„Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege“ im Jüdischen Museum Frankfurt
Eine Renaissance der verlorenen Generation
„Atelierbesuch“ bei vergessenen Frankfurter Künstlerinnen der Weimarer Republik
von Petra Kammann
Namen, die man sich unbedingt merken sollte: Rosy Lilienfeld, die Zeichnerin, Malerin und Holzbildhauerin, Amalie Seckbach, die Bildhauerin und Malerin, Erna Pinner, die Autorin, Zeichnerin und Illustratorin sowie die Malerin Ruth Cahn. Sie alle reüssierten in den 1920er Jahren als Künstlerinnen und gerieten nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nicht nur in Vergessenheit, ihre Karriere wurde jäh abgeschnitten. Rosy Lilienfeld wurde 1942 in Auschwitz, Amalie Seckbach 1944 in Theresienstadt ermordet. Erna Pinner gelang die Flucht nach London, Ruth Cahn nach Santiago de Chile… Das Jüdische Museum hat die Künstlerinnen mit der berührenden Ausstellung wieder „Zurück ins Licht“ geholt. Neben institutionellen und privaten Leihgaben sind insgesamt 210 Werke aus der Sammlung des Jüdischen Museums zu sehen, das seit seiner Gründung systematisch Werke von jüdischen Künstlerinnen und Künstlern sammelt.
Kuratorin Dr. Eva Altan forscht seit 2009 am Thema und erstellte einen Plan von Frankfurt , Foto: Petra Kammann
„Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege“: Eine wirklich fabelhaft strukturierte Ausstellung, kann man sich doch in das Atelier der jeweiligen Künstlerin begeben und sich einen Einblick darüber verschaffen, welches ihre Themen im Frankfurt der Weimarer Republik waren. Die Ateliers der Künstlerinnen in Frankfurt am Main wurden damals von vielen aufgesucht und die Werke der Kosmopolitinnen wurden gefeiert, gesammelt und gedruckt.
Blick in und durch die gebauten Atelierräume, Foto: Norbert Miguletz/ Jüdisches Museum,
Wodurch wissen wir denn überhaupt etwas von der Existenz dieser nicht mehr präsenten Künstlerinnen? Schließlich waren sie von einem bestimmten Moment an „von der Bildfläche“ verschwunden. Im Mai 1935 hatte ein Artikel von Dr. Sascha Schwabacher im „Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt“ vom „Atelierbesuch bei Frankfurter Künstlerinnen“ berichtet, auf den die Ausstellungskuratorin und langjährige Sammlungsleiterin Dr. Eva Altan gestoßen war. Da erinnert Schwabacher sich an ihre Atelierbesuche bei den vier Künstlerinnen, die sie in Kurz-Porträts vorstellte. Ihre Eindrücke bildeten dann auch die Grundlage für die Ausstellungsarchitektur der jüngst eröffneten Schau im unteren Wechselausstellungsraum des Jüdischen Museums mit dem treffenden Titel „Zurück ins Licht“.
Eingangsbereich der Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Dieses Licht leuchtet nun auch die vier „Schutzräume“ der vergessenen Künstlerinnen aus, welche für die Ateliers der damals so anerkannten, erfolgreichen Künstlerinnen der 1920er Jahre stehen, für: Rosy Lilienfeld, Amalie Seckbach, Erna Pinner und Ruth Cahn. Da heute kaum einer oder eine mehr ihre Namen kennt, wird man nach dem Besuch der Ausstellung nun auf sie aufmerksam werden. Vermutlich liegen noch weitere Werke von ihnen verborgen an unbekannten Orten…
Den erstklassigen und sehr eigenständigen Künstlerinnen ist in der Ausstellung jeweils ein farblicher Fond zugeordnet, auf dem ihre Werke und Lebensdaten und -dokumente präsentiert werden. Im Inneren des Gehäuses wird das jeweilig individuelle Werk der einzelnen Künstlerin ein Stückweit dem Vergessen entrissen. Die gebauten Atelierräume geben gleichzeitig durch ihre Öffnungen den Blick frei auf die durch den Nationalsozialismus ausgelösten Brüche der Viten, Karrieren und Arbeiten dieser Künstlerinnen und auf das Danach. Das ist vor allem bestimmt von einer weitreichenden Flucht in die Phantasie, die sich bei den Einzelnen unterschiedlich ausdrückt.
