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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das Mahler Chamber Orchestra mit Isabelle Faust, Violine, und Antoine Tamestit Viola, zu Gast beim Rheingau Musik Festival

Strahlende Energie und die Kunst des aufeinander Hörens

Von Petra Kammann

Einen Tag vor Abschluss des Rheingau Musik Festivals (26.6. – 3.9.2022) gab es noch einen besonderen Abend in der Basilika des Kloster Eberbach. Das renommierte Mahler Chamber Orchestra wartete dort mit einem Programm um den Klassik-Meister Wolfgang Amadeus Mozart auf wie mit dem bei uns weniger bekannten Komponisten  Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges und mit Heinrich Ignaz Franz Biber von Bibern. Zum Höhepunkt des Konzertabends zählten die beiden Solisten, die Geigerin Isabelle Faust und der französische Bratschist Antoine Tamestit, die in Mozarts Sinfonia concertante Es-Dur KV 364 (320 d) in enger Verbundenheit mit dem Orchester für bewegende Konzertmomente sorgten.

Isabelle Faust, Violine und Antoine Tamestit, Viola, begeisterten das Publikum, Foto: Petra Kammann

Im Rheingau war es ein Bilderbuch-Spätersommertag. Und das Anfang September. Mit einem Glas in der Hand flanierten die Konzertbesucher und -besucherinnen auf dem Gelände der gepflegten Klosteranlage der einstigen Zisterziensermönche und unterhielten sich völlig ungezwungen, bevor sie sich in die Basilika begaben. So, als wollten sie völlig entspannt im Hier und Jetzt noch die letzten Sonnenstrahlen vor dem energiearmen Winter einsaugen und sich hernach von der lebendigen Musik beflügeln lassen. Welch eine Befreiung – und das bei erträglicher Wärme – nach der langen Zeit der Pandemie, die unseren Alltag ob der fehlenden Live-Begegnungen doch so sehr belastet hat, nun endlich wieder Menschen treffen, mit ihnen sprechen zu können, um sich danach auf ein gemeinsames Hörerlebnis einzulassen.

Timo Buckow und Lisa Ballhorn, die Programmplaner des RMF, begrüßten die Gäste vor dem Konzert, Foto: Petra Kammann

Dabei hatten die Konzertbesucher vorab noch Gelegenheit, sich im Mönchsrefektorium des Klosters acht Minuten lang auch mit der neuesten 3-D-Sound-Technik vertraut zu machen, um sich dort virtuell mit einzelnen Musikern und Musikerinnen des Mahler-Chambre Orchestras einzulassen. Da gab es VR-Headsets auf die Ohren und dann ging es hinein in das „Allegro“ aus Streichquintett g-Moll KV 516 von Wolfgang Amadeus Mozart und nahe ran an die einzelnen Instrumente, die von den Mitgliedern des Mahler Chamber Orchestra: Timothy Summers, Violine | Anna Matz, Violine | Florent Brémont, Viola | Joel Hunter, Viola | Stefan Faludi, Violoncello gespielt wurden. Die Aufnahme stellt zwar das „natürliche“ akustische Verhalten einer Live-Aufführung her, ermöglicht dem Zuhörer aber, dabei frei im Raum zu wandern und mit Musikerinnen und Musikern, Instrumenten und Klängen in Echtzeit in Verbindung zu treten.

Einstimmung auf das Konzert mit der neuesten 3D-Sound-Technik im Refektorium des Klosters; Foto: Petra Kammann

Das soll den Zuhörer tiefer in die Aufführung und noch näher an die Musik heranführen. Das digitale Projekt „Future Presence I: Mozart String Quintet“ bedeutet, dass jeder und jede sich auf diese Weise individuell auf das Orchester einlassen und sich in eine neue Sphäre der klassischen Musik entführen lassen kann. Wo früher ein Tontechniker die alleinige Autorität hatte zu bestimmen, wie man die Musik erlebt, hat hier der Hörer die Freiheit, sie selbst zu erkunden. Der Prozess des genauen Zuhörens soll Raum für Interaktionen schaffen, in dem sich Wolfgang Amadeus Mozarts Streichquintett Nr. 4 ausbreitet. An der Verfeinerung und Kooperation mit dem Orchester arbeitet der Berliner 3D-Sound-Spezialist Henrik Oppermann. Spannend und zweifellos innovativ ist dieser Ansatz, wenngleich der erste musikalische Live-Eindruck des realen Konzerts in der Zisterzienser-Basilika gleich zu Beginn mit voller Wucht, übermütiger Energie und der vollen Strahlkraft des Orchesters ganz unmittelbar überzeugte.

Großen Applaus gab es auch für Matthew Truscott, Violine & Leitung des Mahler Chamber Orchestra, Foto: Petra Kammann

Da spielte nämlich unter Leitung des dynamischen Violinisten Matthew Truscott das Mahler Chamber Orchestra mit großer Verve und hoher Präzision die Sinfonie D-Dur op. 11 Nr. 2 von 1779 des bei uns weniger bekannten und etwas in Vergessenheit geratenen Komponisten und Geigenvirtuosen Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges (*1745 in Guadeloupe † 1799 in Paris), dem unehelichen hochbegabten Tausendsassa, Sohn eines französischen Zuckerrohrplantagenleiters und einer Sklavin aus Gouadeloupe, der als erfolgreicher „schwarzer Mozart“ und als „vorklassischer“ Komponist und Geigenvirtuose in die Geschichte einging. Es heißt, dass der Schütze, Reiter, Schwimmer, Tänzer und brillante Fechter, der den Degen so gut beherrschte wie den Streicher-Bogen, in Mannheim zum Vorbild für Mozart wurde, wohl wegen seiner musikalisch sprühenden und rhythmisch-temporeichen Vielfalt.

