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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Ulisse“ von Luigi Dallapiccola in der Oper Frankfurt

Odysseus‘ Kampf gegen sich selbst – Eine Wahrheitssuche

von Renate Feyerbacher

Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

„Schauen, dann erstaunen und erneut wieder schauen“, das scheint das Lebensmotiv von Odysseus in Dallapiccolas letzter Oper Ulisse, zu sein, die nun in Frankfurt erstmals aufgeführt wurde. Der Komponist (1904-1975) bezeichnete sie als das „Resultat meines gesamten Lebens“ (Zitat Programmheft).

Iain MacNeil (Odysseus) und Dmitry Egorov (Telemachos; mit Bogen) sowie Chor der Oper Frankfurt

Ihre Uraufführung hatte sie am 29. September 1968 an der Deutschen Oper Berlin. Es war in Berlin die Zeit der Studentenunruhen, die, ausgelöst durch den Tod von Benno Ohnesorg während des Staatsbesuchs des persischen Schahs 1967 und durch das Attentat auf Rudi Dutschke 1968, ihren Höhepunkt erreichten.

Ulisse ist in dem Sinne keine politische Oper. Anders Il Prigionero Der Gefangene (1944-48 – Uraufführung konzertant 1.12.1949 Radiotelevisione Italiana – szenisch 20.5.1950 in Florenz), Dallapiccolas bedeutendste Oper, die eine Parabel menschlicher Grausamkeit ist. Sie entstand unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und bewegt sich zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Regisseur Keith Warner hatte an der Oper Frankfurt 2004 sie auf bedrückende Weise inszeniert.

Bereits ein Jahr zuvor hatte Tatjana Gürbaca  Il Prigionero in Wien auf die Bühne gebracht. Die in Berlin geborene Künstlerin wurde 2013 von der Zeitschrift „Opernwelt“ zur Regisseurin des Jahres gewählt und 2014 in London mit dem International Opera Award in der Kategorie „Beste Opernproduktion“ ausgezeichnet. Drei Jahre lang (2011 – 2014) war sie Operndirektorin am Staatstheater Mainz und arbeitete eng mit den Opernhäusern in Zürich und Wien zusammen. An der Frankfurter Oper ist sie zum ersten, aber nicht zum letzten Mal aktiv.

Wie sie im Gespräch mit Dramaturg Maximilian Enderle erzählt, steht sie Dallapiccola nahe. Wie ihre Mutter ist auch der Komponist in Istrien geboren. Die renommierte Regisseurin ist vertraut mit der Geschichte, der Kultur und den politischen Wirren der Region. Laut Programmheft sympathisiert Sie mit den Figuren, die verfolgt, unterdrückt werden und um Anerkennung ringen müssen.

Ulisse beziehungsweise die Gestalt des Odysseus hat den Komponisten ein Leben lang fasziniert. Acht Jahre beschäftigte er sich mit dem Libretto, das er selbst verfasste und in Töne umsetzte. Die Chronologie der Handlung orientiert sich weitgehend an Homers Epos, aber er hat sich von mehreren literarischen Vorlagen inspirieren lassen: von Dantes Göttlicher Komödie, vom Roman Ulysses von James Joyce, von Goethes Nausikaa-Fragment und Alfred Tennysons Gedicht Odysseus. Der zweite Akt ist wesentlich geprägt von Gerhart Hauptmanns Drama Der Bogen des Odysseus.

Iain MacNeil (Odysseus; in der Vitrine) und Katharina Magiera (Melantho; mit weißem Kopfputz) sowie Ensemble

„Die literarische Heterogenität der einzelnen Szenen steht im Kontrast zur klaren symmetrischen Struktur der Oper“, schreibt Maximilian Enderle in den Anmerkungen zum Libretto. Die Oper beschreibe einen „Bogen des Lebens“. Pate stand hier Odysseus‘ Bogen, der nur von ihm – laut Homer – gespannt werden konnte. Er ist das Symbol seiner vergangenen Stärke, die er wieder fand. Er gibt sich zu erkennen und besiegt Penelopes Freier mit dem Bogen. Er ist wieder wer.