Zunächst einmal aber können wir uns im Eingangsbereich der Ausstellungshalle in der so anschaulich organisierten Ausstellung ein wenig auf die Kunstszene der 1920er Jahre in Frankfurt einlassen. Dafür sorgen etwa die ausgestellten teils expressiven, teils fauvistischen Stadtansichten, eine Karte mit der Topografie Frankfurts und seiner Kunstszene, wie auch die Inszenierungen in Kunst und Fotografie der Künstlerinnen selbst, welche uns ein Bild von der „Neuen Frau“ der 20er Jahre vermitteln.
Die Künstlerinnen kreierten ein modernes Bild von der „neuen Frau“, Foto: Petra Kammann
Rosy Lilienfeld (1896 Frankfurt–1942 Auschwitz)
Mittels der teils schroffen Kohlezeichnungen der ausgesprochen visionären Expressionistin Rosy Lilienfeld bekommen wir einen Eindruck von der Atmosphäre einer zeitgenössischen Großstadt, in der „die Elektrische“ den Rhythmus vorgibt. Wirft man einen Blick auf die Kohlezeichnungen vom industriell geprägten Viertel im Osthafen wie im Westhafen, wirken die von ihr dargestellten ausdrucksstarken Szenen des nächtlichen Frankfurt in ihrer Dunkelheit teils beunruhigend oder gar unheimlich. Sie bilden die Schattenseiten der Industrialisierung ab, deren Folgeerscheinungen u.a. auch die sich kauernden randständigen Gestalten im Dunkeln sind. Die völlig zu Unrecht vergessene Rosy Lilienfeld gibt uns davon ein eindrückliches Bild. In ihren starken dunklen Zeichnungen nimmt sie, die wenig später in Auschwitz ermordet wurde, vielleicht sogar ein Stück ihrer eigenen Verzweiflung vorweg.
Blick von Innen nach Außen, Foto: Petra Kammann
Bemerkenswert sind neben den städtischen Szenen Lilienfelds aber auch ihre gleichzeitige bildnerische Auseinandersetzung mit chassidischen und kabbalistischen Erzählungen, unter anderem denen von Jizhak Leib Peretz und Martin Buber, in denen sie Motive der chassidischen Tradition aufnimmt. Besonders eindrucksvoll ihre Darstellung des vom Schicksal gebeutelten „Hiob“ in Gestalt des Thoralehrers Mendel Singer, dem Gott alles nimmt, um ihn auf die Probe zu stellen, so dargestellt in dem 1930 erschienenen Roman von Joseph Roth.
Lilienfelds Werk wird im Jüdischen Museum seit Längerem gesammelt und erforscht. Man kann nur wünschen, dass im Laufe der Zeit noch mehr Werke und Daten zutagetreten. Die Frankfurter Künstlerin, die sich besonders für Literatur interessierte, schuf außerdem bedeutende Illustrationen zu literarischen Werken von Franz Kafka oder Gottfried Keller, und nicht zuletzt die Illustration der „Goethe-Briefe“ von Rudolf Geck oder des Textes „Der verlorene Atem“ von Edgar Allan Poe.
Rosy Lilienfeld, Die Freude vertilgt die Wurzeln der falschen Freude, (Originalbezeichnung). Aus: Bilder zu der Legende des Baalschem, 2. Kreis; Legende 7: Der Widersacher, Blatt XV, 1930, Kohle und Kreide auf glattem Velinkarton, © Jüdisches Museum Frankfurt
1939 verließ Rosy Lilienfeld, die zuletzt in der Arndtstraße im Westend wohnte, Frankfurt gemeinsam mit ihrer Mutter – vermutlich zu spät. Die beiden versteckten sich zunächst in den Niederlanden, Rotterdam und dann in Utrecht, wo Rosy Lilienfeld zuletzt verhaftet und über Westerbork nach Auschwitz deportiert wurde, während Rosy Lilienfelds Mutter Esther Lilienfeld und ihr Halbbruder Max erstaunlicherweise die Schoah überlebt haben.
