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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Johann-Heinrich-Merck-Preis der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung für den Architekturkritiker Niklas Maak

Die gebaute Welt und das Sprechen darüber

Von Uwe Kammann

Große Namen: Wolfgang Pehnt, Manfred Sack, Michael Mönninger, Gottfried Knapp. Alle der Architektur verpflichtet, alle allemal anregend, aufregend, kenntnisreich – und weit ausgreifend im Ausmessen der kulturellen Bedeutung, welche die gebaute Umwelt hat. Und zwar für alle. Denn ihr kann niemand entkommen, im guten wie im schlechten Sinne. Aber publizistisch spielt Architektur keine große Rolle, ist sie ein Stiefkind der kritischen Auseinandersetzung.

Johann-Heinrich-Merck-Preisträger Niklas Maak und Rem Kohlhaas, Laudator und Architekt,
Foto: Petra Kammann

Und so hatte Wolfgang Kaiser, einst Doyen der Musikkritik bei der „Süddeutschen Zeitung“, eigentlich völlig Recht, als er seinem jungen Kollegen im Redaktionsbüro nebenan den guten Rat gab, sich besser auf Kunst- als auf Architekturkritik zu konzentrieren; denn die Vertreter dieser Spezies würden in Krisenzeiten als erstes abgeschafft.

Niklas Maak, frisch gekürter Träger des diesjährigen Johann-Heinrich-Merck-Preises, gab diese Anekdote zum besten, als er sich im Rahmen der Dreifach-Verleihung der Akademie für Sprache und Dichtung im Darmstädter Theater für die Auszeichnung bedankte. Und die Geschichte dieses Preises, der seit 1964 für die Autoren herausragender Kritiken und Essays aus den Bereichen Literatur, Musik, Theater, Kunst und Kulturpolitik verliehen wird, zeigt nur zu deutlich, welchen Stellenwert in diesem Kanon die Architektur hat: nämlich keinen. Was eben auch ein Spiegel der unterbelichteten kritischen Praxis ist.

Immerhin, die Frankfurter Allgemeine Zeitung leistet sich diesen vermeintlichen Luxus noch, hat sogar seit einiger Zeit mit Matthias Alexander das Feuilleton mit jemanden bereichert, der einen hohen Sinn für das Genre hat. Und richtig ist eben auch, dass Niklas Maak in dieser Zeitung, zu der er 2001 wechselte, regelmäßig mit sehr temperamentvollen Texten zeigt, welche Qualitäten Architektur haben kann, haben sollte – und welche eben nicht –; auch, welche Bedeutung ihr im gesellschaftlichen und im individuellen Leben zukommt, wo die Defizite und Desiderate sind, wo sich Tendenzen zeigen und entwickeln und wo die Blockaden, im Alltag mit beiden Augen zu sehen und mit beiden Händen zu greifen sind.

Mit dem Architekten Rem Kohlhaas stand ein Laudator bereit – nein, besser: auf dem Sprung –, der wie Maak selbst auch gerne das Exzentrische bedient, der mit Lust Konventionen in Frage stellt, der in seinen Bauten und auch in seiner begleitenden Theorie in genauer Kalkulation die üblichen Rahmen sprengt und die Provokation sucht. Folglich dutfte das Festpublikum mit Vergnügen seinen Lobesvolten folgen, die antike Rhetoriker ebenso in den Blick nahmen wie französische Philosophen aus der Deleuze- und Derrida-Schule oder auch die Weisheit der Sternzeichen. Bei Maak: das des Löwen: „lebendig, theatralisch und leidenschaftlich“.

Zeitgeschichte beschwor Kohlhaas, festgemacht am Geburtsjahr des Preisträgers, 1972. Er erinnerte an Willy Brandts Slogan vom wiedergefundenen Stolz auf das Land, das licht-leichte Olympiastadion in München (Architektur reduziert „auf pure Membran“), an den Brüsseler Vertrag als EU-Türöffner. Und zog daraus den Schluss: „Man kann Maaks persönlichste Arbeiten als eine Form der retroaktiven Partizipation deuten … an einer goldenen Ära.“

Ausflüge in die Welt kühler Kinobilder gehörten zum Lobeskosmos, auch in die Designcharakteristiken von berühmten Autoschöpfungen, und dazu die Ausdeutungen des semiotischen Kosmos: durch eine Intelligenz, „die alles analysiert, in eine Reihenfolge bringt und dann präsentiert.“ Zu den weiteren Merksätzen gehörte: „Maaks Texte sind ansteckende Beschreibungen der realen Welt – Begeisterung ist seine Form des Fundamentalismus.“ Und, nicht weniger bedeutsam, dass er gegen das „digitale Aufrücken“ kämpfe: „für das Analoge“, in einer Zeit, in der es „tagtäglich diskreditiert“ werde.

