Ein Genie der Freundschaft
Abschied von Fritz Pleitgen
Ein Nachruf von Peter Voß
Fritz Pleitgen in der Funktion als Intendant der Ruhr.2010; Foto: Petra Kammann
Mit Fritz Pleitgen ist eine Persönlichkeit gestorben, welche die deutsche Rundfunklandschaft maßgeblich geprägt hat. Zunächst als Journalist, dann als ARD-Korrespondent (Sowjetunion, USA, DDR), schließlich in hohen Ämtern beim WDR als TV-Chefredakteur, als Hörfunkdirektor und abschließend als Indentant (1995 bis 2007). Zwei Jahre, von 2001 bis 2002, war er dabei Vorsitzender der ARD, des Verbundes der Landesrundfunkantalten. In dieser Zeit hat er eng mit Peter Voß, dem Intendanten des Südwestrundfunks, zusammengearbeitet. Beide haben damals wesentlich die Strategie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mitbestimmt. FeuilletonFrankfurt veröffentlicht hier einen Text, den Peter Voß in Gedenken an Fritz Pleitgen verfasst hat – gegründet auf langer freundschaftlicher Verbundenheit.(ff)
Peter Voß
(Jahrgang 1941) bekleidete eine Reihe herausgehobener journalistischer Funktionen innerhalb der ARD (so „Report München“) und des ZDF (so Leiter der Hauptredaktion Aktuelles mit dem „heute-journal“, dann Stellvertretender Chefredakteur), bevor er 1996 Intendant des Südwestfunks wurde, der 1998 mit dem Süddeutschen Rundfunk zum Südwestrundfunk fusionierte. Die Zweiländeranstalt leitete er bis 2007. Seine Intendantenzeit war somit deckungsgleich mit der von Fritz Pleitgen. Seit 2009 ist er Präsident der Quadriga Hochschule Berlin.
Es ist nicht leicht, von einem Menschen wie Fritz Pleitgen Abschied zu nehmen. Wer ihn kannte, dem macht sein Tod zu schaffen. Man möchte es nicht wahrhaben, dass man auf diese Stimme nicht mehr hören kann, die im Konzert der Meinungen den Basso Continuo eines reflektierten, gescheiten Common Sense bildete. Seine Persönlichkeit wurde und wird in diesen Tagen vielfach gewürdigt, nicht zuletzt mit einem eindrucksvollen Film des WDR, in dem er selbst mitgewirkt und uns gleichsam vorab Adieu gesagt hat. Da wurde uns noch einmal sein Bild vor Augen geführt, das Bild und die Bilder, mit denen er uns die Welt teils erklärt, teils in ihrer Unerklärlichkeit nahegebracht hat.
So wird er in Erinnerung bleiben: als hellwacher, zupackender Berichterstatter und Deuter des Geschehens, als innovativer Programmgestalter und reformfreudiger Rundfunkmanager, als herzlicher Familienmensch und als ein in aller Höflichkeit unbestechlicher Gesprächspartner der Mächtigen.Fritz Pleitgen war fraglos ein Patriot des Westdeutschen Rundfunks und der ARD, vor allem aber einer Öffentlichkeit, die auch in einer Demokratie auf unterschiedliche Weise gefährdet ist und stets neu behauptet und verteidigt, aber auch verantwortet sein will. Nicht nur Donald Trump lässt grüßen. Doch Fritz Pleitgen war weit mehr: ein Anwalt der Menschlichkeit nämlich und ein Genie der Freundschaft. Er wandte sich seinen Mitmenschen achtsam und aufmerksam zu und verkörperte dabei geradezu den Kantischen Imperativ, dass wir einander nicht nur als Mittel, sondern immer auch als Zweck ansehen und behandeln und so in unserer Würde achten sollen.
Er konnte beides: Menschen als Mittel nutzen um eines guten und wohlerwogenen Zwecks willen, nämlich die mündigen Bürger über eine intakte Öffentlichkeit in ihrer Mündigkeit zu stärken, und sie zugleich als die Personen wahrnehmen und annehmen, die sie nun einmal sind – und auch, wo es not tut, sich ihrer annehmen. Jeder, der näher mit ihm zu tun hatte, hat das sicherlich auf seine Weise erfahren, ich selbst vor mehr als einem Vierteljahrhundert, als er mein Kollege in der Intendantenrunde der ARD wurde. Wir kannten uns da natürlich schon, wenn auch eher vom Bildschirm, wo wir uns in politischen Grundsatzfragen durchaus als Antipoden wahrgenommen hatten.
Doch das wurde nebensächlich, als wir es gemeinsam mit dieser, milde gesagt, auch damals schwer steuerbaren und koordinierbaren ARD auf der Führungsebene zu tun bekamen. Die ARD ist ja nichts anderes als gelebter Föderalismus mit all seinen Stärken und Schwächen, und die Politik, und das heißt letztlich sechzehn Landesregierungen nebst Landtagen haben, wenn auch (hoffentlich) nicht beim Programm und der Personalpolitik, so jedenfalls in strukturellen Fragen das letzte Wort, nicht nur über die Gremien, sondern auch unmittelbar, was gelegentlich vergessen wird. Wir vergaßen es nicht und entdeckten bald, dass wir in wesentlichen Punkten übereinstimmten, so in der Frage, was unter journalistischer Unabhängigkeit, wie auch, was unter publizistischer Qualität zu verstehen sei und im ewigen Dilemma zwischen Qualität und Quote letztlich den Vorrang haben sollte.
