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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Nature On Off“- Eine Ausstellung in der EULENGASSE in Zusammenarbeit mit dem Bureau d’Art et de Recherche Roubaix

Hybride Form, die lebend sich entwickelt…

Von Petra Kammann

Austausch nach der Pandemie tut not. Die Idee zu dem Kooperationsprojekt der Ausstellung „NATURE ON OFF“ des Künstlervereins EULENGASSE mit dem Bureau d’Art et de Recherche Roubaix (FR) sowie das Netzwerk der Künstler und Künstlerinnen waren entstanden durch die Begegnungen auf der digitalen Plattform der Independent Art Fair Athen sowie auf der Supermarket – Stockholm Independent Art Fair in Schweden. Künstlerische Arbeiten zwischen Science fiction, degenerierter Natur und organischer Archaik, verbunden mit einem Artist Talk in Frankfurt.

Gegensätzliche Dimensionen: Die skulpturale, anderthalbmeterhohe Arbeit des Künstlerduos Julie Villard und  Simon Brossard Megamix Delight II, 2019 aus Resin, Metall, bemaltem Polyurethane Plastik sowie die am unteren Rande versteckten Blumen von Régis Perray und Arbeit „After Frize, Be“von Guillaume Krick, Foto: Courtesy Guillaume Krick

Zwei raumgreifende Skulpturen ziehen den ersten Blick auf sich, wenn man in den kleinen White Cube der EULENGASSE eintritt: eine antikisierende sandhelle Säule der französischen Keramik-Bildhauerin Marion Richomme (*1986) und die ihr gegenüberstehende Skulptur des Künsterduos Julie Villard und  Simon Brossard (*1992 & *1994) – eine monströse, violett schimmernde und an weit geöffnete Lippen erinnernde künstliche Blüte, die auf Stängeln aus Elektrokabelstrippen thront. Sie erinnert an florale Elemente des Art Nouveau, wirkt durch den metallisch-schimmernden Glanz aber wie vergiftet. Dabei vergisst man beim Anblick sogleich die Herkunft der Einzelteile aus Konsumschrott wie Staubsaugerelementen, medizinischen Geräten und Nippes, die zur Transformation des Kompositionsprozesses beigetragen haben. Entstanden ist durch die Metamorphose der Künstlichkeit eine Art „zweiter Natur “ und somit ein in sich schlüssiges künstlerisches Objekt.

Im Zentrum: die emaillierte Sandstein-Säule von Marion Richomme, das Holzobjekt mit der Taxidermie eines Eichhörnchens „Natural Attitude“ von Gianin Conrad (CH) und links das Objekt  aus Holz und Filzstiften „Langue“ von Romain Rambaud, Foto: Courtesy Guillaume Krick

Ganz anders wirkt demgegenüber die an die klassische Antike angelehnte Säule mit dem dystopischen Titel: „Le Discours de l’échafaud“ („Rede auf dem Schafott“) von Marion Richomme, die in ihrer künstlerischen Utopie einen geradezu archaischen Charakter angenommen hat. In dieser aufregenden formalen Assemblage erscheinen Elemente aus der Tier-, Pflanzen- und Mineralienwelt wie eingewachsen. Sie sind hier ebenso eingearbeitet wie auch die Klassen und Techniken der taxonomischen und systematischen Gruppierung und gaukeln uns eine neue Stufe des Tier- und Zellreichs vor. In diesem Werk ist künstlerisch der Traum von der Einheit mit der Natur-, Pflanzen-, Tier – und Mineralwelt eine neue überzeugende Symbiose eingegangen. Vorausgingen dazu etliche zeichnerische, fotografische und wissenschaftliche Studien der französischen Künstlerin.

Die künstliche dystopische Welt, die dazu beigetragen hat, die Erde zu kontaminieren, hat sich schon in unserem Bewusstsein eingebrannt. In der Arbeit des frankokanadischen Künstlers Guillaume Krick (*1981) wurden die aus zuvor angefertigten oder gefundenen plastischen Elemente oder Materialfragmente wie recycelter Kunststoff, Knochen, Kieselsteine und Staubsaugerstaub wie eine Art Memento mori auf eine Fläche montiert. Eingefasst wurden sie vom pinkfarbenen Plastikrahmen eines weggeworfenen ehemaligen Kinderlaufställchens. Entstanden ist so eine Art zeitgenössisches Stilleben.

