des Hessischen Film- und Kinopreises fand an drei Orten statt: in Kassel – Dokumentarfilm, in Bad Nauheim – Kurz- und Hochschulfilme und der Newcomer-Preis, in Frankfurt: Spielfilm. Das eingesparte Geld soll den Preisträgern zusätzlich zu gute kommen.

Still aus dem Film SPENCER – mit Kristen Stewart als Lady Di, Foto: Produzenten der Filme/HessenFilm und Medien

In Anwesenheit von Kunst-und Kulturministerin Angela Dorn wurde der Gewinnerfilm „SPENCER“ (2021 – Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig) gezeigt. Das Werk des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín (*1976) wurde im ELDORADO in Frankfurt gezeigt. Das ist neu. Bisher waren bei den Gala-Abenden nur Trailer zu sehen.

Pablo Larraín, der per Video ins ELDORADO gelangte, ist ein mehrfach ausgezeichneter Filmemacher. Sein Film El Club (2015) gewann auf der Berlinale den Großen Preis der Jury und wurde auf mehreren weiteren Filmfestivals ausgezeichnet. In SPENCER beschäftigt er sich mit den Weihnachtstagen, die Prinzessin Diana 1991 mit der königlichen Familie auf Schloss Sandringham /Norfolk verbrachte.

Diana war eine auf Sandringham geborene Spencer, somit Sprössling einer alten Adelsfamilie. Das familiäre Klima in ihrem Elternhaus war zeitweise angespannt, die Ehe der Eltern zerbrach. Lady Di, wie sie in Deutschland gerne genannt wurde, litt unter Bulimie und Depression. Die Ehe mit Prinz Charles, Heirat 1981, scheiterte – offizielle Trennung war 1992.

Larraín schildert in dem deutsch-englisch, chilenisch-US-amerikanischen Filmdrama die Weihnachtsfeierlichkeiten 1991. Da war die Ehe von Diana und Charles bereits zerrüttet. An diesem Weihnachtsfest beschließt sie, sich zu trennen.

Erzählt wird eine Fabel aus einer wahren Tragödie, die eine gequälte, zerrissene Diana zeigt. Eine junge Frau, die sich eingeengt, bevormundet, beobachtet und durch Charles betrogen fühlt.

Was davon ist wahr? Diese Frage spielt in dem Film keine Rolle. Vieles ist fiktiv überhöht, was den Film ausgefallen macht und dem Wesen Dianas vielleicht mehr entspricht als die Aufzählung von Lebensdaten und Fakten.

Übertrieben ist allerdings die Story mit dem alten Mantel ihres Vaters, der auf der Vogelscheuche in Nähe des Landhauses hing, den sie ab- und mitnahm, um weiterhin Zwiegespräche mit ihm zu führen.

Surreal ist, wie sie nach der Lektüre eines Buches über Anna Boleyn, der Mutter von Elizabeth I., und mit Heinrich VIII., verheiratet  die hingerichtet wurde, beginnt, sich mit ihr zu identifizieren. Sie halluziniert.

Die Hofzeremonien, die Küchenaktivitäten sind filmisch eine Pracht. Und die US-amerikanische Filmschauspielerin Kristen Stewart (*1990) zeigt als Diana großes, schauspielerisches Talent.

Warum wurde nicht in England gedreht wie es der chilenische Regisseur ursprünglich vorhatte? Die Filmproduzenten in Großbritannien lehnten die Produktion ab, weil ihnen das Thema des Films zu heikel war. Sie hatten Angst vor einer Klage aus dem britischen Königshaus.

So fand Pablo Larraín bei der Kreuzberger Produktionsfirma “Komplizen Film” Unterstützung für sein Projekt. Hinzukommt, dass drei Drehorte in Deutschland gefunden wurden, die dem Landhaus Sandringham entsprechen: Schloss Friedrichshof im Taunus – heute Schlosshotel Kronberg, Schloss Nordkirchen in Nordrhein-Westfalen – sowie Schloss Marquardt in Brandenburg.

SPENCER  erhielt 18.000 Euro Preisgeld und war natürlich zuvor vom Hessischen Ministerium und HessenFilm und Medien sowie anderen deutschen Fördertöpfen begünstigt worden.

Der große Stilwille und die beeindruckenden Bilder tragen in diesem Film dazu bei, dem Innenleben einer Ikone des 20. Jahrhunderts in ungewöhnlicher Weise und Intensität nahe zu kommen. Larraín ist mit Spencer gelungen, dem Mythos Diana neue Facetten abzugewinnen, Bekanntes neu zu interpretieren“,  so ein Auszug aus der Jurybegründung..

Still aus dem Film „Servus Papa. See you in hell“ mit  Jana McKinnon als Jeanne, Foto: Produzenten der Filme/HessenFilm und Medien

Nominiert war außerdem „Servus Papa. See you in Hell” (2022) von Christopher Roth. Premiere war im Juni beim Filmfest München. Das Drehbuch ist autobiografisch und wurde von Jeanne Tremsal zusammen mit dem Regisseur verfasst.

