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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Nachklapp zur Documenta 15

Was aber bleibet… und wie provokativ darf Kunst sein?

Simone Hamm hat sich kurz vor Ende der hoch umstrittenen Documenta 15 umgesehen

Das indonesische Kollektiv Ruangrupa hat die künstlerische der Dociumenta 15 kuratiert. Ruangrupa, will neue Perspektiven schaffen, sich vom den eingefahrenen Strukturen des Kunstmarktes lösen, Kunst aus ehemals kolonialisierten Ländern zeigen. Es wurden kaum Stars, kaum große Galerien eingeladen. An über 32 Orten in Kassel wird Kunst gezeigt. Gesprochen und geschrieben aber wird vor allem über ein Wimmelbild, auf dem ein Mann mit Davidstern und Hakennase zu sehen ist, über palästinensische Agitpropfilme, ein libanesisches Archivbuch und über eine Bilderserie mit dem Namen: „Guernica Gaza“. Gestritten wird darüber, ob das antisemitisch ist. Die Kunst selbst gerät in den Hintergrund.

documenta fifiteen: Black Quantum Futurism, Clepsydra Stage, 2022, Installationsansicht, Rondell, Kassel, 10. Juni 2022, Foto: Nicolas Wefers

Zeit für einen Rückblick, für meine persönlichen Eindrücke

Ich möchte die Documenta 15 jenseits des Skandals zeigen. Denn es gibt es so viel zu sehen, zu erleben, zu erfahren auf der 15. Documenta: Syrische Gesänge, meditative Flötenmusik, Rollen auf buntem Stoff auf der Karlswiese, ein hölzernes Deckenrelief in einer Kirche, ein Floß auf der Fulda,ein indonesischer Geschichtenerzähler in knallbunter Umgebung – an Höhepunkten war die 15. Documenta wahrlich nicht arm. Sie drohen nun unterzugehen in einer heftigen politischen Diskussion, die bisweilen absurde Züge annimmt, wenn etwa die Einladung an indonesische oder haitianische Künstlerkollektive mit Völkerschauen verglichen werden, als habe es Künstlerkollektive zuvor nie gegeben oder weil man der Documenta schlichtweg abspricht, Kunst zu zeigen.

documenta fifiteen: Nguyễn Trinh Thi, And They Die a Natural Death, 2022, Installationsansicht, Rondell, Kassel, 14. Juni 2022, Foto: Frank Sperling

Eine der schönsten und eindringlichsten Arbeiten ist Rondell von Nguyen Trinh Thi in einem alten Geschützturm an der Fulda. Tritt man ein, muss man sich zunächst an die Finsternis gewöhnen. Flötenklänge sind zu hören. Nach und nach sind auf den Wänden die Schatten eines Chili – Baumes sehen. Er bewegt sich im Wind. Zart, filigran und meditativ ist das. Hier könnte ich stundenlang verweilen. Dabei ist das Rondell ein ehemaliger Folterkeller. Auch im kommunistischen Nordvietnam gab es Folterkammern. Die multimediale Installation aus Musik, Licht und Schatten bezieht sich auf einen Roman, in dem von einem solchen Internierungslager erzählt wird. Nguyen Trinh Thi hat die Folterkammer verwandelt in einen Ort der Ruhe, der Besinnlichkeit, der Hoffnung.

documenta fifiteen: Chang En-Mang, Floating System for Snails, Bootshaus/boathouse, 2022, Installationsansicht, Bootsverleih Ahoi, Kassel, 15. Juni 2022, Foto: Frank Sperling

Chang En-Man aus Taiwan hat ein Floß auf der Fulda mit grünen Glasfenstern versehen, welche die Form von Maulbeerbaumblättern haben. Auf dieses Floß kann man steigen oder an der Anlegestelle darauf warten. Oder man bleibt im Liegestuhl des Bootsverleihs Ahoi liegen und betrachtet Floß und Fluß. Im Wartehäuschen am Ufer ist eine Ausstellung einer Riesenschneckenart zu sehen, die nach Taiwan eingewandert ist. Man fand eine pragmatische Lösung. Sie gelten als Delikatesse. Chang En-Man stellt Rezepte für Schneckengerichte vor. Auf grünem Glas ist die Riesenschnecke zu betrachten.

documenta fifiteen: Atis Rezistans | Ghetto Biennale, Studio Verve Architects, Vivian Chan, Martina Vanin,The Floating Ghetto .01, 2022, Installationsansicht, St. Kunigundis, Kassel, 14. Juni 2022, Foto: Frank Sperling

