Akustisches Optimum. Der neue Kammermusik-Saal in Kronberg
Bauherr verpflichtete Architekt und Akustiker zur Kooperation „auf Augenhöhe“
Von Uwe Kammann
Eine leichte Steigung. Der Weg vom historisch verspielten S-Bahnhof führt vorbei an der Bruchstein-Mauer eines Hotelwürfels mit dem Namen Vienna-House, dann an einer hohen hellbronzenen Skulptur mit elegant emporgedrehten Spitzblättern, trifft an einem schön proportionierten Platz auf einen breiten Eingang in einem ebenfalls soliden Steinsockel, der zugleich eine Terrasse trägt – und über dessen Trennschreiben ein Dach aufstrebt, das mit seiner leichten Krümmung an ein Zirkuszelt erinnert.
Das neue Casals Forum an der Bahnhofstraße in Kronberg, Foto: Petra Kammann
Solche ersten Eindrücke kann ein Premierenbesucher des nagelneuen Casals-Forums in Kronberg gewinnen. Käme er vom aufwärts gelegenen Victoriapark, würde sich zuerst das Dach als Blickfang aufdrängen, auch wenn es erst halb bedeckt ist. Doch der Clou ist schon zu erkennen: goldschimmernde Paneele sollen die Zeltform umschmiegen, mit immer helleren Tönen, um sich – so die Idee des Architekten Volker Staab – mit dem Himmel zu vermählen. Ein sprechendes Haus, das Helligkeit und Leichtigkeit verspricht.
Und innen? Da ist nur noch wenig Baustellen-Kosmetik zu verspüren, da wird man edel-schlicht empfangen, mit sanften Erd- und Sandtönen, mit Eicheneinbauten für Garderobe und Ticketschalter, mit satiniertem Metall als Übergang von Wand und Decke. Eine wohlproportionierte Treppe führt ins obere Foyer, das großzügige Aussichten bietet. Und, im inneren Ring des Umgangs, nochmals Glasscheiben aufweist. Die den entscheidenden Blick erlauben: in den Konzertsaal.
Sanfte Farben und Metallschwingungen im Foyer, Foto: Petra Kammann
Das also ist der kostbare Kern dieses Forums; einer, der schon im Juni nahezu fertiggestellt war und dabei offenbarte, was er künftig sein würde: das Nonplusultra eines Saals, der speziell für Kammermusik beste Bedingungen bieten sollte, und dies in einer imposanten Bandbreite: vom Solisten über kleine Ensembles bis zu veritablen Orchestern, die schon einmal fünfzig Köpfe zählen können. Die Vorstellung – besser noch: die Vorgabe – war klar umschrieben, so der Direktor der Kronberg Academy, Raimund Trenkler. Der Saal sollte ein „reines Klangbild“ haben, in dem sich „Klarheit und Wärme“ verbinden. Ein rein analytisch geprägtes Klangbild wollte der Bauherr nicht. Wohl aber war ihm wichtig: ein gleichrangig gutes Hören von allen Plätzen. Der künstlerische Leiter der Akademie, Friedemann Eichhorn, beschrieb das Ziel so: Es gehe um eine gelungene Verbindung von „Sichtbeziehungen, Atmosphäre und Akustik“.
Konvex und Konkav: der neue Kammermusiksaal, Foto: Petra Kammann
Jetzt, bei den Premieren-Konzerten, war kein Besucher zu treffen, der nicht uneingeschränkt geschwärmt hätte: welch’ ein wunderbarer Saal, welch’ schönes Klangbild, das tatsächlich, ganz wie gewünscht, größtmögliche Klarheit und Transparenz sowie musikalische Wärme zu einem vollendet anmutenden Gesamteindruck verschmilzt. Mit genau der Erfahrung, die so selten ist: Jedes Instrument ist an seiner Stelle zu vernehmen, zu ‚orten’, wenn man so will, doch ist es zugleich Teil des Ganzen, fügt sich ein in ein homogenes musikalisches Gesamtbild.
Umlaufende Holzpaneele, die sich anpassen lassen, Foto: Petra Kammann
War das alles so planbar, konnte man das berechnen? War dieser akustische Rahmen schon auf dem Papier in seiner Endwirkung zu konzipieren und festzulegen? Der Streit darüber, ob es nicht mehr auf das Bauchgefühl des Architekten und vielleicht auch der hinzugezogenen Akustik-Spezialisten ankommt, ist oft heftig. Offensichtlich ist auch, dass es sehr unterschiedliche Ergebnisse geben kann, auch bei zeitgenössischen Lösungen. So wird der Pierre-Boulez-Saal in Berlin, vom renommierten Architekten Frank Gehry geplant, oft als zu hart kritisiert, zu direkt in den Ton- und Sichtbeziehungen.
