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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

München 72: Die olympischen Spiele in der Rückschau

Zwei Publikationen bieten eine gute Grundlage für produktive Erinnerungen

Von Uwe Kammann*

„Munich 22″– unter diesem Motto liefen gerade die European Champions. Wer die Bilder des Sportfestes gesehen hat, kann sich annähernd vorstellen, wie das war, vor 50 Jahren, nachdem in München am  26. August die Spiele der XX. Olympiade eröffnet wurden. Das Motto lautete so einfach wie vielversprechend: „Die heiteren Spiele“. Und es wurde in jeder Minute eingelöst, getragen von einer Begeisterungswelle und einer Stimmung, die schnell eine Schlagzeile auslöste: Goldmedaille für das Publikum. In der Tat: Es feierte die Athleten, ganz unabhängig von Medaillenerfolgen und Nationalitäten, es feierte sich selbst in seiner Weltoffenheit – und bestätigte aufs Beste die Intentionen der Olympiamacher.

Hostessen vor dem Olympiaturm 1972: Die Damen sollten zwischen 19 und 30 Jahren alt sein, mindestens zwei Fremdsprachen beherrschen sowie sich durch ein freundliches Wesen auszeichnen; Bildnachweis: /BSB/Alle Fotos –  bis auf die Autorenfotos – aus: „München in Bildern“, Volk Verlag/Bildarchiv/ Georg Fruhstorfer

Bis sich, im Morgengrauen des 5. September, der heitere bayerische Himmel zum finstersten Schwarz verdunkelte: mit dem Anschlag des palästinensischen Terrorkommandos Schwarzer September auf die israelische Mannschaft. Elf als Geiseln genommene Sportler wurden ermordet. Fünf der Terroristen wurde bei einer fehlgeschlagenen Befreiungsaktion erschossen. Ein Polizist starb.

Diese Terror-Aktion beendete mit einem Schlag den vorher alles imprägnierenden Geist der Münchner Spiele, die getragen waren vom Gedanken, Sport und Kultur in besonderer Form zu vereinen, tatsächlich so etwas wie eine Utopie eines spielerischen Lebens auf Zeit nicht nur zu beschwören, sondern auch lebendig werden zu lassen. Zwar wurden die Spiele nach einem Tag der Trauer mit einer bewegenden Feier fortgesetzt („The Games must go on“, deklamierte – als Entscheidung überaus kontrovers aufgenommen – der Präsident des Olympischen Komitees); doch bleibt in der Erinnerung vieler eines bestimmend: die Kombination von Katastrophe und Tragödie.

Vermummter Terrorist auf dem Balkon des Hauses Connollystraße 31. Am frühen Morgen des 5. September 1972 drangen acht palästinensische Terroristen in die Unterkunft der israelischen Mannschaft ein. Sie erschossen den Trainer der Ringer Moshe Weinberg und verletzten den Gewichtheber Josef Romano schwer. Volk Verlag/STERN-Fotoarchiv/Volker Hinz – Sven Simon

Jetzt, nach einem halben Jahrhundert, wird vielerorts der Blick zurück gerichtet. Verändert die Zeit die Grundzüge und die Facetten der Erinnerung, verschieben sich die Perspektiven, ergeben sich neue Bewertungen? Erstaunlich dabei, dass ‚klassische’ Medien wie Bücher und Ausstellungen dabei überwiegen. Eine solide Erinnerungsarbeit haben gerade gerade Martin Hartwig und Winfried Sträter in einem Deutschland-Radio-Feature abgeliefert („Die Welt sollte ein anderes Deutschland erleben“).

Im Fernsehen selbst – das damals für ein Milliarden-Publikum die Spiele so umfassend wie nie als weltumspannendes Live-Erlebnis inszenierte – ist erstaunlicherweise wenig zu finden, ebenso mager sieht es im Mega-Medium Netz aus. Der Hauptgrund womöglich: Beo der Technik vertraute man Anfang der 70er auf das neue Speichermedium VHS – ohne zu ahnen, dass die magnetische Kraft der Bänder so schnell nachlassen würde. Das traurige Ergebnis heute: lauter vergrieselte, versumpfte Bilder. Während Leni Riefenstahls Kultfilm von den Olympischen Spielen in Berlin 1936 noch heute brillante Bilder bietet.

