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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Farbe satt“ in der exzellenten Nay-Schau im Museum Wiesbaden

Kraftvoll dynamische Bilder faszinieren in der ersten umfassenden Retrospektive seit 30 Jahren

Von Hans-Bernd Heier

Ernst Wilhelm Nay zählt zu den bedeutendsten Farbmalern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erstmals werden nach fast  30 Jahren die kraftvollen, dynamischen Bilder des überragenden Malers wieder in einer breit angelegten Retrospektive präsentiert. Als documenta- und Biennale-Künstler hat Nay nach dem Zweiten Weltkrieg internationale Bekanntheit erlangt. Sein facettenreiches Oeuvre ist figürlich und abstrakt. Nays Werkserien sind vielseitig, tiefgründig und farbgewaltig. Das Museum Wiesbaden zeigt in der grandiosen Ausstellung „Ernst Wilhelm Nay – Retrospektive“ nicht nur die berühmten Lofoten-, Scheiben- oder Augenbilder. Ein besonderer Fokus liegt auf den in der Rhein-Main-Region entstandenen bedeutenden Werkgruppen der „Hekate- und Fugalen Bilder“.

Ausstellungsansicht; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Das Landesmuseum präsentiert Nays Arbeiten erstmals in seiner Geschichte in einer Einzel-Präsentation, die sein breites Schaffen vorstellt. Dies ist umso erstaunlicher, als nach dem Zweiten Weltkrieg das Museum Wiesbaden den Maler während seiner Hofheimer Jahre – dieser lebte zwischen 1945 und 1951 in Hofheim am Taunus – am stärksten in der Rhein-Main-Region förderte und schon früh Arbeiten von ihm erwarb. „Bei den vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen dem Künstler und unserem Haus ist es verwunderlich, dass es hier bislang keine Einzelausstellung zu Nay gegeben hat“, sagt Museumsdirektor Dr. Andreas Henning. „Umso mehr freut es uns mit der Hamburger Kunsthalle, dem Museum Küppersmühle in Duisburg und der in Köln ansässigen Ernst Wilhelm Nay Stiftung gemeinsam diese uns sehr bewusste Lücke in unserer Ausstellungshistorie just in dem glücklichen Moment schließen zu können, in dem wir zwei wichtige Gemälde – ein Ostsee- und ein Scheiben-Bild – durch die Sammlung Jan und Friederike Baechle zu unserem reichen Nay-Bestand hinzugewonnen haben.“ Heute gehören der Wiesbadener Sammlung acht Gemälde und 20 Arbeiten auf Papier an.

Nachdem Nay von den US-Amerikanern aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, kommt dieser am 21. Mai 1945 nach Hofheim und trifft dort Hanna Bekker vom  Rath. Er hatte die Künstlerin und Galeristin in Berlin kennen und schätzen gelernt und sie auch bereits kurz vor Kriegsbeginn in Hofheim besucht. Zusammen mit ihr fuhr er nach Wiesbaden, um Alexej von Jawlensky zu besuchen. Mit ihm tauschte er Werke aus. Jetzt vermittelte die großzügige Mäzenin dem Maler, da dessen Atelierwohnung in Berlin bei einem Bombenangriff zerstört worden war, das ehemalige Atelierhaus  der 1937 verstorbenen Malerin Ottilie W. Roederstein. Hier entstehen die Hekate- und Fugalen Bilder, zwei bedeutende Werkgruppen, mit welchen der Farbmaler deutschlandweit und international Aufmerksamkeit erregte. Er vernetzte sich mit den Museumsdirektoren in der Rhein-Main-Region – u.a. mit Ernst Holzinger, Direktor des Städel in Frankfurt, und Clemens Weiler, Direktor der Städtischen Galerie in Wiesbaden, die ihn beide intensiv fördern. Ab 1946/47 erhält er nicht nur in ganz Deutschland Einzelausstellungen, beispielsweise in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt (Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath), Hamburg (Kunstverein) und München. Zahlreiche Museen erwerben auch seine Werke.

Ausstellungsansicht; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Nay lebte gerne in Hofheim und schätzte die wohltuende Ruhe des Taunus-Städtchens. In den sechs Jahren in Hofheim war er außerordentlich produktiv. In einem Schreiben vom Dez. 1945 teilte er zufrieden mit: „Male rasend, seit Ende Mai hier sind bereits 16 große Ölbilder und 53 Gouachen und viele Zeichnungen entstanden. Verkaufe sehr gut und habe erstmalig in Darmstadt ausgestellt …. Habe durchaus die Absicht, vorläufig hier zu bleiben und wenig Lust auf Berlin, weil ich arbeiten will“, wie in dem opulenten Begleitkatalog nachzulesen ist. Mit den hier geschaffenen Werken erzielt Nay national wie international – etwa auf den ersten drei documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964) und den Biennalen in Venedig (1948, 1950) und Sao Paolo (1955) – große Erfolge.

