Ovid-Preis an Ruth Weiss – Autorin, Bürgerrechtlerin, Weltbürgerin, Zeitzeugin
„Wir müssen die Festungen öffnen“ – Für die Menschenrechte und Gegen Hass
von Renate Feyerbacher
Ruth Weiss redet und redet im Gespräch mit hr2 Kultur Redakteur Martin Maria Schwarz. Anlass ist die Verleihung des OVID-Preises an die 98 Jahre alte Journalistin und Autorin in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt. Eindrücklich erzählt sie ihre Lebensgeschichte, die das Weltgeschehen immer im Blick hatte und noch hat.
Lutz Kliche, Prof. Dr. Deborah Vietor-Engländer, Jurymitglied PEN, Martin-Maria Schwarz,hr, Dr. Sylvia Asmus, Sitzend Ruth Weiss, Foto: Renate Feyerbacher
Die Leiterin des Deutschen Exilarchivs Dr. Sylvia Asmus begrüßte Ruth Weiss und die zahlreichen Gäste. Es folgte Lutz Kliche, der die Laudatio hielt. „Du kannst schneller schreiben als ich lese.“
Er kennt Ruth Weiss seit 40 Jahren und hat als junger Lektor die erste Ausgabe ihrer Biografie im Peter Hammer Verlag betreut: „Wege im harten Gras“. Erinnerungen an Deutschland, Südafrika und England mit einem Nachwort von Nadine Gordimer – Verlag Edition AV 2016. Heute begleitet Lutz Kliche die unermüdlich schreibende Ruth Weiss auf Lesereisen. Sie ist immer noch viel unterwegs.
Ruth Löwenthal kam 1924 in Fürth zur Welt. Die Familie lebte in Fürth, dann in Hamburg, in Rückersdorf bei Nürnberg und wieder in Fürth.
Sie habe eine schöne Kindheit gehabt, und ging gerne zur Schule. Aber 1933 ändert sich das schlagartig. Die Nationalsozialisten haben die Macht übernommen. Die Freundinnen meiden sie.
Der Vater, ein Kaufmann, emigrierte 1933 nach Südafrika. Er hatte den Job verloren. Der Mutter gelang 1936 noch rechtzeitig mit den beiden Töchtern die Flucht nach Johannisburg. Südafrika schloss die Grenze.
1935 traten die Nürnberger Gesetze zum „Schutz des deutschen Blutes“ in Kraft. Es verbot die Eheschließung zwischen Juden und Nichtjuden und außerehelichen Geschlechtsverkehr.
Der Vater gründete in Johannisburg einen Lebensmittelladen.
Ruth Löwenthal arbeitete in einem Rechtsanwaltbüro, in der Buchhandlung von Hans Weiss und bei einer Versicherung. Sie heiratete Hans Weiss, von dem sie sich später trennte. Der ehemalige Berliner Journalist war nach dem Krieg dpa-Korrespondent für das südliche Afrika.
Wie kam Ruth Weiss zum Journalismus?
Da sie bei der Versicherung einen hohen Posten hatte und sich in Wirtschaftsfragen auskannte, ließ Hans Weiss sie Artikel schreiben, die unter seinem Namen erschienen. Ihr Mann schickte sie auch in andere Länder und ließ sie schreiben.
Die südafrikanische Schriftstellerin Nadine Gordimer, mit der Ruth Weiss befreundet war, schreibt im Nachwort des Buches „Wege aus hartem Gras“: „Unerwarteterweise fand ich heraus, dass diese schüchterne junge Frau, die so augenscheinlich eine unterwürfige Schülerin zu Füßen ihres Mannes war, in Wahrheit jene Aufsätze mit politischen Analysen über die 50er und 60er Jahre in Südafrika schrieb, die unter dem Namen ihres Mannes in bedeutenden deutschen Zeitungen erschienen.“
Nadine Gordimer (1923 -2014), wurde in Südafrika geboren. Der Vater, ein jüdischer Juwelier, verließ bereits als 13-Jähriger Litauen.
