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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

ORTSWECHSEL“ – Kunstsammlung der Deutschen Bundesbank zu Gast im Museum Giersch der Goethe-Universität

Musealer Blick in den hochkarätigen Kunstschatz der Notenbank

Von Hans-Bernd Heier

Die Deutsche Bundesbank hütet nicht nur den Euro und den Goldschatz der Bundesrepublik Deutschland – das gehört zu ihren zentralen Aufgaben. Sie hütet auch, und das ist weniger bekannt, einen exzellenten Kunstschatz. Die deutsche Notenbank hat in rund 70 Jahren eine umfangreiche Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst zusammengetragen. Eine hochkarätige Auswahl der mittlerweile über 5.000 Kunstwerke umfassenden Sammlung ist jetzt unter dem passenden Titel „ORTSWECHSEL“  im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen.

Erich Heckel: „Saarschleife“, 1946; © Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen, 2022; Foto: Nils Thies

Es ist eine Premiere der besonderen Art: Erstmals präsentiert die Deutsche Bundesbank eine umfangreiche Auswahl von gut 90 Kunstwerken aus ihrer bedeutenden Kollektion öffentlich in einem Museum. Die Werkauswahl stellt einen Querschnitt durch die deutsche Kunstgeschichte des 20. und frühen 21. Jahrhunderts dar – angefangen mit prominenten Positionen der deutschen Kunst nach 1945 wie Georg Baselitz, Anselm Kiefer, Wolfgang Mattheuer oder Ernst Wilhelm Nay, bis hin zu Künstler*innen der Gegenwart wie Anne Imhof, Jorinde Voigt oder Jonas Weichsel. Die sehenswerte Schau ist bis zum 8. Januar 2023 in der neoklassizistischen Villa am Schaumainkai zu bewundern.

Marlene Dumas: „Magdalena from behind“, 1995; © Marlene Dumas, 2022; Foto: Anett Stuth   

„Unter dem Titel ‚ORTSWECHSEL‘ gibt die Ausstellung einen einmaligen Einblick in diese großartige Sammlung“, freut sich Museumsdirektorin Dr. Birgit Sander. Der Zugang zu der Kunstsammlung der Notenbank ist zwar prinzipiell möglich, aber durch Sicherheitsvorgaben doch eingeschränkt.

Mit dieser Präsentation tritt nun die Sammlung in den Fokus der breiten Öffentlichkeit und es erschließt sich ihr besonderer Charakter. Dabei ist der Ausstellungstitel Programm: Die ausgewählten Positionen ziehen temporär wegen Sanierungsarbeiten des Zentralbankgebäudes in Frankfurt-Ginnheim aus und in den musealen „White Cube“ am Schaumainkai ein.

Die Werke von Frauke Dannert und Michael Riedel wurden sinnvoll in die Raumgestaltung mit einbezogen. Blick in die Ausstellung; Foto: Petra Kammann

Die weiß und leer belassenen Räume in den drei Ausstellungsetagen des Museums Giersch bieten einen neutralen Hintergrund. Damit ergibt sich ein völlig anderes Umfeld für die Werke als im Gebäude der Bundesbank, wo die Kunst in den Fluren, Besprechungsräumen sowie in den Büros und bisweilen auch zwischen Zimmerpflanzen, Kopierern und Sitzgarnituren ihren Platz hat.

Kunst im Kontext der Bundesbank; Hein Heckroth: Figur in Blau, abgedruckt mit Genehmigung der Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen e. V.; Foto: Niels Thies

„Der „Ortswechsel wird zum Perspektivenwechsel“, betont Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank. Dabei ist der Wechsel nicht nur räumlich zu verstehen. „Er verspricht auch neue Sichtweisen“, so Nagel bei der Eröffnung. „Die Ausstellungspräsentation eröffnet Korrespondenzen zwischen Werken aus verschiedenen Zeiträumen und erlaubt – auch für uns – einen frischen Blick auf die über Jahrzehnte gewachsene Sammlung.“

Dr. Iris Cramer, Kuratorin der Kunstsammlung der Deutschen Bundesbank, Dr. Birgit Sander, Direktorin des Museums Giersch, und Dr. Katrin Kolk, Kuratorin des Ausstellung, bei der Pressekonferenz; Foto: Hans-Bernd Heier

Die Kunstwerke treffen in den kabinettartigen Räumen im Museum Giersch in thematisch gegliederten Konstellationen aufeinander. „Es entstehen spannende Dialoge zwischen Werken aus unterschiedlichsten Entstehungszeiten und -kontexten: Eine Arbeit von Anne Imhof mit gestischen Kratzern im Acryllack auf Aluminium trifft auf die „Übermalungen“ Arnulf Rainers. Rupprecht Geigers leuchtend rotes Farbfeld begegnet den ironisch konnotierten Arbeiten Monica Baers“, erläutert Dr. Katrin Kolk, Kuratorin des Ausstellung.

„In ihrer Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte steht Anselm Kiefers archaisierende Bildwelt den konzeptuellen Fotografien von Annette Kelm gegenüber. Die Besucher*innen sind eingeladen, sich auf diese Dialoge einzulassen und selbst miteinander ins Gespräch zu kommen“.

Heinz Kreutz: „Abstrakte Komposition Rot“, 1959; © Heinz Kreutz; Foto: Wolfgang Günzel

Den Einstieg in die gut strukturierte Schau bilden Werke der Quadriga wie von Karl Otto Götz, Heinz Kreutz, Emil Schumacher oder Hans Hartung – Positionen der informellen Kunstrichtung, mit deren Erwerbungen der Sammlungsaufbau in den 1950er Jahren begann.

