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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Guido Reni. Der Göttliche“ im Städel

Vom gefeierten Malerstar „Il divino“ zum gefallenen Engel

Von Hans-Bernd Heier

Guido Reni, der einstige Superstar des italienischen Barock, war einer der erfolgreichsten und meistgerühmten Maler nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa. Schon zu Lebzeiten erhielt er den ehrenvollen Beinamen „Il divino“ („Der Göttliche“). Bedeutende Auftraggeber aus Adel und Klerus rissen sich um seine Werke. Im 19. Jahrhundert geriet er aufgrund anderer ästhetischer Vorlieben etwas in Vergessenheit und wurde später von seinem Zeitgenossen Caravaggio an Popularität überflügelt. Heute hat er im allgemeinen Bewusstsein nicht mehr den Platz, den er verdient. Das dürfte sich mit der großartigen Schau im Städel Museum ändern: Erstmals seit über 30 Jahren führt das Städel in Zusammenarbeit mit dem Museo Nacional del Prado in Madrid rund 130 seiner erlesenen Meisterwerke zusammen und eröffnet einen neuen Blick auf diese faszinierende Künstlerpersönlichkeit.

„Büßende Magdalena“, um 1635, Öl auf Leinwand, 90 × 74  Foto: The Walters Art Museum, Baltimore

„Der Ehrentitel „Il divino“ bezieht sich zum einen auf Renis Ruhm als einem herausragenden Künstler, der sich im Wissen um sein Können gelegentlich auch divenhaft gebärdete. Zum anderen verweist er auf seine Themenwelt: Guido Reni ist der Maler der Himmelsvision“, sagt Städel-Direktor Dr. Philipp Demandt. „Wie kein anderer verlieh er dem Göttlichen anschauliche Gestalt. Mit seiner Kunst prägte er die europäische Bildwelt tiefgreifend und übersetzte wie kein anderer die Schönheit des Göttlichen in Malerei – gleich ob es sich um den christlichen Himmel oder die antike Götterwelt handelte“. „Mit der Ausstellung zeigen wir, wie der ‚göttliche Guido‘ zu seinem transzendenten Stil fand“, ergänzt Kurator Dr. Bastian Eclercy, Sammlungsleiter italienische, französische und spanische Malerei vor 1800.

„Bacchus und Ariadne“, um 1614–16, Öl auf Leinwand, 96 x 86 cm; Foto: Los Angeles County Museum of Art

Dank einer ausführlichen Lebensgeschichte, die der Bologneser Gelehrte Carlo Cesare Malvasia 1678 veröffentlicht hat, ist die Kunstwelt über Guido Reni – geboren 1575 in Bologna und dort 1642 gestorben – detaillierter informiert als über die meisten anderen Alten Meister. Auch über die exzentrische und komplexe Persönlichkeit des visionären Malers gibt die Biografie beredt Auskunft: Er war zutiefst religiös und zugleich abergläubisch, ängstlich gegenüber Frauen und voller Liebe zu seiner Mutter, äußerst erfolgreich auf dem Kunstmarkt und hoffnungslos spielsüchtig. „Abends verzockte er“, laut Eclercy, „was er tagsüber geschaffen hat“.

„Himmelfahrt Mariens“ um 1598/99, Öl auf Kupfer, 58 x 44cm; Foto: Städel Museum Frankfurt am Main

Einen fulminanten Einstieg in die exzellente Schau bietet eine Gruppe von Mariens Himmelfahrts-Bildern, die noch nie gemeinsam zu sehen waren – ein Lebensthema, das den Maler der Himmelsvision von seinen ersten Jahren bis in die späte Phase immer wieder beschäftigt hat. Ausgangspunkt ist die früheste Version im Städel Museum, ein regelrechtes Programmbild seiner künstlerischen Ambitionen, auf das mehrere davon ausgehende Fassungen im kleinen wie im großen Format folgten. „Kein anderes Sujet vermag jene ‚himmlischen Ideen‘, die engelsgleichen und paradiesischen Qualitäten von Renis Malerei, welche die zeitgenössischen Quellen als sein Alleinstellungsmerkmal ausweisen, besser zu verdeutlichen“, so Demandt.

