Alice Schwarzer zum Achtzigsten.
Madame, Sie haben einen Meilensteine bewegt und tatkräftig Geschichte geschrieben. Provokativ, phantasie- und humorvoll. Glückwunsch.
von Simone Hamm
In der ARD lief gerade der erste Teil eines Zweiteilers über ihr Leben. Von der jungen Frau, die als Au Pair Mädchen nach Frankreich ging und dort mit der Frauenbewegung in Kontakt kam. So etwas müsste es auch unbedingt in Deutschland geben, meinte sie und setzte alles daran, das wahr zu machen.
Alice Schwarzer, Foto: Bettina Flitzer
Sie hat 1971 die Aktion „Wir haben abgetrieben!“ ins Leben gerufen. In Frankreich war sie an einer ähnlichen Kampagne beteiligt. Auf der Titelseite des Magazins „Stern“ waren 28 Fotografien von Frauen zu sehen, die sich dazu bekannten, abgetrieben zu haben: Romy Schneider, Senta Berger, Carola Stern, Gisela Elsner und 370 weitere prominente und nicht prominente Frauen gaben zu, gegen geltendes Recht verstoßen zu haben.
Sie hat mit Esther Vilar, die Männer für dressiert gehalten und Frauen für pralinenfutternde auf der Couch liegende Faulpelze, im TV diskutiert. Und Jahre später mit Verona Feldbusch, die sich mit Piepsstimme und tiefausgeschnittenem Dekolleté dümmer gab, als sie wahrscheinlich ist.
Sie hat für ein Buch gekämpft, das etliche Verlage abgelehnt hatten.
Wen würde das schon interessieren: Gespräche mit Frauen, die aus ihrem ganz alltäglichen Leben erzählen. Sie sind StudentIn, Hausfrau, Prostituierte, Soziologin. Sie erzählen von Haushalt und Kindern, von Geld und Arbeit. So ihnen ihre Männer erlaubt haben zu arbeiten. Bis 1977 musste der Ehemann nämlich zustimmen, wenn seine Ehefrau einen Job annahm. Vor allem aber sprechen sie von ihrer Sexualität. Die meisten sind nie vernünftig aufgeklärt worden. Sie haben Angst, schwanger zu werden. Dennoch erfüllen sie klag- und meist lustlos die „ehelichen“ Pflichten.
Als das kleine rosa Taschenbuch mit dem lila Frauenzeichen und der geballten Faust auf dem Buchdeckel dann Ende August 1975 im Fischerverlag erschien, wurde es den BuchhändlerInnen aus der Händen gerissen. Viele Frauen erkannten sich wieder, erkannten ihre Ängste, ihre Abhängigkeit von Männern, die sexuellen Erwartungshaltungen ihrer Partner.
„Der kleine Unterschied“ machte seine Autorin über Nacht berühmt: Alice Schwarzer. Es ist ein Meilenstein in der Geschichte der Frauenbewegung.
Sie gründete eine Frauenzeitschrift, in die sie all das Geld steckte, dass sie mit „Der kleine Unterschied“ verdient hatte. Journalistenkollegen prophezeiten „EMMA“ ein schnelles Ende. „Emma“ gibt es heute immer noch, und das seit 45 Jahren. Darin behandeln Journalistinnen Themen wie: Politik, Arbeitswelt, Rollen, Sexualität, Kultur, Medien, Religion und Pornografie.
Alice Schwarzer wurde und wird Zeit ihres Lebens bekämpft und beschimpft. Sie sei „Die Hexe mit dem stechenden Blick“, titelte die „BILD Zeitung“. Eine „frustrierte Tucke“ wurde sie in der „Süddeutschen Zeitung“ genannt und in der „Münchner Abendzeitung“. „Die Nachteule mit dem Sex einer Straßenlaterne. „Breitmäulige Prophetin, Mösen-Ayatollah“ nannte sie die linke „Tageszeitung“. Denn nicht nur von konservativer Seite kam Kritik, auch von den Linken. Sei der Kapitalismus erst mal abgeschafft, erledige sich das Frauenproblem ganz von selbst.
Diese tief unter die Gürtellinie gehenden, meist rein persönlichen Vorwürfe hat Alice Schwarzer stoisch ertragen. Sie war immer überzeugt von ihrer Sache, sonst hätte sie es nicht durchgestanden. Ihr Humor hat ihr geholfen, die Anfeindungen auszuhalten.