Die „weiße Haut“ im Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie, Foto: Petra Kammann
Und, prominentes Beispiel im großen Maßstab, auch der Hauptsaal der Elbphilharmonie in Hamburg wurde schon – zum Entsetzen der Elphi-verliebten Hanseaten – mehrfach gescholten. So vom Musikkritiker der „Welt“ („Weltklasse geht leider anders“) und dann von der FAZ („Ist die Elbphilharmonie noch zu retten?“. Dabei war gerade dieser Saal mit einem beinah erdrückend wirkenden Vorschuss-Lorbeer bedacht worden. Nahezu alle Feuilletons verneigten sich vor dem Weltruf des Akustikers Yasuhisa Toyota, dem Benjamin Samuel Koren assistierte, in Personalunion Informatiker, Musiker und Architekt.
Er war es, der ein Computerprogramm entwickelte, mit dem die Elphi-spezifische „Weiße Haut“ entworfen wurde: eine saalbedeckende Oberfläche aus 10.000 Gipsplatten, jede mit ihrer wellenförmigen Binnenstruktur einzeln berechnet und gefräst, um im Ergebnis ein komplexes Zusammenspiel von physikalischen Gesetzen und mathematischen Algorithmen zu erreichen, so jedenfalls hieß es. Das Ziel: eine bestmögliche Brechung des Schalls an jeder Stelle des Saals. Allein diese akklamierte hochindividuelle Computer-Genauigkeit beeindruckte damals viele, ebenso, dass Toyota ein 1:10-Modell des Saals bauen ließ, vollbesetzt mit lauter kleinen Hörer-Puppen.
Margriet Lautenbach und Martijn Vercamme vom Akustikbüro Peutz, Foto: Petra Kammann
Nun, ein solches Modell im gleichen Maßstab gibt es auch vom Saal des Casals-Forums. Es steht im Akustikbüro Peutz, das für die Akustik in Kronberg verantwortlich war. Hier allerdings mit einem großen Unterschied: Es war von Anfang an gleichberechtigt in Konzeption und Planung einbezogen, „auf Augenhöhe“, wie es Trenkler formuliert, der als Bauherr in diesem heiklen Punkt Architekt und Akustiker (hauptamtlich: Martijn Vercammen und Margriet Lautenbach) zusammenbringen musste.
Freudestrahlender Architekt: Volker Staab, , Foto: Uwe Kammann
Und das, so wurde es auch jetzt bei der sehr einvernehmlichen Pressekonferenz zur Ergebnis-Feier noch einmal deutlich, war keineswegs eine leichte Aufgabe. Denn schon bei der Ausgangssituation haperte es. Denn Trenkler schwebte anfangs ein so genannter Schuhkarton-Saal vor, in dieser klassischen traditionellen Form bewährt in Wien und Amsterdam. Architekt Volker Staab wiederum – der hier seinen ersten Konzertsaal plante – war und ist als Berliner ein begeisterter Anhänger des Weinberg-Prinzips mit seinen umlaufenden Terrassen, eben so, wie es Hans Scharoun 1963 mit seiner weltweit gefeierten Philharmonie zum Modell für viele Säle der Welt hat werden lassen.
Nun also kam Martijn Vercammen hinzu. Und entsetzte, so muss man es sich wohl vorstellen, den puristischen Schuhkarton-Anhänger Trenkler mit dem Vorschlag – vereinfacht gesprochen –, der Saal müsse etwas Barockes bekommen, mit Balkonen, mit dem gebauten Grundprinzip von konkaven und konvexen Formen. Getreu dem Grundsatz, dass Musik eine richtige Mischung von Reflexion und Absorption brauche, um sich in feiner Verteilung der Schallwellen sowohl ortungsgenau als auch in ausreichender Synthese ins Gehör schmeicheln zu können.
Erfolgreiche Kooperation „auf Augenhöhe“: der Akustiker Martijn Vercammen und Architekt Volker Staab, Foto: Uwe Kammann
Es waren – so darf man annehmen – sicher keine sanftsäuselnden Auseinandersetzungen, um sich in diesem Dreieck der Erstüberzeugungen und Vorstellungen auf ein gemeinsames Modell zu einigen. Jetzt, nach den ersten Konzerten, ist leicht zu konstatieren: Sie haben sich gelohnt, in jeder Hinsicht.
Schon auf den ersten Blick wirkt der Saal musikalisch, schon von der Grundform her. Er erinnert in seinen Umrissen an eine Lyra, mit seinen bauchigen Seiten und seinen sich verschmälernden Konturen hin zur Bühne, die an der Rückseite wiederum von zwei Zuschauerreihen umschlossen wird. Die ‚Bauchseite’ der Lyra wiederum hat eine sanfte Ausbuchtung, die Vercammen wahrscheinlich mit seiner Balkon-Idee verbindet. Ohnehin, der Saal hat zwei Zuhörer-Ebenen: mit einem bestuhltem Parkett, und mit einem umlaufenden Rang, der bis zu drei Reihen umfasst und durchgehende, fest gepolsterte Bänke aufweist.