Das schloss gelegentliche Rivalität und leidenschaftliche Dispute über den richtigen Kurs natürlich nicht aus. Aber, daraus folgend und wichtiger noch, wir waren uns mit den meisten unserer Kollegen darin einig, dass wir aufgrund unseres demokratischen Programmauftrags zwar dem Grunde nach Partner der Politik waren, in manchem sehr konkreten Fall aber auch Gegner der diversen politischen und sonstigen Einflussnehmer, die selbstverständlich ihre eigenen Interessen verfolgten und denen wir als Freunde der deutlichen Aussprache entsprechend eindeutig gegenübertreten mussten; auch dafür wurden wir schließlich von der Allgemeinheit bezahlt, und das, wie man weiß, nicht gar so schlecht.
Fritz Pleitgen war dabei in unseren Reihen oft ein, wenn nicht der entscheidende Meinungsführer, was der gemeinsamen Sache und Aufgabe meistens gut bis sehr gut bekommen ist. Eben dabei kam ihm seine Gabe zunutze, Menschen anzusprechen und für sich einzunehmen. Das aber konnte er nur deshalb so gut, weil es nicht eigens für den Job angelernt und eingeübt war, sondern gleichermaßen aus der Vernunft und von Herzen kam. Auf sein Wort war Verlass, und er forderte Verlässlichkeit ein. Und: Wenn Freundschaft eine Beziehung ist, in der man einander vertrauen, um Rat fragen und im Fall der Fälle um Hilfe bitten kann (und sie dann auch bekommt), war die Fähigkeit zur Freundschaft unter all seinen Gaben die größte. Ich denke, viele derer, die um ihn trauern, können das aus eigenem Erleben bestätigen.
Wie einst der legendäre ARD-Programmdirektor Hans Abich hätte er sagen können: „Ich habe es nur zu wenigen Feindschaften gebracht, aber die pflege ich auch.“ Denn bei alledem sah und nahm er die jeweilige Sache nie humorfrei und immer sportlich – nicht zufällig war er ja auch ein großer Sportintendant, nicht nur in seiner Eigenschaft als treuer (und situationsbedingt auch leidensfähiger) Fan von Borussia Dortmund, sondern vor allem als Vizepräsident und später Präsident der Europäischen Rundfunkunion (EBU), in der ich die ARD als Mitglied des Verwaltungsrats vertreten durfte.
Das war ein Gremium, in dem Mitgliedsanstalten aus den unterschiedlichsten Ländern, von Norwegen bis Zypern und von Russland bis Portugal, sich unter anderem darin einig waren, dass Sportrechte für internationale Großereignisse (ob nun Fußball-WM und -EM, Olympische Spiele oder was immer) auch von Monopolisten für teures Geld gekauft werden mussten – solange nur sichergestellt war, dass die deutschen Mitglieder ARD und ZDF einen überproportionalen Anteil bezahlten. Ein europäischer Normalfall sozusagen. Da konnte man den Strategen Fritz Pleitgen ebenso kennen und bewundern lernen wie den Taktiker und den Menschenfänger, wie unser NDR-Kollege Jobst Plog ihn einmal nannte.
Two old fellows bei ihren „Auswärtsspielen“: Peter Voss und Fritz Pleitgen 2006 während der der Fußball-EM nahe dem Cabo de Roca, dem westlichsten Punkt Europas, in Portugal, Foto: Margarete Voß
Diese Tagungen fanden reihum in europäischen Städten statt, die für sich schon eine Reise wert waren, und so hatten wir denn eine Reihe ebenso anstrengender wie interessanter „Auswärtsspiele“ zu absolvieren. Als unruhige Rentner haben wir später gemeinsam mit unseren Ehefrauen das gemeinsame Reisen fortgesetzt, in Neuengland, in Kuba, in Marokko zum Beispiel, woraus sich für uns vier in unseren vorgerückten Jahren bisweilen sportliche Herausforderungen, um nicht zu sagen Großereignisse der persönlichen Art ergaben.
Kurz, der „Sportsmann“ Fritz Pleitgen war als Spielführer so stark wie als Teamplayer, und so habe ich da gern mitgespielt und es nie bereut, auch wenn mir schon mal der Stoßseufzer entfuhr, er sei fähig, einen so kräftig in die Arme zu schließen, dass man aufpassen müsse, dass einem nicht die Luft ausgeht. So wie ich auch behauptet habe, dass die Tatsache, dass er uns immer mal wieder mit neuen Einfällen und Vorschlägen heimsuchte, vor allem daran liege, dass er nachts keinen Schlaf brauche und deshalb allnächtlich Ideen aushecke, die wir dann entweder umsetzen oder ihm ausreden müssten.
Was man halt so dahinplaudert, wenn man einen großen Kollegen und ganzen Kerl einfach mag und in aller Freundschaft zugleich das Mindestmaß an Distanz zu wahren hat, ohne das persönliche Souveränität, im Bedarfsfall auch Autorität, nicht möglich ist. Beides hat er aus sich heraus gelebt und vorgelebt, und seine Freunde und Weggefährten haben allen Grund, ihm dankbar zu sein.
FeuilletonFrankfurt-Autor Uwe Kammann hat einen Nachruf auf Fritz Pleitgen für die „Zeit“ verfasst. Er ist zu lesen unter:
Peter Voß ist Autor zahlreicher Bücher, darunter auch eine Aphorismensammlung („An den Ufern des Mainstreams“) und Lyrikbände (so „Zwischen den Kratern“).
Peter Voß an seinem heutigen Schreibtisch in Berlin; Foto: Lena Giovannazzi