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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Les Béatitudes“ von César Franck in der Alten Oper Frankfurt

Zwischen Himmel, Hölle und Erde

Von Petra Kammann

Äußerer Anlass für die Aufführung des relativ selten gespielten Werks „Les Béatitudes“ ist wohl der im Dezember anstehende 200. Geburtstag von César Franck (1822–1890), des Komponisten deutsch-belgischer Herkunft und berühmten Organisten von St. Clotilde in Paris. Unter der künstlerischen Leitung von Christian Kabitz wurde das Oratorium in der Alten Oper Frankfurt mit der renommierten Staatskapelle Weimar, dem traditionsbewussten Cäcilienchor Frankfurt, Deutschlands zweitältestem Konzertchor, und dem renommierten Bachchor Heidelberg auf die Bühne gebracht. Ein Kraftakt, der alle Mühe wert war.

Konzert „Les Béatitudes“ in der Alten Oper Frankfurt am 23.10.2022, Foto: ©Wolfgang Runkel/ Cäcilienchor 

„Les Béatitudes“. Übersetzen lässt sich das mit dem altmodisch klingenden biblischen Wort der „Seligsprechungen“. Acht an der Zahl sind es im Matthäusevangelium des Neuen Testaments, die im Volksmund besser als Bergpredigt bekannt ist. Wegen der darin enthaltenen „Feindesliebe“ hat sie nicht unwesentlich die deutsche Friedensbewegung der 80er Jahre beeinflusst, die allerdings derzeit nicht hoch im Kurs steht.

Zehn Jahre lang (1869–1979), unterbrochen vom Deutsch-französischen Krieg (1970–1871) und dem damit verbundenen preußischen Artilleriebeschuss, hat der gläubige Komponist César Franck sozusagen bis ans Ende seines Lebens an dem Meisterwerk seines kompositorischen Schaffens gearbeitet. Da fragt man sich: Kann jemals jemand auf Dauer unter den real gegebenen Bedingungen wirklich selig werden? Beglückt, entzückt, gar trunken vor Glück? Einen solchen Zustand zu erreichen, das aber mag den in Paris lebenden Komponisten in auch damals kritisch-kriegerischen Zeiten beschäftigt haben. Hätte er sonst so lange an der Komposition der Seligpreisungen, „Les Béatitudes“ gearbeitet und festgehalten, deren offizielle Uraufführung er dann nicht einmal mehr erleben sollte?

Abgesehen vom als „naiv“ gescholtenen Libretto der Kinderbuchautorin und Lyrikerin Josephine Colomb handelt es sich bei der Anlage des Stücks auch um eine Art „Göttliche Komödie“, um ein Weltendrama, das musikalisch Himmel, Fegefeuer und Hölle in Bewegung setzt und verarbeitet, um dem Elend dieser Welt die Stirn zu bieten, mit einem Chor der Gerechten, mit Engeln des Verzeihens, mit leidenden Müttern und Waisen, mit Armen, mit nach Gerechtigkeit schreienden Hungernden, mit Gotteslästerlichen und Stützen des Gesetzes, mit Heidenpriestern und Tyrannen und nicht zuletzt mit dem unbarmherzigen Satan, denen Franck mit Friedfertigen und Barmherzigen begegnen will.

Kennen wir das nicht? Und passt es nicht gerade in unsere, von Krisen und Kriegen geschüttelte Welt? Franck hat für dieses „Personal“ einer Gesellschaft eine Palette richtiger Töne gefunden: leise und sanfte, kräftige, sich aufbäumende, schreiende und tobende. Aber er schuf kein übliches Musik-Drama, sondern ein Oratorium, man könnte es als ein spätromantisches musikalisches Tableau in acht Folgen beschreiben, unterstützt von einem irdischen und einem himmlischen Chor, der das Chiaroscuro heraufbeschwört und die Wirrnis durch Gegensätzlichkeit in Schach hält. Da ist zwangsläufig auch Pathos im Spiel, zumal das kräftige und ausgesprochen mit Bläsern und Celli voluminös ausgestattete Orchester wie auch die Orgel bisweilen die Choristen übertönte. Das für sie Sänger zweifellos nicht so leicht zu artikulierende Französische führte daher nicht zu besserem Verständnis, es sei denn man las im Programmheft die Texte Wort für Wort mit. Hervorragend waren die acht Solisten Sebastian Köppl (Tenor I, Vertretung), João Terleira (Tenor II, Vertretung), Konstantin Ingenpass (Bariton), Wilfried Staber (Bass), Hanna Zumsande (Sopran), Louise Lotte Edler (Mezzosopran) und Barbara Buffy (Alt), die dem Bild der jeweiligen Aussage der Verheißungen  eine entsprechende eigene Stimme und Charakteristik gaben.

„Les Béatitudes“  in der Alten Oper Frankfurt, 23.10.2022), Foto:© Wolfgang Runkel 

Wie ist es möglich, dass ein Werk wie „Les Béatitudes“ von César Franck weltweit so gut wie unbekannt ist? Diese Frage hatte sich nicht nur der Musikwissenschaftler Jean Gallois gestellt, sondern auch der Dirigent und künstlerische Leiter Christian Kabitz, der das Werk unvorbereitet vor etlichen Jahren zum erstmal in Paris gehört hatte und einfach überwältigt, und später auch von Helmuth Rillings Interpretation begeistert war. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er sich der Mammutaufgabe einer Aufführung mit zahlreichen Akteuren und Akteurinnen, Sängern, Choristen und Instrumentalisten gestellt hat. Für ihn sei es eine größere Herausforderung gewesen, als Brahms‘ Requiem aufzuführen.