Odysseus sieht seine Frau Penelope nach langen Jahren wieder, aber sie bleibt nicht das Ziel seiner Reise, wie Teiresias geweissagt hatte. Er bricht erneut auf. Allein auf dem weiten Meer glaubt er ein göttliches Gegenüber wahrzunehmen. Da fühlt er sich nicht mehr einsam.

Das Meer ist der eigentliche Protagonist der Oper. Es ist besonders am Anfang und am Ende geradezu hörbar, aber auch in anderen Szenen.

Luigi Dallapiccola, zunächst beeinflusst von Arnold Schönberg, fand seine eigene Zwölftontechnik. Jahrelang hat er sogenannte Klangrecherchen betrieben, welche die Instrumentation und das Orchesterkolorit von Ulisse kennzeichnen. „So erhält jede Szene ihr ganz eigenes, unverwechselbares klangfarbliches Gewand.“ (Dietrich Kämper im Programmheft).

Regisseurin Tatjana Gürbaca hat mit viel Fantasie das schwierige, für unaufführbar gehaltene Werk des seelenverwandten Komponisten realisiert. Wichtig war ihr, die ständige Verwandlung von Odysseus, den Prozess des Sich-Findens deutlich zu machen und durch sein Geschichtenerzählen alle mit einzubeziehen, zum Beispiel den Vater von Nausikaa im Palast des Königs Alkinoos. Auch die kleinste Nebenrolle und vor allem der Chor, den Chordirektor Tilman Michael grandios einstudiert hat, bekam ihre volle Aufmerksamkeit.

Iain MacNeil (Odysseus; in der Bildmitte) und Yves Saelens (Teiresias; mit Blumenkette) sowie Ensemble

Klaus Grünberg, der erstmals in Frankfurt tätig ist, verantwortlich auch fürs Licht, schuf eine abstrakte Bühnenlandschaft mit Säulen und wenigen beweglichen Elementen. Unterstützt wurde er von Anne Kuhn. Belebt wird die Ödnis durch die fantasievollen, zum Teil witzigen, männlich und weiblich deutlich markierten Kostüme, die Silke Willrett entwarf.

Bariton Iain MacNeil, Ensemblemitglied seit 2019/20, verdeutlicht durch stimmliche Flexibilität die ständigen Verwandlungen. Und auch schauspielerisch konnte der junge Kanadier überzeugen.

Alle Rollen waren mit vorzüglichen Interpreten besetzt. Fast alle kommen aus dem Ensemble oder haben an der Oper Frankfurt bereits gesungen: allen voran das langjährige Ensemblemitglied, Kammersängerin Claudia Mahnke als verstorbene Mutter Antikleia, die er im Hades traf.

Dann die Altistin Katharina Magiera als Kirke und attraktive Dirne Melantho, Juanita Lascarro als Kalypso und Peneleope, die französisch-zypriotische Sopranistin Sarah Aristidou als traurig-liebende Nausikaa, der belgische Tenor Yves Saelens als Demodokos und Teiresias, Bass Andreas Bauer Kanabas als Hüften schwingender König Alkinoos, der polnische Bariton Danylo Matviienko als Antinoos, der koreanische Tenor Jaeil Kim als Eurymachos, das langjährige Ensemblemitglied Bariton Sebastian Geyer als Peisandros, der amerikanische Tenor Brian Michael Moore als Eumäos, der mehrfach ausgezeichnete, russische Countertenor Dmitry Egorov als Telemachos und die drei Mägde Marvic Monreal (Opernstudio), Stefanie Heidinger und Julia Bell (beide Mitglied im Frankfurter Chor). Was für ein internationales Team!

Das große Orchester ist ebenso international besetzt. 79 Musikerinnen und Musiker breiten Dallapiccolas Klangwelt unter Leitung des Italieners Francesco Lanzillotta wunderbar auf. Eine großartige Opernmusik und ein eindrückliches Theaterereignis.

Weitere Vorstellungen, die in deutsch gesungen und mit deutschen und englischen Übertiteln unterstützt werden, gibt es am 7., 10., 15., 18. und 21. Juli. Dauer zwei Stunden ohne Pause.

www.oper-frankfurt.de

Kartentelefon 069-21249494

 

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