Von Hofheim aus, machte Nay viele Ausflüge in die Landeshauptstadt, besuchte die Ausstellungen des Central Collecting Point (im Museum Wiesbaden) und nahm bald Kontakt zum damaligen Direktor Clemens Weiler auf. Dieser erwarb während seiner Amtszeit ab 1949 nicht nur vier Gemälde („Leda“, „Pilgrim“, „Afrikanisch“ und „Menschen in den Lofoten“), sondern 1951 auch die erste Farblithografie-Mappe des Künstlers. Als Dank für die vielen Ankäufe schenkte der Künstler dem Museum drei Gouachen, die der Fugalen-Werkphase zuzurechnen sind. Dieser engen Beziehung Nays zu Weiler, die sich auch in der präsentierten Korrespondenz des Künstlers mit dem Museumsleiter ablesen lässt, ist einer der zwölf Räume umfassenden Ausstellung gewidmet.

Ernst Wilhelm Nay auf den Lofoten, 1937; © Ernst Wilhelm Nay Stiftung, Köln; Foto: Fotoarchiv Ernst Wilhelm Nay Stiftung

Ernst Wilhelm Nay, am 11. Juni 1902 in Berlin geboren, beginnt nach dem Abitur 1921 eine Buchhandelslehre, die er jedoch bald abbricht, um seine Malerei zu intensivieren. Bereits in seiner Schulzeit hat er zu malen begonnen. Er besucht Abendkurse für Aktzeichnen am Berliner Kunstgewerbemuseum und bewirbt sich 1924 bei dem renommierten Künstler Karl Hofer an der Hochschule für Bildende Künste, der ihn in seine Malklasse aufnimmt. Nay ist Maler durch und durch, hat niemals einen anderen Beruf ausgeübt und immer nur von seiner Malerei gelebt, was in den frühen Jahren, da er noch gänzlich unbekannt war, nur unter rigorosen Beschränkungen möglich war.

Noch während der Zeit bei Hofer lernt der kontaktfreudige Nay den in Lübeck als Museumsdirektor tätigen Carl Georg Heise kennen – seinen späteren Freund und großen Förderer. Dieser erwirbt mit dem Blumenkohlstillleben eines der ersten Gemälde des Künstlers für ein Museum. Seine frühen Arbeiten werden auch von anderen Museen angekauft. Bis 1928, dem Ende seines erfolgreich abgeschlossenen Studiums, war Nay bereits an Gruppenausstellungen in Berlin, Hannover und München beteiligt. Nach dem Staatspreis für Malerei der Preußischen Akademie der Künste (1930) folgt das damit verbundene Stipendium an der Villa Massimo in Rom (1931/32). Nach mehreren Aufenthalten an der Ostsee entstehen die ausdrucksstarken Dünen- und Fischerbilder, von denen einige in der Ausstellung zu sehen sind.

 

Ausstellungsansicht; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wird Nay, der kein Mitglied der nationalsozialistischen Partei ist, schon bald mit einem zeitweiligen Ausstellungsverbot belegt, erhält aber aufgrund seiner zeitweisen Mitgliedschaft in der Reichskammer der Bildenden Künste Beihilfen für Malmaterial. Nay wird als „entarteter“ Künstler stigmatisiert und  zwei seiner Gemälde werden 1937 in der Schandausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Auf Vermittlung der inzwischen entlassenen Museumsdirektoren Carl Georg Heise und Ludwig Justi finanzieren in diesen Tagen der weltweit renommierte norwegische Maler Edvard Munch und der in Essen geborene leidenschaftliche Sammler Carl Hagemann Nays künstlerisch ergiebige Reisen zu den Lofoten (1937/38). Mit den dort entstandenen Bildern nimmt sein Werk spürbar an Fahrt auf.

Nays Kriegsdienst führt den Maler nach Frankreich. Zunächst erhält er in Schwerin eine Grundausbildung, wird dann ab Mai 1940 als Infanterist in Südfrankreich und schließlich in Auray in der Bretagne eingesetzt. Anfänglich ist es ihm nur möglich in seiner dienstfreien Zeit, kleine Aquarelle und Zeichnungen anzufertigen. Hans Lühdorf, ein Freund Jawlenskys, erreicht für Nay die Versetzung nach Le Mans, wo er als Kartenzeichner Dienst tut. Hier darf er, neben einer Dienstreise nach Paris, wo er 1942 Wassily Kandinsky trifft, sogar ein Atelier eines französischen Kunstfreundes nutzen. Jetzt kann er auch Gemälde fertigen.