Die enorme Wirkung seines Schaffens zeigt sich etwa in den unzähligen Varianten seiner Darstellungen des Hauptes Christi und Mariens mit zum Himmel gewandtem Blick, deren Reproduktionen sich noch heute als Einlegeblätter etlichen in katholischen Gebetsbüchern finden. Diese beispiellose Rezeptionsgeschichte hat Renis Image lange negativ geprägt und die eigentlichen Qualitäten sowie andere faszinierende Aspekte seiner Kunst aus dem Bewusstsein verdrängt.

Ausstellungsansicht mit „Christus an der Geißelsäule“, um 1604; Städel Museum Frankfurt am Main, Foto:Petra Kammann

Neben Hauptwerken aus der Sammlung des Städel, wie dem bedeutenden Frühwerk „Himmelfahrt Mariens“, das im Jahr 2014 zum 200. Jubiläum des Museums mit Unterstützung des Städelschen Museums-Vereins erworben werden konnte, oder dem jüngst restaurierten Gemälde „Christus an der Geißelsäule“ präsentiert die Ausstellung herausragende Arbeiten aus über 60 internationalen Museen und privaten Sammlungen. Unter anderen sind Schätze aus dem Museo Nacional del Prado, Madrid, der Pinacoteca Nazionale in Bologna, den Uffizien, Florenz, dem J. Paul Getty Museum und dem LACMA in Los Angeles, dem Metropolitan Museum of Art, New York und dem Louvre in Paris sowie einige neu entdeckte und noch nie ausgestellte Werke Renis in der grandiosen Schau zu bewundern.

Ergänzt wird diese hochkarätige Auswahl punktuell durch Gegenüberstellungen mit Werken von Vorbildern und Zeitgenossen, mit denen sich der Maler auseinandergesetzt hat (darunter Raffael, Parmigianino oder Annibale Carracci), sowie durch rare historische Dokumente, wie sein Rechnungsbuch der Jahre 1609–1612. „Mit ‚Guido Reni. Der Göttliche‘ kann seit mehr als 30 Jahren der einst gefeierte Malerstar ‚Il divino‘, der zum gefallenen Engel wurde, wieder entdeckt werden. Dank unserer großzügigen Leihgeber und Förderer können wir allein mehr als 130 Gemälde, Zeichnungen und Radierungen aus seiner Hand präsentieren – die größte Anzahl, die jemals an einem Ort versammelt wurde“, erklärt Demandt.

Blick in den Ausstellungsraum mit Selbstportrait, Foto: Petra Kammann

Schon früh – ab etwa 1584 – beginnt Reni in seiner Heimatstadt Bologna eine Ausbildung zunächst in der Werkstatt von Denys Calvaert und dann an der Akademie dee Carracci. In der Ausstellung sind seine ersten Altar- und Andachtsbilder sowie erstklassige Kreidezeichnungen zu sehen. „Jene frühen Werke verdeutlichen, wie Reni den Spätmanierismus Calvaerts, die Reformmalerei der Carracci und sein Studium der Meister der Hochrenaissance, vor allem von Raffael (1483–1520) und Parmigianino (1503–1540), zu einer ganz eigenständigen Formensprache vereint“, so Eclercy.

Ab 1601 lebt und arbeitet Reni in Rom. Die Jahre in der Ewigen Stadt erweitern seinen Erfahrungshorizont und prägen seinen Stil maßgeblich. Mit einer spektakulären Karriere steigt Reni innerhalb weniger Jahre zum führenden Maler der Stadt auf. Zwischen 1607 und 1614 gewinnt er Papst Paul V. Borghese und den Kardinalnepoten Scipione Borghese als Auftraggeber, die ihn für einige Jahre als „Hofkünstler“ beschäftigen. Für sie führt er große Freskenprojekte aus – so im Vatikanischen Palast, in San Gregorio Magno, im Quirinalspalast und in Santa Maria Maggiore sowie das Aurora-Fresko im Casino des Pallavicini Rospigliosi, das zum Hauptwerk des barocken Klassizismus wird. Die in der Schau gezeigte Auswahl von Zeichnungen für diese Projekte, darunter seine Kompositionsstudien in Feder sowie Detailstudien in Kreide, führt eindrucksvoll Renis Entwurfspraxis und virtuose Zeichenkunst vor Augen.