Nadine Gordimer lebte in Südafrika, aber war auf der ganzen Welt unterwegs. Sie erhielt den Nobelpreis für Literatur, den renommierten englischen Booker Prize und viele Auszeichnungen mehr. Ihre Romane, Erzählungen und Essays fokussierten sich auf die Apartheid und ihre Folgen sowohl für schwarze wie weiße Südafrikaner. Zeitweilig erhielt sie Publikationsverbot.
Ruth Weiss mit der Urkunde, Foto: Renate Feyerbacher
Auch ihre gleichaltrige Freundin Ruth Weiss (*1924) engagierte sich gegen die Apartheid. Für sie war es ein Schock nach dem erfahrenen Antisemitismus, Rassismus. Nach dem Wahlsieg der Nationalen Partei in Südafrika 1948 wurde dort das System der Apartheid installiert.
„Das war ein Schock, plötzlich lebten wir in einem Land, in dem eine andere Gruppe diskriminiert wurde“. Sie kommt durch Nadine Gordimer in Kontakt mit Nelson Mandela und anderen Freiheitskämpfern.
Gerne hätte sie studiert, aber sie hatte nicht das Geld.
Ruth Weiss macht sich selbständig und beginnt in den 1960er Jahren für südafrikanische Zeitungen und für den britischen The Guardian zu schreiben, war ab 1971 Herausgeberin der Times of Zamibia und Korrespondentin der Financial Times.
Hin und wieder ist sie in London und zieht nach Köln, wo ihr Sohn geboren wird. Drei Jahre ab 1975 lebte sie in Köln, wo sie Chef vom Dienst der Afrika Redaktion bei der Deutschen Welle wurde.
Sie ist eine Weltenwanderin, hat immer auf gepackten Koffern gelebt.
Viele Ehrungen werden ihr zuteil. 2005 wird sie für den alternativen Nobelpreis nominiert. In Aschaffenburg erhält eine Realschule ihren Namen.
In Nürnberg ehrte sie am 5. Juli 2022 das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland im historischen Saal 600, in dem der Nürnberger Prozess stattfand. Hier wurde ihr die „Festschrift zu Ehren von Ruth Weiss“, herausgegeben von Frederick A. Lubich, überreicht.
Am 15. September folgte die OVID-Preisverleihung in Frankfurt.
Dieser Preis, den es seit 2017 alle zwei Jahre gibt, wird vom PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland und der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) verliehen.
Dieses PEN-Zentrum wurde 1934 unter anderem von Lion Feuchtwanger unter dem Namen Deutscher PEN-Club im Exil in London gegründet und 1948 umbenannt. Heinrich Mann war der erste Präsident.
Nun erhielt Ehrenpräsidentin Ruth Weiss nach Guy Stern, Herta Müller und Wolf Biermann als Vierte die Auszeichnung.
Preisverleihung an
Wolf Biermann 2020, Foto: Renate Feyerbacher
Ruth Weiss lebt heute aus Altersgründen beim Sohn in Dänemark. Aber sie ist ständig unterwegs zu Lesungen in Schulen und anderswo und hat auch nicht aufgehört, Romane zu schreiben. Von 40 Gesellschaftsromanen mit historischen Themen und zur jüdischer Geschichte spricht sie. Allein sieben Bände gibt es über Die Löws – Eine jüdische Familiensaga in Deutschland – alle erschienen beim Verlag Edition AV, Bodenburg ab 2020.
Ihren Büchern wird exaktes Recherchieren und ein hohes Maß an Empathie bescheinigt. Ihr Krimi um Miss Moore bietet schwarzen, englischen Humor.
Zum Abschluss der Preisverleihung plädiert sie für Frieden und Gerechtigkeit. Ihr großer Wunsch ist gegenseitige Toleranz auch gegenüber den Tätern. „Hass nicht mit Hass vergelten.“
www.ruth-weiss-gesellschaft.de
Aktuelle Ausstellung in der DNB: Marcel Reich-Ranicki noch bis 13. Januar 2023https://www.feuilletonfrankfurt.de/2022/08/18/marcel-reich-ranicki-ein-leben-viele-rollen-ausstellung-in-der-deutschen-nationalbibliothek-frankfurt/