Akustiker und Architekt im Kammermusiksaal, Foto: Petra Kammann
Dazu kommt eine Besonderheit. Den Saal umgeben gefaltete Glasscheiben und Holzpaneele, die sich verstellen oder axial verdrehen lassen. Dies ermöglicht, die akustischen Rahmenbedingungen ganz individuell den Besetzungen und Anforderungen bei den jeweiligen Aufführungen anzupassen. Schallsegel über der Musikerbühne sorgen dafür, dass der Klang hier – wo die Raumhöhe am größten ist – nicht ins Diffuse verschwinden kann. Auch dies trägt zu dér fulminanten Klarheit und Transparenz bei.
Alle drei der Haupttäter – Architekt Staab, Akademie-Direktor Trenkler und Akustiker Vercammen – zeigten sich, das war ihnen anzusehen, uneingeschränkt glücklich mi dem jetzigen Ergebnis. Es ließ gleich anfangs Musiker davon schwärmen, sie fühlten sich selbst wie im Innern eines Streichinstruments. Und Vercammen – der zuletzt auch die Lindenoper in Berlin und den Konzertsaal im umgestalteten Dresdner Kulturpalast akustisch bereut hatte – antwortete auf die Frage, welcher Saal im am meisten am Herzen liege, vielleicht mehr als nur diplomatisch: „Natürlich dieser“.
Sein Büro mit dem Hauptsitz in Düsseldorf bearbeitet mit rund 70 Mitarbeitern übrigens umfangreiche Projekte auf vielen Gebieten, so bei denen Bauprojekten, wo es um Schallschutzmaßnahmen geht. Aber natürlich sind Aufgaben im Kulturbereich besonders reizvoll – und hier ist Peutz Akustik eben vielfältig erfolgreich. Im rheinischen Raum wurde das Duisburger Opernhaus umgestaltet, ebenso das in einem ehemaligen Planetarium untergebrachte Düsseldorfer Konzerthaus, die Tonhalle. Wegen ihrer speziellen hohen Dachkonstruktion, die ein Sternenhimmel schmückt, sei dort die akustische Herausforderung besonders groß gewesen: Wenn der Erfolg ausbleibe, so soll die damalige Tonhallen-Chefin gesagt haben, werde sie einfach den ganzen Bau mit Beton zuschütten.
Der Beethoven-Platz mit der Plastik C-Dur von Tony Cragg, Foto: Uwe Kammann
Nun, solche martialischen Drohungen konnte es in Kronberg ohnehin nicht geben. Denn das Projekt fing ja bei Null an, mit dem berühmten weißen Blatt. Und dies, so ist jetzt auch beim Gesamtkomplex zu sehen – zu dem auch das Studienzentrum und die Verwaltung der Akademie gehören, des weiteren noch das den neuen Beethovenplatz einschließende Hotel – , mehr als gelungen. Zu Recht hat Volker Staab, ein ohnehin gerade mit seinen Kulturbauten (in Frankfurt; das Jüdische Museum) erfolgreicher Architekt, den Wettbewerb gegen so genannte Stararchitekten (Jean Nouvel, Daniel Libeskind) gewonnen. Nicht zuletzt die städtebauliche Verbindung vom Victoriapark zum Bahnhof überzeugte die Jury, denn sie ist ein großer Gewinn für Kronberg.
Schon jetzt ist sicher: Dieses Ensemble mit seinem so kostbaren Kern, dem fulminanten Kammermusiksaal, wird zu einer Pilgerstätte werden. Nicht nur wegen seiner architektonischen Reize und seines himmelverliebten goldenen Daches. Sondern vor allem wegen einer möglicherweise weltweit einzigartigen Qualität. Nämlich: Musik so zu hören, als sei sie nur für den jeweils einzigen Moment geschrieben und interpretiert, in höchster Authentizität, in größtmöglicher Lebendigkeit, in überzeugender körperlicher Präsenz, die zugleich einen weiten geistigen Raum öffnet.
Beflügelnde Umrisslinien im „Carl Bechstein-Saal“, Foto: Uwe Kammann
„So haben Sie Musik noch nie gehört“, damit wirbt die Kronberg Academy für ihr Programm im neuen Casals-Forum. Nach den ersten Hörproben kann man nur sagen: Noch nie war Werbung so wahr. Man müsste den Satz nur ergänzen: So gut haben Sie Musik noch nie gehört. Punkt.