Zum Schluss der Lobrede dann noch eine Perspektive für ein neues Europa, dem Maak als Beispiel dienen könne: „mit seinem Feingefühl,  seiner Sorgfalt, seiner Verspieltheit,  seiner Großzügigkeit, seiner Intelligenz, seiner Offenheit, seiner Neugier, seiner Verantwortung.“

Was kann ein Gelobter nach solch’ einem Strauß von Komplimenten noch sagen? Nun, natürlich eine Menge. Denn die Dankesrede ist ja vorbereitet, also keine Replik auf die vorherige Laudatio. Maak begann dabei mit einer Erinnerung, die fast zu schön klang, um wahr zu sein – aber sie gehört eben zu seinem Leben. Schon als Neunjähriger also wollte er – was damals die Grundschullehrerin als Aufsatzaufgabe stellte – Architekt werden. Und schrieb sogar zur Vorbereitung der Klassenarbeit an den berühmten Meinhard von Gerkan (dessen fulminante Karriere mit dem Flughafen Tegel begann), der freundlich antwortete. Mit folgender Mahnung: Der Beruf des Architekten bestehe zu 80 Prozent aus Ärgernissen, nur der Rest sei positiv.

Maak entdeckte dann beim Studium, dass beim Schreiben das Verhältnis umgekehrt sei. Und blieb dabei. In einer Form und Verfassung, welcher die Jury in ihrer Begründung die höchste Lobesform zukommen ließ. Denn seine kritischen Essays und Bücher zur Architektur zeichneten sich „durch die Verbindung von eminentem kunst- und baugeschichtlichen Sachversrand mit Anschauungsintensität, stilistischer Eleganz und Sprachwitz“ aus, bei einem „feinen Sensorium für die kulturelle, politische und lebensweltliche Einbindung von Architektur“.

Dass das Schreiben über Architektur und die „gebaute Welt“ nicht selbstverständlich sei, dass auch die Zahl der fest angestellten Architekturkritiker „empfindlich geschrumpft“ sei, das stellte Maak gleich anfangs bedauernd heraus. Während doch viele der großen Fragen der Gegenwart eben genau solche Aspekte beträfen. Und weil nicht zuletzt die Frage des Klimawandels auch eine Frage des Bauens sei, und damit „einer Sprache, die es schaffen kann, mitreißend und klar und in der gebotenen Dringlichkeit über die paradoxe Situation zu sprechen, in der sich die Architektur heute befindet: dass nämlich aus ökologischen Gründen am besten für lange Zeit erst einmal gar nichts gebaut werden sollte“. Während andererseits so viel wie nur möglich gebaut werden müsse, um die Millionen von Menschen zu beherbergen, welche in die Ballungsräume zögen.

Akademiepräsident Ernst Osterkamp bei der Überreichung der Urkunde an Niklas Maak, Foto: Petra Kammann

Für all das, so betonte der Preisträger noch einmal, müsse man eine Sprache finden. Deshalb sei es ein Glück gewesen, auch im Kollegenkreis auf Verständnis für eine Form zu stoßen, die als Essay, also als Versuch, zu verstehen sei. Um auch das vorher noch nicht Vorstellbare oder Sagbare zu finden, um die Freiheit zu haben, neue Formen zu erproben, auch in der Architekturkritik: vom Comic bis zu einer Art Fotostory.

Im Laufe der Dankesrede zog Maak dann Linien von utopischen Tunnelprojekten über ganze mit Architektur  verbundene Gesellschaftsentwürfe bis hin zu fundamentalen Alltagsmetaphern, die mit dem Bauen zu tun haben, so mit dem „Fenster, das sich langsam schließt“, oder der Feststellung, dass „alles bloß Fassade“ sei, also das Wesentliche dahinter stecke.

Auch gängige Begriffe wie „Nullenergiehaus“ oder „Passivhaus“ nahm er aufs Korn, als Teil einer Tendenz, technologische Innovationen mit „depressiven Begriffen“ zu kennzeichnen. Das klinge dann nach „kalten, einsamen Abenden und feuchten Wollsocken“. Auch an den international verschiedenen Bezeichnungen für das Zuhausesein zeige sich, „wie unterschiedliche Sprachen unterschiedliche Ideen von Raum und vom Dasein und Selbstsein darin“ prägten. Wobei ihm scheine, „dass die Sprache und die Kategorien, in der wir Städte, Plätze und Häuser beschreiben, denken und planen, die grundlegenden Wandlungen, zu denen es jetzt kommt, nicht fassen kann“.

Dankbar zeigte sich der Preisträger, dass in dieser Auszeichnung auch der Essay besonders gewürdigt werde. Dies lasse für die Zukunft dieser auf größere Länge setzenden Form hoffen, eine Form, die in jeder Hinsicht Geduld erfordere – bei sich selbst und vielen anderen.

Bedauerlich fanden nicht wenige Besucher, dass wegen der Dreifach-Preisverleihung – was immerhin sechs Reden verlangte – keine Möglichkeit blieb, die Gedanken des Laudators und die des Gewürdigten zu vertiefen. Vieles war anregend, vieles hätte sicherlich eine intensive Auseinandersetzung heraufbeschworen. So musste es beim Anreißen von Ideen, von Fragen, von Modellen bleiben. Das es sich lohnt, über die publizistisch nur als Stiefkind behandelte Architektur viel intensiver nachzudenken, das vermittelte der Doppelpart von Kohlhaas und Maak allemal.

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