Romy Schneider hat einmal gesagt, dass Alice Schwarzer und sie die meistgehassten deutschen Frauen seien. Mit Romy Schneider hat sie ein einfühlsames Interview geführt.
Alice Schwarzer wurde als Rassistin beschimpft, als sie laut sagte, dass es in der berüchtigten Sylvesternacht zum Jahreswechsel 2015/6 in Köln junge Männer aus Algerien und Marokko waren, die sich verabredet hatten, um Frauen zu ängstigen, grob anzufassen.
Und sie wurde als Rassistin beschimpft, weil sie sich gegen das Kopftuchtragen aussprach. Jetzt, da die mutigen iranischen Frauen sich das Kopftuch herunterreißen, werden ihr viele im Nachhinein zustimmen: Nicht jede Frau trägt das Kopftuch freiwillig, auch nicht in Deutschland..
Als national überheblich wird sie in der Zeitung „Die Welt“ bezeichnet. Denn in einem offenen Brief in „EMMA“, der von namhaften Schauspielern, Philosophen, Regisseuren, Theologen und Schriftstellern unterzeichnet worden ist, warnt sie davor, schwere Waffen in die Ukraine zu schicken. Inzwischen haben fast eine halbe Million Menschen unterschrieben.
Als 21-Jährige ist sie nach Paris gegangen. Die Liebe zu dieser Stadt, zur Kultur, zum guten Essen und Trinken ist immer geblieben. Alice Schwarzer ist auch ein Genussmensch. Lange ist sie zwischen Frankreich und Deutschland hin – und hergependelt. In Paris hatte sie eine andere Autorin kennengelernt, die ebenso angefeindet worden war wie sie: Simone de Beauvoir. Sie hatte schon 1949 das Buch „Das andere Geschlecht“ veröffentlicht, in dem die These steht „Man wird nicht zur Frau geboren. Man wird es“. Alice Schwarzer verehrt Simone de Beauvoir, interviewt sie mehrfach. Die beiden werden lebenslange Freundinnen.
Über ihr Privatleben erzählt sie auch in den Biografien „Lebenslauf“ und „Lebenswerk“ wenig. Zehn Jahre lang lebte sie in Paris mit ihrem Freund Bruno. Seit über zwanzig Jahren ist sie mit der Fotografin Bettina Flitner zusammen, mit der sie auch zusammenarbeitet. So haben die beiden einen Bildband über Myanmar veröffentlicht. Sie verliebt sich in Menschen, sagt sie, nicht in Geschlechter.
Alice Schwarzer ist keine Heilige. Wie der Manager des FC Bayern München, Uli Höhnes hat auch Alice Schwarzer Steuern hinterzogen und wie Höhnes ging sie auf die Medien los, als die über ihr unversteuertes Millionenvermögen im Ausland berichteten. Sie bezichtigte sie einer Rufmordkampagnie, der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte.
Sie hat Werbung für die BILD Zeitung gemacht, die Zeitung, die noch bis 2018 jeden Tag das Foto einer halbnackten Frau im Blatt hatte, die „Mieze“. Aber sie sollte noch weitergehen.
Jörg Kachelmann, der Wettermoderator der ARD, wurde der Vergewaltigung angeklagt. Und Alice Schwarzer wurde Gerichtsreporterin bei „BILD“. Kachelmann wurde in den Medien auf beispiellose Art vorverurteilt, jedes Detail aus seinem Liebesleben an die Öffentlichkeit gezerrt.
Dennoch kommt mein Geburtstagsgruß aus tiefstem Herzen.
Heute ist es selbstverständlich, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, es gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben soll, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist, dass offen und ehrlich über Sexualität gesprochen wird.
Den Paragrafen 218 gibt es bis heute, aber keine Frau muss mehr zu einer Engelmacherin gehen. Ärzte dürfen Abtreibungen vornehmen. Dank der modernen Verhütungsmittel und dank der Tatsache, dass eine Zeitschrift wie „EMMA“ viel über weibliche Sexualität schrieb und Frauen begannen, darüber zu reden, ist das Liebes- und Sexleben von Frauen sehr viel entspannter geworden. Heute gibt es fast keine Zeitschrift, die ohne das Thema Sexualität auskommt.
Diese Fortschritte hat Alice Schwarzer nicht im Alleingang erreicht und das behauptet sie auch nicht. Aber sie hat – phantasievoll und tatkräftig – den Weg dazu geebnet. Danke, Alice dafür!