Wie gut, dass nun seit dieser Zeit die gesammelten Werke von Rosy Lilienfeld zum ersten Mal im Frankfurter Jüdischen Museum ausgestellt werden, darunter auch mit der illustrierten zweisprachigen Nacherzählung zu Baal Schem Tov von Martin Buber. Das 2017 gegründete Jakob Nussbaum-Archiv, welches unter anderem die Werke von Schames, Lilienfeld und Pinner umfasst, verleiht diesem Schwerpunkt innerhalb der Sammlung des Jüdischen Museums noch einmal mehr Gewicht.
Die Direktorin des Jüdischen Museums Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Foto: Petra Kammann
Prof. Dr. Mirjam Wenzel, die Leiterin des Jüdischen Museums, kommentiert das so: „Es gehört zu den Kernaufgaben des Jüdischen Museums Frankfurt, nicht nur an die Menschen zu erinnern, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, sondern auch den Folgen des systematischen Ausschlusses aus dem öffentlichen Leben und Bewusstsein entgegen zu treten, der nach 1945 andauerte.“ Ein Glücksfall, dass 2014 das Jüdische Museum einen Teil des künstlerischen Nachlasses von Erna Pinner mit rund 400 Aquarellen, Zeichnungen und Druckgrafiken von den Erben geschenkt bekam und dieser Schatz somit für die Öffentlichkeit nun wieder sichtbar ist.
Erna Pinner (1890 Frankfurt–1987 London)
Die Frankfurter Autorin, Zeichnerin und Illustratorin Erna Pinner war in den 1920er Jahren weit über Frankfurts Grenzen hinaus bekannt. „Sie weiß, was sie kann, und sie kann, was sie will…“ steht treffend auf der Außenseite ihres „Ateliers“ geschrieben. Sie repräsentierte in ihrer Selbständigkeit und ihrem souveränem Können durch und durch die „Neue Frau“.
Erna Pinner, Köpfe von vier Kronenkranichen, 1920er Jahre Farbholzschnitt, Besitz: Jüdisches Museum Frankfurt
Hatte sie doch bereits mit 17 ihre künstlerischen Ausbildung am Städelschen Kunstinstitut begonnen. In ihrer Frankfurter Zeit hatte sie mit großem Vergnügen den Zoo aufgesucht, um Tiere zu zeichnen. 1927 erschien die Werbebroschüre „Tierskizzen aus dem Frankfurter Zoo“, an der sie beteiligt war. Daneben illustrierte sie biologische und paläontologische Bücher.
Von 1908 bis 1910 war sie Schülerin von Lovis Corinth in Berlin gewesen, zog 1911 nach Paris und studierte, was für Frauen in Deutschland erst ab 1919 an einer Kunstakademie möglich war, an der Académie Ranson und kam mit Künstlern wie Paul Sérusier, Félix Valotton und Maurice Denis in Berührung. Außerdem beschäftigte sie sich mit dem französischen Symbolismus, dem Post-Impressionismus und dem Neoklassizismus, fertigte entsprechende Zeichnungen und Berichte dazu an und publizierte diese auch. Die Interessen der Kosmopolitin waren eben ganz weit gefächert. Sie bereiste verschiedene Kontinente und verfasste darüber ethnografische Berichte.
Blick auf die Außenwand des Pinner-Ateliers, Foto: Norbert Miguletz, Jüdisches Museum
Die Begegnung mit Kasimir Edschmid, Mitgründer der „Darmstädter Session“ und Büchner-Preisträger von 1927 und ihrer knapp zwanzig Jahre andauernden Liebes-Partnerschaft, war sehr fruchtbar. Aus ihrem künstlerischen Austausch und ihren gemeinsamen Reisen gingen zahlreiche gemeinsame Publikationen hervor wie zum Beispiel ihr 1931 erschienenes Buch „Ich reise durch die Welt“, eine Art journalistische Berichterstattung ihrer Reisen mit Edschmid, deren Illustrationen und Vorzeichnungen sich heute in der Sammlung Frankfurter jüdischer Künstler im Jüdischen Museum Frankfurt befinden.
Außerdem wurden Pinners Aquarelle und Zeichnungen damals in der renommieren Frankfurter Galerie Ludwig Schames, bei Alfred Flechtheim in Berlin, Düsseldorf und Frankfurt ausgestellt.
