Zum Saisonstart: Einzelausstellung „Longing souls and bodies lost“ von Alice Máselníková
Alice im Wunderland
Von Petra Kammann
Gedichte, Ölbilder, Aquarelle und Skizzen auf Papier der tschechischen, in Stockholm lebenden Künstlerin Alice Máselníková sind in einer Einzelausstellung im Kunstverein Eulengasse in skurrilen Bildern zu erleben. Sie spiegeln die Sehnsucht nach der verlorenen Einheit von Körper, Geist und Seele Vernissage ist am 2. September 2022.
Die in Stockholm lebende Malerin und Kuratorin Alice Máselníková, Foto: Petra Kammann
Waiting for seeds
I will just lie here and wait for seeds to be
placed into my mouth
as I sleep lying to the wheat
of the summer that would come,
of the golden ripened bliss.
I lay down, drowning whispers of the stems
with stories they do not trust, but still
release their grains onto my limp tongue
one by one, lightly,
becoming bread, beckoning the plains.
© Alice Máselníková
Alice Máselníkovás eindrucksvolle und teils skurrile Gemälde, mit dem Blick in die Tiefe der Körper- und Seelenwelt der Menschen, sind für die tscheschiche Künstlerin existenziell wichtig. In der Darstellung gleichen sie Inszenierungen mit einem weiten Hinterraum. Dieses Offene spiegelt sich auch in ihrer Lyrik. Geht man näher an die Bilder heran, so entdeckt man fein übereinander geschichtet Lasuren, die dem Gemalten jeweils mehr Tiefe verleihen wie im Falle des Gemäldes „Waiting für seeds„, dessen Titel dem ihres Gedichts entspricht. Das Warten der im Feld liegenden Ur-Mutter oder archaischen Göttin auf die glücksbringende Saat ist trügerisch. Die Ähren fallen vom oberen Bildrand auf die erschlafft Liegende, die selbstvergessen und entspannt alles in sich aufnimmt. Bald wird aus den Körnern Brot.
Unterhält man sich mit der Künstlerin, so wird sehr bald deutlich, in welcher Weise sie von der Darstellung der Oberfläche des menschlichen Körpers aus in die Tiefe der Empfindungen und Gedanken vordringt. Und ganz bewusst hat sie diesen Weg auch in ihrer Ausbildung verfolgt, indem sie nicht nur – dem Erasmus-Förderprogramm sei Dank – in verschiedenen europäischen Städten Kunst wie Valencia, Berlin oder Dundee studierte und auch als au pair in Brüssel arbeitete, sondern neben dem Sprachenstudium auch Philosophie und eine Ausbildung zum „Kuratieren von Kunst“ betrieb. Der Wunsch, in sich zusammenhängende Dinge als Ganzheit zu ergründen, war ebenso groß wie der, ausschließlich von der Kunst leben zu können.
Dabei beschäftigte sie sich jeweils mit den kulturellen Traditionen, mit den eigenen, allerdings fernab jeglicher Blut-und Boden-Ideologie, und mit den anderen europäischen, sei es in der Malerei, wo sie in der zeitgenössischen Malerei Francis Bacon oder Lucian Freud inspirierten und in der traditionellen vor allem die niederländisch-flämische Malerei. Besonders faszinierte sie Hieronymus Bosch, Brueghel oder Rubens. Für sie sind die griechische Mythologie, die Philosophie oder auch die traditionelle Religiosität nur die verschiedenen Facetten einer Sache. Die baut sie freilich in verwandelter Form ein in ihre Kompositionen, sei es in ihre Personen-Kopf-Gruppen mit der christlichen Idee der Trinität im Hinterkopf oder seien es traditionelle Opfer-Mythen.