Die Olympischen Spiele von 1972 waren ein großes weltweites Fernseh-Ereignis. Blick vom Olympiaturm auf die Sportstätten, August 1972: Bildnachweis: Volk Verlag/Bildarchiv/Karsten de Riese

Ironie der (Technik)-Geschichte? Wo sich München doch in ganz anderer Form auf die Nazi-Spiele bezog: 1972 sollte das absolute Gegenbild geboten werden, fern aller Ankläge und Formen, mit denen der totalitäre Staat die Spiele zur pompösen Propaganda-Schau gemacht hatte. Was auch 2006 die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland bestimmte, und dies mit vielfach bestaunten Erfolg (Motto: „Die Welt zu Gast bei Freunden“), das war A und O der Konzeption bei den 72er-Spielen in München.

Wie es zur Idee überhaupt kam, wie sie in kurzer Zeit eine wirkmächtige Gestalt gewann, wie in der kongenialen Partnerschaft des deutschen Olympia-Chefs Willi Daume und des damals blutjungen Münchner Oberbürgermeisters Jochen Vogel auf den Weg gebracht wurde, mit welchen Konsequenzen, mit welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen und in welchem politischen Umfeld: Das ist vor allem in einem Buch aus dem Verlag DVA nachzulesen. Es heißt schlicht: „München 72“. Und trägt den programmatischen Untertitel „Ein deutscher Sommer“. Der ist natürlich vielfach deutbar, lässt jede Menge Assoziationen zu.

Und in der Tat: Die Autoren  gehen weit über die Beschreibung der olympischen Tage hinaus. Zwar blenden sie zentrale sportliche Ereignisse und Höhepunkte nicht aus (wobei sie schon die Superschlagzeilen-Sportler wie Mark Spitz, Heide Rosendahl oder Olga Korbut herausstellen), doch geht es ihnen um sehr viel mehr. Sie wollen den gesellschaftlich-politischen Hintergrund ausmalen, einen Rahmen der damaligen Alltagskultur aufzeigen, Stimmungen und Vorlieben in der Bundesrepublik skizzieren, dem publizistischen Grundrauschen zu den Spielen nachlauschen. Kurz, sie liefern ein Makro- und Mikropanorama der damaligen Zeit, inklusive also der aufmüpfigen Jugend (Schwabinger Krawalle, sagt uns Heutigen das noch etwas) und sexueller Nachhilfe durch die Poster-Postille „Bravo“ (welche auch die Überraschungs-Siegerin Ulrike Meyfarth in ihrem Jugendzimmer las).

Viele überraschende und/oder amüsante Einzelheiten aus dem Leben vieler Beteiligter (an ganz verschiedenen Stellen) haben die Autoren ausgegraben, vielfältige Quellen ausschöpfend, eine Reihe von eigenen Interviews einbeziehend; was sie etwas eitel immer wieder einflechten, so wie sie auch an nicht wenigen Stellen eine flockige Sprache strapazieren, etwa, indem sie beim Superschwimmer den „Bademantel der Geschichte“ ausmachen.

Aber das ist weitgehend verzeihlich, weil das Buch eine Menge an wegweisenden Details vorweisen kann, und zwar über die ganze zeitliche Linie: von der überraschenden Initiative zu den Spielen, mit denen Willi Daume sportpolitisch der aufstrebenden DDR etwas entgegensetzen wollte, bis zu Beschreibung der dramatischen Aktionen nach dem Anschlag – und der genauen Beleuchtung all der sicherheitstechnischen Versäumnisse, welche die Katastrophe in dieser Dimension wesentlich erleichtert haben.