Nach Kriegsende und dem äußerst erfolgreichen künstlerischen Schaffen in Hofheim zieht Nay nach Köln. Er wird fortan im In- und Ausland als Ikone der deutschen Kunst nach 1945 wahrgenommen. Um Nays kometenhaften Aufstieg zum Malerstar zu beschreiben, titelte 2002 der damalige Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Eduard Beaucamp: „Vom ‚jüngsten Entarteten‘ zum Malerfürsten der jungen Bundesrepublik“. Und Dr. Roman Zieglgänsberger, Kurator der ausgezeichneten Ausstellung, erläutert: „Mit seiner eigenständigen Bildsprache überführt Nay die Epoche des figürlichen Expressionismus der Klassischen Moderne in die gestische Abstraktion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In den Kanon der Kunstgeschichte ist er als intuitiv-emotionaler Farbmaler eingegangen, der in seinen dichten Bildern fortwährend den abstrakten Gesetzen hinter den Dingen nachspürte.

Ausstellungsansicht; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Der ebenso selbstbewusste wie empfindliche Künstler war immer ein Einzelgänger und hat sich keiner Gruppierung angeschlossen. Stets war der Eigenständige auf der Suche nach einem noch „unbetretenen Farbland“. Seine malerische Entwicklung gliederte Nay selbst in nacheinander ablaufenden Werkphasen. Er sprach von den Lofoten- (1937/38), den Frankreich- (1942–44), den Hekate- (1945–1948), den Fugalen- (1949-51), den Rhythmischen- (1951–53) sowie von den Scheiben- (1954–62), Augen- (1963/64) und Späten Bildern (1965–68). Von all diesen Werkgruppen werden in der Retrospektive Hauptwerke präsentiert, die in chronologischer Folge gut gehängt sind. Dabei hat sich der Kurator etwas Besonderes einfallen lassen. „Die prinzipielle Chronologie der Ausstellung wird an mehreren Stellen bewusst gebrochen, um deutlich zu machen“, so Zieglgänsberger, „dass der frühe figürliche Nay vom späten abstrakten Nay nicht zu trennen ist, dass etwa über durchgehend vom Künstler gepflegte Bildmotive wie Schmetterlinge, Augen oder Gestirne das große Thema des Malers durchgehend erhalten bleibt: Den Menschen und sein Dasein mit seinen farbmächtigen Bildern im ewigen Fluss der Weltzeit zu verorten.“

Nay erhält in Deutschland wie auch im Ausland viele Preise und Auszeichnungen. Zum 60. Geburtstag ehrt ihn das Folkwang Museum in Essen mit einer Retrospektive. Zwischen 1963 und 1968 unternimmt Nay viele Reisen, u.a. nach Griechenland, Mexiko-Stadt, USA (Chicago, New York, San Francisco), Marokko, Japan und Honkong, was sich auch in seinen „Späten Bildern“ (1965–1968) niederschlägt. 1967 wird der Künstler mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Nay stirbt am 8. April 1968 an Herzversagen in seinem Kölner Atelierhaus.

 

Werbeplakat des Landesmuseums; © Museum Wiesbaden; Foto: Hans-Bernd Heier

Die faszinierende Schau mit knapp 100 Gemälden aus allen Schaffensphasen wird von dem Kulturfonds Frankfurt RheinMain, der Ernst von Siemens Kunststiftung sowie den Freunden des Museums Wiesbaden unterstützt. Ohne diese Förderungen sei eine derartige Ausstellung und der üppige Katalog nicht machbar, wie Direktor Henning dankbar betont. Laut Dr. Julia Cloot, stellvertretende Geschäftsführerin des Kulturfonds, fördert der Fonds Kunst und Künstler von überregionaler Bedeutung, die fest in der Region verankert sind  –  wie dies ideal bei Nay der Fall sei.

Die Wanderausstellung „Ernst Wilhelm Nay — Retrospektive“, ist in Zusammenarbeit mit der Ernst Wilhelm Nay Stiftung entstanden und war zuvor in der Hamburger Kunsthalle zu bewundern. Das Hessische Landesmuseum für Kunst und Natur Wiesbaden ist bis zum 5. Februar 2023 die zweite Station. Im Anschluss wird die sehenswerte Schau in der Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg gezeigt.

 

Weitere Informationen unter:

www.museum-wiesbaden.de

 

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