Als 1935 Erna Pinner von ihrer letzten Adresse, der Bockenheimer Landstraße 72, aus nach London emigrierte, musste sie sich dort ein neues anderes Leben erfinden. Denn Edschmid blieb im Land zurück. Er hielt sich im „Dritten Reich“ mit sogenannten „unverdächtigen“ Veröffentlichungen über Wasser hier und flüchtete in die „Innere Emigration“, während Erna Pinner sich tatkräftig in der realen Emigration in England mit Freunden sogar auch noch in der Flüchtlingshilfe engagierte, während sie sich mühsam eine Karriere als naturwissenschaftliche Zeichnerin und Autorin aufbauen musste.
Mutig verdiente die schon ruhmverwöhnte Künstlerin in England ihren Lebensunterhalt zunächst mit Illustrationen zu naturwissenschaftlichen Büchern allein. 1951, nach dem Krieg, kam sie dann allerdings ein wenig in den Genuss ihrer vielseitigen Tätigkeiten. In England erschien schließlich eines ihrer erfolgreichsten Bücher „Curious Creatures“ („Wunder der Wirklichkeit“), das in sieben Sprachen veröffentlicht wurde, und 1959 „Born Alive“ („Panorama des Lebens)“. Das „Wunder der Wirklichkeit“ wurde im Oktober diesen Jahres nun mit einem Nachwort von Barbara Weidle und einem Pinner-Porträt von Kat Menschik im Weidle Verlag (ISBN 978-3-949441-05-9, 30 Euro) wieder neu aufgelegt.
In der Frankfurter Ausstellung werden auch bislang unbekannte Zeichnungen von Erna Pinner sowie ihre Fotoalben präsentiert.
Ruth Cahn (1875 Frankfurt–1966 Frankfurt)
Die Malerin Ruth Cahn, in deren Gemälden die Natur eine zentrale Rolle spielt, war ebenfalls schon viel in der Welt herumgekommen. Sie hatte u.a. eine Ausbildung in Paris und Barcelona genossen. In Paris traf die „Fauvistin“ sogar auf damals so führende Künstler wie Pablo Picasso, Henri Matisse und Marie Laurencin.
Ruth Cahns Aquarell vom „Eintracht-Sportplatz Riederwald“ und vom „Bethmann-Weiher“, Foto: Petra Kammann
In ihrer ersten Ausstellung 1919 in der Kunsthandlung Heinrich Trittler in Frankfurt zeigte sie Aquarelle, später begeisterte sie das Publikum vor allem mit exotischen Pflanzen. Ihre erste Einzelausstellung in Barcelona hatte sie 1924 in den Galeries Dalmau. Und schon sieben Jahre später, 1928, wurde sie im Pariser Salon de la Jeune Peinture mit einer Soloschau gefeiert.
1935 floh sie dann vor den Nationalsozialisten von der Frankfurter Myliusstraße aus mit ihrem Bruder Arthur zunächst nach Spanien, wo aber bald darauf der Spanische Bürgerkrieg ausbrach. Von dort aus ging es dann weiter nach Chile, wo sie 20 Jahre lang in Santiago de Chile verbrachte. Die Flucht bedeutete für sie zwar, dass sie überlebte, damit war aber auch für sie das Ende ihres künstlerischen Schaffens besiegelt.
Nach Arturs Tod im Jahre 1945 zog Ruth Cahn wohl aus Heimweh nach Europa zurück, zunächst nach Barcelona, und Anfang der 1960er Jahre dann wieder nach Frankfurt, wo die begabte Malerin fast inkognito bis zu ihrem Tod in der Kronbergerstraße lebte, aber nicht mehr an die früheren Erfolge anknüpfen konnte.
