Ein Loblied auf das Buch von Roland Kaehlbrandt: „Deutsch – Eine Liebeserklärung“
Lesenswert und liebenswert
Von Peter Voß
Bereits in vierter Auflage inzwischen liegt das kürzlich erschienene Buch mit dem vollen Titel „Deutsch – Eine Liebeserklärung: Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache“ (Piper) vor. Dessen Autor, Roland Kaehlbrandt, lehrt an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft die Fächer Sprache und Gesellschaft. Siebzehn Jahre leitete er die Polytechnische Gesellschaft in Frankfurt. Er initiierte mehre Sprachprojekte (Grundschulprogramm Deutsch & PC, DeutschSommer, Frankfurt schreibt!, Jugend debattiert) und sammelte eine Vielzahl an praktischen Erfahrungen zu Spracherwerb und Sprachgebrauch in Deutschland. Für FeuilletonFrankfurt bespricht das Buch der Journalist und Lyriker Peter Voß, zuvor u. a. Rundfunkintendant und Präsident der Quadriga Hochschule Berlin.(FF)
Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt, Foto: Petra Kammann
Kann man eine Liebeserklärung überhaupt kritisieren – zumal, wenn sie so geglückt ist wie die hier zu besprechende? Wie als Rezensent, der auf sich hält, etwas finden, woran man ein wenig herummäkeln kann – diese Frage drängte sich mir auf, als ich das, um es vorwegzunehmen, lesens- und liebenswerte Buch von Roland Kaehlbrandt über die „zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen deutschen Sprache“ aus der Hand legte.
Ja, diese Sprache ist, wie Kaehlbrandt kenntnisreich ausführt: einfühlsam und ausdrucksstark, geschmeidig in der Wortbildung, gelenkig im Satzbau, aber auch schnell und kurz, wenn es sein muss, dazu lesefreundlich in der Rechtschreibung, sie ist verlässlich normiert als Standardsprache, verfeinert als Literatur- und Bildungssprache, außerdem vielfältig und weitverbreitet, aufnahmewillig und integrationsfähig und aus der Mitte der Gesellschaft geschaffen. Und für Liebhaber fügt er noch an, dass sie „einen Überschuss an grammatischen Formen“ enthält.
Wow! kann ich da nur sagen, oder muss es „Wau!“ heißen? Frag ich nur, um irgendwie doch leicht kritisch auf eines der aktuellen Problemthemen zu kommen, vor denen er sich nicht drückt, die er aber, einer Liebeserklärung gemäß, mit taktvoller Behutsamkeit aufgreift, zum Beispiel den ausufernden Hang zur Ersetzung deutscher durch englische Ausdrücke. Zwar stellt er dazu nüchtern fest, dass „Teile der deutschen Sprachgemeinschaft“ sorgenvoll auf die „Wortimporte englischen Ursprungs“ blicken, die rund achtzig Prozent dieser Importe ausmachen „mit steigender Tendenz“. Er legt dann aber vor allem dar, wie erfreulich leicht sich unsere Sprache damit tut, diese Fremdwörter einzugliedern, nämlich sie den eigenen grammatischen Regeln zu unterwerfen, wofür er beispielhaft ein Verb wie „downloaden“ anführt.
Wobei Kaehlbrandt an dieser Stelle einen Vorzug unserer Sprache nicht ins Spiel bringt: dass sie phonetisch weitgehend korrekt und damit eben anders verfährt als das Englische, wo, wie in „now“ und „slow“, vokalische Silben oft unterschiedlich lauten, ohne dass es dafür eine Regel gibt. Wird die von ihm gerühmte Fähigkeit des Deutschen, Fremdwörter über kurz oder lang als Lehnwörter einzugemeinden (wie einst etwa „Film“ oder „Dame“) dadurch nicht eher beeinträchtigt? Dieser Punkt wird ja gern übergangen bei Diskussionen über die Frage, wie leicht oder schwer erlernbar unsere Sprache für Migranten ist und ob wir durch das volatile Deutsch-Englisch-Durcheinander gerade bei ihnen nicht eher Verwirrung stiften.
Regelrechte Lehnwörter entstehen da jedenfalls nicht, solange wir keine eingedeutschte Schreibweise ermöglichen (also „daunloden“). Aber das käme dann natürlich nicht mehr so weltgewandt und weitgereist daher, wie es vielen Zeitgenossen gefällt, die wohl eher den „Sound“ des Englischen lieben als wirklich Englisch können. Wie auch immer: Diesen Aspekt sprachlicher Integration lässt Kaehlbrandt weitgehend beiseite, auch wenn er dann doch ein abschreckendes Beispiel für die Denglisch-Manie anführt: das „social distancing“, das manchen den guten alten „Abstand“ etwas gespreizt ersetzen soll. Umso eindrucksvoller wirken vor diesem Hintergrund die Beispiele, die er für die Bereicherung des Deutschen durch Schriftsteller ins Feld führt, die als Einwanderer aus anderen Sprachgemeinschaften zu uns gekommen sind.
Roland Kaehlbrandt verlässt sich da ganz auf Goethe: „Die Gewalt einer Sprache ist nicht, dass sie das Fremde abweist, sondern dass sie es verschlingt“. Schon recht, wenn man sich sicher sein kann, dass nicht das Fremde irgendwann das Eigene verschlingt, wenn auch nur sprachlich. Schließlich gibt es bereits ernstgemeinte Bestrebungen, Englisch bei uns als erste Amts- oder wenigstens Geschäftssprache zu etablieren und dem Deutschen mehr oder weniger den Status eines Dialektes zuzuweisen. Aber so weit muss es ja nicht kommen, jedenfalls dann nicht, wenn dieses Buch unter unseren einschlägigen politisch-medialen Meinungsführern genügend Leser findet. Schon deshalb zählt es wohl doch zu seinen Vorzügen, dass sein Autor auch mit Tendenzen, die er kritisch zu beurteilen scheint, zwar sachlich distanziert, aber nicht offensiv oder gar aggressiv umgeht.