Sehr eindrucksvoll ihr neuestes großformatiges Gemälde „The feast“, auf dem die unbedeckten Körper schutzlos ausgeliefert erscheinen inklusive des liegenden sich ankauernden Tiers, das an das christliche Symbol des „Agnes dei“, das „Opferlamm“, erinnert. Das „Panta rhei“ der Vorsokratiker wiederum zeigt, dass alles im Fluss ist, die Weingläser kippen am Bildrand, auch wenn der Wein wie Blut in den geöffneten Mund der sich hingebenden angeschnittenen Gestalt direkt hineinfließt. Immer sind bei ihr die auf den Bildern dargestellten menschlichen Körper ausschnitt- oder bruchstückhaft präsent.
„Viele der Körper in ihren Gemälden und Zeichnungen sind ohne Füße, ohne Arme, sogar ohne Köpfe. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Teil des Körpers richten, können wir die Lebensgefühle des Körpers, das Volumen und die Wärme der Hände, die Beschaffenheit der Finger usw. deutlich wahrnehmen. In anderen Teilen des Körpers sind diese Lebensgefühle jedoch nicht so leicht zu erkennen, je nachdem, wie viel Aufmerksamkeit wir unseren Beobachtungen schenken„, sagt der aus dem brasilianischen Recife stammende, inzwischen seit etlichen Jahren in Frankfurt lebende Künstler Vládmir Combre de Sena, der die Ausstellung kuratierte, weil er sich der Darstellung der Fremdheit in Máselníkovás Malerei spontan verbunden fühlte.
Er sieht auch Verbindungen und Parallelen der malerischen Motive zur brasilianischen wie auch zur griechischen Mythologie. In der afrobrasilianischen Religion des Candomblé, die im 19. Jahrhundert am Ende der Sklavenzeit entstand, kann während eines Candomblé-Ritus ein Heiliger Besitz von einer Person ergreifen, die sich dann anders bewegt als die anderen Teilnehmer am Kult, diesig um den Altar herum in Trance tanzen, in der der logisch-reflektierenden Verstand ausgeschaltet wird, was wiederum zur Tiefenentspannung führt. Das komme in den dahingelagerten Körpern zum Ausdruck, bei denen auch vieles ausgespart ist, was die Phantasie anregt.
„In Alices Gemälden finden wir Lämmer (Panta Rhei: The Feast, 2022), im Weizenfeld verlassene Göttinnen (Waiting for seeds, 2022), ikonisierte Alltagsgegenstände (New bowl, 2022), die uns daran erinnern, dass der Mythos im menschlichen Leben immer präsent war und ist. Durch ihre Beobachtung entführt uns Alice in eine Welt, in der wir die Physis und die Natur verstehen müssen, um den Kosmos zu verstehen. Wenn der Mythos für sie der Weg war, die Wirklichkeit und die Essenz des Geistes zu verstehen, dann wollten uns die Griechen sicherlich zeigen, dass alles mit dem Mythos begann“, so Combre de Sena weiter.
Zeichnungen, Skizzen und Aquarelle von Alice Máselníková auf dem Tisch und das Gemälde „New bowl“ im Fenster der Galerie, 2022 Foto: Petra Kammann
Máselníková als Person wirkt ganz modern. Ihr Englisch klingt perfekt, lebt sie doch nunmehr seit sieben Jahren in Stockholm, wo sie sich, jedoch trotz aller ihr zugeneigten Freundlichkeit als fremd empfindet und sich stattdessen immer wieder an ihre tschechische Heimat Zlín erinnert, wo sie inmitten einer südostmährischen, warmen fast mediterranen Weingegend aufwuchs, in der das Klima auch das mitteilsame Verhalten der Menschen bestimmt. Und doch machte sie sich schon mit 17 allein auf den eigenen Weg .