Die Dramaturgie: Kabitz teilte den uns beschäftigenden kollektiven Diskurs in zwei verschiedene Chöre auf, nämlich in einen „irdischen“ und einen „himmlischen“, heißt konkret, in den exzellenten Bachchor aus Heidelberg und den Cäcilienchor aus Frankfurt, mit insgesamt an die 100 Choristen.

Den acht Seligpreisungen oder vielleicht besser Verheißungen geht ein Prolog für Tenorsolo (Sebastian Köppl) voran. Magisch, fast tonlos, mit einer aus der Tiefe des Raumes kommenden Stimme zog berührend, fast schwebend, der Sänger das Publikum medias in res ebenso wie auch der anfangs zurückblickende Chor: „Zu jenen Zeiten war auf Erden das Elend so groß, dass nicht ein Herz zu hoffen wagte.“ Die ersten vier Seligpreisungen, die darauf folgen: „Selig sind die Armen im Geiste / Selig sind die Sanftmütigen / Selig sind die Trauernden und Selig sind die, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit“, bilden dann gewissermaßen den Grundsatz.

Dramatischer Höhepunkt im zweiten Teil der rund zweistündigen Aufführung war dann der Auftritt des Satans Wilfried Staber (Bass). Herrisch, unbändig, das sich aufbäumende Böse überzeugend verkörpernd, klang seine Stimme, die sich noch steigerte, als er Hass, Rache und Krieg verkündete. Er konnte sogar gegen die starken Bläser an singen, als er voller Überzeugung prunkte: „Ich werde Euren rebellischen Geist in Qualen zerbrechen, denn ich bin es, den man König der Schrecken nennt!“ Voller Trauer und Melancholie im Kontrast dazu klingt die Stimme der Mater Dolorosa (Louise Lotte Edler), welche mit ihrem Mezzosopran wie aus dem Kosmos der Schubert-Lieder heraustrat und die Macht des Bösen brach.

Abgesehen von der Glanzleistung des engagierten Dirigenten Christian Kabitz für das zustande gekommene Konzert klang das dramatische, wenn auch knapp versöhnliche Happy End geradezu wie eine musikalische Reaktion auf die Situation des ukrainischen Friedenspreisträgers Serhij Zhadan, der am Morgen in der Paulskirche eine beeindruckende Rede gehalten hat, in der er zum Schluss sagte: „Solange wir unsere Sprache haben, so lange haben wir immerhin die Chance, uns erklären, unsere Wahrheit sagen, unsere Erinnerung ordnen zu können. Deswegen sprechen wir und hören nicht auf. Selbst, wenn unsre Kehle von den Wörtern wund wird. Selbst, wenn Du Dich von den Wörtern verlassen und leer fühlst. Die Stimme gibt der Wahrheit eine Chance.“ Auch die Stimme der Musik, möchte man ergänzen.

Wie gut, dass Francks Werk mit dem Chor der Engel endet, die da singen: „Friede auf Erden allen Herzen, die guten Willen sind!“ Ja, das mag so pathetisch, spätromantisch und unwirklich naiv klingen. Ist es deswegen falsch, solche Verheißung als utopisches Ziel herbeizusehnen?

Groß war der Applaus für Christian Kabitz und die Solisten, Foto: Petra Kammann

Christian Kabitz 

studierte Philosophie, Kirchenmusik und Dirigieren in München, wo er von 1973-1979 als Kantor an der Christuskirche München wirkte und das Bach-Collegium München gründete. Von 1979 bis 2015 war er Kantor der Johanniskirche in Würzburg und rief dort die Würzburger Bachtage ins Leben, die sich in Folge zu einem Musikfestival von überregionaler Bedeutung entwickelten. In seiner Würzburger Zeit wurden ihm aufgrund seiner Verdienste um die Kirchenmusik 1984 der Titel „Kirchenmusikdirektor“ sowie 1986 der Staatspreis des Freistaats Bayern verliehen. Es folgten 2004 der Kulturpreis der Stadt Würzburg und 2007 der Hauptpreis der Bücher-Dickmeyer-Stiftung für besondere Verdienste in der evangelischen Kirchenmusik. Von 2008 bis 2013 war Christian Kabitz außerdem künstlerischer Leiter des Mozartfestes Würzburg. 1984 wurde er zum künstlerischen Leiter des Bachchores Heidelberg berufen, 1988 kam er in derselben Funktion zum Cäcilienchor Frankfurt und prägt seither durch seine Oratorienkonzerte, aber auch durch anspruchsvolle A-cappella-Programme das musikalische Leben in der Stadt entscheidend mit. Seit 2001 ist er auch für die Familienkonzerte der Alten Oper Frankfurt verantwortlich. Große Konzerttourneen führten ihn mit seinen Chören und Orchester nach Israel, Japan und in die USA. 2005 war er für drei Oratorienkonzerte nach Shanghai eingeladen. 2013 konzertierte er mit dem Cäcilienchor in den USA, u. a. mit Auftritten in New York. Christian Kabitz komponiert und konzipiert neben Kinderopern auch Programme für seine Chöre wie das Luther-Projekt „Wenn sie’s nicht singen, gläuben sie’s nicht“, das Pasticcio „Vespera di Natale 1633“ oder auch die Revue „Berlin 1920“.

www.kabitz.de

 

 

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