Das Eröffnungskonzert der Kronberg Academy 2022
Englische Eröffnung – Das Spiel beginnt
Ein architektonisches Klangwunder
Von Petra Kammann
In Kronberg, wo Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt in einem einmaligen Studiengang ausgebildet werden, ist nach fünf Jahren Bauzeit nun mit dem Casals Forum ein europaweit einzigartiger klimaneutraler, akustisch perfekter und ästhetisch gelungener Konzertort entstanden, der ab jetzt mit Musik gefüllt wird. Mit Beginn des Kronberg Festivals am 24. September wurde das Casals Forum in dem etwa 550 Personen fassenden neuen Konzertsaal eröffnet. Namensgeber des Neubaus war der weltberühmte Cellist Pablo Casals (1876-1973), für dessen Werte wie Exzellenz und Mitmenschlichkeit die Kronberg Academy steht. Zum Festival-Auftakt nahmen uns das Chamber Orchestra of Europe, Sir András Schiff und Solisten mit auf ihre Reise von England nach Deutschland und von Deutschland nach England mit Musik von John Dowland und Benjamin Britten, Joseph Haydn und… Johann Sebastian Bach. Außerdem waren etliche prominente Musikerinnen und Musiker gekommen.
International sowohl als Solist, als auch mit großen Orchestern unterwegs, trat Sir András Schiff hier als Dirigent des berühmten European Chamber Orchestra auf, Foto: Petra Kammann
Die Konzerte im neuen geschwungenen Gehäuse können sich hören lassen. Allein das Gehen zum Eröffnungskonzert ist verbunden mit verschiedenen Wahrnehmungen. Die Besucher müssen die neuen architektonischen und Baustellen-Eindrücke in der noch ungewohnten und äußerlich noch nicht vollendeten Umgebung erst einmal verarbeiten. Voller Spannung schauen die Gäste vom Ulrike Crespo Foyer aus durch die gebogenen Fenster auf den neuen Kammermusiksaal. Lässt man beim dortigen Rundgang den Blick nach außen schweifen, gleich ob auf den gegenüberliegenden Viktoriapark oder auf die Anhöhen des Taunus über dem Kronberger Bahnhof, wo das Zentrum des Städtchens liegt, so ist die Natur allgegenwärtig. Ob das auch das schon vielbeschworene Klangerlebnis beeinflusst?
Interessante Lichtspiegelungen überall im Haus, Foto: Petra Kammann
Verblüffend zunächst einmal das Lichterlebnis im Inneren des Gebäudes. Ist der Blick nach außen gerichtet, so erlebt man ganz unmittelbar, wie sich das abendliche Licht sanft über den neuen Baukomplex und den angrenzenden Bahnhof legt, während sich im Inneren die Lichter auf den gebogenen Scheiben brechen und reflektieren, und die von der Decke herabhängenden Lampen wie Glühwürmchen glimmen, flimmern und in der Luft tanzen. Der Blick nach unten in den Konzertsaal ist vielversprechend, weswegen sich etliche Besucher erst einmal an den geschwungenen Fensterscheiben die Nasen platt drücken, um Einblicke in das neue „Allerheiligste der Musik“ zu bekommen, bevor sie ihre Plätze im Saal einnehmen.
Herrlich zu erleben, wie die Menschen nach der pandemiebedingten Zeit langer Absenz nun nach und nach eintrudeln, sich frei im Raum bewegen, neugierig umherschauen, um dann den neuen ihnen zugedachten Platz einzunehmen, der vor allem eine angenehme Beinfreiheit garantiert und bestens die Sicht auf die Bühne freigibt. So kann man sich am Platz dann ganz bei sich fühlen, um sich von dort aus völlig entspannt auf das Abenteuer Musik einzulassen. Man fühlt sich geborgen, als säße man im Inneren eines Cellos. Schon ist die noch fertig zu stellende Baustelle des Äußeren vergessen, so dass es auch getrost losgehen kann. Erst breitet sich im voll besetzten Saal eine konzentrierte Dunkelheit aus. Und dann: ,Es werde Licht und es ward Licht‘, wie es in der Genesis heißt.
Vor dem Konzert: Erkundung des neuen holzgetäfelten Raums von Außen und von Innen, Foto: Petra Kammann
Raimund Trenkler, Gründer, Intendant und Vorsitzender der Kronberg Academy Stiftung, tritt aus dem Dunkeln ins Helle auf die Bühne, um uns zu sagen: „Eine Vision wird Wirklichkeit. Wir haben ein neues Zuhause für die Musik.“ Es sei ein besonderer Moment für alle, die dieses Projekt über viele Jahre begleitet und unterstützt hätten. Könnte man ihm widersprechen? Er hat allen Applaus verdient.
