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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zum Tod von Fritz Pleitgen

Fritz Pleitgen – ein journalistisches Urgestein. Der langjährige WDR-Intendant war nicht nur ARD-Korrespondent in den den USA und in der Sowjetunion, sondern neben vielem anderen auch ein erfolgreicher Kulturmanager der Ruhr.2010. Gestern Abend starb er im Alter von 84 Jahren. Eine kleine persönliche Erinnerung  an den so weitsichtigen wie unerschütterlich standfesten Manager der Ruhr.2010 von Petra Kammann, die ihn für die damalige Zeitschrift …IN RHEINKULTUR mehrfach zu Gesprächen und Reportagen traf.

Fritz Pleitgen wollte zusammenbinden, was zusammengehört und die 53 Städte des Ruhrgebiets zur Kulturhauptstadt machen, Foto: Petra Kammann.

Welche Herausforderung das war, die Partikularinteressen der verschiedenen Kommunen zu vereinen, zeigte die Karte in seinem Arbeitszimmer in Essen im Jahre 2009. Ganz früh schon sagte er: „Wir wollen massenattraktiv sein und gleichzeitig hoch anspruchsvoll“. Voller Elan verfolgte er die spektakuläre Idee, die A 40 zu sperren, um alle Leute im Revier an einen Tisch zu setzen und das an der viel befahrenen West-Ost-Schlagader. Wie visionär für den handfesten Pragmatiker. Er war eben ein Medienprofi! Eine andere Begebenheit war die unkonventionelle „Rote Sofa“-Aktion, wo Petra Kammann ihn journalistisch begleitete (S. Anlage).

Ein Abenteuer mit Horst Wackerbarth

Ein Fototermin auf dem roten Sofa will gut vorbereitet sein, vor allem wie hier in Duisburg auf dem Rhein, wo die Couch wie auf einer Nussschale schwimmt. Brisant und riskant ist hier nicht nur die physische Situation: Fritz Pleitgen hat neben einer Aussiedlerfamilie aus Balkarien Platz genommen

Duisburger Hafen, fast punktgenau dort, wo die Ruhr in den Rhein mündet, bei Kilometer 780, orangefarben markiert – eine unübersehbare Flussmarke. Eine frische Brise lässt noch mehr frösteln an diesem ohnehin kalten Februartag. Doch die Akteure sind unerschrocken und lassen sich nicht abhalten vom merkwürdigen Tun. Was wird das bloß? Auf einem weißen Boot am Ufer ist quer eine rote Couch platziert, mit bloßem Auge fürchtet man um das Gleichgewicht. Davor wuseln ein paar Fotografen und Journalisten. Alle warten auf Horst Wackerbarth. Aha, klar, es geht um das berühmte rote Sofa, besser: um die rote Couch, denn so nennt der Künstler sein weitgereistes Requisit. Die Welt auf dem Sofa oder: Menschen aus aller Welt auf der roten Couch – ein Panorama der Einblicke,  Aufnahmen und Einsichten.

AUF WACKERBARTHS ROTEM SOFA NAHMEN VERSCHIEDENSTE PROMINENTE PLATZ, SO DER EX-PRÄSIDENT DER UDSSR UND POLITIKER DER PERESTROIKA, MICHAIL GORBATSCHOW. WENN SICH MENSCHLICHE SCHICKSALE IIM OFFENBAREN, WIRD DAS ROTE SOFA ZUR SOZIALEN PLASTIK

Heute ist Fritz Pleitgen dran, einst mächtiger WDR-Intendant mit weltweitem Reporter-Fundus an Wissen, nun umtriebiger Geschäftsführer der Ruhr.2010-Gesellschaft, die das Kulturhauptstadtjahr vorbereitet: Essen & Co., 53 Ruhrstädte mit Essen als Zentrum. Wackerbarth baut dicht am Bug eines Einsatzbootes der Duisburger Wasserschutzpolizei zwei Stative auf. Eines für eine mächtige Plattenkamera (Handwerk und Fotoadel verpflichtet), die zweite handlichere zur Dokumentation. Für das Begleitpersonal läuft nichts ohne Schwimmweste – der Künstler hantiert ohne Pleitgen, ohnehin von mächtiger Statur, zeigt keinerlei Furcht vor dem labilen Platz auf dem zwar fest montierten, aber eben doch auf einer schwankenden Nussschale gehaltenen Sofa: eine höchst labil scheinende Schwimmkonstruktion, die mit Mühe auf dem Strom gehalten wird von einem dünnen Seil. Strudel und Strömungen erschweren die Manöver, doch der Kapitän der Wasserschutzpolizei meistert das Ganze.

