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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Tage ohne Cecilia“ von Antonio Muñoz Molina

Warten in der weißen Stadt

von Simon Hamm

Antonio Muñoz Molina hat einen großen Roman über das Warten geschrieben, über das Gedächtnis, die Angst und die Erinnerungen.

Antonio Muñoz Molina© Foto: Elena Blanco

Ein Mann wartet auf eine Frau. Wartet in einer Stadt, die wie gemacht zu sein scheint für einen Melancholiker, der bereit ist, endlos zu warten: Lissabon, die weiße Stadt der traurigen Fadogesänge. Antonia Muñoz Molinas Roman „Tage ohne Cecilia“ spielt im Lissabon der Gegenwart und im New York der Erinnerung gleichermaßen.

Der Mann wartet am nebelverhangenen Tejo und in seiner Wohnung, die derjenigen, in der er mit Cecilia in New York gelebt hat, aufs Haar gleicht. Er lebt schon in Lissabon. Cecilia wird nachkommen. Alle Möbel, alle Bilder hat er genauso angeordnet wie in der New Yorker Wohnung. Der Weißwein liegt im Kühlschrank. Der Ich-Erzähler beschwört das vergangene Glück. Cecilia soll sich wohlfühlen, wenn sie ankommt.

Es ist, als würde die Intensität des Wartens die Ankunft befördern, beschleunigen, möglich machen wie ein kraftvoller Magnet, der Cecilia zu mir herzieht, in diese einladende, stille Wohnung, in der alles für ihren Empfang vorbereitet ist.

Er geht jetzt am Tejo statt am Hudson spazieren, aber an trüben Tagen sind sie gleich nebelverhangen: Flüsse am Atlantik. Die filigran anmutende Brücke, die über den Fluß führt, ist nicht die George Washington Bridge, sondern die des 25. April, aber der Verkehrslärm ist gleich laut und sie ähneln sich zum Verwechseln.

Die Rückblicke auf New York vermischen sich mit dem, was der Ich-Erzähler in Lissabon erlebt. Manchmal wacht er auf, schreckt aus einem Tagtraum hoch und weiß nicht, wo er ist. Es ist still. In diesen unkontrollierbaren Momenten kann er zulassen, dass nicht alles perfekt war und ist im Leben des Paares, ja, das überhaupt gar nichts so ist, wie er es sich vorgaukelt:

„Die Stille war ein Nebel, der uns voneinander entfernte, auch wenn wir nah beieinander waren[…] Nicht einmal, wenn wir miteinander sprachen, verschwand die Stille. Unsere Stimmen klangen seltsam, weil die Stille, die sie nicht zu durchdringen vermochte, sie unhörbar machte[…] Die Stille war die Kränkung, die jeder dem anderen zufügte, und die Reue über die Kränkung und auch die Strafe. Es waren nicht Worte, sondern das Schweigen, das uns verzagen ließ, das uns erschöpfte und erstickte.“ 

Antonio Munuz Molinas feines, sehr raffiniert komponiertes Buch „Tage ohne Cecilia“ hat etwas von einem psychologischen Kriminalroman. Schon im allerersten Satz erzählt er die ganze Geschichte: „Ich habe mich in dieser Stadt niedergelassen, um dort auf das Ende der Welt zu warten.“

Vielmehr wird nicht passieren. Aber wie Muñoz Molina dieses Warten beschreibt, diese Gedanken eines immer wahnsinniger werdenden Liebenden, das ist meisterhaft. Selten sind eintönige Spaziergänge, Nichtstun und immergleiche Tätigkeiten so fesselnd beschrieben worden. Etwa wie der Icherzähler Tag für Tag das Frühstück für zwei an einem Tisch vorbereitet, an dem nur einer Platz nimmt.

Das alles in diesem wunderbaren Muñoz Molina Stil: lange, fließende, beschreibende Sätze. Willy Zurbrüggen hat sie gekonnt ins Deutsche übertragen.

Muñoz Molina gilt als einer der besten und vielseitigsten spanischen Autoren.  Er schreibt philosophische Essays, Zeitungskommentare, politische Romane, Kriminalromane, Liebesromane. Eines aber haben alle seiner Bücher gemein. Sie sind ungemein vielschichtig, sind auf mehreren Ebenen zu lesen.

In „Tage ohne Cecilia“ erzählt Muñoz Molina von den Brüchen im Leben eines Paares.

Der Mann hat seinen Job verloren, einen Job, dem er nicht hinterher trauert:

Nichts von dem, was ich in all diesen Jahren getan oder organisiert odergeleitet habe, hat für niemanden auch nur den geringsten Wert, abgesehen von den Managern, die über mir standen, oder den Aktionären oder Investoren, die schon so reich waren, dass sie meinen minimalen Beitrag zur Mehrung ihres Vermögens gar nicht bemerken würden.“

Cecilia ist Hirnforscherin, sie befasst sich mit den Ursprüngen der Angst, dem Zusammenhang von Gedächtnis und Angst. Ihre sehr realen Forschungsergebnisse streut Antonio Muñoz Molina immer wieder ein.

Cecilia sagt, das Gelernte verfestige sich im Schlaf. Vielleicht träumt die Ratte, sie laufe wieder durchs Labyrinth, und kann sich deswegen später besser daran erinnern. Ratten scheinen  zu träumen genau wie Katzen, Hunde, Pferde und Affen. Katzen, denen man im Labor einen Teil des Gehirns entfernt, werden zu schlafwandelnden Jägern, die mit geschlossenen Augen rennen und springen und ihre unsichtbare Beute verfolgen.“

Der Ich-Erzähler hingegen lebt mehr und mehr in  seinen Erinnerungen, in seiner Phantasie.

Er zieht sich immer mehr zurück, je länger er auf Cecilia wartet und er geht schließlich nur noch aus dem Haus, um die Hündin Luria auszuführen. Er liest und schläft wenig. Stattdessen sieht er fern, sieht Bilder der Apokalypse: Waldbrände, Hurrikane, Wirbelstürme, Flutwellen. Er geht nicht mehr ans Telefon. Öffnet niemandem mehr die Tür. Er starrt aus dem Fenster und wartet auf das Taxi, das Cecilia bringen soll.

 

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