Manschette in Otl Aichers Olympiafarben an einem Zeitdach-Mast, Foto: Uwe Kammann

Hier setzen die Autoren immer wieder auf den Kontrast, führen immer wieder die Absicht der Macher auf, ein Gegenbild zu Berlin 36 zu entwerfen und zu realisieren. Das führt zu manchen Redundanzen im Text, denn das Grundmuster (dessen tragisches Teil-Scheitern natürlich auch vor der Folie des ‚Nachher’ zu lesen ist) wird schon auf den ersten Seiten ausführlich beschrieben. Auch der herausragende Anteil des Grafikdesigners Otl Aicher – dem 1966 die visuelle Gesamtgestaltung der Spiele übertragen wurde – wird immer wieder erwähnt. Die Bedeutung dieser Gestaltung – von den pastellenen Grundfarben, die sich zu einem Regenbogen fügten, über die immer noch weltweit angewendeten Piktogramme bis zu allen Einzellösungen, vom Ticket bis zu den Uniformen und Trinkbehältern: Das alles war und ist in seiner Gesamtqualität einzigartig, ist, wenn man so will, das indirekt fortdauernde Weltkulturerbe dieser Spiele.

Ungezwungen und zivil: das Olympische Feuer am Stadion, Foto: Uwe Kammann

Ebenso herausragend war die Leistung des Architekten Günter Behnisch, dessen Büro die bahnbrechende Idee der beschwingten Dachlandschaft für die Hauptstadien entwickelte; und dies in enger Verbindung mit dem Landschaftsarchitekten Günter Grzimek, der das Gelände des ehemaligen Flughafens Oberwiesenfeld in eine heitere Parklandschaft verwandelte, die mit ihren schwingenden, offenen Wegebeziehungen jegliche Massenbildung verhinderte.

Die Olympischen Spiele in München sollten ein möglichst harmonisches, friedliches und heiteres Bild der neuen Bundesrepublik zeigen. Das Olympiastadion, die Olympiahalle und die Schwimmhalle waren von dem Architekturbüro Behnisch & Partner konzipiert worden; Bildnachweis: Volk Verlag/Bildarchiv/Max Prugger

Blick unter das Zeltdach während der Spiele 1972, Foto: Uwe Kammann

Die Besucher flanierten fasziniert im Olympiapark, genossen die vielfältigen Perspektiven auf die atemberaubende, so ganz und gar neuartige Architektur, vergnügten sich auf der als Kultur-Bühne ersonnenen Spielstraße am Ufer des zentralen Sees. Die sportlichen Wettkämpfe waren bei dieser einmalig gebliebenen Konstellation zwar zentraler Bestandteil der Spiele, aber eben doch nur ein Teil aus vielen Elementen, die sich zu einem Gesamtkunstwerk fügten. Im olympischen Dorf, gleich nebenan und ebenfalls ein architektonisch großer Wurf, herrschte ein nicht nur sprichwörtlich buntes Leben, eine zur Wirklichkeit gewordene Utopie des friedlichen, spielerischen Nebeneinanders, ohne jeden Alltagszwang – ein Paradies auf Zeit.

Hier entstand der Olympiapark: Das circa 280 Hektar große Oberwiesenfeld im Münchner Norden, wo ab 1945 2,2 Millionen Kubikmeter Kriegsschutt und Trümmer abgeladen wurden.  Bildnachweis: September 1966 Volk Verlag/Bildarchiv/Max Prugger

Die Kehrseite all’ dieser so positiven Facetten: dass die Sicherheitsaspekte – trotz einschlägiger Warnungen, trotz dringlicher Hinweise des israelischen Geheimdienstes – völlig übersehen wurden. Im Buch wird der Mechanismus mit seinen fatalen Auswirkungen genau beschrieben.Und so bestimmten dann die per Fernsehen live übertragenen Bilder des Terroranschlags die letzten Tage der Spiele – sie brannten sich ein als Ikonen einer neuen Weltlage, die Unbeschwertes – welches den Nukleus der Münchner Spiele bildete – nie mehr zulassen würden.

