Podcast // Internationale Stummfilmtage Bonn zu Gast im DFF
Bereits zum zweiten Mal kooperiert das DFF mit dem ältesten Stummfilmfestival Deutschlands.Das 38. Bonner Sommerkino–Internationale Stummfilmtage findet vom 11. bis 21. August 2022 in Bonn statt. Sechs ausgewählte Filme aus dem Programm sind aber auch von Mittwoch, 17. August, an in Frankfurt im Kino des DFF zu sehen.
Eva Hielscher, Sammlungsleiterin am DFF, ist Co-Kuratorin bei den Internationalen Stummfilmtagen. Im Podcast spricht sie über die Magie des Stummfilms, die für sie auch in dem Zusammenspiel von visueller Bildkraft und musikalischer Live-Begleitung liegt, das das Filmerlebnis so besonders macht. Sie stellt einige der Filme vor, darunter die Komödie MORAL (1928, R: Willi Wolff) und der dänische Monumentalfilm ATLANTIS (1913, R: August Blom), und erklärt, warum das Festival für Filmfans jedes Alters etwas zu bieten hat.
Mittwoch 17.08.2022
18:00 Uhr
MORAL
Deutschland 1928. R: Willi Wolff. D: Ellen Richter, Jacob Tiedtke, Ralph Arthur Roberts. 81 Min. DCP
Klavierbegleitung: Uwe Oberg
Filmreihe: 38. Internationale Stummfilmtage
Ellen Richter war eine der erfolgreichsten Schauspielerinnen des deutschen Stummfilms; seit 1915 spielte sie vor allem in Abenteuerfilmen. In der Tat war sie so erfolgreich, dass sie 1920 ihre eigene Produktionsgesellschaft gründen konnte. Fortan drehte sie ihre Filme unabhängig, mit ihrem Ehemann Willi Wolff als Drehbuchautor und Regisseur. MORAL ist eine Verfilmung des gleichnamigen Lustspiels von Ludwig Thoma, in dem der Sittlichkeitsverein eines kleinen Ortes den Auftritt einer umherziehenden Revuetruppe zu verhindern sucht, weil er die Moral gefährdet sieht. Was sich offenbart, ist jedoch die herrschende Doppelmoral. Ellen Richter spielt Ninon, die Chefin der Tanztruppe.
Donnerstag 18.08.2022
20:30 Uhr
LJUDYNA Z KINOAPARATOM
Der Mann mit der Kamera
UdSSR 1929. R: Dziga Vertov. Dokumentarfilm. 68 Min. 35mm. OF (ohne Zwischentitel)
Original version
Klavierbegleitung: Uwe Oberg
Filmreihe: 38. Internationale Stummfilmtage
Die 1920er Jahre bedeuteten für die russische Gesellschaft eine Zeit des Umbruchs, denn die Februar- und Oktoberrevolutionen von 1917 hatten die Herrschaftsverhältnisse grundlegend verändert. Viele Filmemacher waren sich ihrer Kraft bewusst und nutzten das Medium des bewegten Bildes, um die sozialistische Gesellschaftskonstruktion in Szene zu setzen. Der Dokumentarfilm „Der Mann mit der Kamera“ zeigt einen normalen Tag in einer russischen Großstadt, verknüpft diese Darstellungen jedoch mit ihrem filmischen Entstehungsprozess: Der Kameramann ist oft selbst im Bild präsent und auch der Montageprozess, das Zusammenfügen der Aufnahmen im Schneideraum, ist Teil der Erzählung. Darüber wird Dsiga Wertows Werk zu einer Art von visuellem Manifest, das dem Dokumentarfilm und seinem reinen Faktensammeln eine Absage erteilt und stattdessen das Leben vom Standpunkt des mit der Kamera bewaffneten Auges zeigt.
Freitag 19.08.2022
20:30 Uhr
BLIND HUSBANDS
Blinde Ehemänner
USA 1919. R: Erich von Stroheim. D: Sam DeGrasse, Francelia Billington, Erich von Stroheim. 100 Min. DCP. OF
Original version
Musikbegleitung: Cellophon (Cello Duo)
Filmreihe: 38. Internationale Stummfilmtage
Erich von Stroheims Debutfilm als Regisseur ist auch einer der ganz wenigen, die er ohne Intervention des Studios beenden konnte. Ein amerikanischer Arzt kommt mit seiner Frau in die Dolomiten, wo er seinem Hobby als Bergsteiger nachgehen kann; währenddessen verfällt die gelangweilte Ehefrau dem Charme eines österreichischen Leutnants, gespielt von Stroheim selbst. Ein Bergfilm – und ein Film erotisch aufgeladener Blicke und Gesten; alle typisch Stroheimschen Themen sind hier schon voll ausgebildet. Die neue Restaurierung des Österreichischen Filmmuseums ermöglicht es, zum ersten Mal seit dem Ersteinsatz des Films das komplette Original zu sehen.