Raimund Trenkler, Visionär und Macher zugleich, Foto: Petra Kammann
Trenkler, selbst Cellist, hatte sich 1993 nämlich bei der Gründung der Kronberg Academy von der Musikalität und Menschlichkeit Pablo Casals inspirieren lassen, als er anlässlich des 20. Todestag des großen Cellisten die Akademie ins Leben rief. „Musik – diese wundervolle Weltsprache, die von allen Menschen verstanden wird, sollte auch eine Quelle besserer Verständigung zwischen den Menschen sein“, hatte Casals 1958 in einer Ansprache zum Jahrestag der Vereinten Nationen geäußert. In diesem Sinne möchte auch die Kronberg Academy in ihrem neuen Konzertsaal Menschen zusammenbringen. Rechtzeitig zum 50. Todestag von Casals und dem 30-jährigen Bestehen der Akademie im kommenden Jahr wird man dann bestens mit dem neuen organischen und akustisch exzellenten Kammermusiksaal punkten können.
Büste Pablo Casals von Robert Berks als Leihgabe aus dem Museum Pau Casals, Foto: Petra Kammann
In seiner Begrüßungsrede zielte Trenkler dann auch sehr witzig auf die Gemeinsamkeit des Casals Forum mit den großen Konzerthäusern und zog Schwergewichte zum Vergleich heran. Es sei die spektakuläre Lage am Wasser, die zu ihrer Berühmtheit mittrage, sei es bei der Elphi an der Elbmündung oder auch bei der Concert Hall im australischen Sydney, direkt am Meer und nun das Forum Casals am Schillerweiher in Kronbergs Viktoriapark. Damit könne es auch zu einem echten Wahrzeichen werden. Denn hier stimme einfach alles: die Exzellenz der Musiker, die Architektur, die Akustik, die organische Einbindung in die Natur und das Menschliche, was auch dem katalanischen Cellisten, Dirigenten und Komponisten Pablo Casals so sehr am Herzen lag und womit er Zeichen gesetzt hat.
Die beiden Solisten Irène Duval, Violine, und Seiji Okamoto, Violine, spielten mit dem Chamber Orchestra of Europe, Foto: Petra Kammann
Und dann spielte die Musik, die mit Spannung erwartet wurde. Mit großer Verve und Frische setzten die französische Geigerin Irène Duval und der japanische Violinist Seiji Okamoto und das Chamber Orchestra of Europe mit Bachs bekanntem und kunstvoll „verfugten“, Konzert für zwei Violinen und Streicher d-Moll BWV 1043′ ein und boten ein akustisches Erlebnis. Erstaunlich vernehmbar war das Cembalo, das in gewisser Weise den Takt angab, während der große Pianist Sir András Schiff, der schon oft mit dem Chamber Orchestra of Europe zusammengearbeitet hat und während des Kronberg Festivals (24.9. – 3. 10.2022) auch als Dirigent fungiert, sich geradezu bescheiden als Zuhörer in die hintere Reihe der Bühne gesetzt hatte, um aufmerksam zuzuhören und sich den Klang des Kammerorchesters einzuverleiben und am Ende auch Beifall zu spenden. Bemerkenswert: Als dem Violinisten Okamoto eine Seite riss, löste sich das Problem im Handumdrehen, er bekam eine Geige von einem der Orchestermitglieder gereicht und spielte unbeirrt im Dialog mit Duval weiter. Der Publikumsapplaus fiel entsprechend begeistert aus.
Sehr beeindruckend, wie virtuos Antoine Tamestit, Viola, John Dowland und Benjamin Britten interpretierte, Foto: Petra Kammann
Wechsel der Atmosphäre: Nach diesem schwungvollen Beginn ging es dann mit einer tiefgründigen Musikalität weiter mit Liedern des elisabethanischen Komponisten John Dowland. Er hatte vor allem Gedichte zur Laute vertont und seine bekannten Lieder „Flow my Tears“ und „If my Complaints could Passions move“, die häufig von Kontratenören gesungen werden, inspirierten auch andere Komponisten. Die menschliche Singtimme hat der virtuose französische Bratschist Antoine Tamestit gewissermaßen mit seiner Stradivari-Bratsche übernommen und die Lieder für Viola und Streicher arrangiert. Ursprünglich waren die beiden elisabethanischen Lieder nämlich „als Instrumentalwerk unter dem Titel Lachrimae Pavane veröffentlicht. Tamestits Spiel bekam im Saal eine hohe Präsenz, emotionale Wärme und Tiefe.
Auch Architekt Volker Staab konnte die Akustik und das Konzert genießen, Foto: Petra Kammann
Wie der elegische Klagegesang des verlassenen Geliebten dann in die Moderne übersetzt wurde, spiegelt sich in der Komposition „Lachrymae für Viola und Streicher“ von Benjamin Britten, der 1949 den hervorragenden Violavirtuosen William Primrose auf einer USA-Tournee kennengelernt hatte und ihm diese Komposition widmete. Als Primrose dann 1950 zu Brittens berühmtem Aldeburgh Festival kam, gingen die Variationen für Primrose über ein Thema des Spätrenaissance-Komponisten Dowland in die Geschichte ein. Denn Primrose spielte, von Britten am Klavier begleitet. Ein Jahr später starb Britten.
Der äußerst agile und technisch brillante Bratschist Tamestit traf in der 10-teiligen Variation jeweils den richtigen Ton und reizte die ganze Spanne seiner kostbaren Viola aus, um das gesamte Spektrum widersprüchlicher Gefühle auszuloten, das Britten dahinein komponiert hatte, und das mit großer Reife und Tiefe. Nach einem kurzen Innehalten bekam auch er den ihm gebührenden Beifall.