Zwischen 1969 und 1971 waren circa 5000 Arbeiter auf dem Oberwiesenfeld beschäftigt. 60% von ihnen waren so genannte ‚Gastarbeiter‘, vor allem aus Jugoslawien, der Türkei, Italien und Griechenland.  Bildnachweis: Volk Verlag/Bildarchiv/Karsten de Riese

Wer sich den optischen Gesamtzusammenhang der wenigen Jahre, in den sich das Münchner Wunder und die  Münchner Tragödie abspielte, in sehr verdichteter Form vor Augen führen möchte, der sollte unbedingt zu dem Band „Olympia 72 in Bildern“ (Volk Verlag) greifen. Er ist das Begleitbuch, sprich: der Katalog – zu einer großen Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek. Der großformatige Bildband versammelt zum Teil bislang unveröffentlichte Aufnahmen aus bedeutenden Fotoarchiven, auch aus den Beständen der Bibliothek. Mit seinen Motiven aus den Jahren 1965 bis 1972 spannt der Katalog einen weiten Bogen. Er reicht von den Entscheidungsträgern und -gremien über die Bauarbeiten auf dem Olympiagelände und die tiefgreifenden Umbaumaßnahmen in der Stadt München (inklusive U- und S-Bahn und der ersten Fußgängerzone zwischen Stachus und Rathaus bis zum Attentat.

Die ansonsten dominierenden Sportaufnahmen sind bewusst ausgeblendet. Es geht bei den Fotos – deren Urheber ausführlich vorgestellt werden – um das Gesamtereignis der Spiele, um ihre Geschichte und die verschiedenen Perspektiven der mit ihnen verbundenen herausragenden Elemente und Momente. Prägnante Einführungstexte erläutern die Hauptkapitel: die Stadtentwicklung in München, die Umwandlung des Oberwiesenfeldes in den Olympiapark, weiter die so weitreichende visuelle Gestaltung der Spiele, dann die Verbindung zu vielfältigen kulturellen Aktivitäten und die mediale Einbettung, schließlich das Attentat.

Der Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek, Klaus Ceynowa, hat einen sehr erhellenden Einführungstext geschrieben, der den Ausgangspunkt und die Grundgedanken dieser so besonderen Olympischen Spiele sehr konzentriert nachzeichnet. Und der mit Recht darauf hinweist, dass die Kontroverse, wie sie bewertet werden können und sollen, sich nicht einfach abschließen lässt. Sie werde die „Stadtgesellschaft“, wie er schreibt, weiter bewegen.

11. September 1972: Völkerverständigung bei der Schlusszeremonie Hostessen, Athletinnen und Athleten, Mitglieder der aufgetretenen Schäffler- und Trachten-Gruppen feierten zusammen das Ende der Spiele, Bildnachweis: Volk Verlag/STERN-Fotoarchiv/Peter Thomann

Diese Feststellung muss man sicher erweitern: Unsere gesamte Gesellschaft wird weiter von sehr unterschiedlichen Gedanken und Urteilen bewegt werden, wenn es um die 72er-Spiele in München geht. Und damit auch um das, was in den folgenden Jahren diskutiert werden wird. Soll es in anderhalb Jahrzehnten eine Fortsetzung, besser: eine Neuauflage geben? Welche Perspektiven ließen sich eröffnen, welche Risiken müssten befürchtet werden? Der Begriff Nachhaltigkeit wurde jetzt immer wieder bemüht: zu zeigen, dass Vorhandenes ausreicht, ebenso, dass mit einem klugen Konzept der jetzige Gigantismus der Spiele besiegt werden kann.

München 72, das ist noch lange nicht abgeschlossen. Das Logo, die Strahlenspirale, verheißt Dynamik und Offenheit. Das, immerhin, ist nicht das schlechteste Versprechen.

Bei der Schlussfeier am 11. September gab es nicht das übliche Feuerwerk, stattdessen überspannte ein Heliumschlauch in den Regenbogenfarben das Stadium. Das Kunstwerk von Otto Pienes stand als Symbol für die verbindende Kraft der Olympischen Idee; Bildnachweis: Volk Verlag/Bildarchiv/Joachim Kankel

* Unser Autor Uwe Kammann arbeitete bei den Olympischen Spielen 1972 im Pressereferat

Uwe Kammann im olympischen Dorf, Foto: Ulrich Priebus

Hier einige persönliche Dokumente: 

 

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