In der Sankt Kundigundis Kirche geht man unter einer schwebenden Skulptur entlang. Über unseren Köpfen: das Relief der Stadt Port Au Price aus Karton. Das Künstler:innenkollektiv Atis Rezistans (Künstler im Widerstand) hat es geschaffen. Aus Holz und Metall und menschlichen Schädeln sind ihre Skulpturen: Madonnen, Bischöfe, Damen mit Geschmeide. Skelette in der Kirche. Eine mit Nägeln bespickte Schlange schlängelt sich um Kopf und Schultern eines hölzernen Mannes. Verzweifelt reist er seinen Mund auf. Ein Totenkopf trägt Krone und Ohrringe, hält ein Baby im Arm: die Jungfrau Maria. Anklänge an Voodookunst.

Objekte aus der indonesischen Grimmwelt; Foto: Simone Hamm

In der Grimmwelt, dem Märchenmuseum steht der Geschichtenerzähler Agus Nur Amal Pmtoh aus Sumatra. Bisweilen ist er präsent, sonst läuft ein Film. Im selbstgebastelten Fernseher aus Pappe singt er von Indonesien und Kassel. Um ihn herum stehen quietschbunte Objekte aus Plastik, aus kleinen Löffeln, kleinen Toiletten, Baggerschaufeln, Sonnenschirmchen. Unsere bunte Plastikwelt. Herrlich sinnentleert. Das ist sehr eigenwillig, dynamisch und macht einfach Spaß.

Alte Männer und Frauen singen in der weiten Landschaft im Westen Kurdistans traditionelle Lieder. Vor nicht allzu langer Zeit tobte der Krieg auf diesen Wiesen, diesen Feldern. Das syrische Filmkollektiv Komina Film a Rotjava will diesen Menschen im wahren Sinne des Wortes eine Stimme geben. Selbstbewusst tragen sie ihre Lieder vor. Im Bewusstsein, das sie die letzten sind, die sie noch kennen. Die jüngere Generation singt eigene, andere Lieder. Jede der 43 Minuten, die dieser Film dauert, ist berührend und spannend zugleich.

Paraphrase oder Provokation? Mohammed Al Hawajris, „Guernica Gaza“, Foto: Simone Hamm

Eltiqa, eingeladen von The Question of Funding, ist ein Kollektiv aus Künster:Innen, das seit zwanzig Jahre in Gaza Stadt zusammenarbeitet. Der Maler Mohammed Al Hawajri hat nicht nur farbenfrohe Bilder von kämpfenden Widdern ausgestellt. Und hier sind wir doch bei einem umstrittenen Künstler. Mohammed Al Hawajri montiert große klassische Gemälde des Westens mit Kriegsbildern. Hier fliegen Chagalls Liebende über die Mauer, die Israel und Gaza trennt. Vincent van Goghs Bauern sitzen hier vor einem Teller Kartoffeln, sondern vor einer brennenden Stadt. Provokant ist der Titel der Bilderserie: „Guernica Gaza“. Deshalb warf man dem Maler vor, Antisemit zu sein. Picasso habe „Guernica“ gemalt, um an den Terror Hitlers und Francos zu erinnern. Es soll an die 1937 von den Nazis zerstörte spanische Stadt Guernica erinnern.

Antisemitisch sei „Guernica Gaza“ nicht, sagt Meron Mendel, der Antisemitismusforscher und Direktor der Anne Frank Bildungsstätte aus Frankfurt am Main. Man solle ein Kunstwerk aus Gaza, auch wenn es sehr einseitig sei, in seinem Kontext sehen, man müsse bedenken, dass die Künstler aus Gaza in einem besetzen Gebiet, einer Sperrzone, in einem dauerhaften Konflikt lebten. Aus diesem Leid, diesem Schmerz heraus produzierten sie ihre Kunst. Der Historiker Joseph Croitoru stimmt ihm zu. Picassos „Guernica“ sei ein universelles Kriegssymbol. Zahllose Künstler hätten es paraphrasiert. Niemals hätte man das in Frage gestellt. Nur hier auf der Documenta 15. Die Bilderserie sei, so das Kollektiv Eltiga, eine klare, kraftvolle Aussage gegen Zerstörung, Unterdrückung und Krieg. Und genauso hat sie auf mich gewirkt.