„After Frize, Be“, Objekt des  frankokanadischen Künstlers Guillaume Krick; Foto: Courtesy Guillaume Krick 

Wie die Welt neu erschaffen wird durch Kunst und zur Natur wird, das wirkt in diesem kompakten Raum in Frankfurt-Bornheim besonders intensiv, nicht zuletzt durch die geschickte Gegenüberstellung von Werken in den unterschiedlichen aufeinanderbezogenen Größendimensionen. Leise, minimalistisch und wie ein ironischer Kommentar recken sich kleine gemalte Blümchen aus Steckerlöchern oder stecken am unteren Wandende des Nantaiser Künstlers Régis Perray (*1970) ihre Köpfe empor, als wollten sie sagen: „Schaut her, wir sind auch da und betrachten das Ganze von unten.“ Genannt er diese Papiertapete entstandenen Bümchen , die zwischen 2017 und 2022 entstanden: „Les petites feure de l’apocalypse“. Apocalye now – das spricht ein wenig aus allen Objekten. Noch sehen wir die Dinge, die auf uns zukommen, wenn wir sie und uns nicht ändern.

Zu Gast in der EULENGASSE: Die beiden Kuratoren Guillaume Krick aus Roubaix und Romain Rambaud aus Nantes; Foto: Petra Kammann

Eines vereinigt die Arbeiten französischer Künstler und Künstlerinnen. Sie haben sich mit dem Credo des Anthropologen Philippe Descolar auseinandergesetzt: „La nature, ça n’existe pas“ („So etwas wie Natur gibt es nicht„). Und das war auch der Aufhänger für die Kuratoren Guillaume Krick und Romain Rambaud (*1981), zu denen die Vertreter der EULENGASSE Harald Etzemüller, Vládmir Combre de Sena und Gözde Ju (* 1992 in Adana/Türkei) auf der Stockholmer Messe: die Supermarket – Stockholm Independent Art Fair Kontakt geknüpft und sie eingeladen hatten.

In der Ausstellung der EULENGASSE hieß es: Ist das Kunst oder hat es die Natur hervorgebracht? Dabei geht es um unterschiedliche Aspekte von Malerei und Skulptur. Einzelne Fragmente aus unterschiedlichen Materialien und Motiven werden kombiniert zusammengefügt, aufgeschichtete Mischungen aus den Materialien des Alltags zu einem neuen Ganzen gefügt, so dass sich jeweils ein neues Gesamtkunstwerk ergibt. Picasso hatte ein solches künstlerisches Verfahren bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts für seine dreidimensionalen kubistischen Konstruktionen genutzt, Fahrradlenker in Skulpturen eingebaut, die Dadaisten und Surrealisten hatten die Absurditäten und Alpträume weiter entwickelt und Arman hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine Akkumulationen aus Gebrauchsobjekten aller Art zu Plastiken, Reliefs u. Tafelbildern geschichtet.

Das künstlerische Verfahren an sich ist also nicht ganz neu. Was nun hinzukommt, ist der Umgang mit dem ökologisch vergifteten „Trash“ und der Aspekt des „No Waste“, was heute im Mittelpunkt des kreativen Akts steht, denn Müll ist überall, sei es als gigantischer Strudel in den Weltmeeren und Flüssen, sei es als Feinstaub in der Luft oder als Mikroplastik in unserer Nahrungskette. Darauf in sinnlicher Form aufmerksam zu machen, ist zweifellos der verbindende Ansatz der meist französischen Künstler und Künstlerinnen, über den auch im Artist talk diskutiert wurde.

Artist talk in der Eulengasse v.l.n.r.: Gianin Conrad, Gözde Ju, Guillaume Krick und Harald Etzemüller, Foto: Petra Kammann

Um die aktuelle Ausstellung vorzubereiten, waren Zoom-Konferenzen vorausgegangen. Ausgestellt waren knapp zehn repräsentative Arbeiten von Künstler:innen, die zuvor in der Galerie QSP (Quantité Suffisante Pour) in der einstigen Textilstadt Roubaix präsent waren. Seit 1999 werden da verschiedene regionale wie internationale Künstler empfangen und ausgestellt, die sich der zeitgenössischen Kunst verschrieben haben, und das aus in den unterschiedlichsten Disziplinen (Zeichnung, Bildhauerei, Fotografie, Video, Design, Performances). Sie geben der einst produktiven industriellen Gegend ein neues Image.