Auch, als die Couch in einer weiteren Phase im Dreierteam besetzt wird. Es kommen nämlich noch Elena Patova, eine junge Frau aus dem Nordkaukasus, und ihr elfjähriger Sohn Nodari dazu – eine von Wackerbarth spontan eingefädelte Situation, als er hörte, dass die beiden, die vor fünf Jahren als Flüchtlinge nach Moers kamen, abgeschoben werden sollen. So wird aus der ursprünglich geplanten Prominenten-Aufnahme für Ruhr.2010 plötzlich eine politische Aktion, mit einem sichtlich engagierten Fritz Pleitgen (der als einstiger Russland-Korrespondent der ARD bester Kenner der Verhältnisse ist. Mit der sichtlich verzweifelten Mutter spricht er mühelos russisch.) Drei Stunden dauert es, bis Wackerbarth alles im Kasten hat. Dann setzt er am Ufer Pleitgen auf die inzwischen abmontierte rote Couch, interviewt ihn ausführlich: Es geht ihm nicht nur um die spektakulären, im Arrangement überraschenden und höchst ungewöhnlichen Bilder, sondern um den Gesamteindruck und die Dokumentation einer sozialen Situation.

Und so verwickelt Horst Wackerbarth derzeit Menschen aus Duisburg in ein Gespräch, bittet sie danach, auf seiner roten Couch Platz zu nehmen, um sie dort mit aller handwerklichen Sorgfalt fotografisch aufzunehmen – als weitere Beispiele für seine „Gallery of Mankind“, für die er schon seit zwei Jahrzehnten Menschen aller Gesellschaftsschichten und in vielen Ländern der Welt auf dem leuchtenden Sitzmöbel platziert. Duisburg ist in diesen Tagen auch insofern ein ganz besonderer Ort für den Künstler, weil er in Zusammenarbeit mit der in Goch beheimateten Agentur Noah! dieses ganz spezielle Foto- und Videokunstprojekt „here and there“ realisiert: weil eben Ruhr.2010 dafür den Anlass gibt.

SO RAU WIE DAS KLIMA IN ISLAND, IST DIE POLITISCHE LAGE IN KABARDINO-BALKARIEN. WENN SICH MENSCHLICHE SCHICKSALE AUF IHM OFFENBAREN, WIRD DAS ROTE SOFA ZUR SOZIALEN PLASTIK

Wenn es Markenzeichen der Kunst gibt – so wie Günther Ueckers Nagel-Kompositionen -, dann gehört unbedingt auch die Rote Couch dazu. Ganz konsequent verfolgt der in Düsseldorf lebende Künstler, der schon mit Beuys zusammenarbeitete, seine Idee der menschlichen Galerie. Auf 1000 Aufnahmen will er kommen, doppelt so viele wie es der berühmte August Sander geschafft hat, der im Bergischen Land Menschen aller Schichten fotografiert hat, fast typologisch.

Bei Wackerbarth folgt der Fragenkatalog einem universellen Muster, mit genau zwölf Punkten des Interesses. Dazu gehört die Frage: „Was kommt nach deiner Meinung nach dem Tod?“ Für das Duisburg-Projekt, das sich auf Einwanderer konzentriert, hat er zwei Fragen hinzugefügt: „Was ist hier?“ und „Was war dort?“. Dieses jetzige Projekt bezeichnet er als Sequel, also eine Art von Folgen, die einem thematischen Schwerpunkt gehorchen, eben der Migration.

Er will dabei Menschen und Motive, welche dieses Thema am besten widerspiegeln, auf die Couch bringen, um die Beiträge zu realisieren. Die Rote Couch ist für ihn ein ideales Medium, weil sie, wie er sagt, inzwischen durch die vielen Aufnahmesituationen „magisch aufgeladen“ ist. Ganz in Anlehnung an den Künstler Marcel Duchamp könne man sie als Readymade verstehen, als ein fertiges Objekt, „das dort am besten funktioniert, wo eine Couch sonst keine Funktion hat“.

Auch Duisburgs Partnerstädte wird er in diese Couch-Reise um den Schwerpunkt Migration einbeziehen: Perm am Ural, Vilnius in Litauen, Gaziantep in der Türkei, Wuhan in China, San Pedro Sula in Honduras, Calais in Frankreich und Portsmouth in England. Alle Werke sollen dann 2010 in einer großen Ausstellung in Duisburg zusammengeführt werden. Ein herausragendes Beispiel aus dem Universum Horst Wavkerbarths und – voller Bedeutungsebenen.

Petra Kammann

Die Reportage erschien in dem Magazin …IN RHEINKULTUR.Journal für Kultur, Kommerz & Lebensart an Rhein &Ruht Ausgabe Frühjahr 1, 2009

 

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