Kopfstudien; Foto: Hans-Bernd Heier

1614 kehrt Reni nach Bologna zurück und muss sich dort als maßgeblicher Maler erneut etablieren. Seine Erfahrungen aus Rom entwickelt er zu einem kraftvoll-monumentalen und höchst eigenständigen Stil mit plastischen Einzelfiguren oder kleinen Figurengruppen vor meist dunklem Hintergrund weiter.

Ab den späten 1620er-Jahren hellt sich Renis Farbpalette zunehmend auf. Diese Phase ist das „Resultat einer Weiterentwicklung, die mit einem teilweise freieren Farbauftrag, einer abgemilderten Licht-Schatten-Führung sowie einem ‚silbrigen‘ Kolorit einhergeht. Das reichlich verwendete Bleiweiß gibt seinen Gemälden eine bis dahin unbekannte Strahlkraft“, erläutert der Kurator. Ein bevorzugtes Motiv Renis in dieser Phase ist der leidende, aber unversehrte Christus. Auch greift der vielseitige Maler immer wieder mythologische Themen auf, wie zum Beispiel mit Herkules und die Hydra, Hippomenes und Atalante oder Bacchus und Ariadne.

Kopfstudie für Christus“, 1620, rote Kreide auf Papier, 34 × 27 cm, Windsor, Windsor Castle, Royal Collection Trust; Foto: © His Majesty King Charles III 2022

Hochgeachtet und begehrt sind schon zu Renis Lebzeiten seine „Ausdrucksköpfe“ in schwarzer und roter Kreide mit ihrem „himmelnden Blick“, die den Zustand geistiger Entrückung in himmlische Sphären verbildlichen. Dieser innig nach oben gewandte Blick wird zum „Markenzeichen“ für seinen Stil und wurde oft nachgeahmt.

In all seinen Schaffensphasen war Reni auch als Druckgrafiker tätig. Seine knapp 40 eigenhändigen Radierungen entstanden unabhängig von den Gemälden. Von einem Großteil besitzt das Städel Museum Abzüge und zeigt diese zum ersten Mal.

„Hippomenes und Atalante“, um 1615–18, Öl auf Leinwand, 206 x 297 cm; Foto: Museo Nacional del Prado, Madrid

Ein deutlicher Stilwandel prägt Renis Arbeiten ab 1640. In unterschiedlichen Graden unvollendet gewähren sie einen tiefen Einblick in die Arbeitsweise des Malers. Mit großer malerischer Verve und Freiheit ist die Farbe hier aufgetragen, ganze Partien sind im Skizzenhaften belassen. Das Kolorit erscheint stark zurückgenommen, tendiert fast zur Monochromie. Laut Eclercy ist „umstritten, ob es sich beim ‚non finito‘ in Renis Spätwerk um ‚fertige‘, absichtlich skizzenhafte Gemälde oder aber um ‚unvollendete‘, nur mit Pinselvorzeichnungen und ersten Lasuren angelegte Bilder handelt. Wie die Ausstellung zeigt, sind beide Phänomene zu beobachten: Oft hat Reni Gemälde auf Vorrat begonnen und ihre Vollendung aufgeschoben; gleichzeitig setzt er das non finito aber auch bewusst als Gestaltungsmittel ein“.

Die exzellente Schau, die durch den Gemeinnützigen Kulturfonds Frankfurt RheinMain GmbH und den Städelschen Museums-Verein gefördert wird, ist ansprechend strukturiert und präsentiert Guido Renis überragendes Schaffen anhand von zehn chronologischen Kapitel, teilweise mit thematischen Schwerpunkten.

Das kostenfreie Digitorial®, das mit interaktiven Modulen und informativen Kurztexten in Renis Kunst einführt, bietet eine ideale Vorbereitung für den Ausstellungsbesuch und kann in deutscher und englischer Sprache unter: https://reni.staedelmuseum.de/ abgerufen werden. Das digitale Vermittlungsangebot wird durch die Deutsche Börse Group gefördert.

Der umfassende Katalog (Museumsausgabe), deutsche und englische Ausgabe, 328 Seiten, kostet 39,90 Euro.

„Guido Reni. Der Göttliche“ wird bis zum 5. März 2023 im Städel Museum gezeigt; weitere Informationen unter: www.staedelmuseum.de

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