Im  B.A.R. (Bureau d’Art et de Recherche) in der einstigen Textilstadt Roubaix finden parallel dazu zwischen September und Juli Ausstellungen, Performances, Lesungen, praktische Workshops und städtische und kreative Erkundunggsspaziergänge, Guided Tours in die Umgebung statt. Roubaix, in der Metropolregion Lille, umfasst auch Städte wie Ville d’Asq, Toucoing, wo sich eine bedeutende Ecole des Beaux Arts befindet. Zudem hat die dynamische Region auch die Nähe zu Belgien, wo sich die zeitgenössischen Künstler bestens austauschen können.

Willkommen ist hier alles, was Innovation und den Zugang für Alle verspricht, weil auch das Thema uns alle betrifft. Wichtig sei es für die Kreativen, damit sich die Szene unabhängig weiterentwickeln kann, dass die Nachwuchskünstler:innen in Non-Profit-Galerien ausstellen können, da im etablierten Kunstmarkt, wo vor allem internationale Anerkennung und Wert des schon bestehenden Künstlernamens das Interesse der Käufer und Anleger bestimme, die sich untereinander weiter empfehlen und noch Unbekannten kaum Chancen bieten dazuzugehören.

Das interessierte Publikum, Foto: Gözde Ju

Dass Begegnungen wie hier in der EULENGASSE keineswegs selbstverständlich sind, dass junge Kreative unvoreingenommen ausstellen können, kam in der Diskussion zum Ausdruck, als Guillaume Krick die Situation im zentralisierten Frankreich beschrieb, wo Paris nach wie vor die Hauptrolle einnehme und Akzente setze. Dabei nannte er einige Städte, in denen sich dieses Bewusstsein jedoch langsam verändere so wie in Nantes, in Marseille, im Großraum Lille oder in Lyon. Ganz anders dagegen die Situation in der sehr „reichen“ Schweiz, wie der Schweizer Bildhauer Gianin Conrad beschrieb. Er lebe im Engadin, wo es für Künstler fast unmöglich sei, auch nur den geringsten Raum als Atelier finanzieren zu können, und er sei froh, dass er neben der künstlerischen Tätigkeit noch die Möglichkeit habe zu unterrichten. Sonst hätte er die Pandemie nicht überlebt. Da hätten zwar die Museen und Kuratoren Unterstützung bekommen, nicht aber die Künstler selbst.

Interessant daher auch die Frage, welche der künstlerische Leiter der EULENGASSE  Vládmir Combre de Sena wie auch die in Deutschland lebende türkische Künstlerin Gözde Ju stellten, was für die einzelnen Künstler:innen Erfolg in der Kunst bedeute. Darin waren sie sich alle einig. Wenn sie selbst die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel voll ausgeschöpft hätten und sich weiterentwickeln könnten, wobei der pekuniäre Erfolg eine zweitrangige Bedeutung habe.

Man darf gespannt sein. Eine Folge des internationalen und regionalen Kooperationsprojektes: Kurz vor Weihnachten werden die Künstlerinnen und Künstler der EULENGASSE dann mit ihren Arbeiten in Roubaix zu Gast sein.

Teilnehmende Künstler und Künstlerinnen der Ausstellung NATUR ON OFF:  

Gianin Conrad (CH) | Bertrand Gadenne (FR) | Clara Juliane Glauert (DE) | Joëlle Jakubiak (FR) | Jean-Baptiste Janisset (FR) | Guillaume Krick (FR-CA) | Régis Perray (FR) | Romain Rambaud (FR) | Marion Richomme (FR) | Villard & Brossard (FR) mit freundlicher Unterstützung der Stadt Frankfurt Am Main – Kulturamt, Institut Français + Région Hauts-de-France, Institut Français + Ville de Nantes, Représentation du Québec en Allemagne, Katapult.

www.eulengasse.de

 

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