Blick in die Ausstellung mit FeuilletonFrankfurt-Autor Dr. Hans-Bernd Heier; Foto: Petra Kammann

Diese Positionen standen für Aufbruch und eine neue künstlerische Freiheit nach westlichem Vorbild. Dann kamen Arbeiten der klassischen Moderne hinzu, darunter Werke von Erich Heckel, Hans Purrmann oder Karl Hofer. In den folgenden Dekaden wurde die Sammlung nach und nach durch aktuelle Positionen erweitert.

Die Sammlungstätigkeit ist auf Kunst aus dem deutschsprachigen Raum fokussiert. Nach der deutschen Wiedervereinigung kamen dezidiert Künstler*innen aus den neuen Bundesländern hinzu. Auch jetzt setzt die Notenbank ihre Sammeltätigkeit fort, allerdings steht dafür nur ein jährlicher Ankaufsetat von rund 100.000 Euro zur Verfügung. 

Georg Baselitz: „Fahrradfahrer“, 1982; © Georg Baselitz, 2022, Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, Paris Salzburg; Foto: Deutsche Bundesbank, Courtesy of Galerie Folker Skulima

In den folgenden Räumen richtet sich der Fokus dann auf Gegenüberstellungen zeitgenössischer und historischer Positionen. Zehn Themenräume eröffnen somit jeweils neue Blickwinkel auf einzelne Aspekte der Sammlung: „Fortsetzung des Gestischen“; „Farbe absolut“; „Neue Figuration“; „Farbräume“; „Landschaften“; „Geschichte und Geschichten“; „Körper und Identität“; „Imagination und Wirklichkeit“; „Konkrete Formen“ und „Vielfalt der Gegenwart“. Exklusiv für die Ausstellung gestalten die beiden Künstler*innen Frauke Dannert und Michael Riedel jeweils eigene Räume mit aktuellen Arbeiten und installativen Elementen.

Corinne Wasmuht: „Monaco“, 2004; © Corinne Wasmuht; Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf

Rund drei Viertel der im Museum Giersch gezeigten Arbeiten hängen sonst im Zentralgebäude in Frankfurt. Andere sind dagegen viele Kilometer aus Niederlassungen angereist, so beispielsweise Marlene Dumas‘ überlebensgroßes Ölgemälde  „Magdalena from behind“ aus Dresden. Im Museum tritt das Bild in dem Themenraum „Körper und Identität“ in einen faszinierenden Dialog mit dem tief beeindruckenden Gemälde „Die Sinnende“ von Karl Hofer und dem im wörtlichen Sinne zwiegespaltenen Werk „Braut“ von Cornelia Schleime.

Blick in die Ausstellung; Foto: Petra Kammann

Die Landschaftsmalerei zählt zu den klassischen Gattungen der Malerei. „Auch in der Moderne und Gegenwart zeigt die Vielfalt der künstlerischen Perspektiven viele Möglichkeiten von Landschaft auf, die immer wieder anders und individuell imaginiert und verbildlicht werden können. Die gezeigten Werke von Künstler*innen wie Per Kirkeby, Corinne Wasmuht, Erich Heckel sind in diesem Sinne als unterschiedliche Entwürfe von Landschaft zu verstehen“, so die Kuratorin. Eindrucksvoll korrespondieren diese Arbeiten im Themenraum „Landschaften“ mit Wolfgang Mattheuers „Osterspaziergang I“, das die kahle Landschaft vor dem Leipziger Neuseenland zeigt.

Als die verantwortlichen Direktoriumsmitglieder der Bundesbank und des Vorgängerinstituts der „Bank deutscher Länder“ begannen, Kunst anzukaufen, wollten sie, so Nagel, „die jungen Künstler direkt in ihrer Arbeit unterstützen und die neuen Strömungen der abstrakten Kunst fördern. Gleichzeitig war es ihnen wichtig, ihr kulturelles Engagement mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu teilen. Sie sahen die Auseinandersetzung mit der Gegenwartskunst als Möglichkeit, neue Perspektiven zu entdecken und sich Themen jenseits des eigenen Fachgebiets zu erschließen. Zudem erhoffte man sich, dass die Begegnung mit der ungewohnten avantgardistischen Kunst auch in einem weiteren Sinn Toleranz und Offenheit fördern könne“. 

An den Multimediastationen kommen die Mitarbeiter*innen der Bundesbank zu Wort; Foto: Petra Kammann

Um die Kunst in den Arbeitsalltag einzubeziehen, wurde den Beschäftigten angeboten, sich einzelne Arbeiten für das eigene Büro auszusuchen. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesbank-Niederlassungen durften in der Artothek Werke aus dem reichen Kunstschatz für ihr Arbeitsumfeld auswählen. Ein dokumentarisch angelegter Raum belegt mit Innenaufnahmen aus den Bankgebäuden die dortige Einbindung der Kunst in den Arbeitsalltag.

Ein eigens für die Ausstellung produzierter Kurzfilm lässt die Mitarbeitenden der Bank schließlich selbst zu Wort kommen. Dadurch können Besucherinnen und Besucher erfahren, wie die Kunstwerke vor Ort die Räume prägen und den Arbeitsalltag bereichern, indem sie zu Reflektionen, zu Interpretationen, zu Erkenntnis und emotionalen Reaktionen anregen. 

Zur Ausstellung ist eine Begleitpublikation erschienen, die über die Kunstsammlung informiert, den „Ortswechsel“ der Werke thematisiert und eine Auswahl der Exponate vorstellt; Preis: 10 € an der Museumskasse

„ORTSWECHSEL – Die Kunstsammlung der Deutschen Bundesbank zu Gast im Museum Giersch der Goethe-Universität“ ist noch bis zum 8. Januar 2023 zu sehen; weitere Informationen unter: www.mggu.de

Abbildungen:

Museum Giersch der Goethe-Universität

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