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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Theater und Tanz: Premieren in Köln

„Der eingebildete Kranke“ von Molière in einer Überschreibung von Barbara Sommer & Plinio Bachmann, Regie: Stefan Bachmann, Foto: Thomas Aurin

Der eingebildete Kranke am Kölner Schauspiel

Anale Köln-Kolonisation und Wokeness

Von Simone Hamm

Sein Nachthemd ist schmutzig, die Chaiselongue, auf der er sich vor Schmerzen krümmt, hat Wasserflecken. Aber eine Louis XIV. Perücke trägt er noch: der eingebildete Kranke, Molières Argan. Auf der ansonsten leeren Bühne sitzen die anderen Schauspieler auf Stühlen um Argan herum, halten sich die Nase zu, wenn er sich auf einen Eimer hockt und – nach langen Einläufen – endlich Stuhlgang hat.

Regisseur Stefan Bachmann bedient sich ganz frei aus dem Genre Analwitze und fügt kölsche Versionen hinzu: „Kolon, Colonia, Köln. Diese andauernde anale Kolon-Kolonisation ist nirgends so zu Hause wie in dieser Stadt Köln.“

Da aber nicht nur Kinder im Publikum sitzen, reicht das natürlich für einen witzigen, ironischen Abend nicht aus. Molière hatte einen scharfen Blick für die Schwächen, die Unvollkommenheit seiner Zeitgenossen.

Das Zürcher Autoren Duo Barbara Sommer und Plinio Bachmann hat Molière in die Gegenwart übertragen. Auch sie betrachten die Schwächen und Unvollkommenheit  ihrer Mitmenschen. Aber sie machen aus einem Stück, in dem ein hypochondrischer Mann sich tot stellt, um herauszufinden, wie sehr seine Frau, sein Sohn ihn wirklich lieben, eine Satire zum Thema Gendern und Wokeness. Konsequent besetzten sie fast alle Männerrollen mit Schauspielerinnen und alle Frauen mit Schauspielern. Einzig Melanie Kretschamen als Toinette darf eine Frau bleiben und Thomas Purgon, der Einfältige, bleibt ein einfältiger Mann, gespielt von Justus Meier.

Der Hypochonder (Rosa Enskat) ist Opfer skrupelloser Ärzte und auch Opfer seiner Zeit. Überempfindlich, sensibilisiert vor allem für sich selbst. So wie man/frau es heute sein darf und soll.

Argan sagt weinerlich zu seiner Dienerin Toinette: “Soll ich dir mal spiegeln, was das mit mir macht?“. Seine Tochter Angélique gespielt von Paul Basonga ist eine unglaublich komische in die Breite geratenen Conchita Wurst.  Sie will den Mann, mit dem der Vater sie verheiraten nicht ehelichen, und sagt, sie ließe sich nicht „emotional erpressen“. Ihr geheimer Liebster Cléante will „niemenschen bedrängen“.  Er benutzt die Pronomen hen, hin und ham“ als „Pronomen für Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität“ .

Er tritt sogar aus dem Theaterspiel heraus, will einen „sicheren Raum“ für alle Schauspieler schaffen, um „Grenzüberschreitungen zu vermeiden und zwar mit Hilfe der „fünf c’s“ . (Context, Communication, Consent, Choreography und Closure). Doch halt.  Er warnt vor „allzu plumper Cross-Gender Besetzung“. Ein kleiner ironischer Seitenhieb auf diese Inszenierung.

Der Kölner Molière ist ein wunderbares Gegenstück zu all den politische korrekten Theaterabenden, auf denen die ZuschauerInnen von woken Regisseuren pausenlos belehrt werden. Er entlarvt die küchenpsychologische Gendersprache. Alle Schauspieler gehen mit Verve zur Sache, schienen sichtlich Spaß zu haben am Klamauk.

Manchmal halten die Zuschauerinnen inne, fühlen sich ertappt. Haben wir nicht alle schon einmal genau solche Formulierungen gebraucht? Es ist ein wunderbar leichter, fröhlich stimmenden Abend. Ja, auch so darf Theater sein.

Verlorene führen Blinde. King Lear am Kölner Schauspiel

Ein König geht nicht zu Fuß. Schwarz gekleidete Soldaten tragen ein quadratisches Schild, darauf thront  King Lear im schwarzen Bademantel. Martin Reinke ist King Lear. Mit einer fulminanten Darbietung nimmt er Abschied vom Schauspiel Köln, wo er mehr als dreißig Jahre lang engagiert war.

„König Lear“ von William Shakespeare, Regie: Rafael Sanchez, Foto: Krafft Angerer

Rafael Sanchez führt die Regie. Am Kölner Schauspiel wird King Lear, in einer Neubearbeitung für sechs Personen aufgeführt.