Die deutsch-französische Schauspielerin lebte seit ihrem zweiten Lebensjahr in der Kommune des österreichischen Aktionskünstlers  Otto Muehl (Mühl 1925 – 2013) und wuchs ohne Eltern, die in einer Stadtkommune wohnten, auf. Im Film spielt Tremsal ihre eigene Mutter. „Meine Mutter fehlte mir, ich bin einfach durchgedreht.“ (Spiegel Gespräch am 22.6.2022)

In einem Gespräch mit Regine Seipel sagt sie: „Ich hatte wahnsinnige Angst vor ihm (Otto Muehl) [..] Der Film ist hart, aber er ist harmloser, als es wirklich war. Trotzdem transportiert er sehr gut die Grundstimmung von damals. Ich war beim Drehen selber erstaunt, wie sich das Spiel durch die Dynamik von Clemens Schick, der als Otto diese ganzen Zusammenkünfte der Kommunarden leitet, verselbstständigt hat und plötzlich ganz nah dran war.“ (Frankfurter Rundschau 25.11.2022)

Otto Muehl hatte 1970 eine Kommune in der Nähe von Wien gegründet, in der eine Zweierbeziehung und die Kleinfamilie verboten, Sex hingegen gewollt war. Sex ja –Liebe nein. Die Kommune hatte zeitweilig 600 Mitglieder. Otto Muehl wurde 1991 unter anderem wegen Kindesmissbrauch und Vergewaltigung zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.

Doch Otto Muehl steht in diesem Film nicht zur Diskussion, dadurch bekommt er Allgemeingütigkeit. Er zeigt, wie sich alternative Ideen und Ideale in autoritäre Systeme verwandeln können. Macht und Machtmissbrauch im Namen der Freiheit das war das Konzept in der Kommune. Der Spielfilm läuft derzeit in den Kinos.

Als dritter Spielfilm war „Peterchens Mondfahrt“ (2022) von Ali Samadi Ahadi nominiert: Animiertes Update des bereits vielfach verfilmten Märchenklassikers von Gerdt von Bassewitz um zwei Geschwister, die zum Mond reisen.

Dokumentarfilm Mutter Anke Engelke, Foto: Tom Trambow

Die Wiesbadener Filmemacherin Carolin Schmitz zeigt in ihrem neuen Film „Mutter“ ein vielschichtiges Bild von Mutterschaft. Sie führte Gespräche mit acht Müttern zwischen 30 und 75 Jahren. Anke Engelke gibt den acht verschiedenen Frauen ihr Gesicht. Die Stimmen stammen von den Frauen. Auszug aus der Jurybegründung: Eine kluge Filmkomposition deren Wirkung noch lange nachwirkt, da wir uns intensiv mit ganzgrundsätzlichen Begriffen rumschlagen müssen, wie: Mutter, Vater, Partnerschaft, Weiblichkeit, Kinder, Emanzipation, Schmerz und Entscheidungen.

Die Jury war angetan von der „neuen Form der Verschmelzung von simplen Interviews mit einer Handlung, die keiner aufregenden Dramaturgie folgt.“ Sie vergab 18.000 Euro als Preisgeld.

Kritik gab es in epd-film : „Grandios gelingt es ihr (Anke Engelke), die Erzählungen der Frauen nicht nur mit den Mundbewegungen erfahrbar zu machen, sondern mit ihrer ganzen Gestalt.“ Dennoch zieht Britta Schmeis, Autorin der Filmkritik im Heft epd film 10.2022, ein einschränkendes Fazit: „Dennoch bleiben die Geschichten dieser Frauen diffus und lassen sich nicht klar voneinander trennen. Der Komplexität und Vielfalt des Mutterseins und vor allem den Geschichten der Frauen wird der Film damit nicht wirklich gerecht.“

Nominiert waren außerdem: „Die Autobahn – Kampf um die A49“ von Klaus Stern und Frank Pfeiffer .

Die WDR- Dokumentation zeigt, wie der Ausbau der A 49 zwischen Kassel und Gießen die Gesellschaft spaltet. Die einen freuen sich auf eine schnellere Fahrt nach dem Bau, andere beklagen die Zerstörung jahrhunderter alter Wälder und beschaulicher Dörfer. Aktivist:innen und Polizei stehen sich gegenüber. Ein er bitterter Kampf zwischen Politik und Anwohner. Gebaut wird seit 2021, Ende der Bauzeit soll 2024 sein.

Unterm Glanz“ von Gregor Eppinger.

Lydia hat ihr Leben lang als Haushaltshilfe in Berlin gearbeitet und ist eine von wahrscheinlich tausenden Frauen, die zwischen ihrer osteuropäischen Heimat und Deutschland hin- und her pendeln, um die Familie zuhause finanziell zu unterstützen. Am Wochenende fährt sie in ihre polnische Heimat und kümmert sich um ihre alte Mutter und ihren kranken Bruder. Ihre Arbeit ist in Deutschland sozial nicht abgesichert. Sie hat keine Krankenversicherung und keinen Rentenanspruch. Ohne diese Frauen würde allerdings unser Leistungssystem zusammenbrechen.

Das Nominierungsgeld beträgt 4.000 Euro.

Der Hessische Rundfunk vergab den undotierten Preis für die beste schauspielerische Leistung an Lea Drinda für die Hauptrolle in der ZDFneo-Serie.„Becoming Charlie“:Lea Drinda macht in Becoming Charlie von der ersten Minute an Staunen, weil sie sich in ihrem Spiel ganz eigene Wege bahnt. Becoming Charlie erzählt von der berührenden Identitätssuche eines jungen Menschen aus Offenbach.
Wie ihre in prekären Offenbacher Verhältnissen aufgewachsene Charlie zwischen verschiedenen Identitäten mäandert und sich ihrem biologischen Geschlecht entgegenstellt, sich dann auch innerlich davon befreit, das ist eindrucksvoll.“ Moderatorin Cécile Schortmann, die beim Hessischen Rundfunk für den Preis verantwortlich zeichnet, ist begeistert, wie Drinda der Figur Selbstdistanz und Ironie schenkt.

Außerdem wurde der Preis für Drehbuch und Auszeichnungen für kommerzielle und nicht-kommerzielle Filme in diesem Jahr vergeben.

www.hwmk.hessen.de

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