Christian Peña Cortés, Großneffe der Künstlerin Ruth Cahn, im Gespräch mit der Kuratorin Dr. Eva Atlan, Foto: Petra Kammann
Erstmals werden die heute von Ruth Cahn bekannten Werke im Jüdischen Museum in der Ausstellung „Zurück ins Licht“ präsentiert, nicht zuletzt zur Freude ihres Großneffen Christian Peña Cortés, der eigens zur Vernissage nach Frankfurt kam und für den die Großtante eine Art Mythos darstellte, über die in der Familie etliche Geschichten kursierten. Was er in Frankfurt über sie sagte, klang trotz der (Vor-)Geschichte versöhnlich: „Die Familie von Ruth Cahn ist stolz darauf, dass sie dazu beitragen kann, das Bild einer Künstlerin wieder herstellen zu können, die einen Teil ihres Lebens der Kunst und ihrer Geburtsstadt gewidmet hat, die sie so sehr liebte und so oft gemalt hat. Die politischen Umstände der damaligen Zeit hatten sie auf dramatische Weise zur Flucht gezwungen. Nun werden ihre menschlichen und künstlerischen Qualitäten dem Vergessen entrissen.“
Amalie Seckbach, geborene Buch, (1870 Hungen –1944 Theresienstadt)
Einen völlig anderen Verlauf nahm das Schicksal von Amalie Seckbach. Sie stammt nicht aus Frankfurt kam aber 1902 nach dem Tode ihres Vaters nach in die Mainmetropole, wo sie sich zunächst vor allem als Sammlerin asiatischer Kunst einen Namen machte.
Amalie Seckbach, Hortensienblüte (Originaltitel unbekannt), 1939, Foto: Jüdisches Museum Frankfurt
Verheiratet mit Max Seckbach, einem Architekten des „Neuen Frankfurt“, begann sie erst 1922 nach dessen Tod als Künstlerin aktiv zu werden. Doch schon sehr bald darauf wurde sie international als Bildhauerin und Malerin wahrgenommen.
Bereits 1933 stellte sie gemeinsam mit dem belgischen Maler James Ensor in Brüssel ihre gelungen Skulpturen aus, darunter auch ihr gelungener Porträtkopf des symbolistischen Malers. Und schon drei Jahre später, 1936, wurde ihre Gouache „Die Heilige und ihr Narr“ neben Arbeiten von Paul Klee, Max Pechstein, Otto Dix und Emil Nolde im Institute of Chicago ausgestellt. In dieser illustren Schar war sie die einzige deutsch-jüdische Künstlerin. Zweifellos eine große Ehre und ein Höhepunkt ihrer Karriere.
1942 lebte Amalie Seckbach noch in der Frankfurter Hans-Handwerk-Straße 33, wurde jedoch gemeinsam mit ihrem Bruder vom Sammelplatz der Frankfurter Großmarkthalle aus nach Theresienstadt deportiert. In dem Durchgangslager, das in der nationalsozialistischen Propaganda als „Mustersiedlung“ galt, gab es ein Zeichenstudio, wo die Künstlerinnen und Künstler propagandistische Bilder anfertigen mussten. So konnte sie zwar weiter malen, hielt aber unter Lebensgefahr mit ihren Zeichenstiften und Farben auch das Elend des realen Ghettoalltags fest.
Seckbachs dort teils auf gereinigten Butterbrotpapier entstandene fast durchscheinende Zeichnungen und Aquarelle spiegeln ihre verzweifelte Flucht in die Phantasie eines unbedrohten Lebens in der Natur wider. Ganz besonders berührend in der Ausstellung ist ihr handschriftlich verfasstes Testament, in dem Amalie Seckbach ihre Werke der „Schleusser“ krankenschwester Trude Groag (1889-1979) anvertraute und ihr verriet, wo in Frankfurt noch einige ihrer Werke versteckt waren, bevor sie 1944 in Theresienstadt völlig entkräftet starb. In der Frankfurter Ausstellung sind ihre Werke aus Theresienstadt erstmals umfänglich ausgestellt.
Unbeirrt hat Dr. Eva Sabrina Atlan, Kuratorin und stellvertretende Direktorin, an dem Puzzle der Viten und Werke gearbeitet, Foto: Petra Kammann
Es ist ein großer Verdienst und eine ungeheure Leistung der Kuratorin und heute stellvertretenden Direktorin Dr. Eva Sabrina Atlan, dass sie seit 2009 zielstrebend am Zusammensetzen eines Puzzles festgehalten und nicht lockergelassen hat, akribisch die Lebensläufe auch an zunächst unscheinbaren Details und Fakten zu verfolgen, um die Künstlerinnen und deren Werke wieder ins rechte Licht zu rücken.