Begeistert vom Dirigat András Schiffs wie vom Orchestra in resistence, dem Chamber Orchestra of Europe, Foto: Petra Kammann
Nochmaliger Stimmungswechsel bei Aufstockung des Chamber Orchestra of Europe: Schon die strahlende Signalfanfare gleich zu Beginn sorgt für einen Gefühlsumschwung, wie überhaupt die zusätzlichen Bläser (wie Oboe, Hörner und Querflöte) hier in Haydns anspruchsvoller und variationsreicher Londoner Sinfonie Nr. 104 D-Dur Hob I:104 eine starke Präsenz zeigten, ebenso der aufrüttelnde Trommelwirbel.
Vom ersten Moment an vermittelte Sir András Schiff mit seinem Dirigat so etwas wie Hoffnung und das Gefühl, dass jede einzelne musikalische Stimme auch in der größeren Gruppe etwas zählt, wenn man nur genau hinhört und sich auf das jeweilige Timbre konzentriert. Und das ohne jegliche Zeigefingerpädagogik. Formvollendet bringt Schiff in jeweiliger Akzentuierung die Eleganz der Wiener Klassik Haydns ebenso rüber wie das tänzerische Menuett, die dialogisierenden Echos oder auch musikalischen Eindrücke seiner Reisen in Europa. Selbst ein wenig Ländlermusik, die Haydn ins royale London gebracht hatte.
Um all dies Variationen zu vermitteln, nimmt Schiff sich immer wieder die Freiheit heraus, bewusste Pausen zu setzen, um ein kurzes Innehalten zu provozieren. Im Andante nimmt er sich als Dirigent fast ganz zurück, um die exzellenten Musiker des Chamber Orchestra of Europe zu den Akteuren zu machen, die den Ton angeben. Immer ruft er dabei starke Gefühle hervor und beherrscht dabei die ganze Spannbreite von ernst, triumphal bis spielerisch heiter und er setzt überraschende Akzente. Ein gewaltiges Klangerlebnis, das auch einen Eindruck vermittelte, dass in dem holzvertäfelten Saal Orchester verschiedener Größe zu ihrem Recht kommen. All das spiegelte sich ebenfalls im brausenden Applaus wider.
Ebenfalls hocherfreut über das Ergebnis war auch die renommierte Bratschistin und Dozentin in Kronberg, Tabea Zimmermann, Foto: Petra Kammann
„Aufbruch!“, lautet das Motto, das die Kronberg Academy zur Eröffnung mit seinem zehntägigen Festival veranstaltet. In 24 Konzerten treten Nachwuchstalente sowie renommierte Musiker und Orchester dabei auf. Dazu zählen der Geiger Gideon Kremer, der Pianist Sir András Schiff, die Bratschistin Tabea Zimmermann, das Hamburger Ensemble Resonanz und das hr-Sinfonieorchester. Das bisher in London beheimatete „Chamber Orchestra of Europe“ wird, wie auch das „Bridges-Kammerorchester“, in diesem Jahr Residenzorchester im Casals Forum sein.
Tony Craggs strahlende „C-Dur“-Stele, Foto: Petra Kammann
Nicht nur die Architektur und die passende Akustik in Kronberg kann man als Glücksfall bezeichnen, auch, dass zudem der renommierte Pianist Sir András Schiff in der Kronberg Academy auch Mitglied des Künstlerischen Beirats ist und seit 2018 das „Sir András Schiff Performance Programme for Young Pianists“ leitet, das sich auf Klavierkammermusik konzentriert. Auch Casals Witwe Marta Casals Istomin gehört ebenso zum Künstlerischen Beirat wie auch der Geiger Gideon Kremer sowie der Dirigent Christoph Eschenbach und in der Vergangenheit war es der 2007 verstorbene russische Cellist Mstislav Rostropovich, als das Festival noch Cello-Festival hieß, der befand: „Kronberg ist die Welthauptstadt des Cellos“. Und wie wird es dann wohl im kommenden Jahr zum 30-jährigen Jubiläum heißen: „Kronberg ist die Welthauptstadt der Kammermusik mit dem schönen Klangwunder-Konzertsaal am Schillerweiher?
Vielfältig ist das Programm des Kronberg Festivals angelegt
Programm des Eröffnungskonzerts für die Freunde am 24. September 2022
Johann Sebastian Bach: Konzert d-Moll für zwei Violinen, Streicher und Basso Continuo
Solisten: Irène Duval, Violine, Seiji Okamoto, Violine
Arrangement und Solo: Antoine Tamestit, Viola
John Dowland: „Flow my tears“ und „If my complaints could passions move“ für Viola und Streicher (arr. Antoine Tamestit)
Solo: Antoine Tamestit, Viola
Benjamin Britten: Lachrymae für Viola und Streicher op. 48a
Arrangement und Solo: Antoine Tamestit, Viola
Haydn: Sinfonie Nr. 104 D-Dur
Leitung: András Schiff (Haydn) / Chamber Orchestra of Europe