Der Höhepunkt des Abends folgte dann vor allem aber mit den außergewöhnlichen Solisten Isabelle Faust, Violine, und Antoine Tamestit, Viola, die einen so lebendigen wie berückenden Dialog der Streichinstrumente auf Augenhöhe vollführten. Dabei stand der 23-jährige Mozart mit seiner stürmlerisch-drängenden Sinfonia concertante Es-Dur für Violine, Viola und Orchester KV 364 im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sowohl die Geigerin Isabelle Faust, übrigens 2016 Residenz-Künstlerin des Rheingau Musik Festival, wie auch der 1979 geborene französische Bratschist Antoine Tamestit (bereits 2014 dort Residenzkünstler), begeisterten nicht nur mit ihrer unvergleichlichen Technik, sondern auch mit ihrer tiefen Musikalität, ihrer inneren Zwiesprache und der Schönheit des sie verbindenen Klangs.

Höhepunkt des Abends: das Zusammenspiel der Solisten Isabelle Faust und Antoine Tamestit, Foto: Petra Kammann

Dabei wirkten die beiden Solisten so ungeheuer jung und frisch. Antoine Tamestit trat, gekleidet wie ein Rockstar, mit seiner kostbaren Stradivari-Viola aus dem Jahre 1672 wie ein beweglicher Spring-ins-Feld auf, so, als würde mit seinem ersten Einsatz der Vorhang für seinen spektakulären Auftritt auf der Bühne aufgezogen, was sicher auch etliche junge Leute anspricht:“Wenn ich Bach oder Mozart spiele, muss ich daraus keine schauspielerische Darbietung machen, aber ich muss bei jeder Phrase verstehen, welche Stimmung hier herrscht, welches Gefühl ich ausdrücken will, welche Geschichte ich erzählen will“, verkündete er einmal in einem Interview. Isabelle Faust bewegte sich daneben elegant und geschmeidig in ihrem japanisierenden Kimono-Kleid. So nahmen die beiden jeweils die Bewegung des anderen auf und umspielten einander in geradezu inniger Harmonie, mit ihren sich ergänzenden Instrumenten. Nach dem ausschwingend ersten Satz folgte der langsame c-Moll-Satz in schwingender Melancholie. Das Presto-Finale zum Schluss dann wirkte geradezu himmelstürmend, bevor das Duo noch eine berührend-schwebende zeitgenössische Zugabe spielte.

Es wundert nicht, dass die weltweit gefragte Solistin Isabelle Faust wegen ihres virtuosen Violinspiels mit renommierten Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Boston Symphony Orchestra, dem NHK Symphony Orchestra Tokyo, dem Chamber Orchestra of Europe, dem Freiburger Barockorchester, den Münchner Philharmonikern oder dem Gewandhausorchester Leipzig zusammenarbeitet. Als Preisträgerin des renommierten Leopold- Mozart- Wettbewerbs und des Paganini-Wettbewerbs lag ihr nicht nur Mozart nahe, sie entwickelte schon bald ein breitgefächertes Repertoire von Barockkompositionen über klassisch-romantische Werke bis hin zu zeitgenössischen Stücken und damit auch eine enge und nachhaltige Zusammenarbeit mit Dirigenten und Dirigentinnen wie Giovanni Antonini, Frans Brüggen, Sir John Eliot Gardiner, Bernard Haitink, Daniel Harding, Philippe Herreweghe, Andris Nelsons, Robin Ticciati, Mariss Jansons, Marek Janowski. Und eben auch mit Claudio Abbado, der wiederum das Mahler Chamber Orchestra vor 25 Jahren ins Leben gerufen hatte, um die Kunst des „Sound of Listening“ beim Publikum zu schärfen. Das Zusammentreffen mit dem Orchester wie mit dem ebenfalls weltweit gefragten französischen Bratschisten Antoine Tamestit – in Japan agiert er gemeinsam mit Nobuko Imai als Co-Art Director des Viola Space Festivals und einen Teil seiner Ausbildung erhielt er von der renommierten Bratschistin Tabea Zimmermann – war  in jeglicher Hinsicht auf Augenhöhe.

Bei von Bibern standen die Trompeten im Vordergrund, Foto: Petra Kammann

Bevor im zweiten Teil dieses außergewöhnlichen Abends Mozarts Sinfonie Nr. 36 C-Dur KV 425, die sogenannte „Linzer“ erklang, brachte das Mahler Chambrer Orchestra in der Sonata Nr. 1 C-Dur à 8 für 2 Trompeten, 2 Violinen, 3 Bratschen, Violine und Basso continuo aus der Sonatae tam aris quam aulis servientes von Heinrich Ignaz Biber von Bibern (1644-1704) vor allem die strahlenden Trompeten im Vordergrund zu Gehör.

Der von der Musik beseelte Gang von diesem magischen Ort inmitten der Weinfelder zurück in die Dunkelheit des Abends an war begleitet von außergewöhnlichen Hörerlebnissen, die noch nachschwangen und uns den Wert dieses vielgestaltigen Festivals noch einmal in besonderer Weise bewusst werden ließen.

 

Weitere Infos:

https://www.rheingau-musik-festival.de

 

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