Seit 2005 betreut die Kunsthistorikerin die Judaica-Sammlung des Jüdischen Museums sowie die Sammlungsschwerpunkte Zeitgenössische Kunst und Kunst der vergessenen Generation. Als sie 2016 zur Sammlungsleiterin befördert wurde, verantwortet sie seither zielstrebig die Entwicklung der Sammlungsstrategie des Museums. Die von ihr kuratierte Ausstellung ist das Ergebnis jahrelanger Recherchen, die uns zu Nachkommen in aller Welt und vielen neuen Einblicken in das Leben dieser vier Frauen, ihre Flucht in die Emigration oder die Phantasien ihrer Werke geführt hat. Und sie hat auch daran gedacht, dass zeitgenössische Künstlerinnen sich mit dem Thema beschäftigen.
Die zeitgenössische Auseinandersetzung
Elianna Renner (geboren 1977)
So wird zum ersten Mal in der Schau eine dreiteilige Medieninstallation „Re per toire“ von der gebürtigen Schweizerin und derzeit in Deutschland lebenden, zeitgenössischen Künstlerin Elianna Renner gezeigt, die sich mit den beiden weithin unbekannten Künstlerinnen Ruth Cahn und Amalie Seckbach auseinandergesetzt hat. Renners Video-Arbeiten sind in einem separaten Raum zu sehen. In der ihnen gewidmeten Erinnerung reflektiert sie vor allem deren Flucht.
Erinnerungsarbeit durch Tänzerische Annäherung in dem Video von Elianna Renner, Foto:Norbert Miguletz, Jüdisches Museum
Zu Renners interdisziplinärem Kunstprojekt zählt auch „Tracking the traffic“, an dem sie beteiligt war und das sich mit dem Frauenhandel im 19. Jahrhundert befasst. Dazu hielt sie zahlreiche Vorträge, gab Workshops gegeben und konzipierte für das Jüdische Museum auch das Theaterstück „The Casting: Wer war Bertha Pappenheim“ mit, das dann in der Bertha-Pappenheim-App mündete. Um das intensiv anzuschauen, sollte man etwas Zeit mitbringen.
Bereits 1989, ein Jahr nach der ersten Eröffnung, hatte das Jüdische Museum erstmals den einer alten Frankfurter jüdischen Familie entstammenden Künstler und Bildhauer Samson Schames präsentiert, dessen Werk im Januar 2023 erneut in einer Kabinettausstellung zu sehen sein wird. Das 2017 gegründete Jakob Nussbaum Archiv, welches unter anderem die Werke von Schames, Lilienfeld und Pinner umfasst, macht diesen Schwerpunkt der „verlorenen Generation“ innerhalb der Sammlung des Jüdischen Museums deutlich. Es umfasst Bildende Kunstwerke von Angehörigen, also von jüdischen Künstlerinnen und Künstlern aus Frankfurt, die von den Nationalsozialisten geächtet und verfolgt wurden und die heute weitgehend unbekannt sind.
Die Biografien von Rosy Lilienfeld und Amalie Seckbach findet man übrigens auch im Shoah Memorial Frankfurt. Auf dieser jüngst veröffentlichten Website wird ein Einblick in die Biografien von über 12.000 Menschen aus Frankfurt gegeben, die als Jüdinnen und Juden verfolgt und ermordet wurden.
Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt
„Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege“
noch bis 17. April 2023
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag 10 Uhr bis 17 Uhr, bei Veranstaltungen bis 19 Uhr
Bei Veranstaltungen ist auch das Deli bis 19 Uhr geöffnet.
Eintritt
Wechselausstellung 10 €, ermäßigt 5 €
Kombiticket: 14 € (gültig für Wechselausstellung, Museum Judengasse, Dauerausstellung im Rothschild-Palais)
Ermäßigt: 7 € für Studierende, Auszubildende, Arbeitslose, Schwerbehinderte u. Zivildienstleistende
Familienticket: 20 € (gleiche Gültigkeit wie Kombiticket für unbeschränkte Anzahl an Familienmitgliedern)
Zusatzangebote
Die Ausstellung wird von mehreren Veranstaltungen und einem Katalog begleitet, der in einer deutschen und in einer englischen Ausgabe im Kerber Verlag erschienen ist.