Samstag 20.08.2022
18:00 Uhr
LASTER DER MENSCHHEIT
Deutschland 1927. R: Rudolf Meinert. D: Asta Nielsen, Werner Krauß, Alfred Abel. 87 Min. DCP
Klavierbegleitung: Florian Hauck
Filmreihe: 38. Internationale Stummfilmtage
Zur Entstehung von LASTER DER MENSCHHEIT schrieb der Regisseur Rudolf Meinert seinerzeit: „Die weibliche Hauptrolle sollte eine Mutter sein, die, durch und durch Kokainistin, alles daransetzt, ihre Tochter von diesem Übel und den Menschen, die ein Gewerbe damit treiben, zu bewahren. Nach meiner Meinung eine ,tolle Rolle‘. Die Nielsen könnte sie ja spielen – die Nielsen ist die einzige –, aber die Nielsen hatte schon lange nichts mehr gedreht.“ Zum Glück übernahm Asta Nielsen die ungewöhnliche Rolle als von Kokain- und Opiumsucht zerstörte Opernsängerin. Mit diesem Film wurde auch ein mehr als einjähriger Boykott Nielsens durch die deutsche Filmindustrie gebrochen. Zu sehen ist eine Restaurierung der Cinémathèque Royale de Belgique.
Sonntag 21.08.2022
18:00 Uhr
GUNNAR HEDES SAGA
Herrenhofsaga
Schweden 1923. R: Mauritz Stiller. D: Einar Hanson, Mary Johnson, Pauline Brunius. 70 Min. DCP
Musikbegleitung: Günter Buchwald (Klavier, Violine)
Filmreihe: 38. Internationale Stummfilmtage
GUNNAR HEDES SAGA war der vorletzte Film, den Mauritz Stiller in Schweden vor seiner Abreise nach Hollywood drehte. Nach einem Roman von Selma Lagerlöf entstanden, welchen Stiller sehr frei adaptierte, erzählt der Film von einem jungen Mann, der gern Musiker werden möchte, nach dem frühen Tod des Vaters auf Wunsch seiner Mutter aber das Familienunternehmen weiterführen soll. Er verlässt daraufhin sein Heim, hat aber einen schweren Unfall. Der Grundkonflikt ist also der zwischen Geschäft und Kunst, mit einer kräftigen Dosis nordischer Mystik. Zu sehen ist eine neue digitale Restaurierung des Schwedischen Filminstituts.
Dienstag 23.08.2022
20:30 Uhr
ATLANTIS
Dänemark 1913. R: August Blom. D: Olaf Fønss, Ida Orloff, Ebba Thomsen. 116 Min. DCP. Musikfassung
Einführung: Thomas Christensen (Danish Film Institute) und Eva Hielscher (DFF/Internationale Stummfilmtage Bonn)
Filmreihe: 38. Internationale Stummfilmtage
ATLANTIS, eine Adaption des gleichnamigen Romans von Gerhart Hauptmann aus dem Jahre 1912, war die aufwendigste Produktion der Nordisk Film und der erste dänische Monumentalfilm. Hauptfigur ist der Biologe Friedrich von Kammacher, dessen Frau den Verstand verliert und der sich in eine junge Tänzerin verliebt, welcher er auf einem Ozeandampfer nach Amerika folgt. Trotz allem äußeren Aufwand – Bravourstück des Films ist ein realistisch inszeniertes Schiffsunglück – ist ATLANTIS im Wesentlichen das eindringliche psychologische Portrait eines Mannes, der in eine geistige und psychische Krise gerät. Darüber hinaus gibt der Film ein sehr plastisches Bild des bourgeoisen Lebens unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg. Der Film wurde in der Rezeption stets in Verbindung mit dem Schicksal der Titanic gebracht, die 1912 sank. Zu sehen ist eine neue 4K-Digitalisierung des Dänischen Filminstituts.