Martin Reinke ist der König, der das Reich unter seinen drei Töchtern verteilen will. Goneril und Regan machen ihm Komplimente, als er sie fragt, wie sehr sie ihn lieben. Sein jüngste Tochter Cordelia schweigt dazu. Wütend verbannt der König sie. Die älteren Schwestern wollen ihn schon bald nicht mehr bei sich aufnehmen, die teuflischen Töchter (Birgit Walter, Nicola Gründel) achten diesen Vater nicht, allein Cordelia wird zu ihm halten, sie, die verstoßene Lieblingstochter (Katharina Schmalenbach) steht ihm bei.

Dreieinhalb lange Stunden quält sich King Lear, ist erschöpft, enttäuscht, verzweifelt. Er ist ein Leidender mit roter Dornenkrone im roten Bademantel und überhaupt nicht aggressiv, will nicht kämpfen. Eine Paraderolle für Martin Reinke.

Katharina Schmalenbach, die die Cordelia spielt, ist auch der arme Tom alias Edgar: verloren, verstoßen, nackt, verletzlich in einem fleischfarbenem Kostüm. Anrührend verkörpert sie das Elend.

Auch Bruno Cathomas als Gloster verzweifelt, als er merkt, dass sein außerehelicher Sohn gegen ihn intrigiert hat, und dass er seinem ehelichen Sohn Unrecht getan hat.

Dazu Livemusik von Pablo Giw, der Trompete und Schlagwerk spielt und im dunklen Rock mit dunklem Haar auftritt.

König Lear wird in einer neuen Textbearbeitung gespielt. Auf der Grundlage der Übersetzung des Grafen Baudissin und Arnt Knieriem, heißt es im Programmheft. Mehr nicht. Graf Baudessin hat an der Schlegel-Tieck-Übersetzung mitgearbeitet, wer aber ist Arnt Knieriem? Das klingt nach Pseudonym, Anagramm, bleibt aber ein Geheimnis.

Einer Neuübersetzung hätte es wirklich nicht bedurft. Shakespeares Stücke sind auch ohne Neuübersetzung von ungeheurer Aktualität. Das sieht man nicht zuletzt am Spielplan der Bühnen.

In Köln: Schmerz und Vergehen auf der Bühne, keine Schlachten, keine Kämpfe, kein Aufbäumen, nur Traurigkeit. Damit wollte Regisseur Rafael Sanchez wohl die allgemeine Gemütslage darstellen.

Dunkel ist Lears Gemütslage, dunkel ist die Bühne. Verzweiflung aller Orten.

Ein Tanzabend von Tanz.Köln

Ein Abend in einer Disco, kühne Hüftschwünge, kreisende Becken. Klassisch ausgebildete Tänzer auf dem Dancefloor

„Chapter 3“, Sharon Eyal & Gai Behar / L-E-V, Choreografie: Sharon Eyal & Gai Behar, Foto: Stefan Dotter

Chapter 3 – The Brutal Journey Of The Heart“ ist der letzte Teil einer Trilogie der Choreografen Sharon Eyal und Gar Behar, getanzt von der israelischen Company L-E-V, was auf Hebräisch  „Herz“ bedeutet. Gezeigt im Depot Köln, eine Veranstaltung von Tanz.Köln.

Eine halbdunkle Bühne. Infernalisch laute Musik von Ori Lichtik, eine seltsame Kreuzung aus Folk und Techno. Neun Tänzer und Tänzerinnen in Ganzkörpertrikots, entworfen von Grazia Chipuri, der Chefdesignerin im Hause Dior. Sie liegen an wie eine zweite Hut, sind mit Schlingpflanzen und roten Herzen bedruckt. Der Stoff ist so dünn, dass das Vibrieren jeder einzelnen Pobacke zu erkennen ist.

Wie Schmetterlinge, wie Insekten strecken Tänzer und Tänzerinnen ihre Hände aus, als seien es Fühler. Sie stehen auf halber Spitze, beugen die Knie, spreizen die Beine, fallen in sich zusammen, sind unglaublich biegsam. Sie bilden Gruppen, und immer bricht einer aus, tanzt anders als die anderen. Eine wirkliche Einheit gibt es nicht. Sie tanzen voller Energie.

„Liebe ist Leben. Ich liebe und lebe und fühle“ wird Sharon Eyal im Programmheft zitiert. „The Brutal Journey Of The Heart“ sei Stille, Verlangen, Kälte, Verstecken, Liebe und mehr. Das alles ist irgendwie zu sehen auf der Bühne. Und doch lässt es seltsam unberührt. „Chapter 3“ ist zu technisch, zu kühl, die Musik zu dominant, die Bühne zu dunkel.  Es fehlte der Raum, das Durchschreiten, Durchtanzen des Raumes. Es fehlte die Tiefe.

 

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