documenta fifiteen: Chang En-Mang, Floating System for Snails, Warteraum/waiting room, 2022, Installationsansicht, Bootsverleih Ahoi, Kassel, 15. Juni 2022, Foto: Frank Sperling

Politisch ist die Kunst, die auf der Dokumente gezeigt wird, allemal. Mal behutsam und feinfühlig wie bei Chang En-Mans Floß oder Nguyen Trinh Thi in friedvolle Stimmung verwandelter Folterkammer mal direkt wie bei Mohammed Al Hawajri. Vor dem Fridericianum steht die „Aboriginal Tent Embassy“, ein Zelt in dem die australischen Aborigines seit 50 Jahren für ihre Souveränität kämpfen. Das Zelt ist einer der vielen Treffpunkt auf der Documenta, auf der man diskutieren oder sich einfach nur ausruhen kann  – wie auch in der nachgebauten Garküche aus Bangladesh oder auf den Liegestühlen des Bootsclubs Ahoi.

documenta fifiteen: Richard Bell, 2022, Installationsansicht, Fridericianum, Kassel, 14. Juni 2022, Foto: Nicolas Wefers

Im Fridericianum selbst stellt der Aborigines Künstler Ricard Bell stellt seine bunten, farbenfrohen Bilder aus: Demonstrationen, Blockaden. Da ist nichts trist und traurig, alles schreit nach Aufbruch.

documenta fifteen: The Nest Collective, Return To Sender, 2022, Installationsansicht, Karlswiese (Karlsaue), Kassel, 14 Juni 2022, Foto: Nils Klinger

Nest Collective aus Ostafrika hat Schrott und Altkleider zu Würfeln gepresst und stellt sie auf die Karlswiese vor die Orangerie. Das ist sehr eindringlich und des Films über die großzügigen Kleiderspenden aus Europa,welche die heimische Textilindustrie zerstören, hätte es gar nicht bedurft. Die großen gepressten Stoffballen beeindrucken ohnehin.

documenta fifiteen: RURUKIDS, workshop mit Bellina Erby und Wajukuu Art Project, 2022, Installationsansicht, Fridericianum, Kassel, 14. Juni 2022, Foto: Nicolas Wefers

Aus den Slums von Nairobi kommt das Wajukuu Art Projekt. Dort arbeiten sie mit Kindern, lassen sie tanzen, malen, Kind sein. In Kassel lassen sie über einem Sandhaufen ein filigranes Nest aus Bambus schweben. Eine Skulptur aus Messern steht im Hintergrund. Traum und Wirklichkeit. Alle zwei Jahre wird das Slum dem Erdboden gleichgemacht.

Diese Documenta 15 ist nicht gefällig. Große Namen fehlen. Es ist ein Fest der Kollektive. Diese Documenta will nicht dem westlichen Geniekult frönen. Sie rückt den globalen Süden in den Focus. Sie ist provokativ. Und genau das darf Kunst sein.

Und noch ein Nachklapp:

Ein weiterer (anderer) Blick: von Stefanie Blumenbecker

FF „Mir fehlte die Kunst auf dieser Weltkunstausstellung“: Zu diesem Fazit gelangte die Kunstkritikerin Stefanie Blumenbecker in einem kritischen Radiokommentar (bei hr2-kultur) zum Ende der diesjährigen documenta. Es bleibe der schale Geschmack, „dass die große Ausstellung als Bühne missbraucht wurde“. Die renommierte Expertin begründet ihr Urteil mit dominierenden Beobachtungen, die eher an soziologische Seminare erinnert hätten, an bruchstückhafte und unvermittelte Behauptungen, getragen von zu viel gutem Willen und zu vielen Solidaritätsbekundungen.

Die generelle Tendenz mithin: Bei der  jetzigen documenta seien politische Botschaften zur Kunst erklärt worden. Die Perspektive für die Zukunft müsse hingegen sein, die Kunst „wieder auf die Füße zu stellen“ und „Ästhetik als poetische Kraft zu begreifen“ – mithin, „auf einer documenta 16 wieder mehr Kunst zu zeigen.“

Der am 23. September auf hr2-kultur ausgestrahlte Kommentar von Stefanie Blumenbecker ist unter folgendem Link zu hören und auch als Text nachzulesen:

https://www.hr2.de/podcasts/politik-politik—wo-blieb-die-kunst-stefanie-blumenbecker-wirft-einen-blick-zurueck-und-wagt-einen-nach-vorn,audio-72260.html

 

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