So liegt es ihm erkennbar fern, etwa das Gendern als besonders armseliges Beispiel einer sprachpolitischen Kosmetik anzuprangern, die an der Lage benachteiligter Frauen nichts ändert, aber ihren Verfechtern das Alibi eines guten Gewissens verschafft. Er verschweigt freilich nicht, dass ihn die bisherigen „Vorschläge“ für semantische Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern nicht überzeugen. Doch dass diese Vorschläge einer mehrheitlich gleichfalls nicht überzeugten Gesellschaft medial und zum Teil auch obrigkeitlich aufgenötigt werden, ist nicht sein Thema. Einer eventuellen leichten Enttäuschung des Rezensenten darüber könnte er wiederum entgegenhalten, dass er damit seine Liebeserklärung womöglich emotional überfrachtet hätte.
Und damit zurück zu den wahrlich großen Stärken des Buchs. Dazu zählen seine Genauigkeit und Klarheit, wenn es zum Beispiel um die Flexibilität des Satzbaus geht, die bei gleicher Wortwahl (aber nicht Wortfolge) ganz unterschiedliche Akzente und Nuancen der Bedeutung erlaubt. Oder auch um die Leichtigkeit, mit der Substantive kombiniert oder aus Verben Substantive gebildet werden (und umgekehrt). Und damit auch die gern karikierte, theoretisch unbegrenzte Zusammenfügung von Worten, Substantiven zumal, die im Extrem zu Wortungetümen führen kann, aber zunächst einmal ein Phänomen so knapp wie möglich erfasst. So erweist Kaehlbrandt der berüchtigten Donaudampfschiffahrtskapitänswitwe (ohne sie zu erwähnen) quasi posthum noch seine Reverenz und attestiert dieser patenten Konstruktionsmethode eine große präzisierende oder sogar begriffsbildende Kraft.
Neben dieser Fähigkeit, im vermeintlich Problematischen und Schwierigen eben auch dessen Vorzüge wahrzunehmen und mit leichter Hand herauszuarbeiten, zeigt Kaehlbrandt ein beachtliches Maß an Toleranz gegenüber dem rudimentären Deutsch, zu dem uns das Internet nötigt; auch dem migrantisch inspirierten „Kiezdeutsch“ kann er einiges abgewinnen. Und sogar den im Deutschen besonders häufigen Füllwörtern wie „denn“, „ja“, „bloß“ (nach dem Muster: Wo bleibt sie denn? Ist ja toll! Was hast Du bloß?) Er sieht in diesen Partikeln keine überflüssige Umständlichkeit, sondern den Ausdruck einer Höflichkeit, die einer Frage oder Behauptung das allzu Kantige und Schroffe nimmt, ohne dass sie ihre Aussagekraft verliert.
Diese Einsicht legt er uns auf sympathische Weise schon zum Anfang des Buchs nahe. Anhand einschlägiger Zitate nimmt er sich da die hergebrachten Vorurteile über das angeblich grobianisch rohe Deutsch vor, wobei er andeutet, unsere Vorfahren könnten die Fülle dieser Füllwörter erfunden haben, „weil sie wussten, dass mancher zu Grobheiten neigt, weshalb sie Vorsorge trafen.“ So setzt er pädagogisch unaufdringlich den Tenor für das Ganze. Dieses Ganze deshalb nur als freundlich oder nett zu bezeichnen, träfe freilich daneben; denn das Unzulängliche, weil eben doch bisweilen fast Unzugängliche an unserer Sprache, deren Entwicklung ja gerade nicht von staatlichen oder halbstaatlichen Instanzen und Autoritäten gesteuert und überwacht wird, unterschlägt er eben nicht; es wird umsichtig eingeordnet und anschaulich präsentiert.
Und so geriert sich dieser Autor weder humorfrei noch etwa verkrampft oder bissig; er hat sein Buch, bei aller Sorgfalt im Argumentieren, flüssig und elegant geschrieben. Das gelingt ihm sogar im letzten Kapitel, in dem er sich wie erwähnt mit dem „Überschuss an grammatischen Formen“ (zum Beispiel bei der Pluralbildung) befasst, ohne sich dem hier naheliegenden Überdruss hinzugeben und sozusagen die gute Laune zu verlieren – bis hin zum Befund: „Wer den beschriebenen grammatischen Formenüberschuss des Deutschen durchdringt, hat echte Liebhaberei bewiesen – die ihm die deutsche Sprache freilich an anderer Stelle durch Richtigkeit und oft auch Schönheit wieder vergilt.“
Eigentlich ist an dieser Liebeserklärung nur ein Umstand zu bedauern, für den dieser Liebhaber jedenfalls nichts kann: dass sie in unserer Sprachgemeinschaft offenkundig nötig ist, weil manch einer mit unserer und seiner Sprache allzu lieblos und rüde umspringt. Und so lautet denn auch Roland Kaehlbrandts Fazit am Schluss des Buchs: „Die deutsche Sprache ist ein kostbares Gut und ein schönes Geschenk. Es ist uns anvertraut.“ Ob es just die Zeitgenossen lesen und beherzigen werden, denen diese Erkenntnis not täte, ist eine andere Frage.