Dreiviertel des Jahres empfindet sie es heute im hohen Norden als kalt und dunkel. In Skandinavien sei man halt nicht so kommunikativ, sondern eher sachlich kühl und knapp. Da vermisse sie einfach die Entäußerung tiefsitzender und warmherziger Gefühle, die sie rückwirkend ihre Verwurzelung im Slawischen spüren lässt, die sie in dieser Weise aber in Schweden nicht teilen kann. Außerdem sei dort die figurative Malerei, der sie sich verbunden fühlt, nicht so beliebt. Die Kunst selbst habe einen anderen Stellenwert. Auch die tschechische Literatur in ihrer hintergründigen Skurrilität bis hin zum Grotesken sei für sie wichtig. Dabei denkt sie an die Erzählung „Die Verwandlung“ von Franz Kafka, in der sich der Protagonist Gregor Samsa in einen Käfer verwandelt. Etwas Vergleichbares habe sie ganz real erlebt, als sich ein Käfer in ihrem Gepäck eingenistet habe. Aber das ist eine andere Geschichte…
Aber gleich, ob Mythos, Philosophie oder Religion: Máselníkovás Bilder erzählen in ihrer starken physischen Präsenz und voller Energie Geschichten: von der Hingabe bis hin zur Trance, aber sie nehmen auch die Schattenseiten der menschlichen Existenz wahr. Sie sprechen von Abwesendem und Verlassenem, von Vergeblichkeit, Einsamkeit und Angst. Die beleuchtete Platte des großen Tischs auf einem ihrer Stillleben, hinter dem ein einziger leerer Stuhl steht, macht diese Gefühle sichtbar. Nur ein abendlich dunkles Fenster schafft die Verbindung zur nicht sichtbaren Außenwelt, die voller Geheimnisse ist. Zurück bleibt nur ein schräg liegendes Messer auf der Tischplatte. Das fordert den Betrachter heraus, sich Fragen zu stellen. Welche Szene hat sich auf dem oder am Tisch abgespielt? Man kann es nur ahnen.
Aus Alltagsgegenständen entstehen Stillleben wie „Soul, longing“, Foto: Petra Kammann
Auf dem daneben hängenden Bild gleichen quadratischen Formats erscheint aus dem Dunkel eine gefräßige Ratte, die sich der Essensreste bemächtigt. Daneben hängt ebenfalls Soul, longing, eines ihrer Gedichte, das Aufschluss gibt über die Befindlichkeit heutiger Menschen, die ständig in medialen Netzen unterwegs sind und der Sehnsucht hinterherlaufen, wahrgenommen zu werden und alles dafür tun, sichtbar zu werden. Sind sie deswegen eitel? Eher machen sie die seelisch schmerzliche Erfahrung, übers Ohr gehauen worden zu sein, und wiegen sich im trügerischen Glauben, man sei nicht allein „I am not alone“. Wie heißt es doch in den „Capriccios“ von Francisco de Goya, die im Spanischen Bürgerkrieg entstanden: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer„. Diese Erfahrung scheint aktueller denn je.
Soul, longing
Some people would do anything
to be seen.
We call them vain,
and vanity, you say,
does not suit us well.
What is left unsaid is
that the soul aches in
many different ways:
to be had;
for the body to be hers, only;
and, in the despair for gaze
to believe:
“I am not alone.”
Biografie Alice Máselníková
Alice Máselníková (geb. 1989, Zlín, Tschechische Republik) ist eine in Stockholm lebende Malerin und Kuratorin. Sie hat einen BA (Hons) in Kunst und Philosophie vom Duncan of Jordanstone College of Arts and Design, Dundee, einen MA in Kuratieren von Kunst von der Universität Stockholm und studierte Bildende Kunst an der Universidad Politécnica de Valencia. Sie ist eine der drei Kreativdirektoren von Supermarket – Stockholm Independent Art Fair, Gründerin der von Künstlern betriebenen Initiative Flat Octopus, Projektleiterin von Artist-Run Network Europe, Projektmanagerin bei Intercult und arbeitet außerdem als freiberufliche Redakteurin und Beraterin für Kulturförderung.
Die Ausstellung
Aufbau der Ausstellung: Ein Video von Gözde Ju – Eulengasse
Ausstellungsraum EULENGASSE
Seckbacher Landstraße 16
60389 Frankfurt am Main
ÖFFNUNGSZEITEN
Do 17-21 Uhr
Fr 15-18 Uhr
So 15-19 Uhr